Jean Paul
Titan
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85. Zykel

Der Minister hatte, als sie aus Lilar mit getöteten Augen heimgekommen, in sein rechtes eine Hölle, ins linke ein Fegefeuer gelegt; – denn so sehr belogen hatt' ihn noch kein Geschick; nämlich so sehr gebracht um alle seine Projekte und Prospekte, um das Hofdamenamt der Tochter, diesen Vorsteckring am Finger der Fürstin, und endlich um jeden Fang seines doppelt gewebten Gespinstes.

Unsäglich wehrte sich der Mann vor dem Löffel, worin ihm das Schicksal das Pulver vorhielt, auf welches er die verschluckten Demante seiner Plane sollte fahren lassen; er hielt die stärksten Sermone – so hieß er, wie Horaz, seine Satiren – gegen »seine Weiber«; er war ein Kriegsgott, ein Höllengott, ein Tier, ein Untier, ein Satan, alles – er war imstande, jetzt alles zu unternehmen, aber was halfs? –

Viel, als gerade der deutsche Herr ihn in dieser moralischen Stimmung betraf. Solcher trug kein Bedenken, das väterliche Versprechen der Tochter für die Miniatur-Malerei wieder aufzufrischen und in Anspruch zu nehmen; er war übrigens allwissend und schien unwissend. Für die Sitz-Szene einer Blinden hatt' er eigne romantische Verwicklungen nach den Notizen zugeschnitten, die er aus dem Hauptmann gelockt. Seine Kunst-Liebe gegen Lianens Gestalt hatte bisher wenig gelitten, und sein langsames An- und Umschleichen war seiner Vipern-Kälte und seiner weltmännischen Kraft gemäß. Der alte Vater – der im Leben wie in einem Reichsanzeiger immer einen Kompagnon mit 60, 80 Tausend Taler zu seiner Handlung suchte – bezeugte sich nichts weniger als abgeneigt. Diese zwei Falken auf einer Stange, von einem Falkenmeister, dem Teufel, abgerichtet, verstanden und vertrugen sich gut. Der deutsche Herr gab zu erkennen, ihr Miniaturbild sei bei ihrer frappanten Ähnlichkeit mit Idoine, die wie sie niemals sitzen wollen, zu manchem Scherze bei der Fürstin behilflich, aber noch mehr seiner »Flamme« für Liane unentbehrlich, und jetzt in ihrer Blindheit könne man sie ja zeichnen ohne ihr Wissen – und er werde unter das Bild schreiben: la belle aveugle oder so etwas. Der alte Minister goutierte, wie gesagt, den Gedanken ganz. Wie die welschen Sängerinnen eine sogenannte Mutter statt eines Passes auf ihren Reisen führen, so hielt er sich für einen solchen sogenannten Vater; er dachte: mit dem Mädchen wirds ohnehin wenig mehr, es liegt als totes Kapital da und verzinset sich schlecht; ich kann den angeöhrten Patenpfennig, den der deutsche Herr bei seinem Gevatterstand mir als dem Vater anbietet wie dem Kinde den Namen, in die Tasche stecken.

Das Schelmen-Duplikat wurde in seinem Schusse und Flusse bloß durch einen Floßrechen aufgehalten, der ihnen den Raub aus den Hechtzähnen zu ziehen drohte: eine alte, keifende, aber seelentreue Kammerjungfer aus Nürnberg war der Rechen; diese wäre nicht von Lianen und nicht zum Schweigen zu bringen gewesen. Bouverot freilich, ein Robespierre und Würgeengel seiner Dienerschaft, hätte an Froulays Stelle die Nürnbergerin ein paar Tage vorher von einem Diener mit einigen komplizierten Frakturen versehen und dann auf die Gasse werfen lassen; aber der Minister – sein Herz war weich – konnte das nicht; alles, was ihm möglich war, das war: er berief sie auf sein Zimmer – hielt ihr es vor, daß sie ihm sein Ohr aus Magdeburg gestohlen – blieb mit dem anwesenden Gehör taub gegen jede Einwendung, aber nicht gegen jede Unhöflichkeit – und fand sich endlich gar genötigt, die diebische Grobianin Knall und Fall aus dem Dienst zu jagen. Bei jeder Nachfolgerin hatte, als einer neuen, Geld Gewicht, wußt' er.

Er wollte darauf die Fürstin um eine Einladung für sich und die Ministerin zu Tee und Souper bitten – den Miniaturmaler bestellen – das neue Kammermädchen belehren – und alles recht anlegen.

Zwei Tiger höhlten, nach der Legende, dem Apostel Paulus das Grab; so scharret hier unser Paar an einem für eine Heilige, um so mehr, da ich sonst nicht absehe, wozu – wenn nichts gemacht werden soll als ein Bild – so viele Umstände. Aber den Vater könnt' ich fast entschuldigen; erstlich sagte er ausdrücklich zum deutschen Herrn, die Zofe könne seiner Meinung nach im Zimmer oder im anstoßenden passen, falls etwan die Patientin etwas haben wolle – zweitens hatte der sonst weiche Mann von seinem ministerialischen Verkehr mit der Justiz einen gewissen Kies angesetzt, eine gewisse Grausamkeit angenommen, welche der hinter der Binde und als Areopag ohne den Anblick der Schmerzen urtelnden Themis um so natürlicher ist, da schon DiderotDessen lettres sur les Aveugles. behauptet, daß Blinde grausamer wären – und drittens war wohl niemand mehr bereit, sein Kind, das er, wie sonst angeblich Juden und Hexen Christenkinder, kreuzigte, um wie jene mit dem Blute etwas zu tun, tiefer zu betrauern, falls es stürbe, als er, da ohnehin die Eltern und überhaupt die Menschen zwar leicht das Unglück derer, die ihnen nahe liegen, aber schwer deren Verlust verschmerzen, so wie wir bei dem noch näher liegenden Haar nicht das Brennen und Schneiden, aber schmerzlich das Ausreißen desselben verspüren – und viertens hatte Froulay immer das Unglück, daß Gedanken, die in seinem Kopfe eine leidliche, unschuldige Farbe hatten, gleich dem Hornsilber oder der guten Dinte auf der Stelle schwarz wurden, wenn sie ans Licht traten.

Sonst – und von diesen Milderungen abgesehen – steckt wohl manches in seiner Handlung, was ich nicht verteidige.

Der Abend erschien. Die Ministerin ging am ehelichen Arme an den Hof. – Die neue Kammerjungfer hatte als Brautführerin Bouverots schon vor drei Tagen die nötigsten Anstalten gemacht, oder Spitzbübereien – sie hatte ihm Lianens Briefe an Albano sehr leicht, da die Mutter aus Gewohnheit ein gegenwärtiges Auge für ein sehendes hielt, vorleihen und er sich daraus die historischen Züge oder Farben-Tusche abholen können, womit er sich bei einer Erkennung auf dem Theater vor der Blinden den Anstrich ihres Helden, nämlich Albanos, geben konnte – mit Roquairol hatt' er oft genug gespielt, um dessen Stimme, mithin Albanos seine, in der Gewalt zu haben,

Mich dünkt, seine Rüsttage vor dem Festabend waren zweckmäßig hingebracht.

Er konnte, da kleine Residenzen früher Tee trinken, schon so früh erscheinen, als ein Miniaturmaler im September durchaus muß. Als er die stille Gestalt im Sorgenstuhl erblickte, mit den entfärbten Blumenkelchen der Wangen, aber fester gewurzelt in jedem Entschluß, eine kälter gebietende Heilige: so stieg in ihm die aus ihren Briefen zugleich gesogne Erbitterung und Entzündung miteinander höher – nur in solchen Brusthöhlen, zugleich mit Metall- und Darmsaiten, mit Härte und Wollust, bespannt, ist ein solcher Bund von Lust und Galle denklich. Bouverots ganze Vergangenheit und Lebens-Geschichtbücher müßten – wie die von Herodot den neun Musen – so den drei Parzen, jeder eines, zugeeignet werden.

Er schlich ins Fenster, setzte sich und sein Farben-Kästchen hin und fing hastig zu punktieren an. Unterdessen ließ sich Liane von ihrem sehr gebildeten, belesenen Kammermädchen aus dem zweiten Bande der Oeuvres spirituelles von Fenelon vorlesen. Zefision rührte der Erzbischof gar nicht – was er etwa von reiner Liebe (sur le pur amour de Dieu) vernahm, setzt' er zu unreiner durch Anwendungen um und ließ sich teuflisch entzünden durch das Göttliche – was übrigens rührend war in Lianens Bezug, ließ er an seinen Ort gestellt, da er jetzt zu malen hatte. Häßlich leckten seine vielfärbigen Panther-Augen gleich roten, scharfen Tiger-Zungen über das süße, weiche Antlitz! – »Liebe Justa, hör auf, das Lesen wird dir sauer, du atmest so kurz!« sagte sie endlich, weil sie den Porträtmaler atmen hörte. Es war für ihn kein Opfer, sondern ein Vor-Genuß, ein süßer Imbiß, den Kuß dieser zarten, kleinen Hand und Lippe und die ganze Schaustellung seines brennenden Herzens hinauszusetzen, bis er ihren Abriß mit den Gift-Tinten auf das weiße Elfenbein durch die schnelle Dupfmaschine seiner Hand abpunktieret sah.

Endlich hatt' er sie Bunt auf Weiß. »Gut, liebe Justa,« (sagte sie) »die Gebetglocke läutet, du kannst nichts mehr sehen. – Führe mich lieber zum Instrument« – nämlich zur Harmonika. Sie tats. Bouverot gab Justen einen Scheide-Wink – sie tats wieder. Der gelbe Gartenkanker lief nun auf die zarte, weiße Blume zu. – Der Kanker hörte ihren Abend-Choral nicht ohne Vergnügen, und das betende Aufschlagen ihrer zerstörten Augen schien ihm eine recht malerische Idee, die der true PainterDie helle Kammer. dem Elfenbein-Stück einzuverleiben beschloß, wenns gehen würde.

»Schöne Göttin!« rief er plötzlich mit Albanos gestohlner Stimme unter jene heiligen Töne, die einmal Albano in einer frohern Stunde, aber edler unterbrochen hatte. Sie horchte erschrocken auf, aber ungläubig an ihr Ohr in dieser Nacht. Das Staunen mißfiel dem Prospektmaler – denn ihr Gesicht war sein Prospekt – ganz und gar nicht; »erinnere dich an diese Harmonika im Donnerhäuschen.« Er verwechselte es mit dem Wasserhäuschen. – »Sie hier, Graf? – Justa! wo bist du?« rief sie ängstlich. – »Justa, kommen Sie her!« rief er dazu nach. Das Mädchen folgte seiner Stimme und seinem – Auge. »Gnädiges Fräulein?« fragte sie. Aber jetzt hatte Liane nicht den Mut, sie um die Pforte und das Einlaßbillet des Grafen zu fragen. Mit dem Liebhaber französisch zu sprechen, ging nicht, da es die Jungfer verstand; daher verbot man auch in Wien in den Revolutionsjahren einsichtig diese Sprache, weil sie so zuverlässig eine gewisse Gleichheit – die Freiheit folgt – zwischen dem Adel und der Dienerschaft pestartig ausbreitet.

Boshaft und freudig erinnerte Bouverot, dem sie jetzt über den Grafen ein brauchbares Mißtrauen zu verraten schien, das seiner Charaktermaske einen freiern Spielraum anwies, die Sinnende an ihre Befehle für Justa; sie mußte sie nun Licht holen lassen.

»Infidele,« (fing er darauf an) »ich habe alle Hindernisse überwunden, um mich Ihnen zu Füßen zu werfen und Ihre Vergebung zu erflehen. Je m'en flatte à tort peut-être, mais je l'ose« (fuhr er fort, heftiger durch sie gemacht) – »O cruelle! de grâce, pourquoi ces regards, ces mouvements? – Je suis ton Alban, et il t'aime encore – Pense à Blumenbühl, ce séjour charmant – Ingrate, j'espérois de te trouver un peu plus reconnaissante. – Souviens-toi de ce que tu m'a promis« (sagt' er, um sie auszufragen) »quand tu me pressas contre ton sein divin ...«

Eine reine Seele spiegelt, ohne sich zu beflecken, die unreine ab und fühlt unwissend die quälende Nähe, so wie Tauben, sagt man, sich in reinem Gewässer baden, um darin die Bilder der schwebenden Raubvögel zu sehen. Der kurze Atem, der wankende Sprachton, jedes Wort und ein unerklärliches Etwas trieben das schreckliche Gespenst nahe vor ihre Seele, den Argwohn, es sei Albano nicht. Sie fuhr auf: »Wer sind Sie? Gott, Sie sind der Graf nicht. Justa, Justa!« – – »Wer wär' es sonst,« (versetzt' er kalt) »der sich meinen Namen geben dürfte? Oh, je voudrais que je ne le fusse pas. Vous m'avez écrit que l'espérance est la lune de la vie – Ah, ma lune s'est couchée; mais j'adore encore le soleil qui l'éclaire.«

Hier faßte er die Hand dieser verfinsterten, mit einem Drachen kämpfenden Sonne. – Da entdeckten ihr seine weggenagten Fingernägel und die dürren Finger und ein vorbeistreifendes Berühren seines Ordenskreuzes den wahren Namen. Sie riß sich schreiend los und lief weg, ohne zu sehen wohin, und geriet wieder an seine Hand. Er riß ihre heftig an die magern heißen Lefzen hinauf: »La, ich bin es« (sagt' er) »und liebe Sie mehr als Ihr Graf mit seiner étourderie.«

»Sie sind schlecht und gottlos gegen ein blindes Mädchen – was wollen Sie? – Justa! hilft mir denn niemand? – Ach, du guter Gott, gib mir meine Augen!« (rief sie fliehend, unwissend wohin und eingeholt) »Bouverot! du böser Geist!« rief sie, abwehrend an Orten, wo er nicht war. Er, wie das Schießpulver, kühlend auf der Zunge und sengend und zerschmetternd, wenn ihn die Gier zündete, stellte sich in einiger Schlag-Weite von ihr, warf ein Maler-Auge auf das reizende Wallen und Beugen ihres aufgestürmten Blumenflors und sagte ruhig mit jener Milde, die der ätzenden und fressenden Milch der Schwämme ähnlich ist: »Nur ruhig, Schönste! Ich bin es noch; und was hälf' Ihnen alles, Kind?« –

Taumelnd vom Schlangenhauch der Angst, fing die irre Natur zu singen an, aber lauter Anfänge. »Freude, schöner Götterfunken« – »Ich bin ein deutsches Mädchen« – sie lief herum und sang wieder: »Kennst du das Land« – »Du böser Geist!« –

Jetzt bäumte sich die damit geschmeichelte Riesenschlange auf ihren kalten Ringen mit zuckender Zunge in die Höhe, um hinzuschielen und zu umflechten: »Mon coeur« (sagte die Schlange, die immer in der Leidenschaft französisch sprach) »vole sur cette bouche qui enchante tous les sens.« – »Mutter!« (rief sie) – »Karoline! – O Gott, lasse mich sehen! O Gott, meine Augen!« – Da gab der Alliebende sie ihr wieder, die Qual der Natur, die lauten Anstalten des Begräbnisses öffneten der Scheinleiche wieder das Auge.

Wie behend entflog sie aus der Marterkammer! Das getäuschte Raubtier rechnete auf Blindheit und Verirrung fort. Aber da Bouverot sah, daß sie leicht die Treppe zum welschen Dache hinaufstürze: so schickte er bloß das herbeilaufende Mädchen ihr nach, damit sie keinen Schaden nehme; und hielt jetzt wieder die bisherige Blindheit für Verstellung. Er selber holte aus dem Zimmer den Miniatur-Riß ab und schleppte sich wie ein hungriges, verwundetes Ungeheuer verdrüßlich und langsam aus dem Hause hinaus.


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