Jean Paul
Titan
Jean Paul

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Antrittsprogramm des Titans

Eh' ich den Titan dem flachsenfingischen geheimen Legationsrat und Lehnprobst, Herrn von Hafenreffer, dedizierte: so fragt' ich bei ihm erst so um die Erlaubnis an:


»Da Sie weit mehr an dieser Geschichte mitarbeiteten als der russische Hof an Voltairens Schöpfungsgeschichte des großen Peters: so können Sie meinem dankbegierigen Herzen nichts Schöneres geben als die Erlaubnis, Ihnen wie einem Judengotte das zu opfern und zu dedizieren, was Sie geschaffen haben.«

Aber er schrieb mir auf der Stelle zurück:

»Aus derselben Raison könnten Sie, wie es Sonnenfels getan, das Werk noch besser sich selber dedizieren und, in einem richtigern Sinne als andere, den Verfasser und Gönner desselben zugleich vereinen. – Lassen Sie mich (auch schon des Herrn von ** und der Frau von ** wegen) aus dem Spiele; und schränken Sie sich bloß auf die notwendigsten Notizen ein, die Sie dem Publikum von dem sehr maschinenmäßigen Anteil, den ich an Ihrem schönen Werke habe, etwa gönnen wollen, aber um der Götter willen hic haec hoc hujus huic hunc hanc hoc hoc hac hoc.«

v. Hafenreffer


Die römische Zeile ist eine Chiffre und soll dem Publikum dunkel bleiben. –

Was dasselbe vom Antrittsprogramme zu fordern hat, sind vier Namenerklärungen und eine Sacherklärung.

Die erste Namenerklärung, welche die Jobelperiode angeht, treff' ich schon bei dem Stifter der Periode, dem Superintendent Franke, an, der sie für eine von ihm erfundne Ära oder Zeitsumme von 152 Zykeln erklärt, deren jeder seine guten 49 tropischen Mondsonnenjahre in sich hält. Das Wort Jobel setzt der Superintendent voran, weil in jedem siebenten Jahre ein kleines, und in jedem siebenmal 7ten oder 49sten ein großes Jobel-, Schalt-, Erlaß-, Sabbats- oder Hall-Jahr anbrach, wo man ohne Schulden, ohne Säen und Arbeiten und ohne Knechtschaft lebte. Glücklich genug wend' ich, wie es scheint, diesen Jobelnamen auf meine historischen Kapitel an, welche den Geschäftsmann und die Geschäftsfrau in einem sanften Zykel voll Frei-, Sabbats-, Erlaß-, Hall- und Jobelstunden herumführen, worin beide nicht zu säen und zu bezahlen, sondern nur zu ernten und zu ruhen brauchen; denn ich bin der einzige, der als krummgeschlossener pflügender Fröner an dem Schreibtische steht und welcher Säemaschinen und Ehrenschulden und Handschellen vor und an sich sieht. – Die siebentausendvierhundertundachtundvierzig tropischen Mondsonnenjahre, die eine Frankesche Jobelperiode enthält, sind auch in meiner vorhanden, aber nur dramatisch, weil ich dem Leser in jedem Kapitel immer so viel Ideen – und diese sind ja das Längen- und Kubikmaß der Zeit – vertreiben werde, bis ihm die kurze Zeit so lang geworden, als das Kapitel verlangte.

Ein Zykel – welches der Gegenstand meiner zweiten Namenerklärung ist – braucht nun gar keine.

Die dritte Nominaldefinition hat die obligaten Blätter zu beschreiben, die ich in zwanglosen Heften in jeder Jobelperiode herausgebe. Die obligaten Blätter nehmen durchaus nur reine gleichzeitige, mit meinem Helden weniger zusammenhängende Fakta von solchen Leuten auf, die mit ihm desto mehr zusammenhängen; auch in den obligaten Blättern ist nicht das kleinste, nur einer Brandblase große satirische Extravasat von Ausschweifung ersichtlich, sondern der selige Leser und Lektor wandelt mit den Seinigen frei und aufgeweckt und gerade durch das weite Hoflager und die Reitbahn und Landschaft eines ganzen langen Bandes zwischen lauter historischen Figuren – auf allen Seiten von fliegenden Corps, von tätigen Knapp- und Judenschaften, anrückenden Marschsäulen, reitenden Horden und spielenden Theatertruppen umzingelt – und er kann sich gar nicht satt sehen.

Ist aber der Tomus aus: so fängt – das ist die letzte Nominaldefinition – sich ein kleiner an, worin ich mache, was ich will (nur keine Erzählung), und worin ich mit solcher Seligkeit mit meinem langen Bienenstachel auf- und abfliege von einer Blüten-Nektarie und Honigzelle zur andern, daß ich das bloß zum Privatvorteile meines Ausschweifens gebauete Filialbändchen recht schicklich meine Honigmonate benenne, weil ich darin Honig weniger mache als esse, geschäftig nicht als eintragende Arbeitsbiene, sondern als zeidelnder Bienenvater. – Bisher hatt' ich freilich geglaubt, das Durchfahren meiner satirischen Schwanzkometen würde jeder Leser von dem ungestörten Gange meines historischen Planetensystems auf der Stelle absondern, und ich hatte mich gefragt: »Wird denn in einer Monatsschrift die Einheit einer Geschichte durch das Abbrechen der letztern und durch die Erbfolge eines andern Aufsatzes beschädigt; und haben sich denn die Leser darüber beschweret, wenn z. B. in den Horen-Jahrgängen zuweilen Cellinis Geschichte abgebrochen und ein ganz anderer Aufsatz eingehoben wurde?« – Aber was geschah?

Wie im Jahre 1795 eine medizinische Gesellschaft in Brüssel den contract social unter sich machte, daß jeder eine Krone Strafgeld erlegen sollte, der in der Session einen andern Laut von sich gäbe als einen medizinischen: so ist bekanntlich ein ähnliches Edikt vom 9ten Juli an alle Biographen erlassen, daß wir stets bei der Sache – welches die Historie ist – bleiben sollten, weil man sonst mit uns reden würde. Der Sinn des Mandats ist der, daß, wenn ein Biograph in allgemeinen Welthistorien von 20 Bänden, ja in noch längern – wie z. B. in dieser – ein- oder zweimal denkt oder lacht, d. h. abschweift, Inkulpat auf der kritischen Pillory als sein eigner Pasquino und Marforio ausstehen soll – welches man an mir schon mehr als einmal vollstreckte.

Jetzt aber geb' ich den Sachen eine andere Gestalt, indem ich erstlich Geschichte und Digression in diesem Werke strenge auseinanderhalte – wenig Dispensationsfälle ausgenommen –, zweitens indem ich die Freiheiten, die ich mir in meinen vorigen Werken nahm, im jetzigen zu einem Rechte, zu einer Servitut verjähre und verstärke; der Leser ergibt sich, wenn er weiß, nach einem Bande voll Jobelperioden erscheinet durchaus nie etwas anders als einer voll Honigmonate. Ich schäme mich, wenn ich mich erinnere, wie ich sonst in frühern Werken mit dem Bettelstabe vor dem Leser stand und um Ausschweifungen bat, indes ich doch – wie ich hier tue – mir das Anleihen hätte erzwingen können, wie man von Weibern mit Erfolg nicht nur Tribut als Almosen, sondern auch das don gratuit als Quatembersteuer zu begehren hat. So macht es nicht bloß der kultivierte Regent auf dem Landtage, sondern schon der rohe Araber, der dem Passagier außer der Barschaft noch einen Schenkungsbrief derselben abnötigt.

Ich komme nun auf den geheimen Legationsrat von Hafenreffer, welcher der Gegenstand meiner versprochnen Sacherklärung ist.

Aus dem 45sten Hundsposttage sollt' es einmal bekannt sein, wer Flachsenfingen beherrscht – nämlich mein Herr Vater. Im Grunde war meine so frappante Standeserhöhung mehr ein Schritt als ein Sprung; denn ich war vorher schon Jurist, mithin schon die Knospe oder das Blütenkätzchen eines noch eingewickelten Doktors utriusque, und folglich ein Edelmann, da im Doktor der ganze Rogen und Dotter zum Ritter steckt; daher er auch so gut wie dieser, wenn gerade etwas vorbeigeht, vom Sattel oder Stegreif lebt, wiewohl weniger in einem Raubschlosse als Raubzimmer. Ich habe also seit dem Avancement weniger mich geändert als mein Residenzschloß – das väterliche in Flachsenfingen ist gegenwärtig mein eignes.

Ich mag nun nicht gern am Hofe mein Zuckerbrot mit Sünden essen – wiewohl man gemächlicher Zucker- und Himmelsbrot erwirbt als Schiffsbrot –, sondern ich stelle, um zu wuchern mit meinem Schiffspfunde, das ganze flachsenfingische Departement der auswärtigen Angelegenheiten zu Hause im Schlosse vor samt der erforderlichen Entzifferungskanzlei. Das will aber getan sein: wir haben einen Prokurator in Wien – zwei Residenten in fünf Reichsstädten – einen Komitialsekretarius in Regensburg unter der Querbank – drei Kreis-Kanzlisten und einen bevollmächtigten Envoyé an einem bekannten ansehnlichen Hofe unweit Hohenfließ, welches eben der obgedachte Herr Lehnprobst von Hafenreffer ist. Letzterem hat sogar mein Herr Vater ein vollständiges Silberservice vorgestreckt, das wir ihm lassen, bis er den Rappell erhält, weil es unser eigner Vorteil ist, wenn ein flachsenfingischer Botschafter dem flachsenfingischen Fürstenhute oder Krönlein auswärts durch Aufwand mehr Ehre macht als gewöhnliche.

Auf einem solchen Posten wie meinem steht man nun nicht zum Spaße da; die ganze Legations-Schreibe- und Lesegesellschaft kouvertiert und schreibt an mich, die chiffre banal und die chiffre déchiffrant ist in meinen Händen, und wie es scheint, versteh' ich den Rummel. Unsäglich ists, was ich erfahre – es wäre nicht zu lesen von Menschen, noch zu ziehen von Pferden, wollt' ich allen den Seidenwurmsamen von Nouvellen biographisch ausbrüten, großfüttern und abhaspeln, den mir das Gesandten-Corpo posttäglich in festen Düten schickt. Ja (in einer andern Metapher) das biographische Bauholz, das meine Flößinspektion für mich bald in die Elbe, bald in die Saale, bald in die Donau oben herabwirft, steht schon so hoch vor mir auf dem Zimmerplatze, daß ichs nicht verbauen könnte, gesetzt daß ich die ästhetischen Bauten meiner biographischen Narrenschiffe, Redoutensäle und Zauberschlösser forttriebe Tag und Nacht, jahraus, jahrein und weder mehr tanzte noch ritte noch spräche noch niesete ...

Wahrlich wenn ich oft so meinen schriftstellerischen Eierstock gegen manchen fremden Rogen abwäge: so frag' ich ordentlich mit einem gewissen Unmut, warum ein Mann einen so großen zu tragen bekommen, der ihn aus Mangel an Zeit und Platz nicht von sich geben kann, indes ein andrer kaum ein Windei legt und herausbringt. – Wenn ich ein Pikett aus meiner Legations-Division den Ritterbüchermachern mit dessen offiziellen Berichten zuschicken könnte: würden sie nicht gern Ruinen gegen Schlösser und unterirdische Klostergänge gegen Korridore und Geister gegen Körper vertauschen, anstatt daß ihnen jetzt aus Mangel an offiziellen Berichten des Piketts die Dirnen die Weltdamen, die Feimer die Justizminister vertreten müssen, so wie die Schalken die Pagen, die Burgpfaffen die Hofprediger und der Raubadel die Pointeurs? –


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