Jean Paul
Selina oder über die Unsterblichkeit der Seele
Jean Paul

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Zweite Unterabteilung

Schlaf – Traum – Alter und Sterben als Zweifel an der Unsterblichkeit

»Drei bis vier Einwürfe,« fing Alexander an, »welche die Unsterblichkeit angriffen, sah ich auf einmal in einer Nacht leibhaftig vor mir. Es war bei der nächtlichen Leichenwache des flachsenfingischen Fürsten. Ein junger lebhafter Kammerjunker war vor langer Weile eingeschlafen; – erster Einwurf. Ein alter Zeremonienmeister, der sich des tiefsten Schlafs erwehrte – wenn nicht sein Wachen einer war – saß gebückt Wache und war heillos von den Jahren zugerichtet und zerknittert wie ein alter Bettelbrief, ohne alles Gedächtnis und ohne die meisten Sinne, – ja ohne Sinn; – zweiter Einwurf! Und der kalt daliegende gekrönte Leichnam war ohnehin der dritte Einwurf, und der beste dazu.«

»So wären es denn«, fiel Nantilde, den Bruder nicht ganz verstehend, ein, »drei Verstorbne gewesen, allein warum nicht ebensogut drei Schläfer oder drei Alte?« – »Wohlan,« erwiderte Alexander, »so sei der Kammerjunker der erste Opponent in seinem Schlafe. Wären wir nicht so an die Alltäglichkeit des Schlafs 1162 gewöhnt, zumal die Langschläferinnen, so würden wir ihn nicht bloß wie Alexander, unter die stärksten Beweise unserer hinfälligen Menschlichkeit, sondern wie Adam in Miltons Paradiese seinen ersten, für ein Sterben halten. Die Rabbinen nehmen nur Prozente und halten ihn bloß für den 60ten Teil des Todes. Man kann, da im ganzen alles nach Sonnenuntergange von einem Weltteil und Weltgürtel zum andern schläft, immer der untergehenden Sonne nachziehend die Kugel mit lauter hingestreckter, wie von Saturns Sense umgelegter und geernteter Menschen-Welt erblicken – einen der längsten Kirchhöfe – das wahre Totliegende der Menschheit – alle kraftlos, sinnlos, bewußtlos – der Geistreichste dem Einfältigsten gleich, der Kraftvollste dem Schwächsten – Mich nimmt bei der Sache nicht die Schlafsucht unsers ganzen Geschlechts wunder, sondern die Schlaftrunkenheit der Philosophen, welche das täglich wiederkehrende Sterben und Begraben der Seele in einem frischen kräftigen unversehrten Körper sehen können, und doch nach dem Zusammenbrechen und Zerquetschen des ganzen Gehäuses auf einen recht empfindenden, denkenden, ja erhöhten Geist aufsehen.«

»Ich habe immer«, fiel Selina ein, »etwas Tröstlicheres schon aus den Nachtwachen geschlossen, wenn ich zuweilen in schlaflosen Nächten die tausend Unglücklichen vor mir liegen sah, die in ihren Krankenbetten, oder gar auf gesunden Lagern im Kerker die Nächte peinlich und langsam durchleben und schlaflos die Augen bald zutun, bald öffnen und unerquickt und doch sehnlichst dem Taglicht entgegenseufzen – und noch unglücklicher sind die mit kranker Brust aufrecht sitzenden vor ihrer Nachtlampe, sogar des ausruhenden Liegens beraubt. – Ach der Balsam des wunden Lebens kann doch nicht zugleich den auflösenden Gift desselben vorbedeuten?«

»Es beweiset nur noch mehr, liebe Selina,« versetzte Alexander, »wie nötig uns der Schein des Todes zum Leben ist und wie wir so schnell ablaufen und ausrinnen, daß wir wie Schiffuhren alle zwölf Stunden wieder zum Gehen müssen umgelegt werden. Aber das Entscheidende dabei, wenigstens für einen Teufels-Advokaten, bleibt, daß der kräftigste lichteste Geist, wie der 1163 kräftigste wärmste Wille täglich bloß von dem Körper zu einem Untergange – denn von ihm ist ein wahrer Stillstand des Wirkens nur durch die Zeitlänge verschieden – ohne Gnade verurteilt wird.«

»Ich dächte doch,« warf Nantilde ein, »daß wenn wir in dem so toten Schlafe träumen, [wir] da manches vermögen, was wir nicht einmal im Wachen konnten, z. B. fliegen, dramatisieren, weissagen?« – »Das erste oder das Wichtigste,« versetzte Alex, »was dein Träumen anlangt, so setz' es nur aus, ob du gleich darin so hoch fliegst, daß du nach dem Erwachen noch nicht ganz herunter bist. Denn mir wäre völliges Eingraben und dickes erdiges Überschütten mit dem Schlaf- und Betthügel – wie eigentlich bei den derb gesunden Leibern gewöhnlich ist, ja sogar bei dem geist- und blitzreichen Lessing – sogar noch lieber als das Träumen; denn unter die undurchsichtige Bettdecke der Bewußtlosigkeit könnte ein Philosoph ein ganzes Himmelreich von geistigen Kräften lagern und man müßte ihm glauben; aber den Traum kennen wir desto deutlicher mit all seinen Unsinnigkeiten und er übt weit uneingeschränktere Lehnsherrlichkeit des Körpers als selber der Schlaf aus.« – »Hier«, sagte Karlson, »hat Alexander recht. Ich weiß noch aus meinen Jünglingjahren, wie ich in meinen Träumen tobte, verwüstete, umbrachte und das Bette zur Bühne abspielender Tyrannen machte.« – »Wie oft vor dem Einschlafen«, fuhr Alexander fort, »sag' ich mir: nun reisest du sogleich in ein Land, wo du nichts voraus kennst und nichts durchsetzest, dein ganzer diplomatischer Charakter nicht den jüngsten Kabinettsekretär, geschweige dessen Fürsten, der deinen zugemachten Augen erscheint, lenken kann, ja nicht einmal dich selber, weil du im Bette wider alle bessern Vorsätze Dinge begehen kannst, wofür man gehangen zu werden verdient. Ich bedauere daher manche zarte Seele, welche nach einem unter der schönsten Herrschaft des Gewissens rein durchgeführten Tag sich ängstlich in das unbändige zügellose Traumreich hineinbegeben, wo sie alle moralische Freiheit an der Grenze hinter sich lassen muß.«

Hier schüttelten die Frauen die Köpfe, als sei es nicht so. »Im 1164 ganzen« – fiel ich zur Rechtfertigung der geschüttelten Köpfe ein – »sind die weiblichen Träume weit moralischer als die männlichen, so wie sie auch selten solche verrenkte Zerrwelten wie die des wachen italienischen Prinzen von Palagonien vorführen. – – Aber ich will Sie, Herr Gesandtschaftrat, nicht etwa sozusagen stückweise bekämpfen und bekehren, sondern Sie sollen Ihr Ganzes vortragen, damit wieder ein Ganzes dagegen aufstehe. Darum eben erobert wechselseitiges Disputieren so wenig, weil nur Sätzchen wiederum Sätzchen, Teilchen die Teilchen angreifen und höchstens umstürzen; aber der Glaube ruht nicht auf vereinzelten Beweisen wie auf Pfählen oder Füßen, die man nur umzubrechen brauchte, um ihn umzustürzen, sondern er wurzelt mit tausend unsichtbaren Fasern auf dem breiten Boden des Gefühls. Daher kann man jemand bis zum Verstummen widerlegen, ohne ihn doch zu überzeugen; das Gefühl überlebt die Einsicht, wie der Schmerz die Trostgründe.«

»Daher soll man«, fiel Alex ein, »Schriftsteller nicht eines Ungeschicks im Dialogisieren anklagen, wenn sie ihre Leute anstatt zerstückender Gesprächworte bloß lange Reden miteinander wechseln lassen.« – Der Leser aber sieht wohl leicht, daß ich hier von der Wirklichkeit selber dazu genötigt werde.

»Was nun der Teufels-Advokat« – fuhr Alex fort – »aus Schlaf und Traum gegen das geistige Überleben des Körpers schließt, ist, was er noch stärker aus dem Alter schließen kann; denn der Schlaf ist eigentlich nichts als ein tägliches Greisenalter, bloß mit entkräfteten Sinnen, Stumpfheit, Vergeßlichkeit und Kalt- und Trübsinn begleitet; nur endigt sich dieses Alter so lange täglich in Jugend, bis am Ende der Nachtgreis auch als Taggreis aufsteht. Übrigens soll dem Teufels-Advokaten das Alter oder der gekrümmte Oberzeremonienmeister der fürstlichen Leichenwache so viel als alle mögliche Krankheiten, Wunden und Eß- und Trink-Abhängigkeit gelten und vereinen, womit der Leib den Geist als seinen Leibeignen einkettet und nachschleppt. Denn wahrlich was sind Fieber, ja Wahnsinn, Ohnmacht, welche alle an der Zeit nicht wachsen, sondern verfliegen und wofür es Herstellungen gibt, gegen das höhere Alter, dieses 1165 unaufhaltsame Erkranken und Einsinken in die Erde, ähnlich jener Märchen des Eintanzens von Glied zu Glied in den Kirchhof. Wahrlich der Anblick eines gekrümmten Weisen im Alter, eines Newtons, Kants und Linné, der unter seinen eignen Schüler herabgesunken, als geistige und leibliche ausgetrocknete Mumie, als ein lebloses Selbstreliquiarium verflogner Kräfte unverständig und stammelnd mich anhört und nicht versteht, dieser schlägt mich weit mehr nieder als der Anblick ihres Todes vermöchte; denn der bloße Leichenkörper erinnert mich nicht mehr an einen sich mit dem Leibe bückenden Geist, dem ich freiere Verhältnisse leihen kann, und ein gestorbner Greis und ein gestorbner Jüngling sind sich gleich.«

»Bringe aber doch auch« – sagte Karlson – »die Greise in Rechnung, die sich wie der mehr als 100jährige zu Rechingen in der Pfalz ganz spät wieder verjüngten, neue Zähne und Haare bekamen« – –

»Jedoch weiter nichts,« antwortete der Sohn, »gestärkte Geistkräfte nicht; – Zähne dauern und Haare wachsen aber sogar unter der Erde fort« – –

»Und sollen denn Menschen nicht gerechnet werden,« fuhr der Vater fort, »welchen bis ins höchste Alter ungeschwächte Denk- und Behaltkräfte blieben und denen man das Alter nur ansehen, nicht anhören konnte? Wenn man das Alter gewöhnlich in Verknorpeln, Verknöchern und Versteinerung der Körpergefäße setzt, als ob der Mensch noch vor dem Tode sein eigner Grabstein und seine eigne Bildsäule werden müßte; aber fühlt nicht der Geist erst spät nach Jahren diese Verhärtungen und bewegt sich noch frei im erstarrenden Element? – Und wird sein Niederbeugen so groß und tief wie das Einsinken und Zusammenkriechen des Leibes? Hat der Körper lichte, den Spätabend unterbrechende Sonnenblicke wie die Seele, die sich dann an den niedergebrannten Freudenfeuern fremder und eigner Vorzeit wärmt?« –

»Ich fand«, setzte Josepha hinzu, »bei mehren Personen, sogar bei Männern, daß sie gerade in spätern Jahren einen schmerzlichern Anteil an jedem Dahinscheidenden nahmen, ja nicht bloß an Leiden, auch sogar an Kunstfreuden.« – »Ganz wahr,« setzte 1166 der Rittmeister hinzu, »was oft als Erkältung gegen außen erscheint, ist bloß höhere Foderung höherer Anlässe. – So werde denn immer durch das Alter alles zu Eis um den Menschen; aber wie in geistigen Getränken umfängt die dicke Eisrinde einen desto glühendern, Herz bewahrenden Mittelpunkt.«

»Indessen wollen wir doch wieder zu den Leibern zurück,« sagte Alex, »welche aus kindlichen Flügelkleidern zu Zwangwesten des Alters werden. Gerade diese Greise sprechen für mich so gut sie noch sprechen können. Denn die meisten, denen der Geist im alternden Körper nicht unterging, waren Landleute, Mönche, und solche, welche eben im blühenden Körper den Geist nicht sonderlich steigerten, zumal meine lieben Mönche und Eremiten; so wie eben Bettler, Matrosen, Soldaten, kurz gedankenarmes Volk doch über die gemeinen Lebens-Grenzen hinaus dauerten. Der Teufels-Advokat aber zieht seinen melancholischen Schluß auf Gleichzeitigkeit des Doppeluntergangs eben aus dem Umstande, daß der Geist, der sich die größern Reichtümer und Stützen angeschafft zu haben scheint, desto leichter mit dem Körper zusammensinkt und -bricht. – Was soll er nun vollends sagen und schließen, wenn es gar vom Alter zum Tode geht? – Es ist schon alles geschlossen. Nur dies kann er noch nachschießen, daß er jedesmal gelacht oder verachtet hat, wenn in Romanen, oder am häufigsten in Trauerspielen ein junger Mensch mit seinen Gefühlen die Unermeßlichkeit atmet und verschluckt und als blasender Walfisch daherbrauset und mit der Nase schwimmende Inseln umzuwerfen droht und mit seinen wasserspeienden Nasenlöchern die Sonnen überregnet [und] wahren Trotz gegen das Weltall verspürt und gar nicht verheimlicht: da den wasserspeienden Walfisch-Vulkan eine eingestochne Stricknadel in die Schläfe oder ein eingegebner Teelöffel Blausäuere auf einmal in seinen Wellen anhält und einsenkt. Die Liebhaber zumal auf und außer dem Papier sind solche Donnergötter. Aber man kann es doch besser ausdrücken und ohne besondere Walfischphrasen und -ejakulationen von sich geben: das wärmste Herz, die frömmste Seele, der stärkste Geist versiegen nicht langsamer an einer Körperwunde als das bettelhafteste Ding von einem Menschen; die 1167 Scheidungzwischen sogenanntem Leib und Geist tut sich in einem Lessing so leicht ab als in einem stumpfen Ketzermacher, in einem blühenden Helden so leicht als in einer abgelebten Kreuzträgerin.«

»Es ist daher« – fügte Josepha hinzu – »für das so leicht trotzige Menschenherz die tägliche Erinnerung an seine Hinfälligkeit durch den Schlaf eine recht heilsame Wohltat.«

»Nun wird man es dem Advokaten des Teufels nicht zu sehr verargen, daß er nach allem den Schluß, nämlich das Gleichnis macht: wenn ihr im königlichen Schloß zu Versailles in die bekannte Stockuhr von Morand hineinseht und alle die zusammenarbeitenden fassenden Räder durchmustert, aus denen kein Zahn ohne Zerrüttung des ganzen Uhrgangs zu brechen ist, und wenn ihr seht, wie diese von der Schwere getriebenen Räder wieder ein Männchen heraustreiben, das mit seinem Stabe die Stunden als die Ergebnisse des ganzen Ganges angibt und schlägt – und wenn noch einige Kunst-Nebenräder gar ein Glockenspiel und hinter diesem den heraustretenden Louis XIV. liefern, ganz wie er auf dem Place de Victoire aussieht: so werdet ihr gewiß nicht denken, daß jenes Männchen oder dieser Louis das Geh-, Zeig- und Schlagwerk regieren, oder vollends überleben könne, da das Männchen und der König auf der Stelle stillstehen mit dem ersten Rädchen, das stockt. – Nun unser kunstreicher Körper ist eben das Morandsche Uhrwerk und unser erscheinende Geist ist der hervorfahrende Ludwig der Große, ganz wie er auf dem Place de Victoire aussieht; und der Glaube an Unsterblichkeit ist der Glaube an des Louis des Großen Überdauern nach dem Stocken der Uhrräder. Das gilt nun von uns sämtlichen Bilderuhren, wovon einige wie die Dichter wahre Spieluhren sind und andere wie die Theologen Guckguckuhren oder auch schnarrende Wecker.« – – So weit vor der Hand der Teufels-Advokat.

 


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