Jean Paul
Titan
Jean Paul

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71. Zykel

Am Sonntags-Morgen, als der ganze blaue Himmel offen stand und die Erde festlich geschmückt mit Perlen und Zweigen, klopfte an Albanos Türe ein leiser Finger, der einer weiblichen Hand gehören mußte. Liane trat so früh schon herein; Rabette und Karl riefen draußen einen lauten Gruß. An seiner jauchzenden Brust lag das schöne, vom Gehen blühende Mädchen mit seligen, hellen Augen, eine frisch-betauete Rosenknospe. Es war sein schönster Morgen, er fühlte rein, daß Liane liebe. Als die Äolsharfe einklang, sah sie hin, erinnerte sich errötend an den schönsten Bundes-Abend und hörte still zu und trocknete das Auge, da sie es wieder auf Albano wandte. – Aber er konnte in diesen Tempel der Freude nicht eintreten, ohne sich gereinigt und geheiligt zu haben durch Offenheit über seine neulichen Irrtümer. Welcher süße Wettstreit um Bekennen und Vergeben, da Liane liebend erschrak und bekannte, daß sie ihn neulich nicht erraten – daß nur sie die Schuldige sei und daß sie jetzt schon besser sprechen wolle. Sie konnte sich über die verdeckten Schmerzen, die sie ihrem Freund gemacht, gar nicht zufrieden geben. Wie Mahagoni-Geräte in keiner Temperatur bricht und keine Flecken annimmt und kein Polieren bedarf: so ist dieses Herz, fühlte Albano; der sich nun schwur, überall, auch wo er sie nicht errate, zu sich zu sagen: sie hat recht.

Sie lösete ihm das Rätsel ihrer heutigen Erscheinung mit jenen freundlichen Mienen, welche ein guter Mensch verdoppelt, wenn er etwas zu versüßen hat: »sie gehe nämlich heute nach Pestitz zurück – aber spät, erst abends, erst um die Teezeit komme der Wagen, und ihnen bleibe ein ganzer Tag; und sie hoffe nicht, daß ihr Vater diesen Umweg über Lilar für einen Bruch ihres Versprechens nehmen werde.« Ein liebendes Mädchen wird unbewußt kühner. – Darauf suchte sie ihn über die friedlichen Absichten ihres Vaters recht ruhig zu machen und stellte ihm seine Strenge, womit er sich und andere der Konvenienz unterwarf, als die Ursache seiner Verbote, so wie ihrer Zurückberufung zum Vermählungsfeste vor. Albano, so nahe am letzten Schwure, hielt ihn und sagte: sie hat recht.

Der Hauptmann trat mit der rotwangigen Rabette herein, in deren Augen die Freude blitzte. Das kleine Zimmer machte durch Enge und Verwirrung die Lust nicht kleiner. Karl, sonst so sehr dem Vesuve ähnlich, der in den ersten Morgenstunden noch beschneiet ist, stand schon mit einem warmen Gipfel da; er setzte sich ans Instrument und donnerte mit einem aufgeschlagnen Prestissimo von Haydn – diesem rechten Stundenrufer jauchzender Stunden – in die laute Gegenwart und spielte zur Verwunderung der Weiber das Schwerste so leicht vom Blatte, daß er mehr hinein- als herausspielte und vieles (z. B. den Baß) immer selber setzte, indes Albano mit fast komischer Treue in der Musik ebensosehr die Wahrheit wiedergab als in jeder Geschichte, die immer in Karls Munde wieder eine erlebte. Der Morgen legte allen Seelen die Flügel an, die der Mittag den Menschen immer bindet – daher die Aurora mit geflügelten Rossen fährt und der Tagsgott mit flügellosen. – »Aber wie sind nun unsere sieben Freudenstationen zu machen?« (fragte Karl) »denn der Tag liegt wie ein Gartensaal mit lauter Lustgängen nach allen Seiten vor uns offen.« – »Karl, ist es denn nicht einerlei, wo ein Mensch liebt?« sagte Albano. – Seliger, dessen Herz nichts braucht als noch eines, aber keinen Park dazu, keine opera seria, keinen Mozart, keinen Raffael, keine Mondsfinsternis, nicht einmal einen Mondschein und keinen vorgelesenen oder nachgespielten Roman!

»Zuerst muß ich meine Chariton sehen«, sagte Liane. – »Die kann uns ja« (nahm ihr Bruder sogleich auf) »unser Essen in den gotischen Tempel nachtragen.« – Er wollte an diesem holden Tage im 12ten Jahrhundert essen und bei einem bänglichen, bunten Scheibenlicht und auf eckigem, schwerem, dickem Gerät und gleichsam dunkel unter der Erde der oben grünenden Gegenwart mit blühenden Gesichtern sitzen; denn so überlud er die vollsten Genüsse noch mit äußern Kontrasten und genoß jede frohe Gegenwart am meisten in der nahen Beleuchtung und Abspieglung der geschliffnen Sichel, die sie abmähte»Ein solcher Charakter« (schreibt Hafenreffer dabei) »wäre für Romanen-Kotzebues erwünscht, weil diese, da er seiner Natur nach immer den Wert der Situation durch den zufälligen Ort derselben schaffen und heben will, unter dem Deckmantel seiner Persönlichkeit ganz der ihrigen frönen und die Schwäche des Dichters in die Schwäche des Helden verkleiden könnten.« Mich dünkt, dieses ist, so viel ein Biograph von Romantikern urteilen kann, sehr treffend.. »Gott bewahre und behüte, Freund!« sagte Rabette. Auch Albano fand die freundliche Griechin, ihre lachenden Kinder und die nahen Rosenfelder besser dazu; und siegte mit Lianen. Vor dem belaubten Häuschen liefen ihnen die Kinder entgegen, Helene mit dem Schürzchen voll aufgelesener Orangenblüten, weil ihr das Brechen verboten war, und Pollux im letzten, leichten Verbande des gebrochnen Arms, dessen Hand jetzt mit der Rechten am hohlen Zusammenfalten und Platzen der Rosenblätter hatte arbeiten müssen. Beide berichteten ein: »die Mutter sei noch nicht fertig und habe sie zuerst angezogen.« – Aber schon nett und einfach wie zum Priesterin-Tanze um den Altar froher Götter sprang Chariton ihrer Liane entgegen und passete die schnell angelegten Kleider nur noch durch ein leichtes Rücken und Zucken gar an. »Das ist« (sagte Roquairol, nachdem er von Rabetten das nickende Ja sehr leicht dazu erhalten, weil sie seine französische Bitte um dasselbe nicht verstanden) »meine Gemahlin seit gestern –«, und er genoß ohne Umstände das Du-Recht, das sie seit dem freundlichen Zuspruche des Ministers mit jungfräulichen Ahnungen lieber annahm.

Da Liane freundlich vier Gäste des Mittags bei Chariton anmeldete: so standen in den schwarzen Augen der Griechin Freudenblitze, und das kleine Gesicht mit italienischen großen Augenbraunenbogen wurde ein feststehendes Lächeln, das nicht Küchenverlegenheit, sondern nur zungenlose Freudigkeit war, welche ihren weißen Zahnhalbzirkel noch weiter glänzen ließ, da Karl vollends sagte: »Du kannst ihr ja helfen, Frau!« – »Das versteht sich!« sagte Rabette ganz entzückt, weil ihr Herz weiter keine andere Lippen hatte als ihre beiden Hände, für welche es so viel war, als wenn sie von der geliebten gedrückt würden, wenn sie für sie harte Arbeit angreifen durften. Verwünschte sie nicht so oft ihre unberedte, stockende Kehle, wenn Roquairol vor ihr seine feurigen Ströme brausen ließ? – Jetzt, da er wieder die Nähe mit künstlichen, schattierenden Scheidungen ausgeschmückt hatte, drang er freilich darauf, daß Chariton die expedierende Sekretarin bliebe und Rabette nur unterzeichnete. Auch Liane wollte aus gleicher Weiblichkeit etwas für ihren Liebling schaffen; aber da sie als ein Mädchen von Stande nichts kochen konnte, sondern nur etwas backen, so wurd' ihr – aber ungern von ihrem Freunde, der die süße Gestalt nirgendswo gern sah als, wie andere Schmetterlinge, nur unter Blumen bei ihm – zugestanden, ganz spät und zehn Minuten lang mit den Augen und in seltenen Fällen mit den drei Schreibfingern an den Schneebällen mitzuarbeiten, welche das Dessert beschließen sollten.

Einen breitern Baldachin oder einen schöner geschnitzten Zepter und Apfel hatte noch keine Küchen-Ballkönigin, oder gar schöneres dames d'atour, als Chariton; und Geschirr und Feuer wurden ganz dadurch verdunkelt.

Nun gingen die glücklichen Paare – und die Kinder mit – hinaus in den freudigen Tag, in den jugendlichen Garten, um wie Wandelsterne mit ihren Monden einander bald nahe, bald ferne, bald im Gegenschein, bald in der Zusammenkunft zu stehen auf der himmlischen Kreisbahn um dieselbe Sonne. »Wir wollen auf Geratewohl« (sagte Karl im Hafen) »ausschiffen und zusehen, ob wir uns nicht treffen.« – Albano ging mit Lianen den Kindern nach, die schon an den kleinen Häusern durch die Rosengänge hüpften, auf die Brücke über den singenden Wald. Wem das Herz so ruhig-selig schlägt, der sucht in der unsichtbaren Kirche keine sichtbare – der ganze Tempel der Natur ist der Tempel der Liebe, und überall stehen Altäre und Kanzeln. Auf dem glattniedergehenden Lebensstrome steht der Mensch ohne Ruder selig in seinem Kahn und regiert ihn nicht.

Dann lenkten die Kinder, eingedenk der mütterlichen Auswanderungsverbote, auf der Brückenhöhe rechts hinüber zu den westlichen Triumphbogen, und Helene lief bloß als ziehende Führerin des Rekonvaleszenten mit seiner Hand recht unerwartet wild voraus. Albano folgte den kleinen Lotsmännchen und Leithündchen so gern. Himmel! wenn sie sich so auf der herrlichen Höhe umsahen und in den reich ausgebreiteten Tag und in ihre Augen darauf: wie wölbten sich die Bogen der Lebensbrücke so frei und weit, und die Schiffe flogen mit aufgeblasenen Segeln und stolzen Masten hindurch! – Rosenbäume kletterten an den Triumphbogen herauf, die Kinder langten hinaus, knickten Rosen von ihrem Gipfel und trabten, den fremden Gehorsam verarbeitend und erprobend, über vier Tore hinweg, um von dem fünften in den glatten, blanken See darunter zu schauen und in den »Zauberwald« hinabzusteigen, wo die Kunst wie die Kinder spielte.

Aus dem Eingange des Waldes traten Karl und Rabette heraus, um zu Chariton über die Bogen zurückzugehen, jener zum Flaschenkeller – er hatte etwas Leeres daraus in der Hand –, diese ein wenig in die Küche. Er ging selig wie auf Flügeln und sagte: »Das Leben fährt heute auf dem Wagengestirn im Blauen dahin.« Er kehrte aber um, um vor ihnen die Plejaden aufgehen zu lassen, nämlich den sogenannten »verkehrten Regen«, der bloß fünf Minuten lang und eigentlich nur bei Illumination steigt. Er führte alle in den Wunderwald durch ein im Mittagsschlummer liegendes Licht, das unter freien Bäumen glühte, deren weit-auseinanderstehende Stämme sich nur die langen Zweige boten. Auf dem Brennpunkt der malerischen Bahnen ließ er sie das Spiel des Regens erwarten. Die Kinder sprangen mit ihren Hoffnungen nach und setzten sich, vom Mute der Erwachsenen gedeckt, mit diesen auf bezeichnete Götter- oder Kindersitze, zwischen zwei kleinen runden Seen.


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