Jean Paul
Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele
Jean Paul

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Zweite Unterabteilung

Karlsons Brief

– – Sie müssen endlich mein und meines Wilhelmi Kinderglück mitgenießen, zumal in so blauen längsten Tagen und in einem so reichen landschaftlichen Garten, worin Korn- und Blumenfluren und Täler und Dörfer, samt Falkenburg und Wiana liegen. Sie kennen eigentlich niemand von uns allen als mich und den Baron; – und kaum uns vollständig, denn wir haben nicht bloß unser Außen geändert –; aber die andern alle kennen Sie. Erfreuen und überraschen würde den alten Kampaner Freund Gionens unsere Selina, ein weibliches Wesen, von dem ich wegen einer ungewöhnlichen Vereinigung von fortschwebender Phantasie und fortgrabender Philosophie gar keine scharfe feste Schilderung zu geben weiß. Da sie mich oft besucht und mit mir über die höchsten Sterne, aber nicht Sternschnuppen des menschlichen Wissens und Strebens, spricht und liest: so ist mir zuweilen als sei sie eben von ihrer verklärten Mutter zu uns herabgeschickt und habe noch einigen Schimmer von ihr im Gesicht. Ihre ganze Seele ist offen, ja durchsichtig wie der Diamant, und doch ebenso fest und dicht wie der Edelstein. Aber ihr ist eine echte Freundin unentbehrlich; und dies ist ihr das treue Ding, meine Tochter Nantilde.

Verweilen Sie nur halb so lange bei uns als ich wünsche, so sieht Sie vielleicht mein teurer Sohn Henrion, der jetzo noch vor 1112 der Festung Napoli di Romania steht. Auf der Akademie hatt' er, obgleich dem Kriege eigentlich gewidmet, sich so warm und opfernd der Philosophie und der griechischen und römischen Geschichte und besonders den Musen hingegeben, als woll' er nie statt des Streitrosses etwas anderes besteigen als den Katheder.

Aber nun erschienen die blutenden Griechen ohne Ketten im Felde und da entbrannte sein Herz und er schlug seine Bücher zu. Ich konnte ihn nicht tadeln und nicht abmahnen, sowohl aus Liebe für die hohe Sache, als meines eignen Beispiels wegen, das ich ihm zu seiner Rechtfertigung gegeben, da ich sogar als Familienvater den Ritterzug zum heiligen Grabe der gekreuzigten Freiheit mitgemacht, von welcher nur Erdbeben und Engel den Grabstein wälzen konnten. Aber fast alles um mich her war darwider, sogar mein Freund Wilhelmi (nur Selina nicht), und im stillen meine Gattin, ob sie gleich, wie sie sagte, sich gern in alles ergab im Vertrauen auf Gott; am meisten jedoch Nantilde und Alexander. Ja, da sie einmal ein ungewöhnliches Feuer gegen das gewagte Hineinlassen eines so guten Jünglings in die grimmigen Tiergefechte von Barbaren aufbot, verband sich sogar der so freisinnige Alexander mit ihr und sagte: »Spießen lass' ich mir zur Not noch gefallen; aber das gräßliche Anschirren an türkische Sklavenpflüge und das Heimtreiben in Menschenställe und der entblößte tiefgekrümmte Rücken vielleicht einer Apollogestalt, die unter der schneidenden Peitsche ihre Furchen zieht – Gott, lieber Tod, Tod vorher; und diesen mußt du mir auch versprechen.« –

»Aber«, sagte Henrion, »da dieses schwarze Sklaven-Los doch am Ende irgendeinen Kämpfer treffen muß: so kann ich mich ja auch von ihm treffen lassen für einen andern. Und wo gibt es denn für einen Jüngling, der Feldzüge sucht, einen bessern und weltbürgerlichern Krieg als den in Griechenland, und was sind die meisten andern Kriege dagegen, die nie wie er das allein opfernde und geopferte Volk mit seiner eignen Veredlung belohnen?« – »Es reiche uns auch hin,« sagte der GesandtschaftratAlexander., »daß die andern Kriege die Thronsitze höher polstern – oder die 1113 Hoheitpfähle ausreißen und weiter einstecken – oder daß sie im Völkerduell auf Kavalleriehieb und Artillerieschuß Genugtuung für die Injurie gegen eine Maitresse nehmen – oder daß herrliche Erbfolgekriege in der Geschichte vorhanden sind, die Religionkriege nicht einmal mitgezählt.«

»O«, versetzte Henrion, »ein Erbfolgekrieg ist schon der griechische, ob nämlich Bildung oder wieder Barbarei auf den Thron gelangen soll, und ein Religionkrieg dazu, aber nicht zwischen Meinungen, sondern zwischen Recht und Unrecht.«

Zum Glücke hatte mir Henrion sein Wort geben müssen, an der Wiedererrettung Moreas nicht länger mitzuhelfen, als bis ein entscheidender Schlag alle Hoffnungen recht befestigt habe; aber erst nach mancher Verrückung der Grenzsteine seines Mitkämpfens hat er endlich die Eroberung der so wichtigen Festung Napoli di Romania, wovor er unter seinem General Normann steht und deren Fall ganz nahe ist, zum Wiederkommen festgesetzt. – Und so würde der Gute Sie hoffentlich bei mir noch sehen.

Zwischen beiden Brüdern gab es freilich noch andere Kriege als die über den Krieg; und ich freue mich sehr darauf, wenn Sie einmal meinen Gesandtschaftrat Alex zu sehen und wohl gar zu bekehren bekommen, besonders über einen gewissen Punkt. Henrion nämlich glaubt glühend an die Seelenunsterblichkeit, – so wie ich jetzo auch –, Alex aber streitet und sagt, wenigstens falsche Beweise wahrer Sätze könn' er nicht ausstehen; auch woll' [er] die einzige Freiheit, die auf der Erde übrig sei, da die des Handelns, des Wollens und des Empfindens von Gott und Menschen gebunden sei, die Freiheit des Denkens vorbehalten haben und der Henker hole alle Systeme und Dogmatiken.

Da der Mensch, wie Sie bemerken, so oft Worte nur dünnen toten Worten entgegensetzt, die man ihm bloß zu Gefühlen zu verdichten und zu beseelen brauchte, damit er sie anders behandelt: so hab' ich für Alexander einen Versuch gemacht, ihm den Vernicht-Glauben recht nahe vor Aug und Herz zu rücken und ihn gerade hinunter steilrecht in finstern Raum ohne Himmel und ohne Hölle, ja ohne Raum sehen zu lassen. Ich sende Ihnen hier diesen Versuch, schäme mich jedoch, daß mir in der Jugend selber 1114 eine solche Hülfe nötig war, da ich bei Gionens erdichteten Tode die »Klage ohne Trost« mit allem Trotze der Verzweiflung niederschrieb. Aber die Jugend hat bei aller Lebendigkeit der Gefühle ordentlich einen Hang zur Ableugnung und Verspottung derselben, so wie bei aller noch warmen Religiosität einen zum Unglauben oder bei allem Frohgefühl einen zur Melancholie und eine Vorliebe für schwarze Nachtgedanken und Trauerspiele; denn ihr Freiheittrieb will über alles Alte und Zwingende, und wohnte es sogar [in] ihrer eignen Natur, wegspringen. Mir war von jeher jeder hochsinnige Glaube ein ordentlich Lebensbedürfnis, so wie die Zerstörung eine von einem heiligen Jerusalem. So drückte mich ordentlich das jetzo gewöhnliche Ableugnen der Endursachen, das eigentlich den Isisschleier der Gottheit bloß verdoppelt überhängt, so wie mich das neuliche Anerkennen derselben von meinem tiefsinnigen HerbartSiehe dessen geniale Einleitung in die Philosophie. Zweite Auflage. Seite 220: »Wir kennen nur die Erde, [und was wir hier sehen, das ist der Gegenstand einer Bewunderung, die kein Newtonisches Attraktionsgesetz jemals aufheben wird. Die einzige Frage: wie es zugehe, daß die Leiber der edlern Tiere von außen, der Schönheit gemäß, symmetrisch gebaut sind, während im Innern, ohne Spur des Schönen, ohne Spur von Gleichheit des Baues der rechten und linken Seite, alles auf den Nutzen abzweckt: – diese Frage ist unendlich viel verwickelter, als die nach dem Laufe der Weltkörper in elliptischen Bahnen.«] herzlich erfreute. Ja mich peinigt, wenn ich es Ihnen gestehen darf, eine Darstellung der Aufgußtierchen, als könnte ein Lebendiges aus seelenlosem Körperbrei gerinnen, oder eine Ausbauung der Schädellehre, als erschaffe und regle der Knochen das Geistige, anstatt daß dieses jenen zuründet – oder die mathematischen Weltbauten oder Weltkugelfabrik und Universums-Manufaktur der Franzosen, oder die ganze chemische Musaik, die auf den Thron eines liebenden Schöpfers kalte Spinnmaschinen und eiserne Webstühle des Daseins setzt. Am meisten haßt' ich schon von frühster Zeit die Enzyklopädistenschule, die den Eigennutz zum Prinzip des Handelns, d. h. die Unmoralität zum Prinzip der Moralität erhebt und so den treibenden Kern des Herzens zu schwarzem Wurmmehl zerfrißt; und ich konnte zuweilen bloßer moralischer Theorien wegen mit Bekannten brechen. Wenn manche neben mir sich 1115 ordentlich erfreuen über jeden neuen Beweis, daß niemand etwas tauge und die Völker nichts werden – und daß alle den Menschen mit Erleuchtung und Erhebung beglückenden Wissenschaften nur als Mistbeetfenster für das Gedeihen der Finanzen und des Handels einzusetzen sind – und daß jeder den Göttern und den Menschen nichts zum Opfer darbringe als bloß die Opferknochen des Altars, die Fettstücke aber selber verzehre – und daß keine Frau jungfräulich denke oder bleibe: so leg' ich Bücher mit solchen Beweisen in tiefer Betrübnis weg und höre Schüler und Lehrer derselben nicht einmal bis zum Widerlegen aus, ob ich mir gleich nicht verberge, daß ein edler Mensch mit Freuden für eine unedle Theorie, sobald er ihr einmal ergeben ist, neue Verstärkungen aus bloßem wissenschaftlichen Geiste ergreifen muß. – –

Aber warum sprech' ich so lange von den Meinigen und viel zu lange von mir? – Kommen Sie nur recht eilig und lieben Sie uns, wie Sie geliebt werden.

Karlson.    

 

Du edler Mensch! Deine Nähe wird meine Seele erquicken und ich werde zum zweiten Male das Kampanertal durchreisen.

Hier folgt seine Ausmalung des Glaubens an Vernichtung.

 


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