Jean Paul
Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele
Jean Paul

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V.
Vesta

[Flächeninhalt]

[Schöne Woche, Abendschalmeien – noch keine Trauernachricht – Schluß aus dem Dasein Gottes]

Es sollte eben eine milde stille Woche für uns alle werden; Glück-Rad und -Rädchen griffen ineinander. Nantilde hatte meinen Rat – weil eine Frau selten einen unverbessert befolgt – dahin verbessert, daß sie sich nahe genug an Selina betten ließ, um die ganze Nacht ihre Hand in der ihrigen zu behalten. Möge nun dieser freundschaftliche Ableiter die magnetischen Flammen und Wogen zerteilet, oder die Wohn- und Lebensstube des Geliebten sanfte Einflüsse in sie gemischt haben: genug Selina schlummerte ohne Stöhnen und Weinen und sang nur leise: »Schwellet nicht hoch, ihr Wogen, flieget nicht reißend, sprecht nicht laut, ihr Winde, damit er weich schiffe und walle und nicht fühle das Erschüttern des Lebens.« – Zu allem Frohen gesellte sich noch, daß auch der Rittmeister von seinem frühern deutschen Waffenbruder, der in Marseille als Ehemann einer edeln Gallierin häuslich zurückgeblieben war, außer der Nachricht der eroberten Festung Romania noch die aussichtreiche von der Einschiffung mehrer deutschen Mitbelagerer erhielt samt dem Versprechen der schnellsten Berichte über seinen Sohn und dessen Ankommen und Schicksal. Die ängstliche Nantilde wollte nun sogleich Selinas Schifferliedchen zu einer magnetischen Weissagung erheben; 1194 aber ich fragte sie, ob sie denn sein Kommen anders träumen könne als auf einem Schiffe?

Wie auch in unserm schönen Beisammenleben die Gespräche gleichsam in den Kreuzgängen eines Lustparks abwechseln mochten: so kamen sie doch immer wieder wie das Menschenleben selber auf das Leben nach dem Sterben zurück. Aber nirgends konnte eine Peinlichkeit bestellter Disputierübungen eintreten oder eine Ausrüstung zu Religionkriegen mit Unglaubigen oder ein Treiben von Künsten des Besiegens und Erlegens, sondern es wurde eben über alles was zur echten Religion des Herzens gehört, gesprochen und auf die Unsterblichkeit, womit jene ja anfängt und schließt, führte uns leicht alles, der Sternhimmel das Abendrot, ja das Abendgeläute, jede Rührung, vielleicht mancher Schmerz. – –

Es war an diesem stillen lichten Abende, als man auf den fernen Bergen zwei Schalmeien hörte, die einander bloß anredeten und dann schwiegen und man mir sagte, daß damit zwei fromme Hirten sich auf entlegnen Gipfeln gegenseitig das Zeichen gäben, ihr Abendlied gemeinschaftlich abzusingen. Innig rührte mich der Berggesang in der Weite, denn ich hörte in den stillen Lüften nicht den leisesten Ton, aber die Ferne malte mir die Töne, die selber nur Ferne der Räume wie der Zeiten darstellen, mit desto größerem Zauber. »Diese guten Menschen«, sagte endlich die Rittmeisterin, »sind gewiß ohne alle Untersuchungen ganz ihrer Unsterblichkeit versichert, bloß durch ihren Glauben an Gott, zu dem sie beten. – Mir waren bisher alle Ihre Beweise von der Unabhängigkeit der Seele vom Körper sehr angenehm, soweit ich sie verstand; aber zuletzt kommt doch alles auf eine Gottheit an, die uns unsterblich macht und mein Herz vertraut ganz auf meinen Gott.« –

Mein Inneres wurde sehr ergriffen und ich sagte: »Ja, so ists. Er, er mit seiner Wahrheit, mit seiner Liebe, mit seiner Heiligkeit redet unser Herz an und sagt: du kannst nicht vergehen. – Allerdings könnte sogar der Gottleugner ein zweites Leben aus den Gründen ohne Gott annehmen, nach welchen ja ohne ihn schon ein erstes da ist. Aber zum Glücke wird uns das Grausen vor 1195 einer einsamen vaterlosen Unsterblichkeit erspart, worin eine lange Ewigkeit und ein ausgebreitetes Chaos vor uns lägen, welche gerade hinreichten, alle Höllen zu vervielfachen und zu vertiefen; denn ohne einen allgütigen Geist ist ein Himmel nur die Ausnahme und die regellosen Höllen sind die Regel und das Chaos wäre der Urteufel als Allherr.«

»Ohne einen Gott gäb' es für alle Geister nur Einsamkeit und zwar eine gräßlichere als jede irdische ist.«

»Nun auch diese wirkt schon arg und schmerzlich genug«, sagte Wilhelmi. »Die Gesellschaft, d. h. die Mehrheit der Stimmen gibt dem schwankenden, übereiligen Menschen Halt, Maß und Bestand der Ansicht, und Regeln, mit denen man sich ausgleichen und abfinden muß; denn jeder Einzelne übertreibt mehr als die Menge; und daher waren die Einsiedler immer Tolle, und hätten am Ende zu profanen Tollen zusammengesperrt werden müssen, wenn ihnen nicht von Zeit zu Zeit Glaubige und Verehrer einige fromme Gesellschaft geleistet hätten, was immer etwas war. Die Seelenwüste der Einsamkeit gleicht den großen Wüsten, wo die Gegenstände nicht feststehen, sondern schwimmend aufwallen und Schilf zum Wald, und Menschen zu Riesen schwellen.«

»Wollen wir uns einmal die Unsterblichkeit aus der Erdschöpfung wegdenken, aus dem Menschengeschlechte: so steht vor dem Unendlichen ein ewiges unaufhörliches Geisterverstäuben, ein Aufflattern und Einsinken von Seelen, deren Sekunden-Freude, Tugend und Erkenntnis eines kleinsten Augenblicks dem Alliebenden und dem Allheiligen und Ewigen kein Zweck sein könnte, so wie nicht einmal uns Eintagmücken Terzienfliegen, welche bloß einen Augenblick lang froh und fromm und weise wären und stets im zweiten zerstäubten, der Betrachtung geschweige des Erschaffens würdig vorkämen. Wenn obwohl nicht unser Geist – denn dieser kann als einfaches Wesen fortbestehen –, aber alle seine Entwicklungen vernichtet werden und rein für nichts und zu nichts entstanden sind; wenn wir auf der Erde alle fliegende Stahlfunken sind, welche aus dem dunkeln Kiesel geschlagen werden, um einen Augenblick zu glühen und zu glänzen 1196 und dann auf immer als glanzlose graue Splitterchen niederzufallen: so kann auf allen Welten kein anderer Gott regieren als einer, der in ihre Nächte Millionen Seelenfunken zum Erlöschen schlägt; denn die meisten Planeten können bei ihrer Erdähnlichkeit nur menschenähnliche Geister – manche vielleicht wie Jupiter und Saturn mit ihren ewigen Stürmen und Wolkentreibjagden, nur Untermenschen – tragen und selber auf der Sonne als einer ungeheuern Erdenkonglomeration kann der Menschentypus trotz ihrer Helle und Wärme (wenn beide auf ihrem dunkeln Boden und ebensogut auf ihr als über ihr sind) so wenig verschwinden als bei uns gegen den Äquator und Pol. – Dasselbe gälte dann von allen Sternen, als nur fernern Sonnen, und von den Bewohnern auf ihnen. (Bloße Grade des Geisterwertes könnten in der Allgemeinheit des Untergehens so wenig Ausnahmen und Unterschiede [machen] als bei uns.) So stände die Gottheit im Himmel aus einem unermeßlichen steigenden und fallenden Nebel gemacht als ein einsamer Stern; – ein Gott bloßer Gottesäcker – der alliebende Vater von einem unendlichen Geisterdunste umzogen, der ewig in einen neuen zerfließt, – die Gottheit die Sonne über einem bunten fliegenden Seifenblasen-All von Weltkugeln – Die Wasserfälle der dunkeln kalten Totenflüsse durchrauschen die ganze Schöpfung unter dem göttlichen Sonnenauge; aber die hellen Regenbogen von Seelen, welche glänzend auf dem Fließen festzustehen scheinen, sind nur ewig fallende und erlöschende Tropfen. – –

Was will dann die ganze Schöpfung? Da ihr Zweck nur in ihrem lebendigen Teil zu suchen und zu erfüllen sein kann – denn den toten Luft- und Wassermeeren und Welt- und Sonnenklumpen ist alles gleichgültig und ihnen bleibt nur als Mitteln Wert – so frag ich wieder, was will denn die Schöpfung, was hat der Unendliche bei diesem Verschwenden und Verschwinden des Lebens für Zwecke?« – »Und wir wollen einen des Unendlichen erraten, indem wir ihm unsre leihen?« sagte Alex. »Und der Knabe, der neben dem glatten glänzenden Marmorblocke steht, von welchem ein Michel-Angelo mit seinem gewaltigen Meißel umherfliegende Trümmer sprengt, will ihn der 1197 zwecklosen Zerstörung anklagen, weil ihm die Idealgestalt in der großen Künstlerseele nicht erscheint? – Aber wahrlich wenn die alten Völker die Gottheit durch einen unbehauenen viereckten Stein und durch einen Pfahl körperlich darzustellen glaubten, so meinen wir sie geistig nachzubilden und unsere Seelen sind die Pfähle und Steine dazu. Hat denn überhaupt der Unendliche Zwecke und kennen wir ihn so genau?«

»Ja,« sagte ich, »wir kennen ihn vielleicht besser als unser dünnes flüssiges Wesen selber. Nur er, der Allerheiligste – keine Notwendigkeit der Verhältnisse, kein Chaos des Zufalls – konnte jenen geistig-organischen Bildungtrieb in uns legen, der den innern Menschen zur moralischen Schönheit entwickelt; eine Überschattung durch seinen heiligen Geist, damit göttliche Ebenbilder hervorgehen, die aber freilich, da der Endliche vom Unendlichen überall unendlich, nicht endlich absteht, nur Tugenden, nicht Tugend haben. Die Moralität ist der schöne Gliederbau moralischer Schönheit des ganzen innern Menschen. Hat sich nun der Mensch allmählich entwickelt zu einem moralischen Kunstwerk: so erscheint der Tod und zerschlägt die Antike. So malt die Gottheit von Jahrtausend zu Jahrtausend ihr Ebenbild in die Millionen Geister, damit diese samt dem Bilde nach einigen Minuten auf immer verwischt werden. – Die moralische Vollkommenheit kennt nur ihre Unaufhörlichkeit, so unabhängig und unbefriedigt von der Zeit, daß sie sogar Ewigkeit bedarf. Zwar wird der Edle – wie ja so viele alte Griechen und Römer als Todes-Glaubige bewiesen – bei aller Gewißheit seines ewigen Untergangs so wenig vom seligen Genusse seines reinsten Sein ablassen als der unglaubige Weltmensch keine Flasche und keinen Teller von der Henkers-Mahlzeit vor seiner Vernichtung ungeleert verläßt; aber wenn die Zeit gleichsam wie eine Sünde, am Ende dem innern Menschen das Herz ausreißt: so gehört gar zu viele Kraft dazu, etwas Hohes anzufangen, das man nie ausbauen kann. Der höhere Mensch vertraut ja eben darauf, daß er doch wenigstens in einer spätern Zeit hinter der hiesigen sein moralisches Stückwerk zu einem Ganzen und Kunstwerk ausarbeiten könne; – denn wahrlich die schönsten Seelen können im wilden Wetter des Lebens 1198 sich und andern nur stückweise und zerrissen erscheinen; sie sind Feuerwerke im Regen abgebrannt, die schönste Zusammenreihung brennt mit zerrissenen Gliedern ab, die hohen Namen verlieren Buchstaben und kein Ganzes leuchtet im Himmel.

Nicht der Verlust einer Belohnung – denn Tugend kann so wenig belohnt werden als Glückseligkeit, am wenigsten mit dieser selber – sondern der Verlust ihrer Fortdauer ist dem guten Herzen das Schreckliche, das mit seinen schönsten Bestrebungen und Genüssen unter dem aufgehobnen Opferbeil der Vernichtung schlagen und zagen muß. Und endlich verschwindet vor ihr alles, und alles Höchste, nicht bloß Tugend, nicht bloß die Endlichkeit, sondern sogar der Unendliche.«

»Und sogar der Unendliche –« fiel die bisher so stille Selina mit einem sehr bewegten Tone ein und fuhr fort: »Wunderbarerweise dacht' ich nie so oft an die Vernichtung als seit den einigen Tagen unserer Gespräche über die Unsterblichkeit. Und daher ist wohl mein seltsamer Traum gekommen, dessen Qual bald und leicht verschwinden mußte. Ich sah nämlich meine teure Mutter auf ihrem letzten Ruhelager immer bleicher werden und die bebenden Hände zum letzten Scheiden nach uns allen ausstrecken. Da sie und wir weinten: murmelte eine harte kalte Stimme hinter uns in der Ecke: das Siechbett ist kein Siegbett, mit dem Tod ist alles aus, auch der Tod und das Nichts und Alles und das Nichts. ›Jawohl‹, sagte unerwartet meine Mutter und zog ihre Hände aus unsern und faltete sie und suchte sie, wiewohl vergeblich emporzuheben und betete: ›Nun muß ich nach dem Scheiden von allen meinen Geliebten, noch vom Allergeliebtesten den bittersten Abschied nehmen, von dir, mein Gott! Ach wie hast du mich geliebt, du Alliebender! Alle meine schönen Tage hast du mir aus deinem Himmel gesandt und meine Tränen hast du gestillt oder zu Freudentränen gemacht und immer immer war mein Herz bei dir. – O, nun muß ich auf immer vergehen und kann dich nie mehr denken, und kann dir nicht danken durch Besserwerden und meine Fehler gegen dich vergüten! Du glänzst fort durch die Ewigkeiten und sie schauen dich und ich bin zunichte gemacht. So nimm denn meinen letzten Dank; 1199 mein Herz liebt dich bis es steht.‹« ... Selinas Stimme stockte; »ich kann doch nicht die übrigen Worte des Traums hinauserzählen, ob mich gleich ein so unwahrer nicht wider mein Versprechen so bewegen sollte«, und sie verließ mit nassen Augen das Zimmer.

Auch wir unterbrachen unsere Gespräche, weil der Gedanke an den Größten des All mit Gedanken überströmt für welche nur die Einsamkeit Platz hat, nicht die Gesellschaft oder die Zunge. So werde auch dieses kleine Kapitel geschlossen, worin von dem Throne des Allerhöchsten ein schöneres Licht auf unsere Gräber und auf die weiten elysischen Felder fällt als sozusagen von der Ebene der ganzen Naturwelt.

 

Streckvers auf die Vesta

Klein bist du, Vesta, unter allen Wandelsternen der kleinste, aber unter allen der hellste und einer Sonne am ähnlichsten. Sei auch diese Vesta so licht als klein und gebe dem Herzen warme Sonnenstrahlen!

 


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