Jean Paul
Bemerkungen
Jean Paul

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Bemerkungen über den Menschen

Febr. 1803

5. Band

Ein Autor wird am dunkelsten, wenn er Sätze sagt, die er 1000mal dachte und die, in seinem Innern lang erzogen, er nicht erst auf dem Pulte erfand, wo er sie gab. Andere entwickeln sich und dem Leser zugleich die Sache.

Die Bücher machen nicht gut oder schlecht, nur besser oder schlechter.

Schlechte Autoren sollte man vor, gute nach ihren Büchern kennenlernen, um jenen die Bücher zu vergeben, und diese den Büchern.

Die Kinder sagen unzählige zarte Gefühle heraus, die die Erwachsenen auch haben, aber nicht sagen.

Was die Kraft-Menschen so wild gegen ihre Gegner macht – Herder, Fichte – ist, daß sie nie mit ihresgleichen kriegen müssen, sondern mit den untergeordneten.

Der Mensch schenkt am leichtesten nach dem Schenken.

Die zu gewissenhaften Autoren, die nichts wagen, haben den fast nicht bescheidnen Glauben, daß ihnen kein zweiter Autor entgegenarbeiten daß man ihnen aufs Wort glaube – dem Schreiber wie dem Sprecher steht stets ein anderer entgegen.

Wenn man nur einmal recht ins Bewundern hineingekommen – Moritz gegen Goethe – so gewinnt man so viel, als sei man selber der Gegenstand und mehr und reiner, weil man seine höchste Idee nun außer sich realisiert antrifft.

Wer bloß bürgerliche Steigerungen seines Glücks hat, muß immer größ(eres) wünschen; der Dichter etc. hat gleich das unendliche Glück vor sich.

Niemand glaubt leichter, in der Philosophie etwas verstanden zu haben – etwas sehr Schweres nämlich – als die Weiber.

Die Weiber wollen zu erziehen anfangen, wenn schon alles verzogen ist.

Weltumgang gibt nicht Erfahrung, höchstens diese jenen.

Die kleine Stadt sagt von der kleineren, sie sei noch nicht so verdorben – und so Tugend immer im Verhältnis der Kleinheit.

Wer ein rechtes Ideal, das er ins Leben ziehen will, im Geiste hegt, ist gegen d(as) Gift der Mode geschirmt, wie Schwangere gegen ansteckende Krankheiten.

Feststehende philosophische Worte sind gefährlich – man bringt sein ganzes Anschauungssystem darunter – und dann versteht man fremde Worte nicht, die man sonst verstände.

Wer sagt, er verachte, fängt's kaum an und hasset noch.

Wo die Menschen an Verstand übertroffen werden, glauben sie, es sei nur an Wissenschaft.

Weiber fragen soviel nach Sentenzen, weil sie kein System haben.

Der gute Mensch sogar drückt seine guten Maximen noch schärfer aus, als er sie übt.

Das Unglück der Weiber ist, daß sie nicht imstande sind, Männer so keck zu verachten als Weiber.

Wenn die Verleumdung oder das Gerücht schon das Unschuldigste falsch auslegt: wie schlimm (verdreht) muß sie erst sorglose Handlungen der Menschen, die sich absichtlich um keinen Schein bekümmern, ja gegen den Schein leben, aufnehmen und zusammensetzen. Glaube, Sorgloser, sie wird noch etwas Schlimmeres daraus machen als du scheinen wolltest.

Glückliche Mädgen in der Ehe lieben schon Romane nicht mehr, weil sie nichts mehr auf sich beziehen können.

Eine Handlung ist fast eher durch eine entgegengesetzte aufzuheben als ein Wort durch ein Wort, wovon man das erste wieder für eine Handlung erst ausgeben muß.

Gelehrsamkeit auch darum so imponierend, weil man sie sich nicht durch eine willkürliche Anstrengung ersetzen (verschaffen) kann als das Gefühl, Genieblick usw.

Ein Dichter hat zwar die schnellsten Irrtümer, aber auch dafür die schnellsten Bekehrungen. Andere haben keinen Standort, um ihre Fehler zu übersehen, die sich von einem Tal ins andere verlieren.

Ein Schmeichler ist's selten aus bloßem Eigennutz, sondern aus Charakter; denn er schmeichelt Niedrigen wie Hohen.

Die Fürsten und alle Menschen lieben es weit mehr, wenn man etwas aus persönlicher als allgemeiner Rücksicht für sie tut, weil das Allgemeine leicht ebensogut ihr Feind werden kann.

Eigne Anmerkungen findet man zum Aufzeichnen oft bloß darum zu unbedeutend, weil man sie durch langes Herumtragen und Handeln darnach sich selber gemein gemacht.

Daß sich die Männer wundern über weibliche Niederlage, ist ein Lob für die Weiber; diese wundern sich nicht über den Angriff, ein Tadel für uns.

Man gebe manchem Selbstvertrauen, so ist er ein Weltmann.

Die Menschen widerlegen einander ewig nur Irrtümer, die der Gegner nicht behauptet.

Alle Menschen suchten die Wahrheit, wenn sie nur gewiß wüßten, daß sie sie fänden – z. B. in einem von einem Engel geschriebnen Buch.

Erstlich zur Seltenheit muß man sich machen, und damit man es bleibe in der Gesellschaft, zuweilen hintereinander keine Seltenheit sein.

Viele Handlungskühnheiten (z. B. Konferenz) kommen uns nur kühn und schwer vor, weil wir in der Ruhe sind, wie schlechtes Wetter unerträglich, wenn man aus der warmen Stube hinaussieht – ist man draußen, fragt man nichts darnach, weil man die Rüstung entgegensetzt.

In der Ehe ist es schädlich, wenn man, wegen Zank, sich seine Liebe, die man doch hat, zu äußern schämt, wie gegen Eltern.

Gerade die Menschen, die nicht verstanden werden, sprechen nicht gern davon oder doch traurig – hingegen die Jugend prahlt damit.

Bedeutende Menschen, die uns aber böse geschildert worden, nehmen uns, da wir ihnen stets ein unmoralisches Äußeres dazu liehen, stets bei der ersten Bekanntschaft ein wenig ein.

Oft gehört nichts dazu, den Ehemann zu stillen, der 100 Fehler vorwirft, als sie alle rein-denkend zuzugestehen.

Man liebt am schönsten und reinsten die Wesen, die nicht wiederlieben, Hunde, Kinder; Geliebte, von denen man nichts fodern kann.

Jede gute Neigung wirkt stärker, wenn sie sich durch Tun, als wenn [sie] sich durch Meiden zeigen muß.

Gerade der Freie sucht den Schein der Freiheit am wenigsten.

Die meisten achten sich nicht eher, als bis andere sie achten.

Kein Autor hört so gern das Lob eines fremden Autors als der, der ihn nachahmt.

Wer nicht sucht, wird bald nicht mehr gesucht.

Der rechte Charakter ist nicht mit Standhaftigkeit anfangen und nach den Umständen sich zu fügen – sondern wie die Römer, in jeder Verschlimmerung nicht um einen Fußbreit zu weichen.

Zur Lebensart gehört, daß man auch gegen sich höflich sei.

Nicht Dicke, aber 1 Fuß Länge mehr gibt immer ein Übergewicht des Ansehens.

Fremde sehen Eheweiber in Rücksicht des Gatten so falsch-verschönernd an wie Liebhaber die Mädgen.

Eine kurze Enthaltsamkeit ist schwerer als eine lange. Besser, von Sachen als von Menschen abzuhängen.

Nur in der höchsten Gleichgültigkeit oder höchsten Wärme (Hasse) kann man sich über Menschen irren; in beiden bemerkt man zu wenig.

Man vergibt ungern dem Demütigen ein gerechtes höheres Gefühl bei seinem Glückswechsel.

Die Eitelkeit nur hassenswert, wenn sie große Gegenstände zu ihrem Dienst mißbraucht, das Große um ihrentwillen affektiert; mit Kleinem darf man eitel sein, mit einer Schnalle, nicht mit einer großen Empfindung oder mit Mangel an Eitelkeit; daher man sie kleinen Menschen eher vergibt.

Das Individuelle entscheidet überall. Wie wenig kann jeder vom besten Helden brauchen! – Der Dichter gibt überall nur sittliche Momente, die jeder anwende!

Seltner und schwerer streitet man, um den andern zu bessern, als um die Wahrheit zu befriedigen (daher das Feindliche), als ob man nicht durch jenes sie am meisten befriedigte.

Alle weiche gegen Fremde nachgebende Menschen suchen sich eine Lüge ihrer Selbständigkeit durch Härte gegen die Ihrigen weiszumachen.

Wo viel Ehrgefühl, da ist viel Ehrgeiz; aber gar nicht umgekehrt.

Die kühnsten Autoren im Urteil über andere oder über Wissenschaften sind junge, die dadurch Autorität zu erlangen hoffen; da die alten dadurch ihre zu verscherzen fürchten.

Nirgends noch Vaterlandsliebe als bei gemeinen Leuten.

Der Mensch wird wie der Stahl hart – durch öfteres Abkühlen nach Erhitzung.

Der Mensch nimmt es schon übel (im ersten Anstoß), wenn man ihm überhaupt etwas übelnimmt.

Manche handeln poetischer als sie schreiben.

Man glaubt es gar nicht für möglich – daher die Zuversicht –, daß man etwas vergessen werde, wenn man sich dess(elben) eben erinnert.

Wenn die Mädgen früher in der Liebe Gründe anzunehmen scheinen: so handeln sie doch nur aus Liebe gegen den Gegenstand, der sie gibt, nicht aus Überzeugung – Ohne Liebe keine Gründe.

Man scheuet sich, dem jungen Kind den lateinischen Namen eines Tiers zu sagen, als wär ihm der erste deutsche Name nicht ebenso fremd.

Man kann vom Menschen Geschlechte zu schlecht denken und doch vom einzelnen immer zu gut.

Vielleicht wirft sich niemand mehr Schwäche vor als ein starker Mensch.

Die feinste Aufgabe im tätigen Leben ist die, ob man einer Sache zuvor-, oder erst nachzukommen habe.

Eine Frau läßt Geld herumliegen, nicht Kaffee.

Der, der einen Rat begehrt, hat meistens – schon durch die Zeit – eine Sache von allen Seiten beschauet; der Ratgeber von der ersten, die vortrat, da man ihn fragte. Und doch muß man fragen, um eben alle Seiten durch mehre(re) Augen kennenzulernen.

Der erste Bettler nach einer Feuersbrunst bekommt am meisten.

Weiber schildern gern dem Arzte alle Symptomen recht stark, als ob er dadurch besser kurierte oder lieber.

Man muß nie einen Tadel in ein Schimpf- oder Entscheidungswort kleiden, weil ein Wort – z. B. Schurke – den ganzen Menschen umfaßt und ein Leben abspricht, da der Mensch sich doch so vieler besserer Ziele bewußt ist und überhaupt, weil hier der Prozeß mit der Exekution angefangen und der Beweis vorausgesetzt wird, der erst bei dem Menschen zu führen ist. So muß man nie sagen: ich habe dir etwas Unangenehmes zu sagen, weil dieses die ganze Welt des Jammers umfaßt, von der uns doch nur eine glühende Kohle gegeben wird.

Gegen den Egoismus – zumal den feinsten – gibt es nun kein Mittel weiter als – Republik, Anteil an allem.

Wer irgendeine von diesen Bemerkungen weder in seinem Leben noch die Antizipation in seiner Seele hat: findet sie bloß leer oder nichts. Etwas anderes ist, wenn einer eine falsch findet.

Wenn sich ein großer Kopf euch zu unbedeutend darstellt: so glaubt nur, daß ers ist, weil er euch dafür hält.

Wer die Menschen nicht mehr liebt, findet wieder Liebe und Interesse an einem, der leidet. Der Schmerz führt uns die alte Liebe des ganzen Geschlechts zurück.

Die Begierde nach Geld kann sich sogar in einer edeln Seele entschuldigen – um nämlich von Menschen (nicht bloß von Sachen) frei zu bleiben, um gegen jene niederwerfende Ungleichheit eine Stütze zu haben.

Unter allen Arten von Liebe, die der Mensch hat – Eigen-, Kinder-, Menschen-Liebe – ist keine so schwach als die Wahrheitsliebe, für die er nicht einmal kleine Wunden der Eitelkeit sich gefallenläßt.

Wenn man in sich eine Veränderung gegen Irrtümer der vorigen Zeit bemerkt: so hält man sich nicht für irrfähiger darum, sondern jetzt für kräftiger, als ob die Vergangenheit nicht der Zukunft drohe.


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