Jean Paul
Bemerkungen
Jean Paul

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Es übt zwei ganz verschiedene Kräfte für die Gesellschaft. 1) Die erste ist die schaffende, wie man sich ihr durch Verstand und Witz auf rechter Seite und zu ihrer Freude darstellt. 2) Die zweite ist die erratende und weissagenden wie sie unser Benehmen und Charakter aufnimmt und billigt. Die erste kann ohne die zweite sein und über jene diese vergessen werden. Denn all dein Beobachten zeigt dir nur den andern, aber nicht das Bild, das du von dir in ihm entwirfst. Der Prosaist behandelt den Dichter als einen Prosaiker und umgekehrt, und beide glauben zu beglücken. Über dem Bemerken vergißt man das Bemerktwerden, und man glaubt durch jenes dieses zu beherrschen, ja zu verdunkeln.

Alles ist uns am andern leichter zu erraten als dies, wie er uns errät; das Erraten des Erratens. Daher können 2 auf einmal sich wechselseitig überlisten und täuschen.

Bei Wohlwollen setzt man sich so in des andern lächerliche Ideen hinein, daß man das Lächerliche so wenig spürt wie er selber; z.B. bei H. v. Mann, als er wünschte, daß sein Sohn ein großer Dichter werde, weil es in Bayern keinen gebe.

Die Jahre machen nur klüger; aber nicht empfänglicher des Schaffens.

Wenn man eine Sache gewährt und eine abschlägt: so kommt es auf die Zeitfolge dabei an; die gewährte verliert durch die spätere abgeschlagne; diese gewinnt durch die spätere gewährte.

Der Geizige liest jedes gekaufte Buch aufmerksamer, er will etwas für sein Geld haben.

In der Ehe gefallen die Männer den Weibern länger als umgekehrt; um nur unter viel(en) Gründen [einen] anzugeben, so verlieren die Männer in der Ehe wenig(er) an Schönheit, weil sie nur wenige hineingebracht.

Die elterliche Liebe belohnt sich bloß durch das Kinderglück, verlangt aber nicht dafür die Kinderliebe. Die verliebte Liebe will durchaus vom Gegenstand erwiderte Liebe, und ihr ist nicht daran genug, daß sie ihn beglückt weiß.

Das weibliche Zusammenkommen und Zusammenplaudern, ohne daß etwas Wichtiges erörtert oder gelernt wird, ist von der Seite des Herzens zu verteidigen; schon Wechselgefühle sich geben ist etwas.

Man dringt auf ein einsames Abendarbeiten des Kindes; und doch, wenn es dabei ist, kommt ein Mitleiden, das ihm gern ein Aufspringen geben oder erlauben möchte.

In den Mannjahren sehnt man sich unendlich aber vergeblich nach einem Freunde, der wie ein Jüngling der frühern Jahre alles anhört und aufnimmt.

Wie der Mensch sich nicht in die fremde Seele setzt, inwiefern ein hassendes Wort ihr z(um) Schmerz wird, das natürlich dem Sprecher eher als ein wohltuendes vorkommt: so setzt er sich auch bei einem liebenden, das er sagt und das ihm nur Ausdruck, nicht Genuß ist, [nicht] in die fremde Seele, welche dadurch den Genuß der Liebe empfängt.

Man schmeichelt besser herab- als hinaufwärts; ein Fürst, ein berühmter Autor, Minister bedürfen weniger Wendungen, ja oft nur Mienen, um die andern unter sich außer sich zu setzen.

Mitten im Tage ist's schwer, sich aus einer Stimmung zu bekehren. Aber ein folgender fängt eine ganz neue an und durchstreicht mit dem schwarzen Nachtstrich die alte ganz.

Wie wenig das Eltern-Reden in die Kinder eingreift, sieht man daraus, daß aller hypoch(ondrischer) Ekel am Leben, des Tags unaufhörlich ausgedrückt, doch nicht in den Frohsinn der Kinder zerstörend übergeht.

Es ist nicht Eitelkeit und Ehrsucht, wenn ein Autor bei einem neuen Werke von neuem gelobt werden will: es ist eigentlich Mißtrauen in seine Kräfte oder in deren Bestand, welchem das fremde Lob widersprechen soll.

Mit der Zartheit und Seltenheit jedes Tadelworts in der Ehe wächst auch die Schärfe des kleinsten Tadels; und in der sanftesten Ehe gebiert ein Wort Zank, das in einer andern kaum Zürnen erregt hätte.

Meine Bemerkungen im Alter haben alle das Zeichen der Vergänglichkeit; die in der Jugend dachten noch an keine. Hier war alles auf Unaufhörlichkeit gegründet.

Der Kaufmann gesteht am offenherzigsten seinen Egoismus und sagt: »ich habe davon keinen Vorteil (Nutzen).« Der Weltmann sagt: ich habe kein Vergnügen davon. – Der Kriegsmann: ich habe keine Ehre davon. – Der Gelehrte: was lern ich dabei?

Schon räumliche Ferne veredelt und verklärt poetisch einen gehenden Menschen; wieviel mehr zeitige!

Im Alter lernt man mehr von sich als von andern; in der Jugend umgekehrt; daher dort Einsamkeit gut, hier Gesellschaft.

Kein Verstand kann erdichtet sein, aber wohl ein Gefühl.

Je weniger jemand Bücher hat, z. B. auf dem Lande, desto mehr glaubt er den gekauften; ein Biblioth(ekar) sollte eigentlich keinem glauben.

Niemand verlasse sich in der Liebe auf Rührungen; sie dauern so wenig fort als die Erzürnungen. In jeder starken Bewegung liegt der Grund ihres Stillstands. Jeder glaubt, er werde ewig lieben, ewig hassen.

Um auf der einen Seite nicht mutlos und auf der andern nicht übermütig zu werden, muß man sich immer mehr die Ähnlichkeit der Anlagen, der Gesinnungen und der ganzen Menschheit recht klar vorhalten. Der Jüngling sieht lauter Unähnlichkeiten, der Mann mehr Änlichkeiten.

Kein Streit, d. h. kein HinundHerreden in der Ehe hilft – höchstens langes Aussprechen auf der einen Seite und Aushören auf der andern und dann rückwärts. Bei dem Streit zeigt und bekämpft jeder nur eine Facette der Meinung des andern.

Liebe ohne Handeln ist nichts, aber zum Handeln in der Ehe gehört das Reden zuerst, jedes Wort ist eine Tat.

Wenn der gesellige Ton nicht erlaubt, die eignen Kinder, Verwandte etc. zu loben: so verbietet er noch weit mehr, sie in Gegenwart der Gäste zu tadeln, da Tadel größere Vertraulichkeit als Lob voraussetzt, und da er durch die Darstellung eines fremden Fehlers und der unangenehmen Empfindung dabei auch dem Gaste diese geben muß. Daher ist sogar das Tadeln der Kinder so fehlerhaft als es wäre, ihnen vor der Gesellschaft Lehrminuten zu geben.

Jede Verleumdung (z.B. gegen die Marie Schubert) entsteht und beherrscht durch mißverstandne Einzelheiten der Geschichte, welche durch ihre Anhäufung und dickere Zusammenwebung so etwas Scheinfestes zurücklassen. Und dadurch eben siegt die Verleumdung noch jahrelang hinter ihrer Widerlegung fort. Denn zur Widerlegung würde eben das Aufsammeln und Auffasern der gedachten Gewebe aus kleinsten Zufälligkeiten gehören; aber wer behält oder erfährt diese letztern? Und sogar, wenn dieses wäre, wer würde zuhören oder gar ausbreiten? Eine Neuigkeit läßt sich mit Vorteil austragen; aber die Widerlegung einer veralteten Neuigkeit wird niemand interessieren.

Das Achten der Frauen auf den Putz anderer Frauen daher zu rechtfertigen: sie können jedes Band von der andern für sich gebrauchen, denn zwischen Schönheiten herrscht Gleichheit und Freiheit; jeder fremde Anzug kann zum eignen werden. Hingegen die männlichen Vorzüge können nicht so von Mann zu Mann übertragen werden. Kleider sind den Weibern, was Bücher den Männern; nur Reize sind ihnen, was diesen die Gaben oder Wissenschaften. Jede ist für die andere ein Kunstwerk, das von dieser zu studieren ist.

In jeder Liebe ist ein Schmerz, denn welches Geliebte ist glücklich genug, auch wenn man es nicht verliert?

Jeder hat den Glauben, der andere beurteile ihn aus demselben Gesichtspunkt, mit denselben Kräften und Lagen, wie er ihn; und keiner errät daher das Urteil des andern über sich.

Das Versprechen ist etwas so Angenehmes und Poetisches, daß man begreift, warum man so gern und leicht eines gibt, fast ebensosehr des eignen Genusses wegen als des fremden. Bei dem Halten aber geht ein großer Teil von dieser Poesie in Prose über; und daher war es nicht immer anfangs Vorsatz eines Wortbruchs, wenn das schwere, phantasielose Halten ausblieb. – So ist das zornige Drohen und Verschwören eine ähnliche genießende Poesie, der die Prose des Haltens schwer wird.

Nichts fehlerhafter, als aus einem edeln oder unedeln Zuge einen andern voraussetzend zu schließen; gerade ein entgegengesetzter kann kommen. Daher sollten Dichter nicht die Charaktere schulmäßig oder erschlossen darstellen, so daß der Leser aus dem ersten Verhältnis und Major die ganze Reihe kettenschlußartig bilden könnte. Z. B. nach Edelsinn kommt oft Zerstreuung, Unwahrheit, Rachsucht; – nach Wohlwollen Feigheit.

Ich lasse mir erzählen, um etwas daraus mir zu nehmen; die meisten hören gern erzählen, bloß um wiederzuerzählen, wofür sie wieder Erzählungen eintauschen.

Man gibt sich freilich bei kaltem Blut über vorige Leidenschaft Unrecht; aber in dieser gibt man sich auch Unrecht über den vorigen Tadel der Leidenschaft bei kaltem Blute.

Der Jugend sind Rührungen und Erschütterungen nützlich; dem Alter unangenehm, es will sich erhellen auf den Treppen hinabwärts.

Jeder, er mag sich erzürnen oder andern abfodern, tut es nie im Namen seines Ich, sondern im Namen des Rechts, das allein sein Ich und das fremde gleichsetzt und über beide ausspricht. Sogar der Egoist muß sich diese Täuschung vormachen.

Bei jedem Geschichtfall muß man nicht nach der Zukunft forschen – welche er hervorgebracht –, sondern nach der Vergangenheit – welche ihn hervorgebracht; – und letztes zeigt den historischen Geist.

Im Alter glaubt man noch an die richtige Jugendregel, z. B. bei dem Körper, daß eine Heilung und Stärkung im Jahre 1821 einen stärkern Körper im Jahre 1822 gebe. Aber für das Alter gibt's keine stärkende, nur eine schwächende Zukunft; und jedes Jahr senkt sich tiefer, und alles, was man in sich vorzubereiten hat, ist Standhaftigkeit für die tiefere Stufe und Abwehr eines Sprungs, statt eines Schrittes. – Eigentlich ist das Alter weit weniger er- und gekannt, weil die meisten keines erleben, und als Jünglinge nur Jugend verstehen, indes der Alte Jugend und Alter zugleich versteht.

Der Mensch rechnet die Wahrscheinlichkeit seines langen Lebens immer nach den Krankheiten, die er besiegte oder deren Grade er kennt, z. B. nach dem Schlagfluß, der ihn durch seine Vorbauungen erst nach langer Zeit treffen könne. Aber eine Krankheit läßt er in seiner Moralitätsliste aus, nämlich die ganz neue, unvorhergesehene; denn die Menschen sterben öfter an unerwarteten als an erwarteten Krankheiten.

Man kann leicht – wie ich bei Ranzau – die achtende Scheu für fremden Stolz und vornehmes Zurückziehen halten.

Oft behält der Mann lang(e) schweigend seine Opferungen für die Frau bei sich; so die Frau ihre ebenfalls – aber desto härter stoßen dann beide irgendeinmal mit der Offenbarung (Aufdeckung) ihrer entgegengesetzten Aufsammlungen [Vorräte] aneinander.

Ich will mehr lernen von den Ansichten des All durch eine geist- und gemütreiche Frau als durch alles Reden eines eingefleischten Fichtisten, Hegelisten etc., sei dieser auch noch so genial und kraftvoll; denn dieser verdünnt alle seine individuelle Kraft zu einer allgemeinen Aussprache des Systems; er zersetzt und verflößt sich ins Bekannte und glaubt doch bestimmt zu sein, weil das System es ist.

Obgleich bei Erfindung der philosophischen und theologischen Wahrheit die Menge der Köpfe mehr schadet als nützt: so entstehen gerade durch die Menge derselben die ungeheuern Lehrgebäude der historischen Wissenschaft, der Chemie, Physik etc.

Nicht irgendeine oder die andere Sünde kann sich der Mensch vorwerfen zu Trauer und Buße – jede ist nur eine einzelne Bezeichnung des Ganzen –, sondern die Anschauung seines Ganzen kann ihn niederschlagen, nämlich die Summe seiner Bestrebungen.

Eigentlich ist es eigner Egoismus und Freßsucht, wenn man lieber will, daß die Kinder das geschenkte Zuckerwerk oder Geld selber vernaschen, als daß sie es andern schenken.

Die Erinnerungen früherer Zeiten nehmen von Jahrzehnt zu Jahrzehnt eine andere Gestalt und Wirkung für uns an.

Der Gelehrte muß sich nicht an zu viele Stille verwöhnen; er fordert sonst immer größere, und zuletzt stört ihn alles.

Ein recht dummes wissenschaftliches Urteil entscheidet über den wissenschaftlichen Wert eines Mannes; aber kein gutes, tiefes; denn es kann Diebstahl oder Zufall sein. So entscheidet eine schlechte Handlung über den Menschen; aber eine edle nicht, denn der Motive gibt es so viele.

Die meisten fangen an, in ihr eignes Lob zu geraten, wenn man ihnen lange eines erteilt, wie der Hund sich selber mit zu kratzen anfängt, wenn man ihn wohltuend kratzt.

Die Weiber müssen viel Geist haben, daß sie ihren behalten bei den weiblichen Arbeiten, die ihn sowenig üben, wie Nähen etc., indes alle männlichen zu Übungen desselben werden.

Wenn ich zuweilen schrieb, die Weiber nehmen keine Gründe an, auch antworten sie immer auf etwas anders, als vorgeworfen wird: so gilt dies von ihnen, wenn sie in der Leidenschaft, sogar geringen Grades sind, worin sie mit jeder Querantwort sich verteidigen und retten wollen; in Ruhe hingegen sind sie kurz, scharf und viel konsequenter.

Nach dem Anziehen der Weiber kommt das Abschiednehmen derselben, dessen Länge immer etwas dauert.


 << zurück