Jean Paul
Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele
Jean Paul

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VII.
Ceres

[Flächeninhalt]

Recht auf Glücklichsein – Schluß aus hiesigem Schmerz – Sarg der Gichtbrüchigen – Schluß aus der Sehnsucht und aus höhern Anlagen]

Den Eingang zur Betrachtung über das Recht der Wesen, glücklich zu werden, machte eine an sich trübe Nachricht für Selina, daß nämlich die von der Gicht gequälte Pfarrfrau, der sie immer die Hände zum Beten zurechtlegte und faltete, – durch den Tod der wenigen Bewegungen, in die ihre schmerzglühenden zerrissenen Glieder noch zu bringen waren, endlich enthoben worden und daß ihr Körper nun das eigentliche Ruhebette gefunden, worin sich nichts mehr bewegte. Selina weinte nicht lange, sondern sagte: »Nun betet sie wieder allein.«

»Zwei Erscheinungen stehen hart an, ja wider einander, die Fülle der Erdenfreuden, die aus der Fülle der unendlichen Liebe rinnt, und die Fülle der Erdenschmerzen, welche die irdische Zeit als Rätsel trübt, dessen Auflösung nicht sie selber gibt. Wer einen einzigen Frühling erlebt hat – und alle Länder haben einen, ja in manchen hört er gar nicht auf – oder wer eine Kindheit und Jugend durchflogen mit allen ihren Morgenröten und Regenbogen, der kann nur in der unseligen theologischen Verblendung zu einem Jammertal sich ein Tempetal perspektivisch umstellen. Der Allheilige hat durch die ganze Schöpfung alles für die Glückseligkeit – die man daher loben und wünschen darf – getan und noch mehr als für die Sittlichkeit, deren hohen Sonnenumlauf, so wie die Ausgleichung der Störungen er mehr unserer Freiheit überließ; und selber das kleinste Tierchen war ihm nicht zu winzig für die Freude, welche das einzige ist, was alle Wesen, höchste und niedrigste teilen und was aus der untersten Schöpfung hinaufreicht bis sogar zum Schöpfer selber. Das Leben der Tiere also des größten Teils der Schöpfung) ist ein ewiger Hin- und Hergang zwischen Speisetisch und Ruhestätte und Spielplatz und Jungen-Neste und vorausgenießender Jagd-Begierde; denn das [Tier] kennt, glücklicher als der Mensch, keine fürchtende Zukunft, nur eine gehoffte durch Begierde; und der Tod ist ihm 1204 daher – wenigstens außer dem Bezirke quälender Menschen – noch weniger als uns ein Sterben im tiefsten Schlaf. Nur Hegel, der Philosoph, sieht einen dunkeln Trauerrand um das weite tierische Leben gezogen, den er mit trüber Philosophie in ihre leichten flüchtigen Empfindungen hineinträgt. Noch weniger lieb ist mirs, daß sogar der poetische Schubert aus trüber Theologie einer weiten Mondschatten über den Auen der Natur verbreitet sieht. Aber die neuere Theologie behängt überhaupt alles, vom innern Menschen an bis zum Tempel der Natur mit Trauerlampen und nur ein sonnenhelles, aber weit entrücktes Plätzchen der ganzer Schöpfung bleibt übrig, das Paradies. Wie erquickend für das Gott-liebende Herz macht dagegen der einschneidende Denker Herbart, der die sinnlichen Erscheinungen so oft zerdenkt, die teleologische Bemerkung, daß die edlern Tiere bloß auf der Oberfläche für die Schönheit durch die Symmetrie ihrer Glieder gebaut dastehen, indes ihre zugedeckte Innenseite ohne alle symmetrischen Reize der linken und rechten Seite bloß dem Nutzen dienstbar ist und daß dies aus keinem Mechanimus der Notwendigkeit sondern bloß aus der Endabsicht des unendlichen Geistes, mit Schönheit zu erfreuen sich erklären lasse.[Herbarts Lehrbuch zur Einleitung in die Philosophie Seite 221.] Man könnte sagen, die Natur habe die Fortdauer und Tätigkeit der lebendigen Wesen, die sie für ihre verhüllten Zwecke verlangte, nicht anders als durch den anregenden Reiz der Freuden erreichen können; man sag' es nicht; es läßt sich eine Welt denken, deren tierisches Räderwerk bloß durch die Gewichtsteine der Schmerzen ohne irgendein Öl der Freude umliefe; denn die Scheu vor gewiß dastehenden Schmerzen spornte so unaufhaltsam fort als die ungewisse und zuletzt entbehrliche Lust anlocken würde. [Auch ließen sich die Schmerzen weit mehr erhöhen sowie ins Kleine vervielfältigen als die Freuden. – Welch ein Widerspruch, Gott der Allselige gegenüber einer unseligen Welt!] – Aber die unendliche Liebe hatte eben höhere Zwecke, nämlich die Zwecke der Liebe.

Und so hat der große Geist selber die Foderung der Glückseligkeit dadurch geheiligt, daß er alles für sie getan. Wir dürfen 1205 daher sagen, so wie er kein unmoralisches Wesen schaffen darf, ebensowenig ein unglückliches; und zwar nicht zu irgendeiner Freudenfülle, deren unbestimmtes Maß schon sich mit keiner Notwendigkeit vertrüge, aber zur Schmerzenlosigkeit hat jedes Geschöpf ein Recht, insofern nicht ein Leiden entweder Arzenei voriger Freude oder Nährmittel künftiger ist; anderer Schmerz hätte als solcher an sich keinen Wert und gegen außen wär' er nur Grausamkeit oder Rache.

Was nun für alle Wesen gilt, dies gilt auch für das tiefste so gut wie für das erhobenste, ja noch weit mehr und der Wurm an der Angel war nicht bloß für die Angel erschaffen oder für den Vorteil der Fischesser. Kein Wesen kann auf seine ewigen Kosten zum breitgequetschten Unterbau des vollsten Lustschlosses für das ganze All daliegen und es würde das übrige All als seinen Schuldner und Räuber anklagen.

Nur frage man unter der Regierung des Allgütigen nicht, wer gibt uns denn das Recht zu so entschiedener Abweisung eines freudenlosen Daseins? Er ja allein und zuerst durch die Sternensaat seiner Gaben, die das All zu einer silbernen Blumenau des Morgens und zu einem goldnen Fruchtgarten des Herbstes macht. Aber er tat noch etwas hinzu zu diesem Recht, nämlich las Mitleiden, das er mit fremden Schmerzen in jede Brust einsetzte und durch das er zum zweiten Male seine Liebe für Glücklichwerden aussprach. Alles Erhabene, z. B. die Wahrheit, hat die Glückseligkeit im Gefolge, und sogar das Erhabenste, die Tugend, ist die Freundin der Glückseligkeit und nimmt von ihr den zweiten Lohn außer ihrem eignen an.«

»So hätte denn nach allem diesem«, sagte Alex, »das zweite Leben an dem jetzigen wenig auszugleichen.« – »Für den Traum des Tiers vielleicht,« sagt' ich, »aber nicht für den Menschen, sei er auch so glücklich wie jenes. Es waltet hier überhaupt der alte Irrtum, als müsse der Mensch für die Freuden durchaus Schmerzen bezahlen, entweder voraus oder nachher, oder als sei es notwendig, daß er nach vielen heitern Tagen endlich dunkle erlebe. Denn daß auf Regen Sonnenschein und auf Wunden Wundbalsam komme, dies ist ein ganz anderer Satz – denn er ist wahr – 1206 als der umgekehrte aber irrige, daß der Mensch aus der Brautkammer ohne Murren in die Marterkammer zu gehen habe, als ob Schmerz so gut Regel anstatt Ausnahme wäre wie Freude und beiden Wechselregierung gebührte.«

»Ach,« sagte der Rittmeister, »warum all' dieses? Gibt es denn keine unendliche Sehnsucht? – Ist uns denn nichts gestorben? – Gott ist voll Liebe, aber die Welt ist voll Schmerz; und er sieht ihn zucken von Erdgürtel zu Erdgürtel, von Jahrtausend zu Jahrtausend. Ich habe mir es zuweilen ausgemalt, es aber nicht lange ausgehalten, welche ungeheuere Welthölle voll Menschenqualen in jedem Augenblicke vor dem Alliebenden aufgetan ist, wenn er auf einmal alle die Schlachtfelder der Erde mit ihren zerstückten Menschen überschaut – und alle die Kranken- und Sterbezimmer voll Gestöhn und Erblassen und Händeringen – und die Folterkammern, worin verrenkt wird – und die angezündeten Städte – und alle die Selbmörder hintereinander mit den unsäglichen Qualen, die sie in den Tod treiben – – Nein, das menschliche Auge kann nicht mit hinblicken; es muß über den Erdball hinausschauen, damit es wieder seine Wunden stille, wenn es sieht, daß nach allen scharfen Schlägen des Schicksals nicht ein auf immer zerschmetternder der letzte ist. Oder hielte eine Seele den Gedanken aus, daß das Opferbeil, nachdem dessen Schneide eine Ader nach der andern im unschuldigen Leben geöffnet, in der letzten Minute die stumpfe breite Seite vorkehre zum Todes-Schlage auf ewig?«

Zufällig wurde bei diesen Worten des Rittmeisters unten im Dorfe ein ganz ungestalter, breiter, vieleckiger buntangestrichner Kasten vorbeigetragen, dessen Gebrauch bei seiner Formlosigkeit gar nicht zu erraten war. Endlich erfuhr man, daß es der Sarg der nun erlösten gichtbrüchigen Pfarrfrau war, deren Glieder der Schmerz zu einem verworrenen Knäul und Klumpen, für welchen gar keine Form als das Grab sich fand, zusammengewunden hatte. Selina sah lange nach, faltete die Hände hoch und schwieg, mußte aber doch ihrer Freundin weinend um den Hals fallen, als schäme sie sich des großen Schmerzens über die zweite Hülle einer schon entseelten Hülle, über den Schein des Scheins. – –

1207 – »Und der,« sagt' ich, »vor welchem die Millionen Paradiese durch die zahllosen Welten hin liegen, sollte keines aufmachen für ein jahrelang gequältes Wesen, das schuldlos aus dem gemeinschaftlichen Paradiese vertrieben außen an dessen Schwelle verschmachten und verdorren mußte?«

»Aber,« sagte Alex, »warum verdunkeln wir uns denn absichtlich die Erde so künstlerisch, bloß um vom Himmel herab sie desto besser zu erleuchten und wollen recht zu leiden scheinen, um recht zu hoffen? – Verlangen denn die großen Herden der wilden Völker, die Berg- und Jagdvölker, die Wüstenaraber, die kaum am Alter sterben können, die Idylleninseln der Otaheiter, der müßige schwelgende Orient, verlangen denn alle diese vom Leben etwas anderes als wieder das Leben selber und dessen unaufhörliches ancora, und nehmen sie nicht daher, damit sie ihr hiesiges Leben bis in die Ewigkeit fortfristen, ein künftiges an, das doch einen Nachstich und Schattenriß des hiesigen fortliefert? Ja man braucht nicht einmal über die Grenze zu reisen; man sieht ja die zufriednen Landleute und die tausend heitern Mittelmenschen um sich, welchen das platte Land der Wirklichkeit das einzige gelobte Land ist und welche sich innig an ihrem Magen ergötzen und an ihrem geglätteten Kommunion- und Bratenrocke und an ihrem Winterholze und an jedem Monate und Festtage insbesondere. Inzwischen werden doch diese nicht ihr Glück ganz außerordentlich belohnt haben wollen, nämlich durch ein ewig fortgesetztes oder gar gesteigertes.«

»Ach,« sagt' ich, »es ist ja von etwas Besserem die Rede bei uns und allen Bessern. Endlich hebt sich doch im Menschen eine wunderbare Inwelt, aber nicht empor, mehr als Schleier und Dämpfer der Sinnenwelt, denn als ein Nebenplanet derselben, und welche auf die grelle Sinnenwelt weniger Sonnen- als Mondschein wirft. Wir sehen aus dem Schiffe wie durch eine Meertiefe unten in einem gewölbten Himmel eine steigende Glückseligen-Insel – und unsere Sehnsucht wird unendlich – Wir entdecken Land unter, nicht vor uns, und unser Sehnen hinab, in diese Unterwelt, wächst unendlich; das verworrene hölzerne finstere Gerümpel unsers Erdenschiffs wird uns drückend gegen das helle 1208 Land unten. Diese tiefe, aber unstillbare Sehnsucht – dieses beinahe quälende seltsame Heimweh nicht nach einem alten verlassenen sondern nach einem unbetretenen Lande – ergreift uns wider Erwarten gerade nicht in Leiden, sondern in unsern Freuden und zwar nur in Freuden einer gewissen Art. Die Genüsse der Speise, des Tranks, des Wärme- und Erfrischunggefühls, der Bewegung und der Ruhe fodern über ihren höchsten Grad nichts hinaus, keine Steigerung ins Weite, umgekehrt ein Zurücksteigen ins Enge. Aber vom Genusse des Mondscheins und des Sonnenglanzes und der Abendröte an bis hinauf zum Erhabenen der Gebirge und der Künste und bis zum Hingeben und Sterben vor unendlicher Liebe und bis zu den Wonnetränen vor Rührung regiert die Sehnsucht nach etwas Höhern und das Herz fließt über und wird doch nicht gefüllt. So gleicht denn im Genusse das Herz dem Zugvogel, welcher obwohl im warmen Zimmer aufbewahrt, doch zur Zeit, wo andere Vögel in die schönen wärmern Länder ziehen, sich ihnen nachsehnt und davonfliegen will.

Dieses Innere der höhern menschlichen Natur fängt besonders vor einer Kunst wach und laut zu werden an, deren Eigentümlichkeit und Auszeichnung vor jeder andern Kunst noch nicht recht erkannt werden; ich spreche eben nicht von Dichtkunst und von Malerei, sondern von der Tonkunst. Warum vergißt man darüber, daß die Musik freudige und traurige Empfindungen verdoppelt, ja sogar selber erzeugt – daß die Seele sich in die Reize ihrer Tongebäude wie in Tempel verliert – daß sie allmächtiger und gewaltsamer als jede Kunst uns von Freude zu Schmerz ohne Übergänge in Augenblicken hin- und herstürzt – ich sage, warum vergißt man eine höhere Eigentümlichkeit von ihr? Ihre Kraft des Heimwehs, nicht jenes nach einem alten verlassenen Lande, sondern nach einem unbetretenen, nicht nach einer Vergangenheit, sondern nach einer Zukunft?

Dieses Heimweh, das sie für zärtere Seelen in alle ihre andern Wirkungen der Entzückung wie der Trauer mischt und das eben aus ihr alle unmoralischen als Mißtöne und alles Unreine ausschließt, drückt sich aus durch den Seufzer, den sowohl der 1209 Glückliche als der Traurige ohne Rücksicht auf eine Vergangenheit, aber voll einer unaussprechlichen Zukunft bei den Tönen holt. Nicht erst die Aufeinanderfolge oder Melodie, sondern sogar der einzelne Ton – lange fortgezogen, besonders als Dreiklang gehoben – fährt tief in die Nacht unserer Inwelt ein und weckt darin ein Klagen. Daher kommt die Tränengewalt des langsam einsickernden Adagio statt des überrauschenden Platzregens des Allegro, wiewohl sogar das lustige Presto einen Schmerz im Hinterhalte hegt. Daher bei den meisten Völkern (z. B. Griechen, Neapler, Russen) die Volklieder in Molltönen sowohl jauchzen als jammern. – Warum aber gerade die Musik unter allen Künsten unserem Innern so vor- oder vielmehr nachtöne, ist aus den Zahlen ihrer Bewegungen nicht ganz erklärlich. Sonderbar genug bauen ihre körperlichen Bewegungen bestimmte geregelte Klangfiguren; und dieses Bauen muß sie gar auf irgendeine Weise in den zärtern Nerven fortsetzen; aber von hier aus haben wir noch weit in die Tiefe des Geistes.

Aber wozu soll nun im Menschen die doppelte Richtung, gleichsam neben der einen des Wurzelkeimchens, das hinabwärts dringt und in der Erde sich voll befriedigt, die andere eines Stengelkeimchens, das sich aufwärts drängt nach einem himmlischen Blau und Licht? Aus zwei Gründen offenbar nicht zu seinem irdischen Wohlsein. Soll der Himmel – was er schon uns verbietet – selber das Hohe zum Dienste des Niedrigen gebrauchen und die Blüten zum Dünger der Knollengewächse pflücken? Können uns die Triebe und Seufzer nach einer höhern Welt, nach einer höhern Liebe, die Ideen der Gottheit und der Sittlichkeit nur als bloße Täuschungen eingepflanzt sein, welche das Frohgefühl des irdischen Lebens erhöhen und als tropische Gewürze den Freuden der Sinnen und Erdentriebe mehr Gehalt und Geschmack verleihen? –

Aber zweitens ist [?] es gerade umgekehrt – und die glücklichen Mittelmenschen, wovon die Rede war, fangen an zu leiden, wenn sie sich erheben aus ihrer Klasse. Die längsten und schärfsten Schmerzen wohnen nur in der edlern Seele und sie genießt das Leben nur hinter Schleiern und Dämpfern, aber die 1210 Leiden bekommt sie unverschleiert und ungedämpft. Fragt nur gewisse Herzen, sie kennen kein anderes Vergnügen als ein künftiges; übrigens bluten sie; so ist es mit den geistigen Höhen wie mit den körperlichen, auf welchen auf Bergen, oder auf Luftschiffen das Blut unwillkürlich aus den Antlitzteilen vorquillt. Ja schon überhaupt bereitet Erhöhung des Geistes und Herzens Schmerzen vor, die der Sinne hingegen mehr Freuden vor. Die Leiden der höhern Liebe, die innigere und längere Trauer um Dahingegangne beziehen sich nicht auf die bloßen Gaben und Bedürfnisse dieser Erde.

Auch ist hier nicht von einigen Ausnahm-Menschen als tropischen Pflanzen eines wärmern Klima die Rede. Ausnahmen des Menschengeschlechts, insofern sie nur Entwicklungen, nicht Verrenkungen desselben sind, werden endlich Regeln; und wie die Wissenschaft anfangs nur einige Barbaren, nachher ganze Völker erobert bis ihr fortrückender Lichtstreif zuletzt die ganze Oberfläche der Erde überdeckt, so muß durch die Jahrhunderte das höhere Gefühl nicht mehr die Ausnahmen, sondern die Menge [be]wohnen und der innere Mensch muß sich aus immer zärtern Häuten schälen. Und so muß der Schmerz der Sehnsucht und die Erhöhung der Gefühle sich immer mehr ausbreiten.

Der Unendliche muß uns doch durch alle die Ahnungen etwas Besseres geben, als die Schmerzen, die uns, wenn jene lügen, hier zu nichts helfen. Welcher Instinkt der Millionen verschiedenen Tiere hat nicht jedem bewußtlosen, nichts erwartenden das verschiedene Versprechen gehalten? – Aber welcher Unterschied zwischen dem bloßen Instinkte der Tiere und jenem Bauriß einer künftigen Welt im Menschen! Der Tierinstinkt spricht seine prophetischen Verheißungen und Foderungen in nächtlicher Unbestimmtheit aus und zieht und schiebt mit unsichtbaren Händen im Finstern ans Ziel; so wirkt z. B. der Trieb zum Nestmachen oder zum Futtersammeln für die Insektenbrut mit schweigender Gewalt für die ungekannte ungeborne Nachkommenschaft. Hingegen im Menschen fängt der Instinkt der Ewigkeit seine Erfüllung schon hier an, indem er der Hoffnung und der Sehnsucht das nennt, was er verspricht. Unsere heiligsten Güter sind ja 1211 schon die Anfänge der Seligkeit, nach der wir schmachten; und obgleich das Reich unsers Herzens nur als ein bunter farbenreicher Wolkenklumpe tief am Horizonte auf der Erde liegt, der den irdischen Tagen keine Heiterkeit ansagtBekanntlich bedeutet das bunte Wolkenstückchen am Horizont, die sogenannte Wassergalle, Regenwetter; ein ganz glänzender Regenbogen hingegen, der nach langer Nässe erscheint, verkündigt schöne Tage., so ist er doch der Anfang des Regenbogens, der über die schmutzige dunkle Erde mit Glanzfarben als eine Pforte des ewigen Friedens durch den Himmel fliegt und der Zukunft lauter Sonne verspricht.

In der uralten Vergleichung der Entwicklungen des Schmetterlings und der Psyche wohnen mehre Wahrheiten als man darin sucht; denn in der Raupe findet der Instinkt schon den Bauriß der Zukunft, den er auszuarbeiten haben [wird] wie im Menschen der heilige; schon in der Raupe liegt nach Swammerdam die Puppe vorbereitet und diese schließt wieder den Schmetterling mit seinen zusammengelegten Flügeln und Fühlhörnern ein; und nun arbeitet und drängt diese bleiche eingesperrte Gestalt sich durch Absprengen von Häuten, durch das bängliche Einspinnen in neue Ketten und Einmauern in einen starren Puppen-Kerker und endlich durch das Durchbrechen desselben in die Freiheit hinaus, um in den Lüften fern vom dicken Blätterkraut nur über Blumen zu wogen ohne einen Raupenmagen – ohne Kriechfüße – nur Honig und Liebe suchend – Ach! wie sprechen diese Ähnlichkeiten die Wünsche unserer Psyche an – wie er unter seiner Entpuppung will sie gern ihren Tropfen Blut vergießen, um entpuppt zu werden und auf einmal die schlaffen Flügel weit und straff auszuspannen; denn wie er hat sie mit tausend Leiden an ihrer Entfaltung gearbeitet und Hunger und Schmerzen erlitten. [Wär' es nicht] gar zu hart und widersprechend, wenn nun nach allem schmerzhaften Hautabsprengen, engen Einwindeln, und Greisen-Erstarren in eine kaum rege Puppe zuletzt nichts herauskäme oder eigentlich nichts darin bliebe als ein verfaulter Schmetterling im hangenden Puppensarg? –

Aber die Menschen glauben wider die Gottheit alles leichter als für sie – ein[en] ganzen Lebenslauf voll göttlichem 1212 Sonnenschein löscht ein Wolkentag aus, also noch leichter das kurze dunkle Sterben die lange lichte Zukunft. Wir leben freilich in einer wunderbaren Nacht des Daseins und die Ahnung ist unser Mondschein; aber setzt denn dieser keine Sonne voraus?«

»Wir können indes,« sagte Alexander, »den Menschen einige Entschuldigungen leihen, wenn sie in der Wüste an Luftspieglung glauben und das für Wüste halten, was von weitem den Durst zu löschen verspricht.«

»Ohne Wahrheit gäb' es keine Täuschung, und Wasser hatten sie doch vorher einmal getrunken, eh sie sich irrten,« sagt' ich und so schließt das Kapitel vom Planeten Ceres genannt.

 

Auf den Kapitel-Planeten

Nein, Ceres, als Wandelsternchen, ja als Göttin, welche die Erde mit Ernten erhält, erquickt, bist du nur ein zu kleines Bild der ewig und alles gebenden Gottheit, welcher die Zeit zu enge ist für ihre Gaben und nur die Ewigkeit mit ihren unzähligen Totenreichen weit genug und deren Geschenke Verheißungen sind und deren Verheißungen Geschenke. Ein Gedanke voll Himmel, wie das Meer der Seligen immer weiterwächst und höher schwillt und überall glänzet unter dem Auge der göttlichen Liebe.

 


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