Jean Paul
Bemerkungen
Jean Paul

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Bemerkungen über uns närrische Menschen

Mai. 1799

Viertes Bändgen

Die Männer machen sich von großen Männern eben jene romanhaften Vorstellungen als die Mädgen von ihren künftigen Romanhelden.

Das Verstecken der Eitelkeit ist eine größere (gehaßtere) als jede.

Ungleich den Franzosen und Engländern, loben die Deutschen nichts (an einem Autor, Menschen), ohne alles zu loben; sie glauben parteiisch sein zu müssen.

Die Eitelkeit besteht nicht in der Kleidung, oft kaum im Handeln, sondern in der ewigen unmerklichen Stellung jedes Worts, damit es höheres Lob abwerfe.

Da die Männer viel origineller sind, was kein Mädgen errät: so sind oft diese in der Ehe unglücklich, weil sie es nicht voraussehen und fassen.

Wenn das Schicksal 10 günstige Umstände vereinigt, so wundert man sich über den Mangel des 11., nicht das Dasein der 10.

Bei den Männern Unterschied bestimmter Anlagen – zu Mathematik, Botanik, Musik, Philosophie –; bei Weibern nicht.

Weiber gewöhnen sich Gleichgültigkeit und Unaufmerksamkeit gegen Wissenschaft und Taubheit an, weil die Männer zu oft vor ihnen von wissenschaftlichen Dingen reden, die ihnen unbekannt.

Man begeht entweder Fehler des Stolzes oder des Kriechens, wenn man nicht die Anerkennung des eignen Werts voraussetzt.

Der geheimste Geist eines Autors verrät sich nicht in den bösen, sondern in den schönsten Charakteren, die er immer mit der Schwäche seiner Natur unwillkürlich begabt.

Der Spaß ist unerschöpflich, nicht der Ernst.

Die Weiber sind so verschieden von uns, daß der erfahrenste Mann immer noch 3 Zeiten durchgeht, wo er sie 1) über, 2) neben, 3) unter sich setzt.

Selber Kinder haben wieder etwas Kindisches, worüber sie selber lachen.

Bei den Ursachen unbekannter wichtiger Begebenheiten raten wir immer auf angenehme oder unangenehme, selten auf wahrscheinliche und natürliche.

Die Menschen (zumal Weiber) verraten leichter (zumal spät), daß sie Absichten verfehlen, als daß sie sie haben.

Wir irren in nichts mehr als in unsern Prophezeiungen, daß künftig etwas werde schlimmer (z.B. kränker) oder besser (reicher) werden. Die Neigung, systematisch zu schließen (sein), schieben wir der Natur unter; und diese leichtere Verkettung halten wir für Wahrscheinlichkeit.

Die Mädgen verstellen sich besser als die Weiber.

In den besten Reisebeschreibungen interessiert uns doch der Reisende am meisten, wenn er sich nur zeigen mag. Wer eine Reise beschreibt, beschreibt damit sich immer auch selber.

Es ist nicht halb so ungesund, Philosophie zu lehren, als zu lernen, e(ine) Philos(ophie) zu machen als zu lesen.

Es gibt Menschen, die man nicht hasset und nicht sehr liebt, aber ein wenig, die verschwinden, ohne daß man es merkt, wiederkommen ohne Freude – Für Große gibt es keine andern, und sie sind keine andern.

Man fragt den andern um Rat, nicht, weil man nicht weiß, was man tun soll, sondern weil man es weiß, aber nicht gern tut – der andere soll dann einer guten oder bösen Neigung den Ausschlag [geben].

Die Deutschen nennen alle ihre Freuden ausländisch: Ressource, Casino, Klub, Cercle etc. Assemblée, Hôtel, Table d'Hôte, Harmonie, Museum.

Die Engländer gefallen uns in Büchern, weil uns der Stolz in der Darstellung gefällt, aber nicht in der Wirklichkeit.

Das Beste in einem Menschen ist das, was er selber nicht kennt.

Niemand hat die Kraft – wenn er auch will –, in einem fort unglücklich zu sein, sondern er wird glücklich.

In der Ehe müssen die Männer die Liebe mehr durch Worte, die Weiber durch Taten beweisen.

Der schönen Aktrice rechnet man immer ein wenig den Geist ihrer Rolle zu ihrem.

Je älter, desto mehr entschuldigt, desto weniger achtet man d(ie) Menschen.

Man spricht und dichtet viel eher von der Leerheit und Nichtigkeit des Lebens, als man sie kennt; man spricht ungern oder nicht freudig davon, wenn man sie kennt.

Der Dichter ist freier als der Philosoph.

Die Liebe ist, ihr Ende ausgenommen, sich überall gleicher, als man sagt.

Das Lob, das man im Enthusiasmus einer Frau über eine Eigenschaft gibt, gefällt ihr wenig, wenn man diese für eine der Weiblichkeit, des Geschlechts, ausgibt.

Weiber haben große Kräfte für, aber kleine gegen die Liebe etwas zu tun.

Jeder modisch Gekleidete hält sich für den Repräsentanten des Jahrhunderts oder Dezenniums.

Wer die Menge unbedeutender ungenial(ischer) Bücher sieht, hält die Menschen für noch unbedeutender.

Die Menschen haben überall die Neigung, alles auf etwas Höheres zu deuten, so die Linien in der Hand.

Die Jugend ist die Periode der Nachahmung.

Anfangs verträgt der Autor Lob mit Tadel vermischt. Dann hat er das Lob so oft gehört, daß er ein neues fodert und liebt; und so soll immer mehr vom Tadel aufgehoben werden, bis er gar keinen mehr leidet. (Gilt auch für Leute in Ämtern.)

Manche drücken durch lautes Lachen ihren Enthusiasmus, z. B. über herrliche Musik, aus.

Im Traum kann man (wenigstens ich) sich der tiefsten Gefühle aus der Kindheit erinnern.

Die Natur bestraft alles, an den Besten auch die kleinsten Fehler und gerade diese am härtesten.

Um ein guter Gesellschafter zu sein, ist es sehr gut, etwas zu treiben, was die Gesellschaft selbst interessiert. Daher ist ein Jurist, Kaufmann unter Bürgerlichen an und für sich ein besserer als ein Philosoph oder gar Dichter.

Die Weiber kommen jetzt durch das Sprechen der Männer um ihre religiösen Meinungen, ohne zu wissen wie.

Die Weiber sind mitleidiger bei männlichen Schmerzen als bei weiblichen.

Begebenheiten, die im Roman nicht mehr romantisch sind, sind's in der Wirklichkeit, z. B. Entführung.

Um die Menschen recht zu lieben, muß man sie immer aus einem noch höhern Punkt als dem unserer Verhältnisse (der Freundschaft etc.) ansehen, nämlich aus dem der Menschheit oder Moralität.

Bei schönen Stellen im Theater hustet niemand, es ist also willkürlich.

Man muß die guten Weiber glauben, um sie zu finden, wie die Tugend üben, um sie zu kennen: wer im Steinsalzbergwerk wohnt, kann leicht die Welt über ihm leugnen.

Die Menschen glauben sich nach einem zu richten, indes sich der eine nach ihnen richtet.

Der stille Egoismus der jetzigen Gefühlsmänner liegt schon darin, daß sie dem Helden Briefe an einen Freund diktieren, gegen den er keine Liebe zeigt und den er nur hat, um eine Adresse für seine Publikums-Briefe zu haben.

Ein witziger, launiger Autor ist's am Anfang des Buchs am meisten.

Man denkt beim Spotten und Widerlegen mehr daran, es denen, die schon auf unserer Seite, deutlich zu machen, als den Widersachern.

Nur der Hofmann könnte bürgerliche Sitten schildern und wir seine.

Die Liebe der Menschen ist leichter zu erlangen als wiederzuerlangen.

In den alten deutschen Anleitungen zur Höflichkeit stehen ebenso viele Chesterfield Gebote der Falschheit etc.; aber bei ihrer Dummheit merkt man die Immoralität nicht.

Es ist der größte Fehler in einem Leben, das man entweder schreibt oder führt, in der Ferne eine unentwickelte Knoten-Dunkelheit zu sehen und nicht jetzt gehörig zu entwickeln, sondern mit zugedrückten Augen zu hoffen, sie gebe sich schon.

Bücher wirken wenig auf Individuen, aber doch auf das Jahrhundert und mithin auch auf jene.

Ein Mensch kann so wenig den ganzen Geschmack haben als ein Mensch die Wahrheit – die Menschheit hat beides.

In einer kleinen Stadt ist es hart zu heiraten, die Lotterie ist klein und d(er) Nieten viel – es ist schwer, unter wenigen das Beste zu finden. 30. Jun./1801.

Um sich etwas zu erklären, nimmt die große Welt lieber die entsetzlichste Sünde als eine gewöhnliche an.

Da man bei der Lektüre geistreicher Werke seinen Verstand tätiger und leichter-wirkend fühlt: so trägt man diese Leichtigkeit in den Autor über, es sei ihm leicht und süß geworden – umgekehrt, wenn es einem schwer wird.

Autoren vermengen Freude am Hervorbringen mit der am Hervorgebrachten und denken eine kurze Zeit von sich zu gut.

Wie wenig der Mensch Anteil an fremdem Unglück nimmt: sieht man, weil der gefällt, der eines erzählt.

In der großen Liebe glaubt man alles opfern zu können; und das kann sie auch, wenn das Opfer sie zugleich nährt und befriedigt. Aber die andern Opfer – z.B. des Verzeihens etc. – entkräften die Liebe selbst, die opfern will; und daher hängt das Glück nicht von der Heftigkeit der Liebe, sondern von der Energie des ganzen Charakters ab.

In die Stelle eines andern sich zu setzen – oder in die eigne vorige – ist zu schwer, weil die Phantasie nicht bloß einige Handlungen etc. zu erneuern oder nachzuahmen hat, sondern dessen ganze körperliche Lage, dunkle Ideen, unbewußte Einflüsse.

Der eitle, selbstgefällige Autor verrät sich durch den Helden, den er zuviel Rücksicht auf sich selber nehmen lässet.

Man hält es halb für unmöglich, wie man einen Fürsten etc. durch seine Gewohnheiten, Launen regieren könne, da er sie und diese Absicht doch kennen müsse; allein in der Minute der Laune etc. ist er so von ihr befangen, daß er sie für keine hält, und wenn es ist, doch keine Kraft des Widerstehens hat. Die Frau sagt es ihrem Manne und regiert ihn doch.

Der kalte Mensch – immer, in Wahrheit – ist viel seltner als man glaubt.

Der Liebende ist so strenge-fodernd gegen die Liebende nicht seinetwegen, sondern (ihretwegen) damit die rechte Liebe und (oder) ihr Gegenstand sei.

Jeder kennt noch ein Zeremoniell, über das er schimpft, und eines, das er behalten wissen will.

Die Trunkenheit vermehrt schön 2 schöne Dinge, Mut und Liebe.


 << zurück weiter >>