Jean Paul
Die unsichtbare Loge
Jean Paul

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Achtunddreißigster oder Neujahr-Sektor

Nachtmusik – Abschiedbrief – mein Zanken und Kranken

Ich hatte auf heute vor, Spaß zu machen, meine Biographie einen gedruckten Neujahrwunsch an den Leser zu nennen und statt der Wünsche scherzhafte Neujahr-Flüche zu tun und dergleichen mehr. Aber ich kann nicht und werd' es überhaupt bald gar nicht mehr können. Welches plumpe ausgebrannte Herz müssen die Menschen haben, welche im Angesichte des ersten Tages, der sie unter 364 andre gebückte, ernste, klagende und zerrinnende hineinführet, die tobende schreiende Freude der Tiere dem weichen stillen und ans Weinen grenzenden Vergnügen des Menschen vorzuziehen imstande sind! Ihr müsset nicht wissen, was die Wörter »erster« und »letzter« sagen, wenn ihr nicht darüber, sie mögen einem Tage oder einem Buche oder einem Menschen gegeben werden, tiefern Atem zieht; ihr müsset noch weniger wissen, was der Mensch vor dem Tiere voraushat, wenn in euch der Zwischenraum zwischen Freude und Sehnsucht so groß ist und wenn nicht beide in euch eine Träne vereinigt! – Du Himmel und Erde, eure jetzige Gestalt ist ein Bild (wie eine Mutter) einer solchen Vereinigung: die in unser frierendes Auge tröstend hineinblickende Lichtwelt, die Sonne, verwandelt den blauen Äther um sich in eine blaue Nacht, die sich über den blitzenden Grund der beschneiten Erde noch tiefer schattiert, und der Mensch sieht sehnend an seinem Himmel eine herübergezogene Nacht und eine Licht-Ritze: die tiefe Öffnung und Straße gegen hellere Welten hin....

Die vergangne Nacht führt noch meine Feder. Es ist nämlich in Auenthal wie an vielen Orten Sitte, daß in der letzten feierlichen Nacht des Jahrs auf dem Turm aus Waldhörnern gleichsam ein Nachhall der verklungnen Tage oder eine Leichenmusik des umgesunknen Jahrs ertönt. Als ich meinen guten Wutz nebst einigen Gehülfen in der untern Stube einiges Geräusch und einige Probe-Töne machen hörte, stand ich auf und ging mit meiner längst wachen Schwester ans enge Fenster. In der stillen Nacht hörte man den Hinauftritt der Leute auf den Turm. Über unser Fenster lag jener Balken, unter dem man in prophetischen Nächten hinaushorchen muß, um die Wolkengestalten der Zukunft zu sehen und zu hören. Und wahrhaftig, ich sah im eigentlichen Sinn, was der Aberglaube sehen will – ich sah wie er Särge auf Dächern und Leichengefolge an der einen Türe und Hochzeitgäste und Brautkranz an der andern, und das Menschen-Jahr zog durch das Dorf und hielt an seiner rechten Mutterbrust die kleinen Freuden, die mit dem Menschen spielen, und an seiner linken die Schmerzen, die ihn anbellen; es wollte beide nähren, aber sie fielen sterbend ab, und sooft ein Schmerz oder eine Freude abwelkte, so oft schlug einer von den zwei Klöppeln zum Zeichen an die Turmglocken an.... Ich sah nach dem weißen Wald hinüber, hinter welchem die Wohnungen meiner Freunde liegen. O junges Jahr, sagt' ich, zieh zu meinen Freunden hin und leg ihnen in ihre Arme die Freuden aus deinen und nimm die zurückgebliebnen zähen Schmerzen des alten mit, die nicht sterben wollen! Geh in alle vier Weltstraßen und verteile die Säuglinge deiner rechten Brust und mir lasse nur einen – die Gesundheit! – –

Die Töne des Turms verströmten in die weite mondlose Nacht hin, die ein großer, mit Sternblüten übersäeter Wipfel war. Bist du glücklich oder unglücklich, kleiner Schulmeister Wutz, daß du auf deinem Turm der weißen Mauer und einem weißen Stein des Auenthaler Gottesackers entgegen stehest und doch nicht daran denkest, wen Mauer und Stein verschließen, denselben nämlich, der sonst an deinem Platze in dieser Stille auch wie du das neue Jahr begrüßte, deinen Vater, der wieder ebenso ruhig wie du über die verwesenden Ohren des seinigen hinüberblies?... Ruhiger bist du freilich, der du am neuen Jahre an kein anderes Abnehmen als an das der Nächte denkst; aber lieber ist mir meine Philippine, die hier neben mir ihr Leben von neuem überlebt und gewiß ernsthafter als das erstemal, und in deren Brust das Herz nicht bloß Frauenzimmer-Arbeit tut, sondern auch zuweilen zum Gefühl anschwillt, wie wenig der Mensch ist, wie viel er wird und wie sehr die Erde eine Kirchhof-Mauer und der Mensch der verpuffende Salpeter ist, der an dieser Mauer anschießet! Gute weinende Schwester, in dieser Minute fragt dein Bruder nichts darnach, daß du morgen – nicht viel darnach fragest; in dieser Minute verzeihet er dirs und deinem ganzen Geschlechte, daß eure Herzen so oft Edelsteinen gleichen, in denen die schönsten Farben und eine – Mücke oder ein Moos nebeneinander wohnen; denn was kann der Mensch, der dieses verwitternde Leben und seine verwitternden Menschen besieht und beseufzet, mitten in diesem Gefühle Bessers tun, als sie recht herzlich lieben, recht dulden, recht... Laß dich umarmen, Philippine, und wenn ich einmal dir nicht verzeihen will, so erinnere mich an diese Umarmung!...

Meine Lebensbeschreibung sollte jetzo weiterrücken; aber ich kann meinen Kopf und meine Hand unmöglich dazu leihen, wenn ich nicht auf der Stelle mich aus der gelehrten Welt in die zweite schreiben will. Es ist besser, wenn ich bloß den Setzer dieser Geschichte mache und den schmerzhaften Brief abschreibe, den Gustav seiner verscherzten Freundin schickte.

 

»Treue tugendhafte Seele! Die jetzige dunkle Minute, die nur ich verdienet habe, aber nicht du, quäle dich nicht lange und verziehe sich bald! O! zum Glück kannst du doch nicht mein Auge, nicht meinen von Schmerzen zitternden Mund und mein zertrümmertes Herz erblicken, womit ich nun allen meinen schönen Tagen ein Ende mache. – Wenn du mich hier schreiben sähest: so würde die weichste Seele, die noch auf der Erde getröstet hat, sich zwischen mich und meinen schlagenden Kummer stellen und mich bedecken wollen; sie würde mich heilend anblicken und fragen, was mich quäle.... Ach, gutes treues Herz! frage mich es nicht; ich müßte antworten: meine Qual, meine unsterbliche Folter, meine Vipern-Wunde heißet verlorne Unschuld.... Dann würde sich deine ewige Unschuld erschrocken wenden und mich nicht trösten; ich würde einsam liegen bleiben, und der Schmerz stände aufrecht mit der Geißel bei mir; ach ich würde nicht einmal das Haupt aufheben, um allen guten Stunden, die sich in deiner Gestalt von mir wegbegeben, verlassen nachzusehen. – Ach es ist schon so, und du bist ja schon gegangen! – Amandus! trennt dich der Himmel ganz von mir, und kannst du, der du mir die Lilien-Hand Beatens gegeben, nicht meine befleckte sehen, die nicht mehr für die reinste gehört? – Ach, wenn du noch lebtest, so hätt' ich ja dich auch verloren.... O daß es doch Stunden hienieden geben kann, die den vollen Freudenbecher des ganzen Lebens tragen und ihn mit einem Fall zersplittern und die Labung aller, aller Jahre verschütten dürfen!

Beata! nun gehen wir auseinander; du verdienst ein treueres Herz, als meines war, ich verdiente deines nicht – ich habe nichts mehr, was du lieben könntest – mein Bild in deinem Herzen muß zerrissen werden – deines steht ewig in meinem fest, aber es sieht mich nicht mehr mit dem Auge der Liebe, sondern mit einem zugesunknen an, das über den Ort weint, wo es steht.... Ach, Beata, ich kann meinen Brief kaum endigen; sobald seine letzte Zeile steht, so sind wir auseinander gerissen und hören uns nie mehr und kennen uns nimmer. – – O Gott! wie wenig hilft die Reue und das Beweinen! Niemand stellet das heiße Herz des Menschen her, wenn nichts in ihm mehr ist als der harte große Kummer, den es, wie ein Vulkan ein Felsenstück, empor- und herauszuwerfen sucht und der immer wieder in den lodernden Kessel zurückstürzt; nichts heilt uns, nichts gibt dem entblätterten Menschen das gefallne Laub wieder; Ottomar behält recht, daß das Leben des Menschen, wie ein Vollmond, über lauter Nächte ziehe...

Ach es muß doch sein! Lebe nur wohl, Freundin! Gustav war der Stunde, die du haben wirst, nicht wert. Dein heiliges Herz, dem er Wunden gegeben, verbinde ein Engel, und im Bande der Freundschaft trage du es still! Meinen letzten freudigen Brief, wo ich mich nicht mit meinem überschwenglichen Glück begnügte, leg in diesen trostlosen, in dem ich nichts mehr habe, und verbrenne sie miteinander! Kein Voreiliger sage dir künftig nach vielen Jahren, daß ich noch lebe, daß ich den langen Schmerz, mit dem ich mein versunknes Glück abbüße, wie Dornen in meine verlassene Brust gedrückt und daß in meinem trüben Lebenstage die Nacht früher komme, die zwischen zwei Welten liegt! Wenn einmal dein Bruder mit einem schöneren Herzen an deines sinkt: so sag es ihm nicht, so sag es dir selber nicht, wer ihm ähnlich sah – und wenn einmal dein Tränen-Auge auf die weiße Pyramide fällt: so wend es ab und vergiß, daß ich dort so glücklich war. – Ach! aber ich vergess' es nicht, ich wende das Auge nicht ab, und könnte der Mensch sterben an der Erinnerung, ich ginge zu Amandus' Grabe und stürbe – Beata, Beata, an keiner Menschenbrust wirst du stärkere Liebe finden, als meine war, wiewohl stärkere Tugend leicht – aber wenn du einmal diese Tugend gefunden hast, so erinnere dich meiner nicht, meines Falles nicht, bereue unsre kurze Liebe nicht und tue dem, der einmal unter dem Sternen-Himmel an deiner edlen Seele lag, nicht unrecht.... O du meine, meine Beata! in der jetzigen Minute gehörest du ja noch mir zu, weil du mich noch nicht kennest; in der jetzigen Minute darf noch mein Geist, mit der Hand auf seinen Wunden und Flecken, vor deinen treten und um ihn fallen und mit erstickten Seufzern zu dir sagen: liebe mich!... Nach dieser Minute nicht mehr – – nach dieser Minute bin ich allein und ohne Liebe und ohne Trost – das lange Leben liegt weit und leer vor mir hin, und du bist nicht darin – – – aber dieses Menschen-Leben und seine Fehltritte werden vorübergehen, der Tod wird mir seine Hand geben und mich wegführen – die Tage jenseits der Erde werden mich heiligen für die Tugend und dich – – – dann komm, Beata, dann wird dir, wenn dich ein Engel durch dein irdisches Abendrot in die zweite Welt getragen, dann wird dir ein hienieden gebrochnes, dort geheiligtes Herz zuerst entgegengehen und an dich sinken und doch nicht an seiner Wonne sterben, und ich werde wieder sagen: ›Nimm mich wieder, geliebte Seele, auch ich bin selig‹ – alle irdischen Wunden werden verschwinden, der Zirkel der Ewigkeit wird uns umfassen und verbinden!... Ach, wir müssen uns ja erst trennen, und dieses Leben währet noch – – lebe länger als ich, weine weniger als ich und – vergiß mich doch nicht gänzlich. – Ach hast du mich denn sehr geliebt, du Teure, du Verscherzte?...

Gustav F.«

*

Abends unter dem Zusiegeln des Briefs fuhr Beata zum Schloß-Tor hinein. Als er ihre Lichtgestalt, die bald mit so vielen Tränen sollte bedeckt werden, heraussteigen sah: prallte er zurück, schrieb die Aufschrift, ging zu Bette und zog die Vorhänge zu, um recht sanft – zu weinen. Dem Romanen-Steinmetz Oefel eilte er vorzüglich aus dem Wege, weil seine Mienen und Laute nichts als unedle Triumphe seines weissagenden Blickes waren; und sogar Gustavs Niedergeschlagenheit rechnete er noch unedler zu seinen Triumphen....

Im Grunde wollt' ich, der Henker holte alle Weltteile und sich dazu; denn mich hat er halb. Wenige wissen, daß er mich diese Biographie nicht zu Ende führen lässet. Ich bin nun überzeugt, daß ich nicht am Schlage (wie ich mir neulich unter meinem gefrornen Kopfzeug einbildete) noch an der Lungensucht (welches eine wahre Grille war) sterben kann; aber bürgt mir dieses dafür, daß ich nicht an einem Herzpolypen scheitern werde, wofür alle menschliche Wahrscheinlichkeit ist? – Zum Glück bin ich nicht so hartnäckig wie Musäus in Weimar, der das Dasein des seinigen, den er so gut wie ich den meinigen mit kaltem Kaffee groß geätzet, nicht eher glaubte, als bis der Polype sein schönes Herz verstopft und ihm alle Wiegenfeste und alle Wünsche für die seiner Gattin genommen hatte. Ich sage, ich merke besser auf Vorboten von Herzpolypen: ich verberge mir es nicht, was hinter dem aussetzenden Pulse steckt, nämlich eben ein wirklicher Herzpolype, der Zündpfropf des Todes. Die fatale literarische Ferne, der Rezensenten-Bund, schleicht mit Stricken um uns gutwillige Narren herum, die wir schreiben und gleich Schmetterlingen an der Umarmung der Musen sterben – aber keine Kreuzer-Piece, nicht eine Zeile sollten wir edieren für solche gewissenlose Stoßvögel: wer dankt mirs, daß ich Szenen aufstelle, die den Prospektmaler beinahe umbringen, und biographische Seiten schreibe, die auf mich nicht viel besser wirken als vergiftete Briefe? Wer weiß es – nach Scheerau komm' ich jetzo selten – als meine Schwester, daß ich in diesem biographischen Lustschloß, das mein Mausoleum werden wird, oft Zimmer und Wände übermale, die mir Puls und Atem dergestalt benehmen, daß man mich einmal tot neben meiner Malerei liegen finden muß? Muß ich nicht, wenn ich so in die Schlagweite des Todes gerate, aufspringen, durch die Stube zirkulieren und mitten in den zärtlichsten oder erhabensten Stellen abschnappen und die Stiefel an meinen Beinen wichsen, oder Hut und Hosen auskehren, damit es mir nur den Atem nicht versetzt, und doch wieder mich daran machen und so auf eine verdammte Art zwischen Empfindsamkeit und Stiefelwichsen wechseln? – Ihr verdammten Kunstrichter allzumal!

Dazu gesellen sich noch tausend Plackereien, die mich seit einiger Zeit viel öfter zwicken, weil sie etwa merken, daß der Polype mir bald den Garaus versetzen und sie mich nicht lange mehr haben werden. Meinen Maußenbacher Hummer, der mich immer zwischen seine gerichtherrlichen Scheren nimmt und der glaubt, ein armer Gerichthalter müsse an nichts anderm sterben als an Arbeiten ex officio, diesen ägyptischen Fronvogt will ich überspringen; auch meine Schwester und Wutzen unter mir, die beide wider alles Maß lustig sind und mich fast tot singen. Aber was mich drückt, ist der Druck der Untertanen, das metallene Druckwerk, das man unsern Fürsten nennt.

Ich hätte mich beinahe neulich in einer Exzeptionschrift in einen ehrenvollen Festungarrest hineingeschrieben. Hier aber auf dem biographischen Papiere kann ich schon eher meine Orangen ohne Karzer-Gefahr an den gekrönten Kopf werfen. Pfui! bist du darum Fürst, um eine Wasserhose zu sein, die alles, worüber sie rückt, in ihren Krater hinaufschlingt? Und wenn du uns einmal bestehlen willst, tu es mit keinen andern Händen als mit deinen eignen, fahre terminierend vor allen Häusern durch das Land und erhebe selber die ordentlichen Steuern in deinen Wagen: aber so wie bisher, langen unsre Abgaben nach dem Transitozoll, den sie den Händen aller deiner Kassenbedienten geben müssen, so mager wie weitgereisete Heringe oben in deiner Schatulle an, daß du im Grunde von beschwerlichen Summen nicht mehr bekommst als bequeme Logarithmen. Die Fürsten haben, wie die ostindischen Krebse, eine Riesen-Schere zum Nehmen, und eine Zwerg-Schere, den Fang an den Mund zu bringen.

Und so ist die ganze Hauptstadt, wo jeder sich für regierendes Mitglied ansieht und doch jeder darüber schreiet, daß der andre sich ins Regieren mengt und daß die Kinder unter den Hermelin wie unter den väterlichen Schlafrock kriechen und vereinigt den Vater nachmachen – wo die Paläste der Großen aus Höllensteinen gemauert sind, die wie aussätzige Häuser kleinere zernagen – wo der Minister den Fürsten auf seiner unempfindlichen Hand, wie der Falkonier den Falken auf der beschuhten, trägt – wo man die Laster des Volks für die Renten ihrer Obern ansieht und alles moralische Aas, wie die Bienen ihr physisches, bloß mit Wachs umklebt, anstatt es aus dem Bienenkorb zu tragen, d. h. wo die Polizei die Moral ersetzen will – wo, wie an einem jeden Hofe, eine moralische Figur so unausstehlich und so steif gefunden wird als in der Malerei eine geometrische – wo der Teufel völlig los und der heilige Geist in der Wüste ist und wo man Leuten, die in Auenthal oder sonst krumme Sonden in den Händen halten und damit die fremden Körper und Splitter aus den Wunden des Staates heben wollen, ins Gesicht sagt: sie wären nicht recht gescheit....

Ich wollt', es wär' wahr: so wär' ich wenigstens recht gesund. Nach einem solchen Klumpen von Ich, woraus ein Staatskörper wie aus Monaden besteht, ist das meinige zu winzig, um vorgenommen und besehen zu werden. Sonst könnt' ich jetzo nach den Besorgnissen um den Staat die um mich selber erzählen.

– Und doch will ich dem Leser meine Qualen oder Sieben Worte am Kreuze sagen, wiewohl er selber mich an das Kreuz, unter welchem er mich bedauern will, hat schlagen helfen. Im Grunde fragt kein Teufel viel nach meinem Siechtum. Ich sitze hier und stelle mir aus unvergoltener Liebe zum Leser den ganzen Tag vor, daß Feuer kann geschrien werden, das gleich einem Autodafé alle meine biographischen Papiere in Asche legt und vielleicht auch den Verfasser. – Ich stelle mir ferner vor und martere mich, daß dieses Buch auf dem Postwagen oder in der Druckerei so verdorben werden kann, daß das Publikum um das ganze Werk so gut wie gebracht ist, und daß es auch nach dem Druck in ein Herzhaus und eine Marterkammer geraten kann, wo ein kritischer Brotherr und Kunstrichter-Ordengeneral seine Rezensenten mit ihren langen Zähnen sitzen hat, die meiner zarten Beata und ihrem Amanten Fleisch und Kleider abreißen und deren Stube jener Stube voll Spinnen gleicht, die ein gewisser Pariser hielt und die bei seinem Eintritt allemal auf seine ausgezognen blutigen Taubenfedern zum Saugen von der Decke niederfuhren und aus deren Fabrikaten er mit Mühe jährlich einen seidnen Strumpf erzielte.... Alle diese Martern tu' ich mir selber an, bloß des Lesers wegen, der am meisten verlöre, wenn er mich nicht zu lesen bekäme; aber es ist diesem harten Menschen einerlei, was die ausstehen, die ihn ergötzen. – Hab' ich endlich meine Hand von diesen Nägeln des Kreuzes losgemacht: so ekelt mich das Leben selber an als ein so elendes langweiliges Ding von Monochord, daß jedem Angst werden muß, ders ausrechnet, wie oft er noch Atem holen und die Brust auf- und niederheben muß, bis sie erstarret, oder wie oft er sich bis zu seinem Tode noch auf den Stiefelknecht oder vor den Rasierspiegel werde heben müssen. – – Ich betrachte oft die größte Armseligkeit im ganzen Leben, welche die wäre, wenn einer alle in dasselbe zerstreuet umhergesäete Rasuren, Frisuren, Ankleidungen, Sedes hintereinander abtun müßte. – Der dunkelste Nachtgedanke, der sich über meine etwa noch grünenden Prospekte lagert, ist der, daß der Tod in diesem nächtlichen Leben, wo das Dasein und die Freunde wie weit abgeteilte Lichter im finstern Bergwerk gehen, mir meine teure Geliebten aus den ohnmächtigen Händen ziehe und auf immer in verschüttete Särge einsperre, zu denen kein Sterblicher, sondern bloß die größte und unsichtbarste Hand den Schlüssel hat.... Hast du mir denn nicht schon so viel weggerissen? Würd' ich von Kummer oder von Eitelkeit des Lebens reden, wenn der bunte Jugend-Kreis noch nicht zerstückt, wenn das Farbenband der Freundschaft, das die Erde und ihren Schmelz noch an den Menschen heftet, noch nicht voneinander gesägt wäre bis auf ein oder zwei Fäden? – O du, den ich jetzo aus einer weiten Entfernung weinen höre, du bist nicht unglücklich, an dessen Brust ein geliebtes Herz erkaltet ist, sondern du bists, der ists, der an das verwesende denkt, wenn er sich über die Liebe des lebendigen Freundes freuen will, und der in der seligsten Umarmung sich fragt: »Wie lange werden wir einander noch fühlen?«...


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