Jean Paul
Die unsichtbare Loge
Jean Paul

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Extrazeilen über die Besuchbräune,
die alle Scheerauerinnen befällt bei dem Anblick
einer fremden Dame

Männern schadet daselbst der Anblick einer fremden Dame wenig; bloß alle Friseure und Barbiere kommen später als sonst; auf dem Billard zeichnen die Queues oder die Tabakpfeifen ihre Gestalt in die Luft, und die Lehrer des löblichen Gymnasiums hören gar nicht darauf – Hingegen die Weiber! –

Auf der Insel St. Kilda geschieht, wenn ein Fremder da aus dem Schiff aussteigt, ein Unglück, das noch kein Philosoph erklären konnte – das ganze Land hustet seinetwegenSogar Kinder im Mutterleibe. S. Allgem. deutsche Bibl. Bd. 67. S. 138.. Alle Dörfer, alle Körperschaften, alle Alter husten – kauft sich der Passagier etwas ein, so umhustet ihn der Nährstand – unter dem Tor tuts der Wehrstand; und der Lehrstand hustet in seine Lehren hinein. Es hilft gar nichts, zum Arzt zu gehen – der bellt selber ärger als seine Kunden und ist sein eigner Kunde....

In Unterscheerau ist dasselbe Unglück, aber größer. Eine fremde Dame setze ihren netten Fuß in das Posthaus, in den Konzert- oder Tanzsaal, in irgendein Visitenzimmer: sogleich sind alle Scheerauerinnen genötigt zu husten und – was allzeit von einem schlimmen Hals herkommt – leiser zu reden – allen fliegt die Bräune an, d. h. die angina vera. An den armen Damen erscheinen alle Zeichen der giftigsten Halsentzündung, Hitze (daher das Fächern), Kälte, schweres Atemholen, Phantasien, aufgeblähte Nasenflügel, steigender Busen. Kühlende Mittel, Wasser, Entledigung der Luftröhren tun den Patientinnen noch die besten Dienste. Ist aber (welches der Himmel abkehre) die eintretende Fremde die schönste – die bescheidenste – die reichste – die geehrteste – die am meisten gefeierte – die geschmackvolleste – so wird keine einzige Leidende im Krankensaale kuriert; ein solcher Engel wird ein wahrer Todesengel, und man sollte am Tor gar keine Fremde von Verdienst einpassieren lassen. –

Die Besuchbräune grassiert wie jede andre am meisten im Herbste und Winter unter den Winterlustbarkeiten und Wintergästen. – Diese Bräune schreibt Witz oder Verstand zwei Gründen zu: erstlich den äußern oder Schalenverdiensten (innern nie); so glaubt auch Unzer, daß Schaltiere auf den Hals am meisten wirken, daher z. B. Austern schweres Schlucken, kalzinierte Krebse gegen Wasserscheu, Dunst von Krebsen Stummheit, Skorpionen Zungenlähmung wirken. – Der zweite Grund ist, daß Damen in einer Stadt wie auf einem Isolatorium wohnen und daß, wenn eine Fremde, die mit ihnen sich nicht in Rapport gesetzt, die manipulierten Clairvoyanten berührt, oder auch nur in der Ferne von ihnen steht, diese lauter häßliche Empfindungen in allen Gliedern spüren.

Ende der Extrazeilen

 

Den weggehenden Scheerauerinnen gab Fenk nach dem botanischen Gottesdienste noch die Nachricht als einen Altarsegen mit nach Haus, bei welchem er das Kreuzmachen ihnen selber überließ: »daß die beiden Kinder, die man gesehen, den Kleinen und die Kleine, keine andere Wiege gehabt als den Reisewagen; daß aber er gegenwärtig Pestilenziarius samt Medizinalrat geworden; jedoch nur Frauen kurieren wolle und mit der Zeit eine ehelichen, und er bitte inständig.« –

Wenn die Unterscheerauer etwas, das süß, sauer und toll zugleich scheint, vorbekommen: so horchen sie erstlich auf – dann lächeln sie an – dann sinnen sie nach – dann sehen sie es nicht ein – dann mutmaßen sie drei Tage darnach nichts Gutes – und endlich werden sie darüber recht aufgebracht. Fenk fragte nichts darnach und sagte von Zeit zu Zeit etwas, was sie nicht verstanden oder er selber nicht.

Er erklärte alsdann dem Rittmeister, und ich dem Leser, alles. Die aufgeklebten Kräuter, sagt' er, hielten von nun an alle Basen und Tröpfe und Visitenameisen von seiner Stube ab, wie umzäunender Hanf die Raupen vom Krautfeld. – Seine Reisegeschichte und ein paar Rätsel daraus zeig' er nur halb, weil man sich für die Menschen am meisten interessiere, an denen man noch etwas zu erraten suche, und die neugierigen Patientinnen würden die seinigen sein. – Ob er verheiratet sei, wiss' er selber nicht; und andere solltens auch nicht wissen, weil man ihn in alle Häuser, wo ein Warenlager von Töchtern steht, als Arzt hineinrufen werde, damit er als Bräutigam wieder herausgehe. – – Endlich nehm' er deshalb nur weibliche Kranke an, weil diese die häufigsten wären; weil man zu ihm für diese ausschließende Praxis ein besonderes Zutrauen fassen würde; weil dieses Zutrauen das ganze Dispensatorium eines Weiberdoktors sei; weil die meisten Krankheiten der Weiber bloß in schwachen Nerven und deren ganze Kur in Enthaltung von – Arzeneien bestände; weil Apotheken nur für Männer, nicht für Weiber wären und weil er sie ebensogern anbetete als kurierte.

Ein anderer Punkt war der, wienach er so geschwind nach Scheerau und so geschwind zum Medizinalrat gekommen. Es ist so: der Erbprinz, der jetzt auf dem hohen Thronkutschersitz mit dem Staatwagen zum Teufel fahren wird, liebt niemand; auf seiner Reise spottete er über seine Mätressen; seine Freundschaft ist nur ein geringerer Grad von Haß, seine Gleichgültigkeit ist ein größerer; den größten aber, der ihn wie Sodbrennen beißet, hegt er gegen seinen unehelichen Bruder, den Kapitän von Ottomar, Fenks Freund, der zu Rom in der schönsten natürlichen Natur sowohl als artistischen geblieben war, um im Genuß und Nachahmen der römischen Gegenden und Antiken zu schwelgen. Ottomar schien ein Genie im guten Sinne und im bösen auch. Er und der Erbprinz ertrugen einander kaum in Vorzimmern und waren dem Duelle oft nahe. Nun hasset der scheerauische Großfürst auch den armen Fenk, erstlich weil dieser ein Freund seines Feindes ist, zweitens weil er dem dritten Bruder des Erbregenten einmal das Leben und mithin die Apanagengelder wiedergab, drittens weil der Fürst weit weniger (oder gar keine) Gründe brauchte, um jemand zu hassen, als um zu lieben. –

Nun wäre der Doktor schon unter der vorigen Regierung, deren Magen uns entgegenfuhr, gern Medizinalrat geworden; unter der künftigen Regierung, deren Magen sich noch in Italien füllte, war wenig zu machen. Der Doktor suchte also sein Glück noch ein paar Wochen vor der neuen Krönung festzupflanzen. Er fand den alten Minister noch, der sein Gönner war und dessen Gönner der Erbprinz aus dem Grunde wenig war, aus welchem Erbprinzen gewöhnlich glauben, daß sie die Kreaturen des verstorbenen Vaters ebensowohl, nur delikater und langsamer unter die Erde bringen müssen als wilde Völker, die auf den Scheiterhaufen des Königs auch seine Lieblinge und Diener legen. Als Fenk kam, machte ihn der verstorbene Regent zu allem, was er werden wollte; denn es war so:

Da der selige Landesvater ein Landeskind im physiologischen Sinne geworden war, d. h. wieder so alt, als er gewesen, da man ihm das erste Ordenband statt eines Laufbandes umflochten, nämlich 6½ Jahr: so wurde dem Fürsten das ewige Unterschreiben seiner Kabinettdekrete viel zu sauer und zuletzt unmöglich. – Da er indessen doch noch regieren mußte, als er nicht mehr schreiben konnte: so stach der Hofpetschierstecher seinen dekretierenden Namen so gut in Stein aus, daß er den Stempel bloß einzutunken und naß unters Edikt zu stoßen brauchte: so hatt' er sein Edikt vor sich. Auf diese Weise regierte er um 15 Prozent leichter; – der Minister aber um 100 Prozent, welcher zuletzt aus Dankbarkeit, um dem geschwächten Fürsten sogar das schwere Handhaben des Stempels abzunehmen, das schöne Petschaft (er zog es Michel-Angelos seinem vor) selber in sein eignes Dintenfaß eintunkte; so daß der alte Herr ein paar Tage nach seinem eignen Tode verschiedene Vokationen und Reskripte unterschrieben hatte – aber dieser Poussiergriffel und Prägstock der Menschen wurde der Legestachel und Vater der besten Regierbeamten und laichte zuletzt den Pestilenziarius.

Extragedanken über Regentendaumen

Nicht die Krone, sondern das Dintenfaß drückt Fürsten, Großmeister und Kommenturen; nicht den Zepter, sondern die Feder führen sie mit so vieler Beschwerde, weil sie mit jenem bloß befehlen, aber mit dieser das Befohlne unterschreiben müssen. Ein Kabinettrat würde sich nicht wundern, wenn ein gequälter gekrönter Skribent sich, wie römische Rekruten, den Daumen amputierte, um nur vom ewigen Namen-Malen, wie diese vom Kriege, loszukommen. Aber die regierenden und schreibenden Häupter behalten den Daumen; sie sehen ein, daß das Landeswohl ihr Eintunken begehrt, – das wenige Unleserliche aus Kabinettbefehlen, was man ihren Namen nennt, macht wie eine Zauberformel Geldkästen, Herzen, Tore, Kaufläden, Häfen auf und zu; der schwarze Tropfe ihrer Feder dünget und treibet oder zerbeizet ganze Fluren. Der Professor Hoppedizel hatte, da er erster Lehrer der Moral beim scheerauischen Infanten war, einen guten Gedanken, wiewohl erst im letzten Monat: könnte der Oberhofmeister nicht dem Unterhofmeister befehlen, daß er den Kron-Abcschützen, der doch einmal schreiben lernen müßte, statt unnützer Lehnbriefe lieber mitten auf jedem leeren Bogen seinen Namen schmieren ließe? – Das Kind schriebe ohne Ekel seine Unterschrift auf so viele Bogen, als es in seiner ganzen Regierung nur bedürfe – die Bogen legte man bis zur Krönung des Kindes zurück – und dann, fuhr er fort, wenn es genau überschlagen wäre, wie oft ein Kollegium seinen Namenzug jährlich haben müßte, wenn folglich am Neujahrtage die nötige Zahl signierter Ries Papier zum Gebrauche aufs ganze Jahr den Kollegien zugeteilt würde: was hätte nachher das Kind unter seiner Regierung für Not?

Ende der Extragedanken

 

Noch ein Wort: nach neun Wochen tat dem Doktor die Rache mit dem Kräuterbuche, wie jedem guten Menschen die kleinste, wieder wehe. »Das Herbarium«, sagte er, »ärgert mich, sooft ich hineinklebe; aber es ist gewiß wahr, ein Mann sei immerhin durch alle Residenzstädte bescheiden passiert: unter dem Tor seiner Vaterstadt fährt der Hochmutteufel in ihn und macht mit ihm die ersten Besuche – seine guten Landsleute, will er haben, sollen während seiner Reise vernünftig geworden sein.«


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