Jean Paul
Bemerkungen
Jean Paul

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Die Mutter liebt der Art Menschen, von der ihr Sohn ist; gibt dem Handwerksburschen, wenn ihr Sohn einer, mehr.

Jeder Mensch wünscht sich im Frühling zu verlieben.

Die Finger, wenn sie beschmutzt sind, auseinandergebreitet tragen.

Der Wirt ist stets aufrichtiger als der Gast.

Wer in einer Gesellschaft ein Bonmot erklärt, hat seine Feinheit nicht verstanden.

Die Bewunderung nützt nicht sowohl dem Gegenstande als dem Subjekt am meisten; man freuet sich über die Größe des Menschen und daß man sie empfindet.

Wenn ich mit einem Freunde zürne, werd ich sogleich wieder gut, sobald ich eine Gelegenheit bekomme, ihm einen Dienst zu erweisen etc.

An andern liebt man Vollkommenheiten, an sich sich.

Er lobt mit Vergnügen die Tugenden des andern und rügt mit Vergnügen seine Fehler.

Alles Vergnügen kommt von ungefähr und fället aus den Wolken; an dem, das man lange erwartet, ist selten viel.

Wir schämen uns mehr vor uns selber, wenn wir uns einer Torheit, als eines Lasters erinnern.

Jeder sieht nun ein, daß die Verleumdung von ihm lüge; und doch vermutet er nicht, daß sie auch von andern Leuten lügen könne.

Ein witziger Kopf ist nirgends vergnügter und glänzender, als wo ein Narr mit ist.

Wenn euch ein feiner Kopf etwas Alltägliches zu sagen scheint: so glaubt gewiß, daß ihr ihn nicht verstanden und daß er zu fein gewesen.

Nach einer großen Sünde begeht jeder die kleine, die sie verdeckt, ohne alles Bedenken.

Er hatte Lebensart, nicht um sie zu zeigen, sondern aus Menschenliebe und Schonung: denn Lebensart ist die Tugend auf kleine Gegenstände angewandt.

Solang einer noch kein System hat und die Wahrheiten ungeordnet in seinem Kopfe liegenlässet, so lange liebt [er] schwerlich die Wahrheit: ich glaube, zuweilen ist ihm wahrhaftig eine Lüge noch lieber.

Nicht alle Menschen bedürfen notwendig des Wechsels der Moden (denn die Araber sind auch Menschen); aber wohl die Franzosen unter ihnen.

Kein Autor sollte sich über etwas zu schreiben hinsetzen, dem es nicht unbeschreiblich ärgert, daß er keinen Folioband darüber schreiben kann. Wehe ihm, wenn er einen Gedanken sucht und nicht jede Minute 10 abweiset.

Jeder hat eine andre Art, das Geld zu zählen; der eine nach 4, der andre nach 5 Groschen.

Es ist beinahe noch schwerer, gut zu schreiben, als ebensogut zu reden: denn zu jenem hab ich nicht mehr Zeit als bei diesem, weil gute Gedanken doch schnell entstehen.

Habe für alle menschl(iche) Meinungen eine Ehrfurcht und glaube, daß ihr zu sehr Wesen einerlei Art seid, als daß du über eine ganz lachen könntest, die ein Wesen deiner Art geglaubt und zu der es gewiß Gründe nötigten. Der Weise spüret alle Tage mehrere Irrtümer der Menschen und mehrere Scheingründe, durch die sich jene Irrtümer einschmeichelten, zum Gegengifte der Selbstgenügsamkeit auf.

Sich eines philosophischen Satzes zu erinnern, braucht man mehr Zeit als eines historischen: jenen schafft man beinahe wieder mit.

Wenn uns das Böse als Böses Reue macht und nicht als Wirkung der Strafe: warum bereuen wir einen bösen Willen, einen bösen Entschluß, der nicht ausgeführt wurde, nicht ebensosehr als eine böse Handlung?

Er zog sein schlechtestes Kleid an, wenn er mit einem ausging, der ärmer als er war.

Der Mensch ist gut und will nicht, daß man vor einem andern als ihm selber krieche.

Es gehört schon zu den Widersprüchen des Menschen, daß er welche zu haben glaubt.

Der Dumme denkt, man hat keine andern Wege, ihn auszulisten, als seine.

Man will nicht nach seinem Äußerlichen geschätzt sein, und andre schätzt man doch mit den Augen.

Die 11. Gefälligkeit für den, dem du 10 erwiesen, ist die Gelegenheit, dir eine zu vergelten.

Gestorbne Freunde sind Ketten, die uns von der Erde ziehen und fester mit einer bessern Welt verknüpfen.

Die Empfindungen sind nur mit Empfindungen zu besiegen.

Wienach kann im Traume die Seele über eine Person nachdenken, indessen s(elber) die Person ein Gedanke von ihr ist? –

Wer nicht immer weiser wird, der ist nicht einmal weise.

Es ist Eitelkeit, wenn man denkt, gute Bücher nützen nicht; wir bilden uns ein, andre könnten nicht den Epiktet so gut nützen wie wir.

Wer weiß, daß er uns gefället, dem gefallen wir.

Schwere Bücher machen eben denen Vergnügen, die sonst das wenigste genießen, eklen Kennern.

Unbeständigkeit gegen seinen Vorsatz heißet sich selber das Wort brechen, welches man sowenig wie gegen einen andern darf: da dieselbe schädliche Folge des Mißtrauens daraus entsteht.

Was hat man für Recht dazu, dem Pöbel, dem größern Teil der Menschen, die Aufklärung vorzuenthalten? Wer gab uns das Recht, der Richter seiner Einsicht und seines Schicksals zu sein? Wenn er die Aufklärung mißbraucht: so wird er es nicht mehr tun als die, die jetzt aufgeklärt sind. Freilich der Übergang von Finsternis zu Licht geschieht allemal in einem Orkan. – Man regiert, um sie dumm zu erhalten: und erhält sie dumm, um sie zu beherrschen.

Den Schlimmen vertritt der Argwohn die Stelle des Verstandes, und [sie] sind eben darum vor Überlistung beschützt.

Schlimme Leute befinden die guten am ersten falsch, weil diese jene nicht bei andern billigen können.

Verwandtschaft d(er) besten mit d(en) falschen Syst(emen): Es gibt schwerlich einen wahren Satz, um den nicht verwandte Bastarde stehen; um den Stoizismus steht der Quietismus und Foismus. Wie nahe grenzt die Enthaltung des Mönchtums an das Christentum! Dies gibt uns die Regel: da, wo wir einen wahren Satz so weit treiben, daß er mit allen unsern Empfindungen und Denkart zu kriegen anfängt, zu stutzen und zurückzukehren.

Worauf gründen denn die höhern Stände ihr Vorrecht an alle Wahrheiten, die dem Volk entstehen? Etwan, weil sie schon die Vorkenntnisse haben, die sie vor dem Mißbrauche neuer Wahrheit bewahren? Nun so gebe man dem Volke die Vorkenntnisse. Oder darum, weil sie regieren und nicht gehorchen dürfen? Unmöglich kann Aufklärung den Gehorsam gegen nützliche und gerechte Befehle aufheben: aber wohl gegen ungerechte. Sie sagen, sie können nicht regieren, wenn das Volk aufgeklärt würde, und sie regieren bloß, damit es es wird. Freilich gehorcht das mündige Kind dem Vater nicht mehr, sondern seinem eignen Verstand, den eben der Gehorsam dazu bildete.

Jeder hat etwas, worin er selbst denkt, und etwas, worin er nachbetet.

Es gibt verbindende und trennende Köpfe. Jene erfinden Systeme oder Epopäen, kurz, sie reißen mit schöpferischer Hand auseinanderstehende Ideen zusammen. Der philosophische Erfinder braucht so gut die Flügel der Dichtungskraft als der poetische. Die trennenden Köpfe brauchen bloß Scharfsinn, sie werfen ähnlich scheinende Ideen auseinander und sind keine Systematiker, lieber Skeptiker, Bayle.

Der Mensch schneidet nicht seine Handlungen und Neigungen nach seinen Grundsätzen, sondern diese nach jenen zu, und die Neigung ist eher als die Maxime da. Der Mann nach und der ohne Grundsätze sind nur darin verschieden, daß jener seine Neigung in e(inen) allgemeinen Satz verdolmetscht.

Nicht die wenigen Strahlen von Vergnügen, die in dieses Leben fallen, machen es uns so wert: sondern das unnennbar süße Gefühl, zu sein, das Leiden kaum stören, machts.

Fehler aus relativen Schlüssen: z. B. das Übel und den Wert eines Menschen verkleinern, indem man beide mit größern vergleicht.

Feigheit macht so gut dem Menschen das Schlimmste zutrauen als Argwohn und eigne Bosheit.

Nichts hasset man so, als die erste Äußerung eines Lasters, das man nicht erwartet.

Die Tugend des andern fühlen und ehren seine Untergebnen am meisten, weil sie sie beglückt – seine Gleichen und Obern nicht, weil sie ihnen widersteht.

Man sollte untersuchen: was eigentlich in uns die Wahrheit entdeckt? Scharfsinn ist's nicht, ein gutes Herz mehr – Mangel des Scharfsinns ist's nicht, wenn man die feinsten Irrtümer begeht und doch nicht auf die feinere Widerlegung kommt, aber vielleicht Fehler des Herzens.

Bloß die Großen schreiben wie die Alten, ohne Brotgier, ohne Rücksicht auf Leser, bloß in den Gegenstand versenkt.

Indem man oft zu neuen Erfahrungen und Kenntnissen den Namen suchen will: findet man, daß man den Namen schon längst, aber ohne Idee, bei sich getragen.

Von der Gleichförmigkeit der Seele. Dem Witzigen wird es ebensoschwer, einen Einfall eines Dummen zu verstehen als umgekehrt. Für jeden Menschen gibt es nur eine gewisse Art Menschen, die für ihn passet; bei den andern befindet er sich immer in einem Grade unbehaglich und gedrückt. Der mit einem großen Herzen leidet in den Alltagsgesellschaften mehr als diese von ihm; denn diesen macht er wenig(er) Langeweile, weil sie ihn für neu und närrisch halten.

Um in Gesellschaft etwas zu erfahren, muß man die Antwort nicht durch eine Frage, sondern eine Veranlassung herauslocken.

Dem Fürsten durch ein Gesetz die gesetzgebende Gewalt geben heißt sich selber vernichten – soviel, als wollt einer seiner Geliebten alles aufopfern, sogar seine Liebe. Man kann nichts bewilligen und geben, als was man kannte und wollte; man kann also dem Fürsten keine Gewalt zu den Gesetzen gegeben haben, die man nicht wußte und die uns schaden. Aber auf der andern Seite: wie weit erstreckt sich der Nachkommenschaft Verbindlichkeit, unter Gesetze sich zu bücken, die sie nicht gegeben? Sowenig ein Volk einem andern Volk Gesetze geben kann: sowenig die Mitwelt der Nachwelt.

Ironie ist der Weg und Übung zur Laune.

Wir können keine Leidenschaft etc. ohne ihre immerwährende Dauer fühlen. Wir können nicht glauben, jemand aufhören zu lieben, den wir lieben. Vielleicht ist's das nämliche, als was man ›glauben‹ oder für wahr halten hält.

Ein Hauptfehler, daß man d(em) andern nicht zutrauet, zu bemerken, was wir bemerken.

Je mehr man sich in seine Materie hineinarbeitet und jede Ideenfaser wieder zerfasert: desto origineller und ungenießbarer wird man, z. B. Sterne.

Je mehr man mit einer Empfindung, Bemerkung vertraut ist: desto allegorischer und versteckter drückt man sie aus.

Da kein Geschmack früher als der Gegenstand da sein kann, den er genießt und der ihn bildet: so muß die Tristramische Laune erst mißfallen, eh sie gefället, und den Geschmack zeugen, der sie goutiert.

Wir haben nichts darwider, was der andre von sich hält, wenn er nur von uns noch mehr hält.

Wenn es keine Freiheit [gibt] und unsre Triebe bloß uns stoßen: woher kömmt's denn, daß uns der erste beste Trieb nicht fortreis[s]et? was ist denn das Vermögen, Entschließungen abzuwägen, oder vielmehr das Vermögen, sich zur Anwendung jenes Vermögens ins Äquilibrium zu setzen?

Oft sind am besten Menschen dessen größte Tugenden und größte Flecken unbekannt.

Wir sagen ›das Leben nehmen‹, während nur Jahre genommen werden.

Nichts macht die Menschen vertrauter und gegeneinander gutgesinnter als gemeinschaftliche Verleumdung eines dritten.

Die Leute hassen am wenigsten, die ihren Haß in Spott und Laune auslassen.

Man muß seine Behauptungen nie entscheidend in Gesellschaft aufstellen, weil man sonst andern Mut und Lust benimmt, sie anzufechten. Einer, der alle seine Sätze mit einem ›vielleicht‹ entkräftet, lockt aus andern ihre Widersprüche und Meinungen.


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