Jean Paul
Die unsichtbare Loge
Jean Paul

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Da ich so gewiß weiß, daß Verschwendung ihn nicht verunzierte, so sehr es den Anschein hat: so will ich allen Anschein durch die Nachricht wegnehmen, daß er jeden Sonnabend sein Pfund Fleisch im Zölibate kaufte, aber – denn sonst bewiese es noch nichts – nicht aß. Er aß allerdings eines und mit dem Löffel; aber es war vom vorigen Sonnabend. Der unvollkommne Charakter holte nämlich jeden Sonnabend sein Andachtfleisch aus der Bank und veredelte und dekorierte damit sein Sonntag-Gemüs. Aber er nahm nichts zu sich als den vegetabilischen Teil. Am Montag hatt' er den tierischen noch und würzte mit ihm ein zweites Gemüs – am Dienstage arbeitete das abgekochte Fleisch mit neuem Feuer an der Kultur eines frischen Krautes – am Mittwoch mußt' es vor ihm mit matten Fettaugen auf einer andern Kräutersuppe liebäugeln – und so ging es fort, bis endlich der Sonntag erschien, wo das ausgelaugte Fleischgeäder selber zum Essen, aber in einem andern Sinne, kam und Röper das Pfund wirklich aß. Ebenso kann man mit einem Pfund Leibnizischer, Rousseauischer, JakobischerFriederich Jakobi in Düsseldorf. Wer an seinem Woldemar – das Beste, was noch über und gegen die Enzyklopädie geschrieben worden – oder an seinem Allwill – wodurch er die Stürme des Gefühls mit dem Sonnenschein der Grundsätze ausgleichet – oder an seinem Spinoza und Hume – das Beste über, für und gegen Philosophie – die zu große Gedrungenheit (die Wirkung der ältesten Bekanntschaft mit allen Systemen) oder den Tiefsinn oder die Phantasie oder einige Züge, die gewisse seltnere Menschen heben, bewundert: einem solchen wird dabei das erste Anbellen, unter welchem Jakobi in den Tempel des deutschen Ruhms treten mußte, sehr widrig ins Ohr fallen; aber er muß sich nur erinnern, daß in Deutschland (nicht in andern Ländern) neue Kraftgeister immer an der Tempelschwelle anders empfangen werden (z. B. von bellenden Dreiköpfen) als im Tempel selber, wo die Priester sind; und sogar einem Klopstock, Goethe, Herder ging es nicht anders. Aber vollends du armer Hamann in Königsberg! Wie viele Mardochais haben in der Allgemeinen deutschen Bibliothek und in andern Journalen an deinem Galgen gezimmert und an deinem Hängstrick gesponnen! – Inzwischen bist du doch glücklicherweise nur scheintot vom Galgen gekommen. Gedanken ganze Schiffkessel voll schriftstellerischen Blätterwerks kräftig kochen.

Diese Sparsamkeit legierte der unvollkommne Charakter noch mit einigem Betrug. Er interpolierte die Güter, die er gut bekam, und schrieb zurück, er habe sie schlecht bekommen, sie wären so und so und er könnte sie nur um den halben Preis gebrauchen. Ein Drittel des Preises spielt' er so dem Kaufmann geschickt genug aus der entfernten Tasche. Waren, Fässer, Säcke, die in seinem Hause nur ein Absteig-Quartier hatten und weiterreisen mußten, gaben ihm den Transito-Zoll durch ein kleines Loch heraus, das er in sie hineinmachte, um das wenige daraus sich zu entrichten, was dem Fuhrmann aufgebürdet werden konnte, wenns fehlte. – Er legte ein Münzkabinett oder Hospital für arme invalide amputierte Goldstücke an. Andern verrufenen Münzen gab er den ehrlichen Namen, den sie verloren, wieder und zwang seine Faktore, sie als legitimiert und rehabilitiert anzunehmen. Ein Goldstück mochte noch so schlecht in sein Haus gekommen sein, er dankte es wie einen Offizier nie ohne Avancement ab. So decken solche edlere Seelen sogar die Mängel des Geldes mit dem Mantel der Liebe zu.

Auf diese Art breiteten sich seine Kaufmanns- und Feldgüter immer mehr aus, und in seinem von der freundschaftlichen Wärme des Publikums angebrüteten Herzen regte sich, wie ein Ei-Infusiontierchen, ein federloses durchsichtiges mattes Ding, das er Ehre nannte. Der unvollkommne Charakter ließ sich also einen Charakter als Kommerzienrat kommen.

Jetzt, da er die Ehre recht beim Flügel und aufs Papier befestigt hatte, konnt' er sie eher beleidigen als vorher, als er sie noch nicht unter seinen Papieren besaß. Er machte also seine Lieberklärung dem reichsten und geizigsten Vater einer schönen Tochter, welche die Liebe gegen einen Offizier zum letzten Schritte hingerissen hatte. Die Tochter haßte seine Lieberklärung; aber der Charakter mit Hülfe des Vaters bemächtigte sich ihrer sträubenden Hand, zog sie daran zum Altar, schraubte den Ring ihr an und pfählte ihre Hand in seine. Ihr zweites Kind war sein erstes.Gebe doch der Himmel, daß der Leser alles versteht und sich hier nur einigermaßen noch der ersten Sektoren erinnert, wo ihm erzählt wurde, daß die Frau des Kommerzien-Agenten Röper die erste Geliebte des Rittmeisters Falkenberg gewesen und dem Agenten ihren Erstgebornen von dem Rittmeister als Morgengabe zugebracht.

Da indessen seine Ehre sich nach diesem Blutverlust und diesen Ausleerungen schlecht auf den Füßen erhalten konnte: so mußt' er daran denken, ihr ein recht stärkendes Amulett, ein Ignatius-Blech, einen Lukas- und Agathazettel umzuhängen – ein Adeldiplom. Sie wurde aus der Reichshofrats-Kanzlei von Wien auch glücklich hergestellt.

Da er nicht mit seiner Frau, sondern nur mit seinen Gläubigern Güter-Gemeinschaft hatte: beurlaubte er sich vom Kaufmannstande mit einem unschuldigen Falliment und rettete sich und sein reines Gewissen und die Güter seiner Frau und seine eigne auf seinen Landgütern, um da seinem Gott zu dienen.

Ich meine seinen Göttern. – Freunde hatte übrigens der unvollkommne Charakter nicht. Seine Begriffe von Freundschaft waren zu edel und hoch und verlangten die reinste uneigennützigste Liebe und Aufopferung vom Freunde; daher ekelten ihn die niedrigen Tröpfe um ihn an, die nicht sein Herz, sondern seinen Beutel verlangten und die ihn bloß an sich drückten, um etwas aus ihm herauszudrücken. Er konnte einen solchen Eigennutz nicht einmal vor sich sehen, und sein Haus litt daher, wie die menschliche Luftröhre oder wie Sparta, nichts Fremdes in sich. Er glaubte mit Montaigne, man könne nicht mehr als einen Freund, so wie eine Geliebte, recht lieben; daher schenkt' er sein Herz einer einzigen Person, die er unter allen am höchsten schätzte – seiner eignen nämlich – diese hatt' er geprüft; ihre uneigennützige Liebe gegen ihn selber vermochte ihn, daß er Ciceros Ideal erreichte, welcher schrieb, daß man für den Freund alles, sogar das Schlimme tun könne, was man für sich nicht täte.

Er ist der größte Stoiker im Scheerauischen; er sagt nicht bloß, an allen Vergnügungen sei nichts: sondern er verachtet auch alle zeitliche Güter, weil sie ihn nicht glücklich machen können. Diese Verachtung derselben ist vom heftigsten Bestreben nach ihnen wohl nicht zu trennen, weil ein Weiser, wie die Stoiker in der NoteSi ad illam vitam, quae cum virtute degatur, ampulla aut strigilis accedat, sumturum sapientem eam vitam potius quo haec adjecta sint nec beatiorum tamen ob eam causam fore. Cic. de finib. bonor. et mal. Lib. IV. sagen, ein Leben, in dessen Mobiliarvermögen nur eine Kratzbürste oder ein Stallbesen drüber ist, einem Leben, dem bloß dieses wenige fehlte, vorziehen wird, ob er gleich nicht durch jenes glücklicher wird. Daher legt der unvollkommne Charakter auf die kleinsten Effekten, wie der alte Shandy auf die kleinsten Wahrheiten, einen so großen Wert wie auf die größten; daher muß er mit den Nußschalen heizen, mit abgelösten Siegeln siegeln, auf fremde leere Briefräume eigne Briefe schreiben etc. Der unvollkommne Charakter hat hierin Ähnlichkeit mit dem Geizigen, der mit ähnlichen Kleinigkeiten wuchert und den keine Gründe widerlegen können: denn wenn ich einen Groschen nicht wegwerfen darf, so darf ich auch keinen Pfennig, keinen halben Pfennig, keinen 1/100 000 Pfennig; die Gründe sind dieselben.

Im Menschen liegt ein entsetzlicher Hang zum Geiz. Den größten Verschwender könnte man zu noch etwas Schlimmern, zum größten Knicker machen, wenn man ihm so viel gäbe, daß er es für viel und der Vermehrung wert hielte; und umgekehrt. So will der Wassersüchtige desto mehr Wasser, je höher er davon geschwollen ist; mit seinem Wasser fället zugleich der Durst darnach.

Der unvollkommne Charakter dankt dem Himmel für zweierlei, erstlich daß er in keinen Geiz, zweitens in keine Verschwendung gefallen sei – daß er seiner Frau und seinem Kinde nichts versagt, alles gibt und bloß dummen Leuten, die Stoff zur Verschwendung behalten wollen, diesen Stoff aus den Händen nimmt, wie die alten Deutschen, Araber und Otaheiter nur Fremde, nie aber Inländer bestehlen – daß er keusch ist und lieber die Geldkatze eines Kaufmanns als den Gürtel der Venus löset – daß er Armen ganz anders beispringen wollte, wenn er so viel Pfennige hätte wie der und der – daß er aber gleichwohl sein bißchen sich so wenig wie der Traurige seinen Kummer nehmen lasse und daß er einmal am Jüngsten Tage werde befragt werden, ob er mit seinen Pfunden (Sterling) gewuchert. – –

Dieser verkäufliche Charakter im Zeitungkomptoir ist wie ein englischer Missetäter Ware und Verkäufer zugleich und will vom Romanschreiber nichts für sein ganzes Wesen haben als gratis den Roman, in den er geworfen wird.

 

So weit Fenk, der alle Menschen trug, aber keinen Unmenschen, keinen Filz. Ich habe diesen unvollkommnen Charakter für meine Biographie an mich gehandelt (denn er selber existiert auch biographisch unter dem Namen Röper); es fehlet ihr ohnehin an echten Schelmen merklich; ja wenn ich auch Röpern mit den Teufeln der epischen Dichter vergleiche und mich mit den Dichtern selber: so sind wir beide doch nicht sehr groß.

Wenn die Leser einen Brief vom Doktor Fenk hätten, der seine vorige Härte entschuldigte – der uns an Scheerau, an den Doktor und an eine mir so liebe Person erinnerte und der zum Ganzen recht paßte: so würden sie den Brief in die Lebensbeschreibung mit einknüpfen. Ich habe den nämlichen Brief und das nämliche Recht; und schicht' ihn hier ein.


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