Jean Paul
Bemerkungen
Jean Paul

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Bemerkungen über den Menschen

August. 1811

6. Band

Zur Ehe gehört nicht bloß, daß man das Mädchen, sondern auch, daß man sich prüfe – ob nämlich 2 Vortreffliche dennoch sich einander nicht fügen.

In der Liebe wird der Ernst der Jungfrau bezaubern; in der Ehe, die selber ein langer Ernst ist, möchte leichtes Scherzen und Bescherzen der Welt besser einschlagen.

Durch manche Gesichter scheinet jede innere Bewegung so hell durch, daß es nicht genug ist, wenn sie nichts äußern; zu ihrer Verstellung ist sogar das Anstellen des Entgegengesetzten nötig.

War man zu sanft und stoisch im ehlichen Zank, so braust's nachher auf, und man vergibt schwerer. War man zu wild: so bereuet man und vergibt leichter.

Je länger man lebt, desto kürzer werden uns die Jahre. Denke an das Reisen: ein Vormittag auf der Reise zugebracht ist länger als 10 Vormittage zu Hause; aber warum? Die Menge neuer Gegenstände vervielfacht die Aufmerksamkeiten oder die Ideen, als Zeitmesser. Ebenso scheint uns die Jugend länger, weil in ihr alles neu ist und also die Zeit verdoppelt, im Alter aber alles einförmig wiederkehrt.

Wenn nur eine erste Liebe recht glühend da war: so schadet ihr Untergang, ihr Töten mit Wasser nichts; ewig ragen die Türme der überfluteten Stadt empor. Aber es gibt Menschen, die keine erste Liebe hatten.

Ich weiß nicht, was Eifersucht ist in der Ehe beim Manne –; in der Minute der Einsicht hätt er b(ei) d(er) Entscheid(ung), nur sich oder die Frau zu verachten –

Es ist unendlich verschieden, einen Menschen lieben und etwas an ihm lieben, und sei dieses Etwas das Edelste; er wird doch Mittel; aber das Lieben des ganzen Menschen macht ihn mir nur zum Ziel seiner und meiner selber.

Je älter ich werde, desto mehr glaub ich, wer äußerlich auf lange unglücklich ist – denn ein Brand, Krieg gehört nicht hieher – der verdient's durch Mangel an Klugheit und Beharrlichkeit.

Tod und Geburt lernt man nur in einem Dorfe kennen, in keiner Stadt.

Wollt ihr Originale im Handeln, sucht sie bei Leuten, die nicht ihre Kraft wegschreiben und die ohne Reflekt(ieren) forthandeln – die schreibenden Genies sind matte Handler.

Erst dann, wenn der Gelehrte weiß, daß er einsam bleibt, fühlt er sich recht und genießend einsam.

Auch die Möbeln gehören zum weiblichen Anzug, z.B. ein schwarzes Kanapee ist ein gutes Unterfutter für einen weißen Arm.

Um froh, frei, leicht und reich Einfälle in Gesellschaft zu haben, muß man nicht mit einem andern wetteifern oder gar kämpfen, sondern ohne Gegner über das Allgemeine sprechen. Repartien sind ein lästiger, aufhaltender Zwang. Sogar der fremde Witz regt mehr unser Genießen als unser Erfinden an.

Jeder Jüngling glaubt, ein Philosoph oder ein Dichter zu werden, weil beide zu den Kräften der allg(emeinen) menschlichen Natur gehören, und es kommt auf Akademien oder in der Lektüre nur auf den Reiz an, den vorwiegend das eine oder das andere macht. Erst später macht er dies Allgemeine bloß zur Unterlage seiner besondern andern Kräfte, sobald jenes nicht zugleich auch seine Individualität ist.

Das Gespräch der meisten Humanisten (Gelehrten) untereinander ist weiter nichts als ein gegenseitiges heimliches, höfliches Examen; daher colloquium sogar bei den Theologen = Examen.

Die ewigen langweiligen leeren Vorübungen zum Kriege müssen dem Soldaten ordentlich Sehnsucht nach einem freiern und treffenden Realschießen machen.

Die meisten Ehekriege [kommen] nicht davon, daß man die Wahrheit der Person sagt, sondern daß man sie, unbekümmert um jede Zeit, sogleich sagt.

So viel man Kinder hat, so viele Frauen hat man auf einmal mehr geheiratet. Jedes Kind ist eine neue Laune der Frau. – Hast du 3 Kinder: hast du 4 Weiber.

Wer sagt, daß die schönen Weiber im Alter häßlich werden, vergißt bloß die guten schönen.

Gerade die Idyllenfreude, die nur aus Kleinigkeiten besteht, leidet so leicht von den Kleinigkeiten die Unterbrechung.

Imponieren kann mir niemand anders als moralisch, weil er hier den ganzen Menschen trifft; hingegen jede einzelne Übermacht z.B. des Scharfsinns, Gelehrsamkeit etc. trifft auch an mir nur einen Teil.

Wir Menschen lieben nicht, um zu hassen; aber wohl hassen wir, um zu lieben.

Gewissen höhern Weibern (Linda) ist nicht zu helfen, aber wohl tiefern; fallende Menschen, nicht fallende Engel wurden erlöset.

Ich mag mit niemand umgehen, der mich nicht wenigstens in etwas übertrifft, in Kenntnissen, Erfahrung etc. oder im Moralischen. Die mir ähnlichen oder meinesgleichen sind nicht meine Leute.

Man (z. B. der Gelehrte, Dichter) gewinnt in Gesellschaft nicht so viel, wenn man durch Stärke die Feinheit ersetzen will, als andere, die es umkehren.

Ein Trost besteht nicht darin, daß man dem andern Gründe gegen sein Unglück sagt – denn er wußte sie alle selber vorher und konnte ebensogut zurücktrösten –, sondern darin, daß eine fremde Seele durch Darstellen sie alle in der andern belebte und beseelte, damit sie durch Empfindung das Gleichgewicht hielten der leidenden Empfindung.

Unter allen Eigenschaften einer Braut sieht man am wenigsten auf die größte, ob sie Kinder erziehen kann – und freilich ist sie am schwersten zu erraten.

Ein Mann deutet recht deutlich (als sein Selbst-Rhapsodist) seinen Charakter durch das Tragen seines Stockes an, sobald er ihn, unwissend, bemerkt zu werden, trägt und schwenkt und hält.

Ein berühmter Mann verliert nicht, gewinnt vielmehr durch eine Lächerlichkeit, die man von ihm erzählt oder lieset –; aber begeht er sie vor unsern Augen, so verliert er. Allein warum? Hier wirkt die Gegenwart zu mächtig, und der Mann, erscheinend darin, nur stückweise aufglänzt; hingegen in der Erzählung herrscht und glänzt die Idee des Ganzen über den Mann.

Hat man eine kleine Bitte: muß man mit dem Allgemeinen anfangen, man habe was zu bitten, weil der andere dann froh ist, daß es nichts Größeres ist. Eine große Bitte aber tue man ohne dies.

Man habe sich noch so frei gemacht, und noch so gleichgültig gegen die Welt und alle Feinde; wer kann uns denn noch tiefe Schmerzen geben? Eine Gattin durch ein Wort, man müßte sie denn nicht lieben.

Daß die Menschen einen Kerker für eine Strafe halten, beweist, daß sie Geselligkeit für Belohnung halten; denn sonst wäre ja im Kerker alles zu haben, wenn man Menschen ausnimmt.

›Ich werfe die Pflaumen, die ich nicht will, in ein anderes Gefäß und gefalle mir – die Frau tut dasselbe bei etwas, das sie nicht will – Dort tut mir meine Handlung wohl, hier dieselbe Handlung weh.‹ Gesetzt, ich halte beide Handlungen für recht: worin liegt der Grund des Mißfallens? Daß dort ich, hier es ein anderer tut.

Die Lebhaftigkeit des Gesprächs macht nur Männer schneller gehen, nicht Weiber, diese bloß schneller stricken.

Einer Liebhaberin wird die Treue viel leichter als einer Gattin.

Warum werden uns denn Menschen, welche einzeln wir übersehen und überwinden, in einer Gesellschaft so wichtig und herrschend? Die bloße Bestechung der Augen durch eine längere Reihe entschiede nicht bei den kräftigern Menschen; und wo liegt diese Vielheit nicht vor ihm. – Schon ein Grund: der Mensch, obwohl sich seiner und seiner Gründe recht sehr bewußt, will sogar von einem tiefern den Beifall; es muß also durch das fremde Ich etwas Höheres ausgesprochen werden, das nun durch die Vervielfältigung noch bedeutender wird.

Man muß sich, um den andern gerecht zu beurteilen, nicht in dessen nächste Minute an die Stelle setzen, sondern in sein Jahr, Leben, Wochen.

Man erfreuet sich nicht an den äußern Zuständen d(er) Vergang(enheit), sondern an den innern, man wünscht nicht das alte Leben zurück, das meist seichter ist und das man jetzt gar nicht ertrüge, sondern die alte Seele.

Wenn man ein Kind einen Menschen hassen lehrt, der ihm nichts getan: so lernt es die übrigen Menschen daran hassen.

Ein Autor bringt sich darum nicht ganz in seinen Roman, weil [er] eine Menge Züge von sich übriglassen muß, um sie andern Leuten darin zu leihen.

Wer für Freiheit ficht und spricht (z. B. der Ungar), dem ist der Gegenstand und Anlaß gleichgültig – er streitet nicht für das Haar, woran manch(er) hängt, sondern für oder wider den Kopf, woraus es kommt.

Es ist mir bei der Kinderfreude zu Weihnachten nicht an der gegenwärtigen Freude gelegen – so groß und innig sie wegen der noch eingehüllten Natur auch ist –, sondern an der unvergänglichen, unzerstörlichen Über- und Zauberfreude künftigen Erinnerns, das nicht die Gegenstände verschönert (nur entfärbt), sondern die höchsten Gefühle zum zweiten Mal erhöht und verschönert.

Für das Volk ist freilich Essen bei Festen die Hauptsache, aber darum, weil eben die Ruhe zugleich zum Genusse tritt – die Losgebundenheit zum Sprechen und von Arbeit.

Sind die Weiber an leidenschaftliche Verweise oder Ausbrüche des Manns gewöhnt: so werden sie nachher durch stilles Vernunftbetragen nur noch erbittert(er).

Das Unmoralische, was man an sich am meisten tadelt, sieht die Welt gar nicht, oder es fällt ihr nicht auf; aber Handlungen, die man vor dem Gewissen auf Kosten des Verstandes verantwortet, trägt die Welt uns als unsittlich nach.

Die Fremden hören in der Ehe wohl den Sturm, aber nicht die Windstille oder den Zephyr.

Die leichte Niederlage mancher Weiber kommt vielleicht nicht sowohl von Sinnlichkeit, Übermannung und dergleichen her, sondern von Phantasien, die lange in einem zügellosen Reiche hinter Stirn und Lippe spielten und schweiften und welche in einem Mehr der Phantasie ansässig wurden, das freilich leicht mit dem Minder der Wirklichkeit aussöhnt.

Wenn einem ein Werk am Ende gefällt wie mir Tristram, so kann man sich gar nicht erklären, warum es einem früher mißfallen. Hingegen, warum uns ein später mißfallendes Werk anfangs gefallen, erklärt sich leicht.

Allgemeine Amtnamen wie die Polizei, die Regierung wirken mehr auf die Furcht und Achtung als die einzelnen Namen der Beamten. So auch L[iteratur] Z[eitung] statt eines genannten Rezensenten.

Gefährlich für die Menschenliebe, das Talent zu sehr zu achten und in jedem Herzen, das man lieben will, einen besondern Kopf zu suchen. Das Talent zeigt sich bald erschöpft – und dann wird's die Liebe auch. Eine festhaltende Liebe ist die gegen Menschen, gegen Tugend, die nicht wie das Talent bei Wiederholung (Wiederkehr) verliert, sondern gerade gewinnt.

Der Stolz und die Eigensucht mancher edeln Menschen verbirgt und erträgt sich leichter in ihrem Glücke als in ihrem Unglück. –

Etwas anders ist, wenn ein Begeisterter sich lobt oder wenn ein Kalter; jener ist nicht eitel, er vermischt [sich] mit der Sache, dieser macht die Sache zu sich.

Daran erkenne deine historische oder poetische Kraft: was dir so leicht wird, daß du ordentlich nach einer andern Kraftübung dich umsiehst, dies ist deine Kraft – Und das Angeborne achtet eben nicht das Angeborne, sondern das Anerzogne.

Wenn eine Frau sagt, sie habe diesen Mann schon von weitem am Gang erkannt: so haben beide den Genuß einer kleinen Selbergefälligkeit, jene, daß sie so erkannte, dieser über seine Eigenheit.

Man ist leichter standhaft, wenn das Unglück zu höherem steigt, als wenn man von einer großen Hoffnung auf einmal zu einer kleinen Furcht herabgeworfen wird.

Wie Erfinden angenehmer als Ausarbeiten, so ist's Sprechen mehr als Schreiben.

Es ist lächerlich, wenn ein Trunkner sein Zu-viel-Trinken verbergen will; denn sobald er selber es merkt, so merken es andere gewiß noch eher.

Die Hölle läßt sich als ein unendliches ewiges Schmachten nach Errettung leichter in und durch ihre Schrecken malen, als der Himmel in einem Dasein fester Wonne, welche auch die Hoffnung endigt, da sie jede übertrifft.

Es gibt eine doppelte sehr verschiedne Hoffnung, die, welche auf Ankunft neuer Güter hinweiset und wartet; die andere wichtigere, welche Heilung und Vorübergang der Übel erwartet.


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