Jean Paul
Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele
Jean Paul

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Dritte Unterabteilung

Schlaf, Traum und Alter mit der Unsterblichkeit versöhnt

Die sämtliche streitende Kirche stand jetzo auf, um der triumphierenden über Alexander in dem sogenannten Dörfchen zuzuhören. So hieß Josephas stilles Vergangenheit- und 1168 Zukunft-reiches Denkplätzchen, weil hier auf Willen ihres Gemahls alle ihre Kinder, Henrion, Alexander, Nantilde und ein verstorbenes, Taufe und Abendmahl empfangen hatten. Nie konnte Josepha die enge niedrige Kirche mit dem kurzen Turme ohne Bewegung ansehen; und an dem Nachmittage des Gesprächs über Alter und Tod drückte sie nach ihrer stummen Weise ihrem Gemahle mehrmal die Hand.

Ich fing, als wir auf den Ruhebänkchen neben dem Kirchlein saßen, an: »Die drei Schwierigkeiten von Schlaf, Alter und Tod, welche sich gegen unsere höchsten Aussichten verfinsternd erheben, drängen und führen auf die Untersuchung über das Verhältnis der Seele zum Körper hin. Sie unterscheiden sich eigentlich wie die drei Verfinsterungen der Sonne durch den Mond; der Schlaf ist die partiale Sonnen- und Seelenfinsternis, zumal da er durch den Traum noch eine Lichtseite läßt; das Alter ist die ringförmige, wo der Mondkörper in der Mitte stehend nur einen Randschimmer zuläßt; und der Tod oder die totale mit Verweilen deckt die ganze Sonne zu.

Ich will aber zuerst über Schlaf und Traum einige Worte sagen, da beide das geistige Verhältnis zum Körper und zu unsern Hoffnungen mehr auf den lichtern Seiten zeigen. Eigentliches Bild des Todes und Untergangs ist der Schlaf selber am wenigsten; und den alten wie den wilden Völkern war er bloß Tempelvorhang des geistigen Lebens, und Heilgötter und Abgeschiedne besuchten in seinem Dunkel die mehr von Menschen abgesonderte Seele; ja der nordamerikanische Wilde glaubt sogar, diese verreise ohne ihren schwerfälligen Gefährten in ferne Gegenden, Schlaf ist überall Lebens-Amme und Säemaschine; und den längsten, tiefsten und fruchtbarsten hat der Mensch vor der Geburt, (so wie immer kürzern und seichtern im Alter, wo für die Erde wenig Leben mehr nötig ist) und gerade im neunmonatlichen Sommerschlafe des Menschen, der wie der sechs- und mehrmonatliche der Tiere, auf den Frühling des Daseins zurüstet, ist das geistigste aller Organe, das Gehirn – dieser Himmelglobus des Erdglobus der Organisation – am größten und verhält sich zum spätern Gehirne wie 8 zu 1.

1169 Nur Einschlafen, nicht Schlafen grenzt mit Sterben zusammen.« – »Doch ein Wörtchen dazwischen«, sagte Nantilde. »Unterschied muß genug da sein, denn wir können ja unser Einschlafen aufschieben, aber nicht unser Entschlafen. Es muß also noch viel Leben im Schlafe zu unserer Verfügung bereit stehen. Aber wie ich höre, nur Einschlafen, nicht Schlafen hat mit Sterben Ähnlichkeit; das Verdunkeln der Sinne, das Erlöschen der Bewegkräfte, das kurze Erkalten, das Stammeln, ja das Irrereden.« – »Aber sogleich nach diesem Ersterben fängt neues Aufleben an. Der Schlaf selber hingegen ist, schon von der Körperseite her betrachtet, bloß steigendes, gesteigertes Leben, wie Pulsschlag, Verdauung, Wangenrot, Atem und am besten seine – Schlußrechnung des Morgens beweisen im ganz neuen und erneuerten Menschen. Überall ist der Schlaf nur die stille Puppe, in die sich die Entfaltung einspinnt. Den längsten hat daher die stärkste Entwicklung nötig; und wirklich erhält ihn auch der schlaftrunkne Neugeborne, den nach Hufeland ein 24stündiges Wachen töten würde. So schlafen die Puppen der Insektenwelt ihrem Beflüglen entgegen; und die Pflanzen, die nach dem Abblühen alle schlaflos sind, bedecken ihre kleinen Früchte mit keinem Schlummer mehr. Vielleicht ist der Schlummer ebensogut Stärkmittel als Wehre gegen Nachtkälte; daher die amerikanischen Pflanzen ja an unserem warmen Tage schlafen; und die winterschlafenden Tiere würden in der Kälte eben durch den Schlaf umkommen, wäre dieser nur Ermattung und Nachlaß, nicht Kräftigung des Lebens.«

»So ist«, fiel der Rittmeister ein, »doch der Schlaf wenigstens im tröstenden Sinne ein Vorbild des Todes.«

»Dies«, sagt' ich, »läßt sich noch weit mehr künftig bei Mutmaßungen über die Art unserer Fortdauer entwickeln. Ich will auch jetzo nur vorübereilend den magnetischen Schlaf – diesen Prediger in unserer Wüste und Missionar einer zweiten Welt – berühren; er, der nicht den gesunden Körper, sondern sogar den zerrütteten herstellt und neu beseelt. Wenn nach Goethe alles Leben nur unter Oberflächen, unter Haut und Rinde tätig ist: so ist der Schlaf die schönste Haut und Rinde der geheimern tiefern Lebens-Kräfte.

1170 So verwandelt sich denn die anfängliche Ansicht der Schläferwelt als einer weiten Begräbnisstätte der halben Kugel jetzo in die einer stillen Schäferwelt, wo der Schäfer ruht und flötet, nämlich träumt, während sein Vieh weidet und wächset, nämlich der Leib. So liegt denn die im Schatten ausruhende Kugelhälfte der Erde als eine große Kinderstube und Wiege besänftigter Leiden und Leidenschaften vor uns, die aneinandergebauten Schlafkammern als die Sennenhütten und Klostergebäude der Tausende, die vor dem Entschlummern getobt oder gejammert oder gesündigt haben und mit denen das Leben einen, wenn auch kurzen Waffenstillstand geschlossen.

Ist nun der Schlaf so große Stärkung und Entwicklung des Körpers: so muß er während derselben auch eine der Seele werden. Wirft man mir dagegen die Unbändigkeit der Träume mit ihrer Zügellosigkeit ein: so halt' ich den Einwurf gerade für einen Beweis mehr. Erstlich gibt es Träume voll Witz, voll Scharfsinn und Philosophie und zumal bei Frauen voll historischen Zusammenhang; ein einziger geistreicher aber widerlegt alle aus tausend geistlosen gezognen Schlüsse gegen die Entgeisterung durch den Schlaf. – Ja im magnetischen Schlafe bilden die geistvollen Träume sogar die Mehrzahl nicht etwa der Träume (denn es gibt darin gar keine sinnlosen) sondern die Mehrheit ähnlicher Gedanken im Wachen.

Aber sei denn auch die Schlafkammer eine Bedlams-Zelle: so ist es wahrlich mehr ein Wunder, wenn ein Mensch in einer weitläuftigen, vernünftig geordneten und bewohnten Welt um sich her seine eigne Vernunft verliert, als wenn er diese in einer einsamen leeren Welt einbüßt, die er allein bauen, unterhalten und bewohnen muß. Muß nicht im Traume der Geist in eigner Person ganz allein und auf einmal Schauspieldichter – und Schauspielertruppe – und Maschinist – und Bühnenmaler – und Orchester und zuletzt das ganze Publikum sein? Dazu gehört in der Tat mehr Verstand als man ins Bett hineinbringt. – Und wer erkennt denn über den Verstand der Träumer als einen Tollen? Die Wachenden; wenn aber über unsern wachen wieder höhere Wache entschieden, oder wenn wir aus unserem hiesigen Wachen 1171 selber heller hinauferwachten: wahrlich wir würden uns derselben willenlosen Knechtschaft wie der im Traume, des nämlichen Irredens und Irrhandelns beschuldigen, sobald wir unsere Irrtümer und Leidenschaften nicht hinabwärts mit der Nacht verglichen, sondern hinaufwärts mit dem unbekannten Tag.«

»Dies alles« – versetzte Alex – »lass' ich gerade am liebsten gelten; und der allertollste Traum macht der Geistes-Unabhängigkeit mehr Ehre als gar – keiner; aber jene tägliche, auch oft stündliche Aufhebung aller geistigen Kräfte, jene Seelenohnmacht der Traumlosigkeit übersteigt noch eine Leibesohnmacht, da diese nie alle Teile durchgreift.«

»Wir träumen eben allzeit,« sagt' ich, »ein vollendeter Wirkstillstand des geistigen Teils wäre einseitiger Tod und ihm müßte der verknüpfte körperliche nachsterben. Denn unser späteres Vergessen der dunkeln Traumvorstellungen spricht diesen ihr Dasein nicht ab, da ja die hellsten und lebendigsten der Hellseherinnen bis sogar auf ihre Handlungen mit dem Schlafe entschwinden für die Erinnerung.«

»Aber« – versetzte Alexander – »wie steht es dann, wenn Fallsüchtige, besonders Starrsüchtige den Gedanken oder Redesatz, in dessen Mitte sie ihr Anfall unterbrach, sobald dieser vorüber ist, fortsetzen und zu Ende führen? Offenbar stockte während des stundenlangen Anfalls das ganze Vorstellwerk, da keine dritte Idee zwischen die beiden ausgesprochnen Ideen trat.«

»Der Einwurf ist tapfer«, sagt' ich. »Aber [er] hält nicht stand. Unser Geist, schon im Traume mehr Zuschauer des Gehirns, im Wachen mehr Schauspieldirektor desselben, in jenem mehr geleitet, in diesem mehr leitend und herrschend, muß noch mehr in einer gesteigerten Gehirn- und Nervenumwälzung und ihrer ungehorsamen Selberherrschaft zum bloßen Empfangen und Zuschauen überwältigt und plötzlich von seiner vorigen selbertätigen Innen- und Außen-Welt, worin er zugleich Regent und Zuschauer war, abgeschnitten werden. Er kann daher im Nebel der Starrsucht einem Gedankenzuge nachfolgen, welcher, wie durch Aufwachen verscheucht, im Taglichte der Gesundheit wieder der frühern abgebrochnen, ganz verschieden geformten 1172 Ideenreihe, die sich an die äußere Welt anschließt, Platz macht. Umgekehrt führten Nachtwandler, Träumer, Hellseher ebenso wieder häufig die Geschichte der einen Nacht in der andern fort und ließen neben der Tagwelt noch eine nächtliche Beiwelt frei und ledig herlaufen. Setzt nicht auch die Kraft, zu einer vorgenommenen Stunde aufzuwachen, irgendeine durch den Schlaf hinlaufende geistige Tätigkeit z. B. des Zählens voraus?«

 


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