Jean Paul
Bemerkungen
Jean Paul

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Bemerkungen über uns närrische Menschen

Febr. 1793

2. Bändgen

Eine starke Phantasie ist jed(es) großen Entschluss(es) fähig, aber sie macht auch – weil sie die Sache auf einer andern Seite betrachtet – desto unfähiger, ihn auszuführen.

Sanfte, weiche Menschen beweisen zum Schutz anderer einen größeren Zorn und Mut als für sich, z. B. Mütter.

Wir zeigen mit weniger Scham die Leidenschaften des Hassens als des Liebens.

Man hört, wegen der Gewöhnlichkeit, das Prügelgeschrei eines Kindes mit weniger Rührung als eines Hunds.

Wenn ein Buch nicht wert ist, 2 mal gelesen zu werden, so ist's auch nicht wert, 1 mal gelesen zu werden.

Die Liebe mindert die Feinheit der Weiber und mehrt die der Männer.

Nichts sichert (zumal die Weiber) mehr gegen Beleidigungen als die Gewißheit, daß man sie nicht vergibt.

Jakobi(s) Schriften verstand ich mehr, indem ich mich ihrer erinnerte, als indem ich sie las.

Ein Jüngling, der mit dem bürgerlichen Leben zufrieden wäre, wäre sehr mittelmäßig.

Mehr Sachen auf einmal merkt man leichter als eine.

Für einen von viel Witz und Belesenheit gibt's gar keine Unähnlichkeiten mehr.

Die Mannspersonen, die wir weibisch nennen, haben vom Weib nur die Fehler und gefallen Weibern so wenig als Weiber.

Bei manchen zerfließet alles so sehr ins Ganze, daß sie bei eignen Fehltritten die Schwäche der menschlichen Natur bedauern.

Manche wollen nur, daß, nicht wie, man sich entschuldige.

Die Eitelkeit des Umgangs wächst am meisten durch Leute, an denen man kein Interesse nimmt und mit denen man doch spricht.

Er hält sich noch nicht für tugendhaft genug, um sich kleine Sünden zu verbieten.

Der Weise rechnet das Mißvergnügen zu seinen Sünden.

Der schönste, edelste, freimachende Gehorsam ist der gegen sich – man muß nicht wollen, was man tut, sondern tun, was man will.

Übertriebner Tadel schadet Guten mehr als übertriebnes Lob.

Wenn man bei Mädgen etwan wie bei Männern auf ein schneidendes Ja oder Nein dringt: so gewinnt man sicher das Unangenehmere – sie haben eine aus Ja und Nein zusammengesetzte Antwort gewohnt.

Ferne Berge sind erhabner als nahe.

An ungebildeten Leuten ärgert e(inen) Eigennutz nicht.

Eine gewisse Seelengröße macht zur Menschenkenntnis unfähig.

Liebe ist ein Auszug aus allen Leidenschaften auf einmal.

Wenn man lang ein Kleidungsstück ansieht, kömmt's einem närrisch vor.

Eine einzige Selbstüberwindung stärkt mehr als 20 Gefühle und 200000 Predigten.

Es gibt 2 ganz verschiedene Satiren, eine gegen Laster, eine gegen Torheiten.

Eltern schlagen stärker, wenn das Kind nicht schreiet.

Unsre schlimmen Taten bleiben uns mehr im Gedächtnis als unsre guten.

Um sich von einer zu großen Liebe oder Duldsamkeit für etwas zu heilen, muß man nicht die Feinde davon lesen, sondern die Freunde. Lavater

Die größere Stärke wäre, bei der Kraft, wie ein ungewöhnlicher Mensch zu leben, der Entschluß, zu leben wie ein gewöhnlicher.

Wenn man keine besondere Gelegenheit hat, jemand seine Liebe zu zeigen: denkt man zuletzt, man fühle sie schwächer.

Manche wollen ihre Freunde nur von sich gelobt wissen.

In der Jugend hält man von hinten jede für schön.

Die meisten reden origineller, als sie schreiben.

In Leidenschaft machen wir nicht falsche Beobachtungen, sondern falsche Schlüsse daraus.

Jede Freude füllt, jeder Schmerz leert dich, aber in jener hat noch Sehnsucht Platz, in diesem noch Zuversicht.

Jeder Zustand, den eine gegenwärtige äußere Lage uns gibt, ist nicht rein, sondern ein Gemisch aus ihr und d(er) vergangnen – daher kann uns die gemeinste Lage einen ungewöhnlichen Zustand nach einer ungewöhnlichen Vergangenheit geben.

Ein Mensch, der uns bloß in unsern eignen Talenten übertrifft, erhebt uns – einer, der in ganz fremden groß ist, demütigt uns.

Man muß etwas Bessers sein als sein Stand, um ihn zu erfüllen.

Je mehr man mit d(em) andern bekannt wird, desto mehr hört man auf, den Verstand zu zeigen, und beginnt, das Herz zu zeigen.

Friedrich II. hätte vielleicht keinen Fehler gehabt und wäre ein größerer Mann gewesen, wär er kein König gewesen.

Kleine Mädgen grüßen mehr als Knaben.

Ein Narr ist nie so lächerlich, als man ihn macht.

Ein Staat ist leichter zu regieren als ein Mensch.

Warum lieben wir die Tugend an andern zehnmal mehr als an uns? Warum fühlen wir so viel Wärme gegen einen Aufopfernden und halten's für Schuldigkeit bei uns? Einmal müssen wir uns irren.

Die Weiber lieben einander nicht so sehr, weil sie sich nicht in den schönsten Augenblicken je sehen – des Gebets und der Liebe.

Das, was er nicht verbergen konnte, ließ er nicht erst erraten, sondern sagte es selbst, um das Opfer der Aufrichtigkeit zu bringen.

Manche Menschen macht man durch die größten Wohltaten nicht so warm als durch das kleinste Lob.

Einer kann uns ohne Egoismus sein Leben mit Interesse nur schriftlich, aber nicht mündlich erzählen.

4erlei gute Mädgen, die mit, die ohne Ehre – mit, ohne allgemeine Betrachtungen.

Wenn ein Mensch eine gewisse Anzahl Wohltaten empfangen: hört er auf, sie zu zählen.

Wenn die Menschen immer Versuchungen zu großen Sünden hätten: sie blieben gut; aber die täglichen Kämpfe gegen kleine gewöhnen an Niederlagen.

Scharfsinn ohne Empfindung ist Mühlstein ohne Korn.

Manche geben allen großen Wahrheiten Kleinheit, wenn sie sie nur sagen.

Man wird zuletzt tolerant, denkt man, gegen die Menschen; aber man ist nur gleichgültig.

Bei jeder neuen Lage fängt man eine neue Jugend an, man verjüngt sich, wenn man sich verändert. Ein Konrektor ist älter als ein Rektor, der er wird.

Man kann Liebe selten zu spät, immer zu bald gestehen.

Unterschied unter Männern und Weibern, daß diese in der Leidenschaft keine Gründe annehmen.

Man gewinnt mehr, wenn man Mädgen etwas für sich tun lässet, als wenn man etwas für sie tut.

Schwerlich kennt die Frau unter der Liebe etwas größers als die Liebe – der Mann kennt mitten darunter noch seine Lieblingsarbeit, seine Philosophie als das Größere. Bei ihr ist sie Ziel; bei uns ist sie Spaliergewächs an den Schranken zum Ziel.

Der Mensch genießet den jetzigen Augenblick nicht, wenn er nicht gewiß weiß, daß der künftige auch Glück zuführt. Daher quälet er sich mit der Jagd nach Hoffnungen und mit der Flucht vor Befürchtungen. Um nun eine störende Befürchtung loszuwerden, bequemet er sich lieber zu den tollsten Hoffnungen.

Der Mensch erträgt ein neues Übel darum unwilliger als ein größeres altes, weil sie es, aus Mangel an Wiederholung, noch für kein notwendiges halten.

Der Mensch kann nicht eher wissen, wie gut er ist, als bis einmal sein halbes Glück von einer großen Sünde abhing.

Das Alter ist trüber als die Jugend, nicht, weil seine Freuden, sondern weil die Hoffnungen erloschen sind.

Wem eine Frau gleichgültig wird, bei dem fängt die Sinnlichkeit an.

Feinheit des Ausdrucks ist verschieden von Feinheit der Gesinnung.

Vielleicht die männliche Herrschsucht daher, weil Weiber keine Gründe annehmen.

Man errät die Menschen am besten, wenn man sie bei Erzählungen um ihre Vermutungen der unerzählten Zukunft fragt.


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