Jean Paul
Die unsichtbare Loge
Jean Paul

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»So hab' ich Sie« – sagt' er mit einer verbindlichen Verwunderung – »heute den ganzen Abend in meinem Kopfe abgemalt gesehen; meine Phantasie hat Ihnen nichts genommen, außer die Gegenwart. – Wenn das Schicksal mit sich reden ließe: so hätt' ich auf dem ganzen Ball mit ihm gezankt, daß es gerade der Person, die uns heute so viel Vergnügen gab, das ihrige nahm.«

»O«- sagte sie – »das gute Schicksal gab mir heute mehr Vergnügen, als ich geben konnte.« Obgleich der Fürst unter die Personen gehört, mit denen man über nichts sprechen mag: so sagte sie dieses doch mit Empfindung, die aber nichts als ein Dank ans Schicksal für die vorherige frohe Lese-Stunde war.

»Sie sind« (sagt' er mit einer feinen Miene, die einen andern Sinn in Beatens Rede legen sollte) »ein wenig Egoistin. – Das ist Ihr Talent nicht – Ihres muß sein, nicht allein zu sein. Sie verbargen bisher Ihr Gesicht wie Ihr Herz; glauben Sie, daß an meinem Hofe niemand wert ist, beide zu bewundern und zu sehen?« – Für Beata, die glaubte, sie hätte nicht nötig bescheiden zu sein, sondern demütig, war ein solches Lob so groß, daß sie gar nicht daran dachte, es zu widerlegen. Sein Blick sah nach einer Antwort; aber sie gab ihm überhaupt so selten als möglich eine, weil jeder Schritt die alte Schlinge mit in die neue trägt. Er hatte ihre Hand anfangs mit der Miene gesucht, womit man sie einem Kranken nimmt: sie hatte sie ihm gleichgültig gelassen; aber wie einen toten Handschuh hatte sie ihre in seine gebettet – alle seine Gefühlspitzen konnten nicht das geringste Regsame an ihr aushorchen; sie zog sie weder langsam noch hurtig bei der nächsten Erweiterung aus der rostigen Scheide heraus.

Der Tanz, der Tag, die Nacht, die Stille gaben seinen Worten heute mehr Feuer, als sonst darin lag. »Die Lose« – sagt' er und spielte pikiert mit einer Münze der Westentasche, um die geflohene Hand zu ersetzen –»sind unglücklich gefallen. Die Personen, die das Talent haben, Empfindungen einzuflößen, haben zum Unglück oft das feindselige, selber keine zu erwidern.« Er heftete seinen Blick plötzlich auf ihre Hemdnadel, an der eine Perle und das Wort »l'amitié« glänzte; er sah wieder auf seine bolognesische Münze, auf der wie auf allen bolognesischen das Wort »libertas« (Freiheit) stand. »Sie gehen mit der Freundschaft wie Bologna mit der Freiheit um – beide tragen das als Legende, was sie nicht haben.« – Die edleren Menschen können die Worte »Freundschaft, Empfindung, Tugend« auch von den unedelsten nicht hören, ohne bei diesen Worten das Große zu denken, wozu ihr Herz fähig ist. Beata bedeckte einen Seufzer mit ihrer steigenden Brust, der es nur gar zu deutlich sagen wollte, was Empfindung und Freundschaft ihr für Freuden und für Schmerzen gäben; aber den Fürsten ging er nichts an.

Sein haschender Blick, den er nicht seinem Geschlecht, sondern seinem Stande verdankte, erwischte den Seufzer, den er nicht hörte. Er machte auf einmal wider die Natur der Appellation und der Natur einen dialogischen Sprung: »Verstehen Sie mich nicht?« sagt' er mit einem Tone voll hoffender Ehrerbietung. Sie sagte kälter, als der Seufzer versprach, sie könne heute mit ihrem kranken Kopfe nichts tun, als ihn auf den – Arm stützen, und bloß der mache ihr es schwer, die Ehrfurcht einer Untertanin und die Verschiedenheit ihrer Meinungen von den seinigen mit gleicher Stärke auszudrücken. – Gleich Raubtieren haschte er, wenn Schleichen zu nichts führte, durch Sprünge. »O doch!« (sagt' er und machte Henris Liebeerklärung zur seinigen) »Marie! ich bin ja Ihr Bruder nicht.« Eine Frau gewinnt, wenn sie zu lange gewisse Erklärungen nicht verstehen will, nichts als – die deutlichsten. Er lag noch dazu in Henris Attitüde vor ihr. »Erlassen Sie mir«, antwortete sie, »die Wahl, es für Scherz oder für Ernst zu halten – außer dem Theater bin ich unfähiger, den Rosen-Preis zu verdienen oder zu vernachlässigen; aber Sie sinds, die Sie ihn überall bloß geben müssen.« – »Wem aber?« (sagt' er, und man sieht daraus, daß gegen solche Leute keine Gründe helfen) – »ich vergesse über die Schönen alle Häßlichen und über die Schönste alle Schönen – ich gebe Ihnen den Preis der Tugend, geben Sie mir den der Empfindung – oder darf ich mir ihn geben?« und hastig zuckten seine Lippen nach ihren Wangen, auf denen bisher mehr Tränen als Küsse waren; allein sie wich ihm mit einem kalten Erstaunen, das er an allen Weibern wärmer gefunden hatte, weder um einen Zoll zu viel noch zu wenig aus und reichte bei ihm in einem Tone, in dem man zugleich die Ehrfurcht einer Untertanin, die Ruhe einer Tugendhaften und die Kälte einer Unerbittlichen fand, kurz in einem Tone, als hätte ihre Bitte mit dem Vorgegangnen gar keine Verbindung, auf diese Art reichte sie ihre untertänige Supplik ein, er möchte allergnädigst sich, da ihr der Doktor gesagt hätte, sie könne heute nichts Schlimmers tun als wachen, sich – wie ich mich ausgedrückt haben würde – zum Henker scheren. Eh' er so weit ging: badinierte er noch einige Minuten, kam darüber beinahe wieder in den alten Ton, legte seine Inhäsiv-Pro-Reprotestationen ein und zog ab.

Nichts als die Ruhe, die sie aus den Händen der Tugend und der – Liebe und des Gustavischen Briefes hatte, gab ihr das Glück, daß dieser Jakob oder Jack sich an diesem Engel eine Hüfte ausrenkte; – was freilich den matten Jaques um so mehr verdroß, je mehr der Engel sich unter dem Ringen verschönerte, da jede weibliche Unruhe bekanntlich ein augenblickliches Schmink- und Schönheitmittel wird.

In euerem ganzen Leben, Gustav und Beata, schluget ihr eure Augen nie mit so verschiednem Gefühl vor einem Morgen auf als an dem, wo sich Beata nichts und Gustav alles vorzuwerfen hatte. Über den ganzen versunkenen Frühling seines Lebens schlichtete sich ein langer Winter; er hatte außer sich keine Freude, in sich keinen Trost und vor sich statt der Hoffnung Reue.

Er riß sich mit so vieler Schonung, als seine Verzweiflung zuließ, von den Gegenständen seines Jammers los und jagte sein sprudelndes Blut nach Auenthal zu Wutz – in meine Stube. Ich sah an nichts mehr, daß er noch Gefühl und Leben hatte, als am Gewitterregen seiner Augen. – Er fing vergeblich an; unter Blut, Ideen und Tränen sanken seine Worte unter – endlich wandte er sich, hochaufglühend, von mir gegen das Fenster und erzählte mir, auf einen Ort blickend, seinen Fall, den er von sich selbst herunter getan. – Darauf, um sich an sich selber durch seine Beschämung zu rächen, ließ er sich ansehen, hielt es aber nicht länger aus, als bis er zum Namen Beata kam: hier, wo er mich zum ersten Male vor den gewichnen Blumengarten seiner ersten Liebe führte, mußt' er sich das Gesicht zuhüllen und sagte: »O ich war gar zu glücklich und bin gar zu unglücklich.«

Die Täuschung der Residentin, welche ihn für den Bruder Beatens gehalten, konnt' ich ihm leicht aus der Ähnlichkeit der Bildnisse von ihm und dem ersten Sohne ihrer Mutter erklären. – Zuerst sucht' ich ihm den wichtigsten Kredit wieder zu geben – den, den man bei sich selber finden muß: wer sich keine moralische Stärke zutrauet, büßet sie am Ende wirklich ein. Sein Fall kam bloß von seiner neuen Lage; an einer Versuchung ist nichts so gefährlich als ihre Neuheit; die Menschen und die Pendul-Uhren gehen bloß in einerlei Temperatur am richtigsten. – Übrigens bitt' ich die Romanenschreiber, die es noch leichter finden, als das Gefühl und die Erfahrung es bestätigen, daß zwei ganz reine seelenvolle Seelen ihre Liebe in einen Fall verwandeln, nicht meinen Helden zum Beweise zu nehmen; denn hier mangelte die zweite reine Seele; hingegen die Vereinigung aller Farben von zwei schönen Seelen (Gustavs und Beatens) wird immer nur die weiße der Unschuld geben.

Sein Entschluß war der, von Beaten sich auf immer in einem Briefe abzureißen – das Schloß mit allen Gegenständen, die ihn an seine schönen Tage oder an seinen unglücklichen erinnerten, zu verlassen – den Winter bei seinen Eltern, die ihn allemal in der Stadt zubrachten, zu verleben oder zu verseufzen und dann im Sommer mit Oefel die Karten zum Spiel des Lebens von neuem zu mischen, um zu sehen, was es noch, wenn die Seelenruhe verloren ist, zu gewinnen oder einzubüßen gäbe.... Schöner Unglücklicher! warum legt gerade jetzt deine gegenwärtige Geschichte, da ich mit ihr meine geschriebne zusammenführen könnte, Flöre um? Warum fallen gerade deine kurzen trüben Tage in die kurzen trüben des Kalenders hinein? O in diesem Trauer-Winter wird mich keine Himmelleiter des Enthusiasmus mehr in die Höhe richten, um die Blüten-Landschaft deines Lebens zu überschauen und abzuzeichnen, und ich werde wenig von dir schreiben, um dich öfter in meine Arme zu nehmen!

Und ihr entsetzlichen Seelen, die ihr einen Fehltritt, an dem Gustav sterben will, unter eure Vorzüge und eure Freuden rechnet, die ihr die Unschuld nicht, wie er, selber verliert, sondern fremde mordet, darf ich ihn durch eure Nachbarschaft auf dem Papier besudeln? – Was werdet ihr noch aus unserem Jahrhundert machen? – Ihr gekrönten, gestirnten, turnierfähigen, infulierten Hämlinge! Davon ist die Rede nicht und ich hab' es nie getadelt, daß ihr aus euren Ständen die sogenannte Tugend (d. h. den Schein davon), die ein so spröder Zusatz in euren weiblichen Metallen ist, mit so viel Glasfeuer, als ihr zusammenbringen könnt, herausbrennt und niederschlagt – denn in euren Ständen hat Verführung keinen Namen mehr, keine Bedeutung, keine schlimme Folgen, und ihr schadet da wenig oder nicht – aber in unsere mittleren Stände, auf unsere Lämmer schießet, ihr Greif- und Lämmergeier, nicht herab! Bei uns seid ihr noch eine Epidemie (ich falle, wie ihr, in eine Vermischung, aber nur der Metaphern), die mehr wegreißet, weil sie neuer ist. Raubet und tötet da lieber alles andre als eine weibliche Tugend! – Nur in einem Jahrhundert wie unsers, wo man alle schönen Gefühle stärkt, nur das der Ehre nicht, kann man die weibliche, die bloß in Keuschheit besteht, mit Füßen treten und wie der Wilde einen Baum auf immer umhauen, um ihm seine ersten und letzten Früchte zu nehmen. Der Raub einer weiblichen Ehre ist so viel als der Raub einer männlichen, d. h. du zerschlägst das Wappen eines höhern Adels, zerknickst den Degen, nimmst die Sporen ab, zerreißest den Adelbrief und Stammbaum; das, was der Scharfrichter am Manne tut, vollstreckest du an einem armen Geschöpfe, das diesen Henker liebt und bloß seine unverhältnismäßige Phantasie nicht bändigen kann. Abscheulich! – Und solcher Opfer, welche die männlichen Hände mit einem ewigen Halseisen an die Unehre befestigt haben, stehen in den Gassen Wiens zweitausend, in den Gassen von Paris dreißigtausend, in den Gassen von London funfzigtausend. – – Entsetzlich! Todes-Engel der Rache! zähle die Tränen nicht, die unser Geschlecht aus dem weiblichen Auge ausdrückt und brennend aufs schwache weibliche Herz rinnen läßt! Miß die Seufzer und die Qualen nicht, unter denen die Freuden-Mädchen verscheiden und an denen den eisernen Freuden-Mann nichts dauert, als daß er sich an ein andres Bett, das kein Sterbebette ist, begeben muß!

Sanftes, treues, aber schwaches Geschlecht! Warum sind alle Kräfte deiner Seele so glänzend und groß, daß deine Besonnenheit zu bleich und klein dagegen ist? Warum beweget sich in deinem Herzen eine angeborne Achtung für ein Geschlecht, das die deinige nicht schont? Je mehr ihr eure Seelen schmücket, je mehr Grazien ihr aus euren Gliedern machet, je mehr Liebe in eurem Herzen wallet und durch eure Augen bricht, je mehr ihr euch zu Engeln umzaubert: desto mehr suchen wir diese Engel aus ihrem Himmel zu werfen, und gerade im Jahrhundert eurer Verschönerung vereinigen sich alle, Schriftsteller, Künstler und Große, zu einem Wald von Giftbäumen, unter denen ihr sterben sollt, und wir schätzen einander nach den meisten Brunnen- und Kelchvergiftungen für eure Lippen!


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