Jean Paul
Die unsichtbare Loge
Jean Paul

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Achtundvierzigster oder Mai-Sektor

Der hämmernde Vetter – Kur – Bade-Karawane

– – Er ist wieder zu haben, der Bruder und Biograph! Frei und froh tret' ich wieder vor; der Winter und meine Narrheit sind vorüber, und lauter Freude wohnt in jeder Sekunde, auf jedem Oktavblatt, in jedem Dintentropfen.

Es ging so. Eine jede eingebildete Krankheit setzt eine wahre voraus; aber eingebildete Krankheitursachen gibts dennoch. Mein Wechsel zwischen Gesund- und Siechsein, zwischen Froh- und Traurig-, zwischen Weich- und Hartsein war mit seiner Schnelligkeit und seinen Abstichen aufs höchste gekommen: ich konnte vor Mangel an Atem kein Protokoll mehr diktieren, und die Szenen dieser Lebensbeschreibung durft' ich mir nicht einmal mehr denken: als ich an einem rotglühenden Winterabend durch den rotgeschminkten Schnee draußen herumschritt und in diesem Schnee das Wort »heureusement« antraf.

Ich werde an dieses Wort der Schnee-Wachstafel immer denken; es war mit einem Bambusrohr lapidarisch schön hineingezeichnet. »Fenk!« rief ich mechanisch. »Weit kannst du nicht weg sein«, dacht' ich; denn da jeder Europäer (sogar auf seinen Plantagen) den Schnitt seiner Feder an einem eignen Worte prüfet und da der Doktor schon ganze Bogen mit dem Probierlaut »heureusement« als erstem Abdrucke seiner Feder vollgemacht: so wußt' ich sogleich, wie es war.

– Und bei mir saß er; und lachte (sicher mehr über die Krankheithistorie von meiner Schwester als über meine Invaliden-Gestalt) mich solange aus, daß ich, da ich nicht wußte, sollt' ich lachen oder zürnen, am besten eines um das andre tat. – Aber bald kam er in meinen Fall und mußte auch eines um das andre tun – bei einer Historie, die uns, nämlich dem ganzen hypochondrischen Wohlfahrtausschusse, zur Schande gereicht und die ich doch erzähle.

Es befand nämlich ein naher Vetter von mir, Fedderlein genannt, sich auch in der Stube, der beides ein Scheerauer Schuster und Türmer ist; er sorgt für die Stiefel und für die Sicherheit der Stadt und hat mit Leder und Chronologie (wegen des Läutens) zu tun. Mein naher Vetter war kohlschwarz und betrübt, nicht über meine Krankheit, sondern über die seiner Frau, weil sie daran verstorben war. Diesen Krankheit- und Totenfall wollt' er mir und dem Doktor auch hinterbringen, um den letzten zu belehren und den ersten zu rühren. Es wäre auch gegangen, hätt' er nicht zum Unglück ein Trennmesser meiner Philippine erwischt und damit, während seiner eignen Aufmerksamkeit auf die Todespost, sehr auf den Tisch gehämmert. Ich setzte mirs sogleich vor, es nicht zu leiden. Meine Hand kroch daher – meine Augen hielten seine fest – dem gedachten Hammer näher, um ihn zu hindern.

Aber des Vetters Hand wich ihr höflich aus und klopfte fort. Ich hätte mich gern tief gerührt, denn er kam den letzten Stunden meiner seligen Base immer näher – aber ich konnte meine Ohren vom Messer-Hammerwerk nicht wegbringen. Zum Glück sah ich den kleinen Wutz dort stehen und lieh eiligst dem Klopfer das unglückliche Trennmesser ab und schnitt dem Kinde damit ein paar halbe – Fastnachtbrezeln vor in der Angst.

Nun stand ich gerettet da und hatte selber das Messer. Aber er begann jetzt auf der Klaviatur des Tisches mit den entwaffneten Fingern zu spielen und versah in seiner Novelle seine Frau mit dem heiligen Abendmahl. Ich wollte mich und meine Ohren überwinden; aber da mich teils der innere Krieg, teils meine horchende Aufmerksamkeit auf seine trommelnden Finger, die ich nur mit der größten Mühe vernehmen konnte, gänzlich von meiner guten Base wegzogen, die gewiß eine Frau und Türmerin war wie wenige, so hatt' ichs satt und fing nach seiner orgelnden Qual-Hand, legte sie in Arrest und brach aus: »O mein lieber Herr Vetter Fedderlein!« Er mutmaßte, ich sei gerührt; und wurd' es selber immer mehr, vergaß sich und schnipsete mit den linken, noch arrestfreien Fingern zu stark an den Tisch.

Ich wollte mir wie ein Stoiker auf dieser neuen Unglück-Station von innen heraus helfen und stellte mir während des äußern Schnipsens hinter mir meine gute Base und ihr Totenlager vor: »Und so« (sagt' ich beredt zu mir selber) »liegst du arme Abgeblühte denn drunten und bist steif und unbeweglich und sozusagen tot!« – Er schnipsete jetzo ganz toll. – Ich konnte mir nicht helfen, sondern ich zog auch die linke Hand des Historikers gefänglich ein und drückte sie halb aus Rührung. »Sie können beide denken,« (sagt' er) »wie mir erst war, als fiele der Turm auf mich, da sie einer wie einen Sack auf den Rücken fassen mußte und sie die sieben Treppen so heruntertrug.« – Ich war außer mir, erstlich darüber und zweitens weil ich in meiner Hand die Anstrengung der seinigen zu neuem Schnipsen verspürte; überwältigt sagt' ich: »Ums Himmels willen, mein teurer Herr Vetter, um der guten Seligen willen, wenn Er seinen eignen Vetter lieb hat...«

»Ich will schon aufhören,« sagt' er, »wenn Sie's so angreift.« –

»Nein,«sagt' ich,»schnips' Er mir nur nicht so! – Aber so eine Base bekommen wir beide schwerlich so bald wieder!« Denn ich besann mich nicht mehr.

Und doch besteht das Leben wie ein Miniaturgemälde aus solchen Punkten, aus solchen Augenblicken. Der Stoizismus hält oft die Keule der Stunde, aber nicht den Mückenstachel der Sekunde ab.

Mein Doktor nahm mich ernsthaft (unter dem unbefangnen Fragen meines Vetters:»Wie wollte mein Herr Vetter?«) aus der Stube hinaus und sagte: »Du bist, lieber Jean Paul, mein wahrer Freund, ein Regierungadvokat, eine Maußenbacher Audienza, ein Schriftsteller im lebensbeschreibenden Fache – aber ein Narr bist du doch, ich meine ein Hypochondrist

Abends tat er mir beides dar. O an jenem Abend zogest du mich, guter Fenk, aus dem Rachen und aus den Giftzähnen der Hypochondrie heraus, die ihren beißenden Saft auf alle Minuten sprützen! Deine ganze Apotheke lag auf deiner Zunge! Deine Rezepte waren Satiren und deine Kur Belehrung!

»Setz in deine Biographie,« – fing er an und steckte seine Hände in seinen Muff – »daß es bei dir keine Nachahmung des Herrn Thümmels und seines Doktors und ihres medizinischen Kollegiums ist, das halb aus dem Patienten, halb aus dem Arzte bestand – daß ich dich auch ausfilze; denn ich will es in der Tat tun. – Sag mir, wo hast du bisher deine Vernunft, ja nur deine Einbildkraft gehabt, daß du des Henkers lebendig warest? Antworte mir nicht, daß die Gelehrten hier zu verschiedner Meinung wären – daß Willis die Einbildkraft in die Hirnschwiele verlegte – Posidonius hingegen in die Vorderkammer, wie auch Aetius – und Glaser ins eiförmige Zentrum. Die Sach' ist nur eine lebhafte Redensart; weil du mich aber damit irre machst: so will ich dich anders angreifen. Sag mir – oder sagen Sie mir, liebe Philippine, wie konnten Sie zulassen, daß der Patient bisher so viel erhabne, rührende und poetische Empfindungen hatte und niederschrieb für andre Menschen? Hätten Sie ihm nicht das Dintenfaß oder den Kaffeetopf umwerfen können oder den ganzen Schreibtisch? Die Anstrengung der empfindenden Phantasie ist unter allen geistigen die entnervendste; ein Algebraist überlebt allemal einen Tragödiensteller.«

»Und auch«, sagt' ich, »einen Physiologen: Hallers verdammte und doch vortreffliche Physiologie hätte mich beinahe niedergearbeitet, die acht Bände hier.« – –

»Eben darum,« – fuhr er fort – »diese anatomische Oktapla spannt die Phantasie, die sonst nur über fließende poetische Auen zu schweben pflegte, auf scharf abgeschnittene und noch dazu kleine Gegenstände an; daher...«

»Zum Glück« – unterbrach ich ihn –»richtete ich mich und meine Phantasie ziemlich durch braunes BierDa keine Leser weniger Ernst verstehen als die, die keinen Spaß verstehen: so merk' ich für diese Klasse hier unten an, daß die Sache oben wirklich so ist und daß ich (als gleich unmäßiger Wasser- und Kaffeetrinker) kein andres nervenstärkendes Mittel gegen aussetzenden Puls und Atem und andre Schwächen, die mir alle innere Anstrengung verbitterten, von solcher Wirkung fand als – Hopfen-Bier. wieder auf, das ich (wenn ich Atem holen wollte) so lange nehmen mußte, als ich über dem Herrn von Haller saß. In diesem Vehikel und in dieser Verdünnung bracht' ich diese Arznei des Geistes, die Physiologie, leichter hinein. Ich kann also, wenn ich nicht der größte Trinker werden will, unmöglich der größte Physiolog werden.«

»Es ist gut,« – sagt' er ungeduldig und zog aus seinem Muff den Schwanz heraus – »aber so wird nichts. Ich und du stehen hier in lauter Ausschweif-Reden, anstatt in vernünftigen Paragraphen; die Rezensenten deiner Biographie müssen glauben, ich wäre wenig systematisch.

Ich will jetzt reden wie ein Buch oder wie eine Doktordisputation; ich sollte ohnehin eine für einen Doktoranden mit der Doktorsucht schreiben und wollte darin entweder den nervus ischiaticus oder den nervus sympatheticus durchgehen; ich wills bleiben lassen und hier und in der Disputation von schwachen Nerven überhaupt reden.

Jeder Arzt muß eine Favorit-Krankheit haben, die er öfters sieht als eine andre – die meinige ist Nervenschwäche. Reizbare, schwache, überspannte Nerven, hysterische Umstände und deine Hypochondrie – sind viele Taufnamen meiner einzigen Lieblingkrankheit.

Man kann sie so zeitig wie den Erbadel bekommen – der Erbadel selber, fast die höhern Weiber und höchsten Kinder haben sie aus dieser ersten Hand – dann kann sie durch alle Doktor-Hüte gleich den ewigen Höllenstrafen nicht weggenommen, sondern nur gelindert werden.

Du aber hast sie dir wie den Kaufadel durch Verdienste erworben.« – –

»Sie ist vielmehr selber ein Verdienst,« – sagt' ich – »und ein Hypochondrist ist der Milchbruder eines Gelehrten, wenn er nicht gar selber dieser ist; so wie die Blattern, die den Affen so gut wie uns befallen, auf seine Verwandtschaft mit dem Menschen das Siegel drücken.« –

»Aber dein Verdienst« – fuhr er fort – »ist viel leichter zu kurieren. Wenn man dir dreierlei, nämlich deine pathologischen Fieberbilder – deine Arzneigläser – und deine Bücher nimmt: so wird die Krankheit mit dreingegeben. Ich vergesse immerfort, daß ich wie eine Disputation reden will. Also die Fieberbilder! – Die jämmerlichste Semiotik ist sicherlich nicht die sinesische, sondern die hypochondrische. Deine Krankheit und eine stoische Tugend gleichen sich darin, daß, wer eine hat, alle hat. Du standest als eine tragende Pfänderstatue da, der die Pathologie alle ihre Insignien und Schilde aufpackte und umsteckte – jämmerlich schrittest du herum unter deinem medizinischen Gewehrtragen und deiner semiotischen Landfracht von Herzpolypus, mazerierten Lungenflügel, Magen-Insassen u. s. w.«

»Ah!« versetzte ich, »alles ist abgeladen, und ich trage bloß noch auf der Gehirnkugel ein Kapillar- oder Haarnetz von geschwollnen Blutadern, oder so eine Art Täucherkappe des Todes, welche die Leute sehr gemein einen Schlagfluß benamsen.«


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