Jean Paul
Titan
Jean Paul

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8. Zykel

Nicht von Vernünfteleien, sondern von Scherzen schmilzt leicht das Eis in unserem stockenden Räderwerke. Nach einer gesprächigen Stunde war dem Jünglinge nicht viel mehr davon übrig als eine ärgerliche Empfindung und eine frohe; jene darüber, daß er den Mönch nicht bei der Kutte genommen und dem Ritter vorgeführt; und die frohe über die hohe weibliche Gestalt und selber über die Aussicht in ein Leben voll Abenteuer. Gleichwohl fuhren, wenn er die Augen schloß, Ungeheuer voll Flügel, Welten voll Flammen und ein tiefes wogendes Chaos um seine Seele.

Endlich gingen in der Kühle der Nachmitternacht seine müden Sinnen näher fortgezogen und auseinanderfallend dem Magnetberg des Schlummers zu; – aber welcher Traum kam ihm auf diesem stillen Berge nach! »Er lag« (so träumte ihm) »auf dem Krater des Hekla. Eine aufdrängende Wassersäule hob ihn mit sich empor und hielt ihn auf heißen Wellen mitten im Himmel fest. Hoch in der Äthernacht über ihm streckte sich ein finsteres Gewitter, wie ein langer Drache, von verschlungnen Sternbildern aufgeschwollen, aus; nahe darunter hing ein helles Wölkchen, vom Gewitter gezogen – durch den lichten Nebel des Wölkchens quoll ein dunkles Rot entweder von zwei Rosenknospen oder von zwei Lippen und ein grüner Streif von einem Schleier oder von einem Ölzweige und ein Ring von milchblauen Perlen oder von Vergißmeinnicht – endlich zerfloß ein wenig Duft über dem Rot, und bloß ein offnes blaues Auge blickte unendlich mild und flehend auf Albano nieder; und er streckte die Hände aus nach der umwölkten Gestalt, aber die Wassersäule war zu niedrig. Da warf das schwarze Gewitter Hagelkörner, aber sie wurden im Fallen Schnee und dann Tautropfen und endlich im Wölkchen silbernes Licht, und der grüne Schleier wallte erleuchtet im Dunst. Da rief Albano: Ich will alle meine Tränen vergießen und die Säule aufschwellen, damit ich dich erreiche, schönes Auge! – Und das blaue Auge wurde feucht von Sehnen und sank vor Liebe zu. Die Säule wuchs brausend, das Gewitter senkte sich und drückte das Wölkchen voraus, aber er konnt' es nicht berühren. Da riß er seine Adern auf und rief: Ich habe keine Tränen mehr, Geliebte, aber all' mein Blut will ich für dich vergießen, damit ich dein Herz erreiche. Unter dem Bluten drang die Säule höher und schneller auf – der weite blaue Äther wehte und das Gewitter verstäubte und alle verschlungnen Sterne traten mit lebendigen Blicken heraus – das flatternde freie Wölkchen schwebte blitzend zur Säule nieder – das blaue Auge tat sich in der Nähe langsam auf und schneller zu und hüllte sich tiefer in sein Licht; aber ein leiser Seufzer sagte in der Wolke: Zieh mich in dein Herz! – O da schlang er die Arme durch die Blitze und schlug den Nebel weg und riß eine weiße Gestalt, wie aus Mondlicht gebildet, an die Brust voll Glut – Aber ach der zerrinnende Lichtschnee entwich den heißen Armen – die Geliebte verging und wurde eine Träne und die warme Träne drang durch seine Brust und sank in sein Herz und brannte darin und es rann auseinander und wollte vergehen« ... Da schlug er die Augen auf.

Aber – welches überirdische Erwachen! – Das weiße ausgeleerte Wölkchen, mit Gewittertropfen befleckt, hing, auf ihn hereingebückt, noch am Himmel – – – es war der helle, liebend-nahe über ihn hereingesunkne Mond. Er hatte sich im Schlafe verblutet, weil sich darin die Binde von der Wunde des Armes durch das heftige Bewegen desselben verschoben hatte. Die Entzückungen hatten den Nachtfrost des Geisterschreckens zerschmolzen. In einem verklärenden Erstreben flatterte aufgebunden sein so festes Dasein umher wie ein beweglicher Traum – in den gestirnten Himmel war er wiegend aufgeschwebt wie an eine Mutterbrust, und alle Sterne waren in den Mond geflossen und dehnten seinen Schimmer aus – sein Herz, in eine warme Träne geworfen, ging sanft darin auseinander – außer ihm schattete es nur, in ihm strahlte es blendend – der Flug der Erde wehte vor der aufgerichteten Flamme seines Ichs vorbei und bog sie nicht um. Ach seine Psyche glitt mit scharfen ungeregten ungehörten Falkenschwingen entzückt und still durch das dünne Leben ...

Ihm kam es vor, als sterbe er, denn spät war er die steigende Erwärmung des linken verblutenden Armes innen geworden, der ihn ins lange Elysium, das aus dem Traume ins Wachen reichte, gehoben hatte. Er legte ihm die Binde fester um. –

Auf einmal hört' er unter dem Verbinden ein lauteres Plätschern unter sich, als bloße Wellen machen konnten. Er schauete über das Geländer – und sah seinen Vater mit Dian ohne Abschied – der für Gaspard nur die giftige Herbstblume in der Herbstminute einer Abreise war – wie ausgefallne Blütenblätter aus der Blumenkrone seines Lebens über die Wellen fliehen unter dem Schwanenliede der Nachtigallen! ... Guter Mensch, wie oft hat dich diese Nacht betöret und beraubt! – Er breitete die Arme ihnen nach – der Schmerz des Traums fuhr fort und begeisterte ihn – der fliehende Vater schien ihm wieder liebender – schmerzlich rief er hinab: »Vater, sieh dich um nach mir! – Ach wie kannst du mich so stumm verlassen? – Und du auch, Dian! – O tröstet mich, wenn ihr mich hört!« – Dian warf ihm Küsse zu, und Gaspard legte die Hand auf das sieche Herz. Albano dachte an die Kopistin des Todes, an die Starrsucht, und hätte gern den verletzten Arm über die Wellen gehalten und das warme Leben als eine Libation für den Vater vergossen; und rief nach: »Lebt wohl, lebt wohl!« – Schmachtend drückt' er die kalten steinernen Glieder einer kolossalischen Statue an seine brennenden Adern an, und Tränen der vergeblichen Sehnsucht überquollen sein schönes Angesicht, während die warmen Töne der welschen Nachtigallen, die von dem Ufer und der Insel gegeneinanderschlugen, mit linden Vampyrenzungen das Herz wundsogen. – – Ach wenn du einmal geliebt wirst, glühender Jüngling, wie wirst du lieben! – Er weckte, im Durste nach einer warmen sprechenden Seele, seinen Schoppe auf und zeigte ihm die Flucht. Aber indem dieser irgend etwas Tröstendes sagte, schauete Albano unverwandt dem grauen Punkte des Fahrzeugs nach und hörte nichts. –


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