Jean Paul
Die unsichtbare Loge
Jean Paul

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So weit das Drama. Oefel war nichts lieber und glücklicher als die schmeichelnde Folie des andern. Übrigens sah sein Stück wie eine Idylle von Fontenelle aus. Die Phantasie, die den von der Kultur dünn geschliffnen Leuten gefallen will, muß schimmern, aber nicht brennen, muß das Herz kitzeln, aber nicht bewegen; die Äste einer solchen Phantasie werden nicht von schweren gedrängten Früchten, sondern von Schneelast niedergebogen. An solchen Hof-Poeten und an Ohrwürmern sind die Flügel gleichsam unsichtbar und winzig, aber beide finden leichter die Wege zum Ohr. An deutschen Gedichten ist nichts; hingegen die meisten französischen riechen nicht nach der Studier- und Sparlampe, sondern eher nach parfümierten Strumpfbändern, Handschuhen u. s. w., und je weniger sie haben, was den Menschen interessiert, desto mehr haben sie, was den Weltmann reizt, weil sie nicht mehr die Natur und Himmel und Hölle, sondern ein paar Besuchzimmer abmalen und so nicht ungeschickt in immer engere Windungen des Schneckenhauses sich zurückdrängen.

Oefel war zugleich Theater-Dichter, Spieler und Rollen-Schreiber. Er zog aus dem Drama die Rolle Beatens heraus, die er mit den feinsten Anspielungen auf ihr gegenseitiges Liebeverständnis (dacht' er) oder auf ihr einseitiges (denk' ich) in die Welt gesetzet hatte. Die zärtlichsten Winke hatt' er in den Stellen, wo er mit Beata zusammen spielte, hinein versteckt. Er zog deswegen unter manche feine Liebeerklärung und Empfindung bei dem Abschreiben eine exegetische Linie und bezifferte verständig seinen Generalbaß. »Über tausendmal wird die Schalkhafte das überlesen«, sagt' er zu sich.

Darauf überreichte er ihr bald nach ihrer Ankunft ihre Rolle mit weit mehr scheuer Ehrfurcht, als er selber wußte. Zum Unglück für unsern guten dramatisierenden Hasen fiel Beata in zwei Fehler auf einmal aus einer Ursache. Die Ursache war bloß, der Amor hatte in ihrem Herzen sein Laboratorium aufgerichtet und hatte seine chemischen Ofen und alles hineingesetzt: daraus mußte ihr erster Fehler entstehen, daß sie schöner aussah als sonst ohne diese Wärme; denn jede Empfindung und jede innere Streitigkeit nahm auf ihrem Gesicht die Gestalt eines Reizes an. Von der Liebe kam auch ihr zweiter Verstoß, daß sie sich gegen Oefel heute weit zutraulicher und freimütiger betrug als sonst; denn ein liebendes Mädchen hat von allen übrigen Gegenständen (d. h. von den eignen Empfindungen für sie) nichts mehr zu befahren. Herr von Oefel aber addierte auf seiner Rechenhaut ein ganz andres Fazit heraus; er nahm alles für Freude, daß er nun wieder – zu haben sei. Er ging folglich mit einem Herzen fort, das der Amor so mit lilliputischen Pfeilen vollgeschossen hatte wie ein Nähkissen mit Nadeln.

Er sagte noch an jenem Tage: »Ist das Herz einer Frau einmal so weit, so braucht man nichts zu tun, als daß man sie tun lässet.« Das war ihm herzlich lieb; denn es ersparte ihm die – Bedenklichkeit, sie zu verführen. Sooft er Lovelacens oder des ChevaliersIn den Liaisons dangereuses. Briefe las: so wünschte er, sein einfältiges Gewissen ließ' ihm zu, ein ganz unschuldiges widerstrebendes Mädchen nach einem feinen Plane zu verführen. Aber sein Gewissen nahm keine Vernunft an, und er mußte sein ganzes Kaper-Vergnügen auf die Verführung solcher unschuldigen Personen, die er in seinem Kopfe oder in seinem Roman agieren ließ, einschränken: so sehr herrschet im schwachen Menschen die Empfindung über die Entschließungen der Vernunft, sogar in philosophischen Damen. Mithin blieben der Weiberkenntnis Oefels statt der Fangeisen für die Unschuld nur die für die Schuld zu legen übrig, und das einzige, wo er noch mit Ruhm arbeiten konnte, war das, der Verführer von Verführerinnen zu sein.

Man erlaube mir, eine scharfsinnige Bemerkung zu machen. Der Unterschied zwischen Lovelace und dem Chevalier ist der moralische Unterschied zwischen den Nationen und Jahrzehenden von beiden. Der Chevalier ist mit einer solchen philosophischen Kälte ein Teufel, daß er bloß unter die Klopstockschen Teufel gehört, die nie zu bekehren sind. Lovelace hingegen ist ein ganz anderer Mann, bloß ein eitler Alcibiades, der durch einen Staats- oder Ehe-Posten halb zu bessern wäre. Sogar dann, wo seine Unerbittlichkeit gegen die bittende, kämpfende, weinende, kniende Unschuld ihn mehr den Modellen aus der Hölle zu nähern scheint, mildert er seine gleißende Schwärze durch einen Kunstgriff, der seinem Gewissen einige und dem Genie des Dichters die größte Ehre macht und welcher der ist, – daß er, um seine Unerbittlichkeit zu beschönigen, den wirklichen Gegenstand des Mitleidens, die kniende etc. Klarisse, für ein theatralisches, malerisches Kunstwerk ansieht und, um nicht gerührt zu werden, nur die Schönheit, nicht die Bitterkeit ihrer Tränen, nur die malerische, nicht die jammernde Stellung bemerken will. Auf diesem Wege kann man sich gern gegen alles verhärten; daher schöne Geister, Maler und ihre Kenner bloß oft darum für das wirkliche Unglück keine oder zu viele Tränen haben, weil sie es für artistisches halten.

Ich muß aber schneller zum Festtage der Residentin eilen, dessen Gewebe unsern Gustav mit Fäden so vieler Art berührt und ankittet.

Er brachte mit dem größten Vergnügen seine Rolle im Drama, wovon noch viel wird gesprochen werden, seinem Gedächtnis bei und wünschte nichts, als er könnte sie noch nicht auswendig. Beata macht' es auch mit der ihrigen so: der Grund war, ihre Rollen waren auf dem Theater aneinander gerichtet, mithin waren es jetzt ihre Gedanken auch; und für die scheue Beata war es besonders süß, daß sie zarte Gedanken der Liebe für ihn, die sie kaum zu haben und nicht zu äußern wagte, mit gutem Gewissen memorieren konnte. Um nicht immer an ihn zu denken, zerstreuete sie sich oft durch das Geschäft des Auswendiglernens der besagten Rolle. Gute Seele! suche dich immer zu täuschen; es ist besser, es zu wollen, als garnichts darnach zu fragen! – Ihr Adoptiv-Bruder konnte bisher durchaus kein Mittel finden, ihr zu begegnen; die Residentin hatte ihn und dadurch dieses Mittel über den russischen Sektor und Torso vergessen; er selber hatte nicht Zudringlichkeit genug, noch weniger den Anstand, der sie schön und pikant macht – bis ihm Herr von Oefel mit einer feinen Miene sagte, die Residentin woll' ihm einige Gemälde, die der Knäse dagelassen, zu sehen geben. »Ich wollt' ohnehin schon lange das Kopieren im Kabinett anfangen«, sagt' er und täuschte weniger jenen als sich. Über seine errötende Verwirrung sagte Oefel zu sich. »Ich weiß alles, mein lieber Mensch!«

Endlich führte ein schöner Vormittag die zwei Seelen, die sich leichter als ihre Körper fanden, bei der Residentin zusammen. Das Taglicht, die bisherige Trennung, die neue Lage und die Liebe machten an beiden alle Reize neu, alle Züge schöner und ihren Himmel größer als ihre Erwartungen – aber schauet euch weder zu viel noch zu wenig an, man blickt auf euer Anblicken! Oder tut es nur: einer Bouse verbirgst du es doch nicht, Gustav, daß dein Auge, das der Scharfsinn nicht zusammenzieht, sondern die Liebe aufschließet, immer nur bei benachbarten Gegenständen sich aufhält, um ein Streiflicht von ihr wegzufangen; – es hilft auch dir nichts, Beata, daß du es mehr wie sonst vermeidest, ihm nahe zu stehen und ihn zu veranlassen, daß seine Stimme und seine Wangen seine Verräter werden! Es half dir, wie du selber sahest, nichts, daß du der Wiederholung des »Idolo del mio cuore« bei seiner Ankunft auszuweichen suchtest; denn bat ihn nicht die Residentin, deiner Stimme auf dem Klaviere mit den Fingern nachzufließen und seinen innern Freuden-Sturm durch den Schimmer des Auges und durch den Druck der Tasten und durch die Sünden gegen den Takt zu offenbaren? – Diejenigen meiner Leser, die die Residentin frisiert oder bedient oder gesprochen oder gar geliebt haben, können mir es gegen andre Leser bezeugen, daß unter anderen Kaminverzierungen ihres Toilettenzimmers – weil die Großen nichts als Zieraten essen, bewohnen, anziehen, besitzen und beschlagen etc. mögen – auch Schweizerszenen waren und unter diesen eine tragantene Kopie des Eremitenberges: auf diesen Freuden-Olymp stiegen vor den Augen Gustavs Beatens ihre nicht mehr, sooft diese auch vorher den Berg beschienen hatten – endlich befeuchteten sich auch beider Augen, wenn Amandus' Name beide durchtönte, mit einer süßern lebhaftern Rührung, als die über einen Dahingegangnen ist. – – Kurz sie würden sich wie alle Liebende weniger verraten haben, wenn sie sich weniger verborgen hätten. Die Residentin schien heute, was sie allemal schien: sie hatte eine stille, denkende, nicht leidenschaftliche Verstellung in ihrer Gewalt, und auf ihrem Gesicht sah man nicht die falschen Mienen die aufrichtigen erst verjagen. – Das schönste Gemälde aus dem Nachlasse des Russen war nicht zu Hause, sondern unter dem Kopierpapiere des Fürsten. –

So stumm und doch so nahe muß Gustav der Geliebten gegenüber bleiben; nur mit drei Worten, nur mit einem Druck der ziehenden Hand wenn er seine von Empfindungen elektrisierte Seele zu entladen wüßte! – Warum wollen alle unsere Empfindungen aus unserem Herzen in ein fremdes hinüber? – Und warum hat das Wörterbuch des Schmerzens so viele Alphabete und das der Entzückung und der Liebe so wenige Blätter? – Bloß eine Träne, eine drückende Hand und eine Singstimme gab der Welt-Genius der Liebe und der Entzückung und sagte. »Sprecht damit!« – Aber hatte Gustavs Liebe eine Zunge, als er (bei einem Abwenden der Residentin auf 7 Sekunden) im Spiegel, dem er am Klavier gegenübersaß, mit seinen dürstenden Augen das darin flatternde Bild seiner teuren Sängerin küßte – und als das Bild ihn ansah – und als das blöde Bild vor dem Feuerstrom seines Auges das Augenlid niederschlug – und als er sich plötzlich nach dem nahen Urbild des wegblickenden Farben-Schattens umdrehte und sitzend in das gesenkte Auge der stehenden Freundin mit seiner Liebe eindrang und als er in einem Augenblicke, den Sprachen nicht malen, sich nicht einmal in eine, nicht einmal in einen Laut ergießen durfte? – Denn es gibt Augenblicke, wo der tief aus der fremden Seele emporgehobne Schatz wieder zurücksinkt und im Innersten verschwindet, wenn man redet – ja wo das zarte, bewegliche, schwimmende, brennende Gemälde der ganzen Seele sich kaum in oder unter dem durchsichtigen Auge wie das zerstiebende Pastellgebilde unter dem Glase beschützt....

Deswegen wars meiner Einsicht nach recht wohl getan, daß er zu Hause sofort einen Liebebrief verfaßte. Durch einen solchen Assekuranzbrief des Herzens verbriefte der Lebensbeschreiber von jeher seine Liebe im eigentlichen Sinne. Aber als ihn Gustav fertig hatte, wußt' er nicht, wie er zu insinuieren sei, auf welcher Penny-Post. Er trug ihn so lange herum, bis er ihm nicht mehr gefiel – dann schrieb er einen neuen bessern und trug ihn wieder so lange bei sich, bis er den besten schrieb, den ich im nächsten Sektor hereinschreiben will. Bei dieser Gelegenheit kündige ich dem Publikum auf Ostern meinen »expediten und allzeitfertigen Liebebrief-Steller« an, den alle Eltern ihren Kindern bescheren sollten.

Apropos! Der Pelz-Kurierstiefel und der Beschlag mit Senf und die Eis-Krone haben glücklich mein Blut in die Füße gefüllet und dem Kopfe nicht mehr davon gelassen, als er haben muß, um für ein deutsches Publikum anmutige Ab- oder Ausschnitte aufzusetzen.


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