Jean Paul
Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele
Jean Paul

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IV.
Mars

[Flächeninhalt]

[Der Gesandtschaftrat – Wanderung nach dem Wetterhorn – Schlaf, Traum, Alter und Sterben als Zweifel an der Unsterblichkeit – Schlaf, Traum und Alter mit der Unsterblichkeit versöhnt – Verhältnis zwischen Geist und Leib]

Erste Unterabteilung

[Der Gesandtschaftrat – Wanderung nach dem Wetterhorn]

Wir fanden bei unserer Ankunft den Gesandtschaftrat über die Seelenwanderung ganz froh, fast lustig. Er brachte manche für 1159 den Glauben der Frauen fast zu kecke Einfälle vor und sagte z. B., das Seelenwandern gefalle ihm mehr als das immer ewige langweilige Sitzen in Abrahams Schoße, und es wäre gar zu arg, wenn nach der Langweile der Zeit noch gar die Langweile der Ewigkeit folge – Vielleicht treff' er doch auf seinem seelenwandernden Rösselsprunge durch die künftigen Staaten einmal nach Jahrhunderten einen Staat ohne Schulden und wohl eingerichtet, da man bisher den Tünchermeistern geglichen, die das ganze Jahr hindurch nur zerrüttete beschmutzte, in Unordnung gebrachte Stuben voll Schutt, Mauergestelle und Tüncherkübel betreten.

Nantilde sagte: »So spricht er immer und greift das Schönste an, was man glaubt; aber heute soll er Ihnen, lieber Paul, standhalten, wenn wir auf das Donnerhäuschen gehen und immer alle beisammen sind. Da mag er alle seine Zweifel über die Unsterblichkeit auspacken und dann einpacken.«

»Von Herzen gern,« versetzte Alexander, »ich gebe meine Irrtümer mit Vergnügen jedem, der sie haben will; was sind überhaupt die paar Dutzend oder Tausend Irrtümer eines Einzelnen, wenn ein Theolog herumsieht, wie ja die ganze Erdkugel rundum von Völkern zu Völkern, von Jahrhunderten zu Jahrhunderten, von Gehirnkugel zu Gehirnkugel mit nichts als falschen Sätzen vollgepflanzet ist, so daß am Ende der Theolog in Wahrheit alle die wahren Sätze bloß bei sich antrifft und der Mann sich ordentlich seines Wertes schämt. Und wie lange behalt' ich denn meine Irrtümer? In zwanzig, dreißig Jahren erlöset mich schon der Tod von ihnen; ja, wenn eine Unsterblichkeit hinter ihm ist, gibt er mir gar die herrlichsten Wahrheiten dafür.«

»Du bist ja heute kühner als je, Alex«, sagte der Rittmeister. – »In Untersuchungen und Fragen über die Welt hinaus«, versetzte Alex, »ist alles kühn und das Glauben noch kecker als das Zweifeln.« – »Irrtümer«, sagte Karlson, »können auch zu Handlungen aufwachsen, darum sind sie weniger gleichgültig; die Scheiterhaufen für junge Witwen in Ostindien und für alte Weiber in Europa und die für Andersglaubige in allen Weltteilen wurden von lauter anfangs schuld- und sinnlosen Meinungen zusammengetragen. Wär' ich ein Autor, ich würde mich bei jedem 1160 kühnen Satze vor der Allmacht fürchten, die er sich erschleichen könnte; – und doch ließ' ich es darauf ankommen und wagte; – was wäre das Leben ohne Wagen?« – »Ja wahrlich«, fiel Alexander ein, »man wohnt in einem Gletschertal und rundum steht alles voll von hohen und allerhöchsten Thronen voll Schneeflocken, die ein lautes Wort, ein Mauleselglöckchen zu Lawinen kugelt – am besten ist, man schießt seine Pistole ab, läßt die Donner ausrollen und reiset dann weiter.«

Endlich wurde bei der allgemeinen Fröhlichkeit ausgemacht, daß wir alle nach dem Wetterhorn oder Donnerhäuschen gehen und auf dem anmutigen, gleichsam Kampaner Spaziergange dahin länger über die Unsterblichkeit sprechen wollten. – »Und herrlich wär' es,« bemerkte Nantilde, »denn in allen Dörfern, wodurch wir ziehen, finden wir an der Kirche einen gewaltigen Lindenbaum mit Bänken wie Kirchstühle, darauf können wir sitzen und disputieren und der Gesandtschaftrat mit, und so kann er bekehrt werden nahe an der Kirche.«

Die Rittmeisterin Josepha, die sonst ihre Freude mehr bedeckte als enthüllte, ließ ihre Heiterkeit aus allen Mienen schimmern, weil religiöse, sogar bloße wissenschaftliche Gespräche von jeher am stärksten ihr Herz anzogen; daher sie diesmal ihrem Sohne, der jeden jünger machte, er mochte so alt sein als er wollte, alle lebhaften Künste fremder Verjüngung nachsah. – Nur nahm an diesen sonnigen Stunden, die man nur empfangen, nicht erschaffen, weniger säen als ernten kann, der ein wenig bequeme Baron Wilhelmi einen kleinern Anteil, weil er spät nach seinem Frühstück anlangte, da wie er sagte, ein früher Morgengang für den halben Tag erschöpfe. Aber seinem wohlwollenden freundlichen Aussehen hätte ein gutmütiges Auge sogar eine größere Ähnlichkeit [mit] jenen Alten verziehen, die sich mit Messer und Gabel gegen die Sense der Jahre wehren und mit eingeknöpftem Tellertuche als Brustschilde dem Tode entgegentreten. – Nur eine kleine Wolke, die aber nicht, wie sonst kleine Wölkchen vor schönem Wetter, kleiner wurde, verrückte sich in seinen Mienen nicht.

Nachmittags traten wir in der zweiten Hälfte unsers 1161 Idyllentags – denn nur Idyllen-Vor- und Nachmittage und Abende und Mitternächte gibt es auf dieser durchwölkten Erde und nur für kleine Seelenvereine, aber keine Idyllenjahre und Idyllenländer für stumpfe träge Hirtenvölker und für kriegführende Freundschaftinsulaner – nachmittags, sagt' ich, traten wir unsere Wanderung nach dem Donnerhäuschen recht bequem und langsam an. Denn eine halbe Meile von Falkenburg, nämlich schon unten in dem zur Burg gehörigen Dörfchen ließen wir uns auf den Bänken der großen Linde neben der Kirchentüre nieder. Hier bat ich nun den Gesandtschaftrat, in der Sache der Unsterblichkeit den Teufels-Advokaten zu machen, damit er ununterbrochen »funktioniere« und spreche. – »Mit Freuden« – versetzte er – »der Teufels-Advokat ist der einzige in Rom und in der Welt, der allemal unrecht behält und niemal unrecht hat; kein Mensch kann zu einem Heiligen gesprochen werden durch Ihre Heiligkeit, nicht einmal Ihre Heiligkeit selber.«

 


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