Jean Paul
Die unsichtbare Loge
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Extrablatt

Strohkranzrede eines Konsistorialsekretärs, worin er und sie beweisen, daß Ehebruch und Ehescheidung zuzulassen sind

Ich gesteh' es hier, unser aufgeklärtes Jahrhundert sollte man das ehebrechende nennen. Ich sagte allerdings einmal auf dem Marktplatz zu Marseille, ich hielt' den Bettel für recht, den Ehebruch – schon weit vor München sagt' ich, man sollte an die Mutterkirche des Ehebettes noch ein Ehefilial stoßen – im Obersächsischen sagt' ich, wenn jene Gräfin ein ganzes Jahr fortgebar, jeden Tag etwas: so wäre noch jetzo bei Gräfinnen wenigstens das vorhergegangene Jahr zu haben – in den zehn deutschen Kreisen drückt' ich mich gewiß auf zehn verschiedene Arten aus; – – aber es war damals nirgends der Ort, die Sache klar aus der Physiologie darzutun, als bloß hier.

Sanktorius warsIn Hallers großer Physiologie steht es, daß der Mensch nach Sanktorius alle 11 Jahre den alten Körper fahren lasse – nach Bernoulli und Blumenbach alle 3 Jahre – nach dem Anatomiker Keil jedes Jahr., der sich auf einen delphischen Nachtstuhl setzte und da die Wahrheit aussaß, daß der Mensch alle 11 Jahre einen neuen Körper umbekomme – der alte wird wie der deutsche Reichs-Körper stückweise flüchtig, und es bleibet von der ganzen Mumie nicht so viel sitzen, als ein Apotheker klein geschabt in einem Teelöffel eingeben will. Bernoulli widersprach gar diesem ganz und rechnete uns vor, Sanktorius stolpere, denn nicht in 11, sondern in 3 Jahren dampfe der eine Zwilling-Bruder weg und schieße der andere an. Kurz Russen und Franzosen wechseln den Körper öfter als das Hemd des Körpers, und eine Provinz bekommt allzeit neue Leiber und einen neuen Provinzial miteinander, in 3 Jahren, wie gesagt.

Die Sache ist gar nicht gleichgültig. Denn es ist sonach unmöglich, daß ein Kahlkopf, der sein Ehejubiläum begeht, an seinem ganzen Leibe auf ein Stückchen Haut hellersgroß hinweise und anmerke: »Mit diesem Läppchen Haut stand ich vor 25 Jahren auch am Altar und wurde samt dem übrigen an meine jubilierende Frau hinankopuliert.« Das kann der Jubelkönig unmöglich. Der Ehering ist zwar nicht herunter, aber der Ringfinger längst, um welchen er saß. Im Grunde ists ein Streich über alle Streiche, und ich berufe mich auf andre Konsistorialsekretäre. Denn die arme Braut steigt freudig mit der Statua curulis von einem Bräutigamkörper unter den Betthimmel und denkt – was weiß sie von guter Physiologie –, am Körper habe sie etwas Solides, ein eisernes Stück, ein Immobiliargut, kurz einen Kopf mit Haaren, von denen sie einmal sagen könne: an meinen und an meiner Haube sind sie grau geworden! Das hofft sie; indes schafft unter ihrem Hoffen der Schelm von einem Körper seine sämtliche Glieder, wie ein Student sein verschuldetes Studentengut, nach 3 Jahren infinitesimalteilchenweise bei Nacht und Nebel fort. – Wendet sie sich am Neujahrabend um: so liegt im Ehebette bloß ein Gipsabguß oder eine zweite Auflage neben ihr, die der vorige Körper von sich darin gelassen und in welcher kein altes Blatt der alten mehr ist. Was soll nun eine Frau, wenn der Kubik-Inhalt des Brautbettes und der des Ehebettes so verschieden sind, von der Sache denken? – ich meine, wenn z.B. ein ganzes weibliches Konsistorium (z. B. die Frau Konsistorialpräsidentin, die Vizepräsidentin, die Konsistarialsekretärin) nach 3 Jahren auf dem Kopfkissen ein ganz anders männliches Konsistorium antrifft, als das aufgelöste war, das die Ehe versprach: was soll eine Frau da anstellen, die, wenns eine Konsistorial-Hälfte ist, recht gut weiß quid juris? Sie, sag' ich, die es hundertmal über dem Essen gehört haben muß, daß eine solche Entweichung des männlichen Körpers eine verfluchte bösliche Verlassung oder desertio malitiosa ist, die sie von ihren Ehepflichten ganz losknüpfet – und es kann vollends eine solche Strohwitwe gar Lutherum de causis matrimonii gelesen haben und sich daraus entsinnen, daß er einer böslich Verlassenen nach einem oder einem halben Jahre eine neue Ehe nicht verbeut..... Sich in besagte neue Ehe zu begeben, wird offenbar die erste Pflicht und Absicht einer solchen Verlassenen sein; da aber der neue restierende Ehemanns-Körper nichts für den fortgedünsteten kann: so wird sie es, um ihn nicht zu kränken, ohne sein Wissen und ohne Rachsucht tun, wenn er etwan auf der Börse ist – oder auf dem Katheder – oder auf der Messe – oder zu Schiffe – oder hinter dem Sessiontisch oder sonst aus.

Inzwischen ist der Mann kein Narr, sondern so viel hat er von der Physiologie allemal innen, daß auch die Frau ihren Körper ebensooft als ihre Mägde tausche; mithin braucht er auf nichts zu passen. Nov. 22. c. 25. reicht ihm das Recht der Ehescheidung schon, wenn sie auf eine Nacht von ihm gelaufen; hier aber ist die Konsistorialrätin gar auf immer weggedünstet und repetiert noch dazu in jedem Dreijahr diese Wegdünstung, – sie, die doch nach »Langens geistlichem Recht«dem Konsistorialrat, ders selber in seiner Büchersammlung hat, nachziehen müßte, wenn er Landes verwiesen würde, gesetzt sogar, in den Ehepakten hätte sie sich ausbedungen, zu Hause zu bleiben. So redet Lange mit den Männern aus der Sache. In der großen Welt, wo echte Keuschheit und Vielwissen und also auch Physiologie zu Hause ist, traktierte man den Punkt längst mit Anstand und Verstand und trieb Gewissenhaftigkeit weit. Denn da ein Mann allda an seiner Gemahlin 3 Jahre nach dem Vermählungfest nicht ein Apothekerlot Blut, nicht eine dünne Vene, worins läuft, mehr von der alten auszuspüren hofft; da er mithin die weggewanderten Teile seiner guten Gemahlin an jeder andern viel eher und sicherer wiederzufinden glaubt als an ihr selbst; da er also vielmehr Liebe zur ankopulierten für eigentlichen Ehebruch an ihr und mit ihr halten muß – und, genau genommen, ists auch so –: so ists ihm jetzo hauptsächlich um reine Sitten zu tun; er lässet also zwar derjenigen Sammlung von Pulsadern, Nervenknoten, Fingernägeln und edlern Teilen, die man insgemein seine Frau benennt, seinen Namen, seinen halben Kredit und seine halben Kinder, weil man überhaupt in der großen Welt ungern öffentliche Verbindungen öffentlich aufhebt und lieber am Ende an tausend aus Luft geflochtenen Ketten geht; aber das gestattet ihm seine Achtung für Moral und Publikum nicht, eine und dieselbe Wohnung – Tafel – Gesellschaft mit einer Frau zu haben, die einen andern Körper hat; er erscheint sogar (welches vielleicht zu skrupulös ist) ungern mit ihr öffentlich und enthält sich wenigstens in seinem Hause alles dessen, wozu er oder Origenes sich unfähig machten.

Es sind schlechte abgefärbte Katheder, die mir den Einwurf machen können, die verehelichten Seelen blieben ja doch zurück, wenn die Leiber verrauchten. Denn mit der Seele (also mit dem Gedächtnis, mit dem Denkvermögen, sittlichen Vermögen u. s. w.) lässet man sich heutzutage wenig oder nicht kopulieren, sondern mit dem, was um sie herumhängt. Zweitens ist es ja bei jedem Materialisten auf der philosophischen Börse zu erfahren, daß die Seele nichts ist als ein Wassersprößling des Körpers, der also bei Mann und Frau mit dem Leib zugleich weggeht. Man braucht es aber gar nicht, sondern man darf nur Humen beifallen, welcher schreibt, die Seele wäre gar nichts, sondern bloße Gedanken leimten sich wie Krötenlaich aneinander und kröchen so durch den Kopf und dächten sich selbst. Bei solchen Umständen kann das Brautpaar Gott danken, wenn sein Paar kopulierter Seelen nur so lange halten will, wie die zwei Paar Tanz-Handschuhe des Hochzeitballs. Auch sieht man es am Vormittag nach den Flitterwochen.

Also, wie gesagt, alle Kanonisten können die Woche, wo Mann und Frau zum Ehebrechen schreiten darf, nicht weiter hinausschieben als ins vierte Jahr nach der Verlobung; allein für Leute von Welt und von Stand ist das hart und zu rigoros, zumal wenn sie aus ihrem » Keil« (dem Anatomiker) wissen, daß schon in einem Jahre der ganze alte Körper wegtauet, – bloß elende 16 Pfund Fleischgewicht ausgenommen. Daher warens oft meine Gedanken, daß ich, wenn ich meinen Ehebruch schon ins erste Jahr verlegte (wie's viele tun), wirklich nur sehr wenigen Pfunden meiner Gattin, die 107 hat, untreu würde, den 16 Pfund nämlich, die noch restierten.

Auf den nämlichen Körpertausch, worauf man seinen Ehebruch gründet, muß das Konsistorium seine Scheidung gründen. Denn wenn Leute oft 9, 18 Jahre nach der Trauung offenbar noch in der Ehe beisammen bleiben, indes alle Physiologen wissen, daß zwei neue Ehekörper und zwar ohne priesterliche Einsegnung beisammen sind: so ist nun das Konsistorium verbunden, dreinzusehen und dreinzuschlagen und die zwei fremden Leiber zu scheiden durch ein paar Dekrete. Daher wird man auch niemals hören, daß ein gewissenhaftes Konsistorium Schwierigkeiten macht, Christen, die schon in der Ehe sind, zu trennen; man wird aber auch von der andern Seite ebensowenig hören, daß es solche, die sich die Ehe bloß versprochen, ohne die größten Schwierigkeiten scheide –: eben ganz natürlich; denn dort bei der langen Ehe ist wahrer Ehebruch durch die Scheidungbulle abzuwenden, weil unkopulierte Leiber da sind; hier aber bei der Verlobung sind die Körper, die den Vertrag gemacht, noch völlig da, und sie müssen erst lange in der Ehe leben, bevor sie zur Scheidung taugen. Das ist die wahre Auflösung eines Scheinwiderspruchs, der so viele Schwache schon verleitet hat, uns sämtlich im Konsistorio für sportelsüchtig, mich für den Markör und unsre grünen Sessiontische für grüne Billarde zu halten, um welche sich Präsident und Räte mit langen Queues herumtreiben, um die Partien auszuspielen; ach, ein Konsistorialsekretär schneidet ohnehin mehr Federn als Geld.

Warum wird uns überhaupt nicht von den Pastoren jedes eingepfarrte Ehepaar, das über 3 Jahre beisammen geschlafen, einberichtet, damit mans scheide zu rechter Zeit? Eine solche Scheidung, wozu man keine weitern Gründe braucht als den, daß die zwei Leute lange beisammen waren, hat in allen Ländern ja keine andere Absicht als die, daß sie nachher sich wieder ordentlich kopulieren lassen mit den erneuerten Leibern. Das Konsistorium und ich fahren am fatalsten dabei, falls die Sache sich nicht etwa bessert, wenn der neue Minister den Thron besteigt. Wahrlich, ein solches geistliches Landeskollegium legt oft die lange Säge an und zersägt Eheblöcher oder Betten, in denen Ehepaare 21 Jahre lang gehauset hatten, die in so langer Zeit wenigstens siebenmal (alle drei Jahre sind Ehebruch und Ehescheidung fällig) wären zu scheiden und zu trauen gewesen: was für Sportelneinbuße, da wir die Scheidungkosten, die wir hätten versiebenfachen können, vervierfachen mußten! Es ist ohnehin an einer solchen Scheidliquidation wenig, weil sie bekanntlich moderiert wird, und zwar vom Konsistorium selber. Man gebraucht noch dazu im Konsistorialzimmer die Vor- und Nachsicht, daß ich allemal den Sportelzettel, wenn ihn das geschiedne Paar abgezahlt hat, nach 15, 20 Jahren wieder extrahiere und dem Konsistorialboten und Pfennigmeister von neuem mitgebe, nicht sowohl um die Sporteln zweimal einzukriegen (welches Nebensache ist), als um zweimal darüber zu quittieren, falls das getrennte Paar die erste Quittung etwa verloren hätte, und auch, um es vor einer dritten Zahlung sicherzustellen. Man will dem Paare alles leicht machen, wenn man es in mehren und großen Terminen zahlen lässet.

.... Und heute vor drei Jahren kopulierte man mich für meine Person auch.... aber die damalige Strohkranzrede war zu schlecht....


 << zurück weiter >>