Jean Paul
Die unsichtbare Loge
Jean Paul

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Erster Sektor

Verlobung-Schach – graduierter Rekrut – Kopulier-Katze

Meines Erachtens war der Obristforstmeister von Knör bloß darum so unerhört aufs Schach erpicht, weil er das ganze Jahr nichts zu tun hatte als einmal darin der Gast, die Santa Hermandad und der teure Dispensationbullen-Macher der Wildmeister zu sein. Der Leser wird freilich noch von keiner so unbändigen Liebhaberei gehört haben, als seine war. Das wenigste ist, daß er alle seine Bediente aus dem Dorfe Strehpenik verschrieb, wo man durch das Schach so gut Steuerfreiheit gewinnt als ein Edelmann durch einen sächsischen Landtag, damit er (obwohl in anderem als katonischen Sinne) ebenso viele Gegner als Diener hätte – oder daß er und ein oberysselscher Edelmann in Zwoll mehr Postgeld verschrieben als verreiseten, weil sie Schach auf 250 Meilen nicht mit Fingern, sondern Federn zogen – Auch das kann man sich gefallen lassen, daß er und die Kempelsche Schachmaschine Briefe miteinander wechselten und daß des hölzernen Moslems Konviktorist und Adjutant, Herr v. Kempele, ihm in meinem Beisein aus der Leipziger Heustraße im Namen des Muselmanns zurückschrieb, dieser rochiere – Man wird seine Gedanken darüber haben, daß er noch vor zwei Jahren nach Paris abfuhr, um ins Palais royal und in die Société du Salon des Echecs zu gehen und sich darin als Schachgegner niederzusetzen und als Schachsieger wieder aufzuspringen, wiewohl er nachher in einer demokratischen Gasse viel zu sehr geprügelt wurde, da er im Schlafe schrie: gardez la Reine – Bloß frappieren kanns einen und den andern, daß seine Tochter ihm nie einen neuen Hut oder eine neue Soubrette, die ihn ihr ansteckte, anders abgewann als zugleich mit einem Schach – – Aber darüber wundert und ärgert sich alles, was mich lieset, Leute von jedem Geschlecht und jedem Alter, daß der Obristforstmeister geschworen hatte, seine Tochter keiner andern Bestie in der ganzen Ritterschaft zu geben, als einer, die ihr außer dem Herzen noch ein Schach abgewänne – und zwar in sieben Wochen.

Sein Grund und Kettenschluß war der: »Ein guter Mathematiker ist ein guter Schachspieler, also dieser jener – ein guter Mathematiker weiß die Differentialrechnung zehnmal besser als ein elender – und ein guter Differentialrechenmeister versteht sich so gut als einer aufs Deployieren und SchwenkenDas wüßt' er nicht, wenn ers nicht aus den neuen Taktikern, Herrn Hahn und Herrn Miller, hätte, die den jungen Offizier die Differentialrechnung lehren, damit es ihm nicht schwer werde, mitten im Treffen beim Deployieren und Schwenken die Grundwinkel herauszurechnen. – Ebenso hab' ich hundertmal ein Buch schreiben und darin die armen visierenden Billardspieler in den Stand setzen wollen, bloß nach einigen Auflösungen aus der Mechanik und höheren Mathesis mit zugemachten Augen zu stoßen. und kann mithin seine Kompagnie (und seine Frau vollends) zu jeder Stunde kommandieren – und warum sollte man einem so geschickten, so erfahrnen Offizier seine einzige Tochter nicht geben?« – Der Leser hätte sich gewiß sogleich ans Schachbrett hingesetzt und gedacht, der Zug einer solchen Quaterne aus dem Brette, wie die Tochter eines Obristforstmeisters ist, sei ja außerordentlich leicht; aber er ist verdammt schwer, wenn der Vater selbst hinter dem Stuhle passet und der Tochter jeden Zug angibt, womit sie ihren König und ihre Tugend gegen den Leser decken soll.

Wers hörte, begriff gar nicht, warum die Frau Obristforstmeisterin, welche lange Gesellschaftdame einer Gräfin von Ebersdorf gewesen, bei ihrem feinen Gefühl und ihrer Frömmigkeit eine solche Jägerlaune dulde; sie hatte aber eine herrnhutische durchzusetzen, welche begehrte, daß das erste Kind ihrer Tochter Ernestine für den Himmel sollte groß gezogen werden, nämlich: acht Jahre unter der Erde –»Meinetwegen achtzig Jahre«, sagte der Alte.

Ob man gleich in jedem Falle Teufelsnot mit einer Tochter hat, man mag Abonnenten an sie anzulocken oder abzutreiben haben: so hatte doch Knör bei der Sache seinen wahren Himmel auf Erden – unter so vielen Schachrittern, die sämtlich seine Ernestine bekriegten und verspielten. Denn mit einem Kopfe, in den der Vater Licht, und mit einem Herzen, in das die Mutter Tugend eingeführt hatte, eroberte sie leichter, als sie zu erobern war; daher ärgerte und spielte sich an ihr eine ganze Brigade ehelustiger Junker halb tot. Und doch waren unter ihnen Leute, die auf allen nahen Schlössern den Namen süßer Herren behaupteten, weil sie keine – Matrosensitten hatten, wie man in Vergleichung mit dem Seewasser unser schales süßes nennt.

Aber ich und der Leser wollen über die ganze spielende Kompagnie wegspringen und uns neben den Rittmeister von Falkenberg stellen, der bei dem Vater steht und auch heiraten will. Dieser Offizier – ein Mann voll Mut und Gutherzigkeit, ohne alle Grundsätze als die der Ehre, der, um sich nichts hinter seine Ohren zu schreiben, die sonst bei einiger Länge das schwarze Brett und der Kerbstock empfangner Beleidigungen sind, lieber andre Christen hinter die ihrigen schlug, der feiner handelte, als er sprach, und dessen Kniestück ich nicht zwischen diesen zwei Gedankenstrichen ausbreiten kann – warb in dieser Gegend so lange Rekruten, bis er selber wollte angeworben sein von Ernestinen. Er haßte nichts so sehr als Schach und Herrnhutismus; indessen sagte Knör zu ihm: »abends um 12 Uhr fingen, weil er so wollte, die sieben Spiel-Turnierwochen an, und wenn er nach sieben Wochen um 12 Uhr die Spielerin nicht aus dem Schlachtfelde ins Brautbette hineingeschlagen hätte: so tät' es ihm von Herzen leid, und aus der achtjährigen Erziehung brauchte dann ohnehin nichts zu werden.«

Die ersten 14 Tage wurd' in der Tat zu nachlässig gespielt und – geliebt. Allein damals hatten weder andre gescheite Leute noch ich selber jene hitzigen Romane geschrieben, wodurch wir (wir habens zu verantworten) die jungen Leute in knisternde, wehende Zirkulieröfen der Liebe umsetzen, welche darüber zerspringen und verkalken und nach der Trauung nicht mehr zu heizen sind. Ernestine gehörte unter die Töchter, die bei der Hand sind, wenn man ihnen befiehlt: »Künftigen Sonntag, so Gott will, werde um 4 Uhr in den Herrn A-Z, wenn er kommt, – verliebt.«Der Rittmeister biß im Artikel der Liebe überhaupt weder in den gärenden Pumpernickel der physischen – noch in das weiße kraftlose Weizenbrot der parisischen – noch in das Quitten- und Himmelbrot der platonischen, sondern in einen hübschen Schnitt Gesindebrot der ehelichen Liebe: er war 37 Jahre alt.

Sechzehn Jahre früher hatt' er sich einen Bissen vom gedachten Pumpernickel abgeschnitten: seine Geliebte und sein und ihr Sohn wurden nachher vom ehrlichen Kommerzien-Agenten Röper geheiratet.

Wir Belletristen hingegen könnens recht sehr bei unsern Romanen gebrauchen, daß es unserem Magen und unserer Magenhaut guttut, wenn wir in einem Nachmittage jene vier Brotsorten auf einmal anschneiden; denn wir müssen aller Henker sein, um allen Henker zu schildern; wie wollten wirs sonst machen, wenn wir im nämlichen Monat aus dem nämlichen Herzen, wie aus dem nämlichen Buchladen (ich ärgere hier Herrn Adelung durchs Wort »nämlichen«) Spottgedichte – Lobgedichte – Nachtgedanken – Nachtszenen – Schlachtgesänge – Idyllen – Zotenlieder und Sterbelieder liefern sollen, so daß man hinter und vor uns erstaunt übers Pantheon und Pandämonium unter einem Dache – mehr als über des Galeerensklaven Bazile nachgelassenen Magen, in welchem ein Mobiliarvermögen von 35 Effekten hausete, z. B. Pfeifenköpfe, Leder, Glasstücke und so fort.

Wenn die beiden jungen Leute am Schachbrett saßen, das entweder ihre Scheidewand oder ihre Brücke werden sollte: so stand der Vater allemal als Markör dabei; es war aber wirklich nicht nötig – nicht bloß weil der Rittmeister so erbärmlich spielte und seine Gegenfüßlerin so philidorisch; auch darum nicht, weil ihr die weibliche Kleiderordnung ohnehin verbot, matt oder verliebt zu werden (denn am Ende kehren Weiber und Ruderknechte allzeit eben den Rücken dem Ufer zu, an das sie anzurudern streben) – sondern aus einem noch sonderbarern Grunde war der Auxiliarforstmeister zu entraten: die Ernestine wollte nämlich um alles gern schachmatt werden, und eben deswegen spielte sie so gut. Denn aus Rache gegen das zögernde Schicksal arbeitet man gerade Dingen, die von ihm abhängen, absichtlich entgegen und wünschet sie doch. Die beiden kriegenden Mächte wurden zwar sich einander immer lieber, eben weil sie einander einzubüßen fürchteten; gleichwohl stands in den Kräften der weiblichen nicht, nur einen Zug zu unterlassen, der gegen ihre doppelseitigen Wünsche stritt: in fünf Wochen konnte der Werbeoffizier nicht einmal sagen: Schach der Königin. Die Weiber spielen ohnehin dieses Königspiel (wie andre Königspiele) recht gut... Da aber das eine Digression der Natur zu sein scheint und doch keine ist: so kann eine schriftstellerische daraus gemacht werden, aber erst im 20ten Sektor; weil ich erst ein paar Monate geschrieben haben muß, bis ich den Leser so eingesponnen habe, daß ich ihn werfen und zerren kann, wie ich nur will.

Wäre die Liebe des Rittmeisters von der Art der neuern gigantischen Liebe gewesen, die nicht wie ein aufblätternder Zephyr, sondern wie ein schüttelnder Sturmwind die armen dünnen Blümchen umfasset, welche sich in den belletristischen Orkan gar nicht schicken können: so wäre das wenigste, was er hätte tun können, das gewesen, daß er auf der Stelle des Teufels geworden wäre; so aber wurd' er bloß – böse, nicht über den Vater, sondern über die Tochter, und nicht darüber, daß sie das Schachbrett nicht zum Präsentierteller ihrer Hand und ihres Herzens machte, oder daß sie gut gegen ihn spielte, sondern darüber, daß sie so sehr gut spielte. So ist der Mensch! – und ich ersuche den Menschen, meinen Rittmeister nicht auszulachen. Freilich – hätt' ich die weiblichen Reize und die Rolle Ernestinens gehabt und hätt' ich ihm, indes er seine Kontraapproche aussann, ins betretne Gesicht geschauet, auf dessen gerundetem Munde der Schmerz über unverdiente Kränkung stand, der so rührend an Männern von Mut aussieht, sobald ihn nicht die Gichtknoten und Hautausschläge der Rache verzerren: so wär' ich rot geworden und wäre wahrhaftig geradezu mit der Königin (und mir dazu) ins Schach hineingefahren: denn was hätt' ich da geliebt als strenge Selberbüßung?

Beinahe hätte am 16. Junius Ernestine diese Büßung geliebt, wie man aus ihrem Briefe sogleich ersehen soll. Denn allerdings ist eine Frau imstande, zweimal 24 Stunden lang eine und dieselbe Gesinnung gegen einen Mann (aber auch gegen weiter nichts) zu behaupten, sobald sie von diesem Manne nichts vor sich hat als sein Bild in ihrem schönen Köpfchen; allein steht der Mann selber unkopiert fünf Fuß hoch vor ihr: so leistet sie es nicht mehr – ihre wie eine besonnete Mückenkolonne spielenden Empfindungen treibt auseinander, widereinander und ineinander ein Fingerhut voll Puder am besagten Mann zu viel oder zu wenig – eine Beugung seines Oberleibs – ein zu tief abgeschnittener Fingernagel – eine sich abschälende schurfichte Unterlippe – der Puder-Anschrot und Spielraum des Zopfs hinten auf dem Rock – ein langer Backenbart – alles. Aus hundert Gründen schlag' ich hier vor den Augen des indiskreten Lesers Ernestinens Brief an eine ausgediente Hofdame in der Residenzstadt Scheerau auseinander: sie mußte jede Woche an sie schreiben, weil man sie zu beerben gedachte und weil Ernestine selber einmal so lange bei ihr und in der Stadt gewesen war, daß sie recht gut eilftausend Pfiffe mit wegbringen konnte – drei Wochen nämlich.

»Die vorige Woche hatt' ich Ihnen wirklich nichts zu schreiben als das alte Lied. Unser Gespiele ennuyiert mich unendlich, und es dauert mich nur der Rittmeister; es hilft aber bei meinem Vater kein Reden, sobald er nur jemand haben kann, den er spielen sieht. Wär's nicht besser, der gute Rittmeister ließe seinen Kutscher, der den ganzen Tag in unserer Domestikenstube schnarcht, aufwecken und anspannen und führ' ab? Seit dem Sonntage martern wir uns nun an einer Partie herum, und ich habe mir schon den Ellenbogen wund gestützt – abends soll sie zu Ende.

Abends um 12 Uhr. Er verlierts allemal mit seinen Springern und durch meine Königin. Wenn er einmal geheiratet hat: so will ich ihm seine Fehlgriffe und meine Kunstgriffe zeigen. Ich bin recht verdrüßlich, gnädige Tante.

Den 16. Jun. In vier Tagen bin ich von meinem Spieler und Schachbrett los, und ich will dieses nicht zusiegeln, bis ich Ihnen schreiben kann, wie er sich gegen seine müde und unschuldige Korbflechterin benommen. Heute spielten wir oben im sinesischen Häuschen. Da die Abendröte, die gerade in sein Gesicht hineinfiel, verwirrte Schatten unter die Figuren warf und da mich sein rechter Zeigefinger dauerte, der von einem Säbelhiebe eine rote Linie hat und der auf der Schachbande auf lag: so kam ich aus Zerstreuung wahrhaftig um meine Königin, und das abscheuliche Kindtaufgeläute des sinesischen Glockenspiels ließ mir fast kein Dessein – zum Glück kam mein Vater wieder und half mir ein wenig ein. Ich führte ihn nachher in unsern neuen Anlagen im Wäldchen herum, und er erzählte mir, glaub' ich, die Historie seines linierten Fingers; er ist gegen seinesgleichen sehr wild, aber dabei ungemein verbindlich gegen Frauenzimmer.

Den 18. Jun. Seit gestern sind wir alle etwas lustiger. Abends brachten zwei Unteroffiziere fünf Rekruten, und da man sagte, es wär' ein Mensch darunter, der eine ganze geschlagene Armee zum Lachen brächte, gingen wir alle mit hinunter. Unten erzählte der Mensch gerade halblaut einem andern Rekruten ins Ohr, er habe ein eingesetztes Gebiß von lauter falschen Schneidezähnen, und sie fielen alle bis auf einen Eckzahn heraus, wenn er eine Patrone anbisse; er habe aber bloß das Handgeld wegkapern wollen. Er schraubte unsertwegen den Hut vom Kopf ab, aber eine weiße Mütze, die sich bis über die Augenbraunen hereinsenkte, zerrete er noch tiefer nieder: ›zög' er sie ab,‹ sagt' er, ›so käm' er in seinem Leben nicht zum Regiment.‹ Der eine Unteroffizier fing an zu lachen und sagte: ›Er tuts bloß, weil er drei abscheuliche Muttermäler darunter hat, weiter nichts‹ – und ein Kamerad streifte ihm heimlich die Mütze von hinten herunter. Kaum war zu unserem Erstaunen ein Kopf daraus vorgesprungen, der an beiden Schläfen zwei brennende Muttermäler wies, eine Silhouette mit einem natürlichen Haarzopf und gegenüber zwei Iltis-Schwänzchen: so faßte zu unserm noch größeren Erstaunen der Rittmeister den bemalten Kopf an und küßte ihn so heftig wie seinen leiblichen Bruder und wollte sich totlachen und totfreuen. ›Du bist und bleibst doch der Doktor Fenk!‹ sagt' er. Er muß sehr vertraut mit dem Rittmeister sein und kommt unmittelbar von Oberscheerau. Kennen Sie ihn nicht? Der Fürst lässet ihn als Botaniker und Gesellschafter mit seinem natürlichen Sohn, dem Kapitän von Ottomar, nach der Schweiz und Italien reisen, wie Sie schon wissen werden. Er setzt tolle Streiche durch, wenns wahr ist, was er schwört, daß dieses seine 21te Verkleidung sei und daß er ebenso viele Jahre habe. Er sieht übel aus; er sagt selber, sein breites Kinn stülpe sich wie ein Biberschwanz empor und der Bader rasier' ihm im Grunde die halbe Wüste gratis, so viel wie zwei Bärte – seine Lippen sind bis zu den Stockzähnen aufgeschnitten, und seine kleinen Augen funkeln den ganzen Tag. Er spaßet auch für Leute, die nicht seinesgleichen sind, viel zu frei.« – –


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