Jean Paul
Titan
Jean Paul

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Achte Jobelperiode

Le petit lever des Doktor Sphex – Steig nach Lilar – Waldbrücke – der Morgen in Arkadien – Chariton – Lianens Brief und Dankpsalm – empfindsame Reisen durch einen Garten – das Flötental – über die Realität des Ideals

41. Zykel

Ich bin in voriger Nacht bis gegen Morgen aufgesessen – denn ich kann keinen fremden Dechiffreur darüberlassen –, um die Jobelperiode bis zum letzten Worte zu entziffern, so fest hielt mich ihr Reiz; ich hoffe aber, da schon das dünne Blätterskelett aus Hafenreffers Hand so viel tat, so soll jetzt das Blatt, wenn ich seine Adern mit Saftfarben und gleitendem Grüne durchziehe, vollends Wunder tun.

Mit dem Grafen stand es seit dem letzten Abend betrübt. Denn die duldende bescheidne Gestalt, die er gesehen, glänzte, wie der Vorsatz einer großen Tat, allen Bildern seiner Seele vor, und in seinen Träumen und vor dem Einschlafen ward ihre holde Stimme die Philomele einer Frühlingsnacht. – Dabei hört' er noch immer von ihr sprechen, besonders den Physikus, der jeden Tag weitere Fortschritte der Augenkur verkündigte und zuletzt Lianens Abreise nach Lilar immer näher stellte – (Von einer Geliebten aber hören ist, sei es immer etwas Gleichgültiges, weit mächtiger als an sie denken) – Er hörte ferner, daß ihr Bruder sich seit der Ermordung ihrer Augen der ganzen Stadt entzogen, in welcher er nicht wieder erscheinen will als auf einem sogenannten Freudenpferde bei der Fürstenleiche – – – Und um dieses Eden, oder vielmehr um die Schöpferin desselben, war eine so hohe Gartenmauer gezogen, und er ging um die Mauer und fand kein Tor. – –

Verhaßteres kenn' ich nichts als das; aber in welcher Residenzstadt ists anders? Schrieb' ich jemals einen Roman (wozu es keinen Anschein hat), das beteur' ich öffentlich, vor nichts würd' ich mich so hüten als vor einer Residenzstadt und vor einer stiftsfähigen Heldin darin. Denn die Konjunktion der obern Planeten trägt sich leichter zu als die hoher Amanten. Will Er ein Wort mit Ihr allein reden am Hofe oder beim Tee oder bei ihrer Familie, so steht der Hof, die Teegesellschaft, die Familie dabei; – will Er Ihr im Park aufstoßen, so reiset Sie, wie die sinesischen Kuriere, doppelt, weil man den Mädchen gern das Gewissen, wie die Natur alle wichtige Glieder, doppelt gibt, wie gutem Weine doppelten Boden; – will Er Ihr zufällig wenigstens auf der Gasse begegnen, so schreitet (wenn diese in Dresden liegt) ein saurer Bedienter hintendrein als ihr Pestessig, Seelensorger, curator sexus, chevalier d'honneur, Sokrates-Genius, Kontradiktor und Pestilenziarius – – Hingegen auf dem Lande läuft (das ist alles) die Pfarrtochter, weil der Abend so himmlisch ist, um die Pfarrfelder spazieren, und der Kandidat braucht nun weiter nichts zu tun als Stiefel anzuziehen. – Wahrlich unter Leuten von Stande scheint der Mantel der (erotischen) Liebe anfangs ein Doktor Fausts-Mantel zu sein, der alles zu überfliegen schwört, indes er bloß alles überdeckt; allein am Ende steht einem das Schreckhorn, der Pilatusberg und die Jungfrau vor der Nase.

Seliger Held! Am Freitage kam der Lektor und referierte, am Montage werde der Höchstselige – nämlich dessen leere Särge – beigesetzt, und Roquairol reite das Freudenpferd – und Liane sei fast genesen, denn sie gehe mit der Ministerin morgen nach Lilar, höchstvermutlich um einigen trüben, mit einem Trauerrande umfaßten Gedenkzetteln und Leichen-Erinnerungen zu entrinnen – und am Himmelfahrstage darauf sei Huldigung und Redoute...

Seliger Held! wiederhol' ich. Denn bisher, was besaßest du vom blühenden Tempe-Tal als die dürre Anhöhe, worauf du standest und in den Zauber hinuntersahest? –


47. Zykel

Am Mai-Sonnabend schwand um 7 Uhr jeder Dunst aus dem Himmel, und die hell-entweichende Sonne zog einem herrlichen Sonntage entgegen. Albano, der dann endlich das ungesehene Lilar besuchen wollte, war abends vorher so heilig-froh, als feiere er den Beichtabend vor dem ersten Abendmahle; – sein Schlaf war ein stetes Entzücken und Erwachen, und in jedem Traume ging ein betörender Sonntagsmorgen auf, und die Zukunft wurde das dunkle Vorspiel der Gegenwart. –

Sonntags früh wollt' er fort, als er vor der halben Glastüre des Physikus vorübermußte: »Herr Graf, auf einen Augenblick!« rief dieser. Da er eintrat, sagte der Doktor: »Gleich lieber Herr Graf.« und fuhr fort. – – Den Zeichnern, die in künftigen Jahrhunderten so aus mir schöpfen wollen wie bisher aus dem Homer, geb ich folgende Gruppe des Doktors als einen Schatz: er lag auf der linken Seite; Galenus bügelte mit einer kleinen Kratzbürste den Rücken des Vaters, indes neben ihm Boerhaave mit einem weiten Kamme stand und solchen unaufhörlich steilrecht (nicht schief) durch die Haare führte. Er sagte stets, er wüßte nichts, was ihn so aufheiterte und öffnete als Bürste und Kamm. Vor dem Bette stand van Swieten in einem dicken Pelze, den der Züchtling bei warmem Wetter und schlimmer Aufführung tragen mußte, um darin sowohl ausgelacht als halb gekocht zu werden.

Zwei Mädchen warteten in voller Sonntagsgala da und gedachten aufs Land zu einer Pfarrtochter und in die Dorfkirche; diese klopfte er erst von Glied zu Glied mit dem Hammer des Gesetzes ab. Er stellte seine Kinder, als Gegenfüßler römischer Beklagter in Lumpen, gern in Manschetten und Quasten und galoniert auf die Pillory, besonders vor Fremden. Der Graf hatte sich schon längst der roten Kinder wegen gegen das offne Fenster gekehrt; konnte sich aber doch nicht enthalten, lateinisch zu sagen: »wär' er sein Kind, er hätte sich längst umgebracht; er kenne nichts mehr Beschämendes, als im Putze gescholten zu werden.« – »Desto tiefer« (sagte Sphex deutsch) »greift es eben ein« und holte bei den Mädchen nur noch dieses nach: »Ihr seid ein Paar Gänse und werdet in der Kirche nur von eurem Lumpenkrame schnattern – warum gebt ihr nicht auf den Pfarrer acht? Er ist ein Esel, aber für euch Eselinnen predigt er gut genug; abends sagt ihr mir die Predigt ganz her.« –

»Hier ist ein Laxiertrank, Herr Graf, den ich Sie, da Sie nach Lilar gehen, der Landbaumeisterin zu geben bitte für ihre kleinen Kröten; aber nehmen Sie es nicht übel!« – Beim Henker! das sagen gerade die Leute am häufigsten, die sich nichts übelnehmen. Der Graf – der ihm zu andrer Zeit verachtend den Rücken zugekehrt hätte – steckt' es errötend und schweigend vor dem Rettet seiner Liane zu sich, auch weil es für die Kinder seines geliebten Dians war, an dessen Gattin er Grüße und Nachrichten bringen wollte.


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