Jean Paul
Die unsichtbare Loge
Jean Paul

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Dreißigster oder XXIII. Trinitatis-Sektor

Souper und Viehglocken

Heut' arbeit' ich im Hemd wie ein Hammerschmied, so abscheulich lang und schwer ist der dreißigste Sektor. – Da Gustav von Oefel erfuhr, daß ein kleines Souper bei der Residentin so viel heiße wie bei uns das größte, so teilte er in seinem Kopf, eh' er es zieren half, Personen und Rollen aus, und sich die längste: – den einzigen Fehler beging er allemal, daß, wenn er endlich auf die Bühne kam und spielen sollte, er nicht spielte. Eh' er in eine große Gesellschaft ging, wußt' er Wort für Wort, was er sagen wollte; kam er wieder heraus, so wußt' er (in der Kulisse) auch, was er hätte sagen sollen – aber gesagt hatt' er darin weiter nichts. Es kam nicht von Menschenfurcht; denn es war ihm fast leichter, etwas Kühnes als etwas Witziges zu sagen; sondern davon kams, daß er das Gegenteil einer Frau war. Eine Frau lebt mehr außer als in sich, ihre fühlende Schnecken-Seele legt sich fast außen um ihre bunte Körper-Konchylie an, sie zieht ihre Fühlfäden und Fühlhörner nie in sich zurück, sondern betastet damit jedes Lüftchen und krümmt sie um jedes Blättchen – mit drei Worten: das Gefühl, das der Arzt Stahl der Seele von der ganzen Beschaffenheit ihres Körpers zuschreibt, ist bei ihr so lebendig, da sie in einem fort fühlt, wie sie sitzt und steht, wie das leichteste Band aufliegt, welchen Zirkelbogen die gekrümmte Hutfeder beschreibt – mit zwei Worten: ihre Seele fühlt nicht nur den Tonus aller empfindlichen Teile des Körpers, sondern auch den der unempfindlichen, der Haare und der Kleider – mit einem Worte: ihre innere Welt ist nur ein Weltteil, ein Abdruck der äußern.

Bei Gustav aber nicht; seine innere Welt steht weit abgerissen neben der äußern, er kann von keiner in die andre, die äußere ist nur der Trabant und Nebenplanet der innern. Seiner Seele – in den Gehirn-Weltglobus, den der Hut bedeckt, eingesperret – verbauen die bunten eignen Gewächse, auf denen sie sich wiegt und vergisset, die Aussicht auf die Gegenstände jenseits ihres Körpers, die nur dünne Schatten auf ihre Gedanken-Auen werfen; sie sieht also die äußere Welt nur dann, wenn sie sich ihrer erinnert; dann ist diese in die innere versetzt und verwandelt. Kurz Gustav beobachtet nur das, was er denkt, nicht was er empfindet. Daher weiß er niemals seine Ideen und Worte mit den vorüberschießenden Ideen und Worten andrer Leute zu amalgamieren. Der Hofmann schraubt auf und zu, und die Kaskaden seines Witzes springen und schimmern – Gustav hingegen wirft erst den Eimer in den Ziehbrunnen und will darin den Trunk mit der Zeit herausdrücken. – Eine feinere Ursache geb' ich unten an.

Oefel rühmte ihm am Morgen dieses wichtigen Souper so viel von Beaten vor, er würde heute ihr coeur so sehr im Gleichgewichte mit dem esprit der Residentin sehen, – daß er alles Sehen verwünschte und einen zweiten Grund bekam, sein schweres Herz ins stille Land zu tragen. Sein erster war: er schickte sich allemal zu einer großen Gesellschaft dadurch an, daß er vorher in die größte ging – unter den großen blauen Himmel. Hier unter kolossalischen Sternen, an der Brust der Unendlichkeit, lernt man sich erheben über metallene Sterne neben das Knopfloch genäht; von der Betrachtung der Erde bringt man Gedanken mit, durch die man die Erdstäubchen, die man Menschen nennt, kaum wirbeln sieht – und die farbigen Gold-Insekten, womit sich das Gewächsreich musivisch stickt, werden von der Gold- und Juwelenstickerei der Hofpracht nicht übertroffen, nur nachgeahmt. – Gegenwärtiger Verfasser stattete allemal dem großen Erd- und Himmelzirkel einen Besuch vor und einen nach dem Besuche ab, den er einem kleinern Cercle machte, damit der große die Eindrücke des kleinen verhütete und verlöschte.

Ich werde rot, wenn ich mir denke, wie unbehülflich sich mein Gustav durch zwei Vorzimmer in einen Salon mag haben führen lassen, wo wenigstens schon an sieben Spieltischen Streiter saßen. Feinheit der Denkart ist Anlage, Feinheit des Ausdrucks ist eine Frucht, wozu nicht gerade Hofgärtner nötig sind; aber Feinheit des äußern Anstands ist nirgends zu holen als da, wo sie alles gilt in der großen Welt voll Mikrokosmen. Sollt' ich von letzterer Feinheit mehr aufzuweisen haben, als man gewöhnlich bei meinem Advozier-Stand sucht: so bin ich nie so eitel, sie aus etwas anderem abzuleiten als aus meinem Leben am Scheerauer Hof. – Die Residentin (Beata ohnehin nicht) spielte selten, und mit Recht: eine Frau, die mit ihrem Gesichte andre Herzen gewinnen kann als lackierte auf der Karte und die den Männern einen andern Kopf nehmen kann als den auf Metalle gedruckten, tut übel, wenn sie sich mit dem Kleinern begnügt, sie müßte denn mit den schönsten Fingern taillieren und coupieren können, die ich noch in weiblichen Handschuhen und Ringen gesehen. Vor dem funfzigsten Jahre sollte keine spielen und nach ihm nur die, die der Mann und die Tochter verspielen sollte. – Hingegen der poetische Gladiator, Herr von Oefel, diente unter der Armee, die (nach dem Modejournal) in jeder Winternacht 12 000 Mann stark ist in den vordern deutschen Reichskreisen – nämlich mit und gegen L'hombre-Spieler. Die Residentin war eine brillante Sonne, der immer Beata als Abendstern nachzog. Sanfter holder Hesperus am Himmel! du wirfst deine Strahlen-Silberflitter auf unser Erden-Laub und schließest leise unser Herz für Reize auf, die so sanft wie deine sind! Alle Sommerabende, die mein Auge in Träumen und Erinnerungen auf deinen über mich erhöhten Unschuld-Auen verlebte, belohn' ich dir, versilberter schönster Tautropfe in der blauen Äther-Glockenblume des Himmels, indem ich dich zu einem Bilde der schönen Beata mache! – O könnt' ich doch ihre Heiligengestalt aus meinem Herzen heben und hieher auf meine Blätter legen, damit es der Leser sähe, nicht bloß begriffe, wie von der junonischen Bouse, aus der alle weibliche Reize brechen, selber seltene Uneigennützigkeit, doch aber Unschuld und weibliche bescheidne Zurückgezogenheit nicht, wie von ihr alle diese hölzernen Strahlen abfallen, wenn sich neben ihr mehr verhüllt als zeigt Beata, welche über die heftigsten weiblichen Wünsche den innern Sieg erhält und doch weder Sieg noch Kampf verrät – die, ohne Bousens Trauer-Hülse und Trauerspielen, ein erweichtes Herz dir gibt und deinen Blick unwiderstehlich beherrschet – und mit der du im Mondschein gehen kannst, ohne sie oder den Nachthimmel auf der Erde minder zu genießen! – Gustav fühlte noch mehr als ich; und ich fühle in meinen biographischen Stunden wieder mehr als sonst in meinen musikalischen. – –

Bei Gelegenheit! wenn sie essen: werd' ich auch die übrigen Gäste abfärben. Unter dem gesellschaftlichen Tumult, der sowohl Gustavs Sinnen als Ideen betäubte, fiel freilich nur Beatens halbes Sonnenbild in seine Seele. Aber nachher freilich! – Vorher aber lagen beide mit der Residentin unter dem Fensterbogen, die ironisch Gustaven vor Beaten entschuldigte, daß er heute nicht mit dem Pinsel gekommen – eine Menge zufälliger Zwischenredner zu geschweigen. Die Residentin wurde ihnen entrissen; die nahe und einsame Stellung nötigte beide zum Sprechen und Beaten zum Bleiben. Gustav, der schon vor der Assemblee im Kopfe hatte, was er sagen wollte, sagte nichts. Aber Beata endigte das vorige Gespräch über das Abzeichnen und sagte:»Wenn Sie mich nicht schon entschuldigt haben, so kann ich mich nicht entschuldigen.« Ein andrer von mehr Wendung hätte geradezu Nein gesagt und so im Scherze, der keine Verlegenheit zuließ, die Fäden der Vogelspinne um das arme Kolibri herumgewunden. – Gustav hatte zu starke Gefühle, um hier zu scherzen. An einer Menge schwerer Materien, wovon euch alle Handhaben abbrechen, hält bloß die des Scherzes fest, und ihr könnt sie damit regieren; besonders wenn ihr mit Mädchen unter Fensterbögen sprecht.

Gustav suchte längst Gelegenheit, Beaten andre Teile seiner Seele zu zeigen, als damals in der Korn-Sache zum Vorschein gekommen; jetzo hätt' er die Gelegenheit, obwohl keine Mittel gehabt, wenn nicht der Park mit dem Abend-Schmuck sich vor das Fenster gelagert hätte. Aber Natur-Schönheit war die einzige Sache, worüber er mit andern Schönheiten begeisternd und begeistert sprechen konnte; – und er konnte am frischesten alle Weltreize in einen Morgen zusammendrängen, wenn er seinen Eintritt aus der Erde hinauf in das hohe Weltgebäude beschrieb. Auf jedes Wort und Bild, das er sagte, oder sie zurückgab, war eine Seele geprägt, die sie einander zugetrauet hatten. Plötzlich schwieg er mit weiten glänzenden Augen – ihm war, als gehe in seiner Seele ein Zauber-Mond auf und scheine über ein weites dämmerndes Land und ein Engel seiner Kindheit steh' im Blütenlande und nehm' ihn in seine Arme und drück' ihn so an sich, daß das Herz an ihm zerflösse.... Und worauf ruhte dieses innere Landschaftstück? – Worauf das berühmte Straßburger Uhrwerk ruht – auf einem Tierhals: dieses liegt nämlich auf einem Pegasus-Nacken; seines trugen die Hälse des zufällig vor dem Schlosse heimgehenden Weideviehs, an denen solche Glocken hingen, die denen der Herde Reginens ähnlich klangen und die mithin die ganze Jugendszene mit ihren Tönen wieder in seine Seele setzten.... In einer solchen Stimmung hätt' er in einer National-Versammlung geredet; auch machte der Tumult, der beide einfaßte, sie einsamer und vertraulicher: kurz er erzählte ihr mit Feuer und historischen Auslassungen seine Schäferei mit einem Lamm auf dem Berg. – Dieses Schwärmen steckte sie (wie jedes alle Weiber) so sehr an, daß sie anfing – zu schweigen.

Die Not zwang beide, jetzt einen äußern Gegenstand (wie ein Schwert im fürstlichen Bett) zwischen ihre zusammenfließenden Seelen zu bringen – sie sahen auf die beiden Gärtners-Kinder unten hinab, und zwar so begierig, daß sie nichts sahen. Der Junge sagte: »Mich hat das Fräulein (Beata) so lieb« und streckte beide Arme auseinander – das Mädchen sagte: »Mich hat der Herr (Gustav) so groß lieb, wie das Schloß« – »und mich«, replizierte er, »so groß wie den Garten« – »und mich«, exzipierte das Mädchen, »so groß wie die ganze Welt.« Darüber konnten die Flügel des Jungen nicht hinaus, und hätten seine Schwanzfedern über den Katheder-Horst hinausgestochen. Jedes zählte dem andern die Liebepfänder, die es von den oben über gegenseitigem Lob erfreueten Zuhörern erhalten hatte, und sagte bei jedem Stück: »Hast du das g'kriegt?« –

Mit jenem hastigen Sprung der Kinder zu einem neuen Spiel sagte das Mädchen: »Jetzo mußt du der Herr (Gustav) sein; und ich will das Fräulein (Beata) sein. Jetzo will ich dich liebhaben, nachher mußt du mich.« Sie strich ihm sanft die Backen und dann die Augenbraunen und endlich die Arme und manipulierte den Herrn. »Jetzo mich!« sagte sie mit schnell herunterhängenden Armen. Der Junge warf seine Arme so eng um ihren Hals, daß die zwei Ellenbogen sich durchschnitten und schürzten und als überflüssige Bandschleifen über den Liebeknoten hinausragten; er küßte sie derb. Plötzlich fand ihre kritische Feile einen verdammten Anachronismus an diesem historischen Schauspiele, und sie sagte fragend: »Ja, der Herr und das Fräulein haben sich ja nicht lieb?« –

Das war zu viel für die Frontloge oben, die zugleich das Auditorium und das Original der kleinen Spieler war, und die Kopie derselben zu werden in Gefahr geriet. Gustav hielt das Augenlid gewaltsam offen, damit es das Wasser, worin sein Auge stand, zu keiner sichtbaren auf die Wange fallenden Träne vereinigte – und die gerührte Beata ließ, ohne oder mit Absicht, ihre Rose abgeknickt zu Boden zittern: er bückte sich nach ihr lange und ließ seine Träne verborgen wegsinken; aber da er ihr die Rose gab und beide furchtsam die gesenkten Augen auf der Blume versteckten und hefteten und da sie ein herspringender Tropf unterbrach: so standen plötzlich ihre aufgeschlagnen Augen einander wie der aufgehende Vollmond der untergehenden Sonne gegenüber und sanken ineinander, und in einem Augenblick unaussprechlicher Zärtlichkeit sahen ihre Seelen, daß sie einander – suchten.

Der springende Tropf war Oefel, der Beatens Arm haben wollte, sie in den Speisesaal zu führen. Jetzt, Leser, trag' ich dir statt lebendiger Rosen (wie unser Seelen-Paar ist) lauter in Butter gesottene Rosen auf. Sechs- oder siebenundzwanzig Gedecke, glaub' ich, waren. Ich will hier statt eines Küchenzettels einen Passagierzettel der Gäste verfertigen. Erstlich waren am Tische und im Schlosse zwei keusche Menschen – Beata und Gustav; welches ein Beweis ist, daß schöne Seelen an allen Orten wachsen, sogar an den höchsten: so ließ der Kaiser Joseph jährlich einige Nachtigallen in den Augarten werfen, damit man da was hörte.

Nro. 2 war der Fürst, der in seinem kurzen Leben mehr Weiber in der Nähe gesehen als der Ochs Apis, dessen Leben doch so lang war wie das ägyptische Alphabet. Er war an dieser Tafel, was er auf seinen Reisen an mancher table d'hôte nicht zu sein vermochte, der Bruder Redner und der Hauptwind unter 63 andern Nebenwinden. Seine Krone hatten sämtliche Damen auf.

Nro. 3 war sein apanagierter Bruder, den der gekrönte haßte, nicht weil er zu viel Volkliebe hatte und verdiente, sondern weil er einmal todkrank war und nicht starb, sondern von der Apanage fortlebte. Das Gerippe dieses Bruders würde den Fürsten, wie ein jedes Gerippe Ägypter und Griechen, zu einem freudigern Genuß des Gastmahls überredet haben.

Nro. 4 war ein Michaelisritter aus Spaa (Herr v. D.), dessen Ordenstern in Scheerau noch Strahlen abschickte, nachdem er in Paris längst vernichtet war. So sagt Euler, daß ein Fixstern am Himmel noch wegen seiner Entfernung sein Schimmern fortsetzen kann, ob er gleich längst eingeäschert worden.

Nro. 5 war Cagliostro, der unter so vielen pointierenden Köpfen das Schicksal der Ärzte und Gespenster und Advokaten hatte, daß seine öffentlichen Spötter zugleich seine geheimen Jünger und Klienten sind.

Nro. 6 war mein Gerichtherr von Röper, der, weil er mit dem Fürsten etwas zu sprechen hatte, dageblieben war. Er war der einzige im ganzen Eßkonvent, der zweierlei tat: erstlich daß er alle Weinsortiments des Bousischen Wein-Inventariums sich reichen ließ, um von allen Weingütern der Residentin denjenigen deutlichen oder doch klaren Begriff in seinen Magen zu bringen, worauf die ältere Logiken so sehr dringen – zweitens daß er einen so großen Wert auf das frikassierte, marinierte etc. Essen legte, als wenn ers gäbe und nicht bekäme, und immer höflicher und gebückter wurde, je satter und voller er wurde, gleich einer Wurst, die sich krümmt, wenn man sie füllet.

Nro. 7, 8, 9 waren zwei grobe Regierungräte ** und ein grober Kammerpräsident *, wovon die zwei ersten den ganzen Hof verachteten, weil er keine andern Pandekten im Kopfe hatte als literarische, und der dritte, weil er sich es ausmalte, wie viel Pensionen und Gagen der ganze Hof ohne die Kammer, d. h. ohne ihn wohl hätte, und sämtliche drei, weil sie glaubten, sie hielten den Thron, ob sie gleich nichts hätten tragen können als in Salomons Tempel das – eherne Meer.

Nro. 10 war die Residentin, die sich nach dem Tone eines jeden stimmte und doch durch ihren eignen sich von allen Weibern unterschied – gleich dem König Mithridates redete sie die Sprachen aller ihrer Untertanen.

Nro. 11, 12 war eine durchreisende Äbtissin und eine verwittibte Fürstin von **, die ihrem Stande gemäß einsilbig und hautain waren.

Nro. 13 war die Défaillante, deren größte Reize und Anziehkraft in den kleinen Füßen angebracht waren, wie in den zwei Füßen eines armierten Magneten. Der Kopf, ihr zweiter Pol, stieß ab, was der untere zog.


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