Karl Immermann
Tulifäntchen
Karl Immermann

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Die Toten

                  Erst gelangten sie zum Platze,
Wo der Riese lag, der Biedre,
Sechs Feldlängen Wegs bedeckt' er;
Ihm zerbrochen war das Kreuzbein,
Und er jappte noch ein kleines.
Tuend auf den Mund, den großen,
Sprach der Riese Schlagadodro:
«Fremdlinge, wofern ihr Scheu tragt
Vor der Sterbenden Geboten,
Setzt mir einen Stein und schreibet
Drauf: Hier ruhet aus ein Riese,
Dem die Tugend ward Verhängnis.
Hätt' er nicht auf seiner Mauer
Voll Enthaltsamkeit gesessen,
Nein, dafür mit seiner Liebsten
Ein französisch Buch gelesen,
Brach er nimmer sich das Kreuzbein.
Dieses lehrt: Auch in der Tugend
Halte Maß! Beweine, Wandrer,
Unsern jungfräulichen Riesen!
Ungeschlacht hieß sein Herr Vater,
Tramplagonde die Frau Mutter,
Doch er selbst hieß Schlagadodro.»

Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
«Was du bittest, scheint mir billig.
Rüsten werd' ich dir das Grabmal
Nach den Worten deines Mundes.»
Und der Riese starb beruhigt,
Sicher seines Keuschheitsnachruhms.

Weiter gingen Held und Fee
Über Trümmer durch das Schlachtfeld.
Rings um zwei gegrabne Gräber
Lagen fünfzig schwarze Mohren,
Alle tot und schon erkaltet.
Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
«Göttliche, sieh dieses Wunder!
Alle fünfzig schwarze Mohren
Brachen gleichfalls sich das Kreuzbein;
Also zählen wir bis jetzo
Einundfünfzig Brüch' am Kreuzbein,
Gleiche Wunden, gleicher Bruch, wie
Bei dem Herrn, so bei den Sklaven!»

Ihm versetzte Fee Libelle,
Flügelschwingend, rosig lächelnd:
«Auf dem Schlosse von Brambambra
Galt ein unbedingt Gehorchen;
Was der Herr sich abgebrochen,
Brachen aus Respekt die Sklaven
Gleichfalls ab, im Tod noch Knechte.»

Frug der Held, Don Tulifäntchen:
«Göttliche, wo blieb der letzte,
Einundfünfzigste der Mohren?»

Ihm versetzte Fee Libelle:
«Dieser war kein echter Schwarzer,
Hatte sich nur angeschwärzet,
Um in Dienst bei diesem Riesen
Zu gelangen. Seines Zeichens
War er ein Professor Deutschlands,
Welcher liest die Nibelungen
Auf dem neugeschnitzten Lehrstuhl.
Zu des Lieds Verständnis braucht' er
Blick und Einsicht in die Tiefen
Einer ungeschlachten Wirtschaft;
Darum ward er hier Bedienter.
Heute morgen leis' entschlüpft' er,
Denn sein Studium war vollendet.»

Weiter schritten Held und Fee
Über Trümmer durch das Schlachtfeld.

Unter zwei geborstnen Balken
Fanden sie, beströmt von Blute,
Einen Mann in grünem Biber,
Lang und hager; das Gesicht glich,
Länglich, dem Gedankenstriche.
Neben ihm stand ein betrübter
Diener in Livree, ein Frau'nbild,
Beide jammernd nach dem Takte.

«Wes die Leiche? Wer die beiden?»
Frug der Held, Don Tulifäntchen.
«Dieser ist der Mann aus England»,
Sagte Fee Libelle lächelnd,
«Der Maschinengrübeltiefe,
Der Erbauer dieses Werkes.
Er kam her auf seinen Reisen,
Wollte nachsehn an der Mauer,
Ob noch alles wohl im Stand sei.
Da erschlug ihn seine Mauer,
Was wohl nicht geschehen, hätt' er
Mehr als einen Stift verwendet,
Kitt gebraucht und Nägel, Schrauben
Nach der dunklen Alten Weise.
Dieses lehrt: Auch in Mechanik
Halte Maß wie in der Tugend!
Träger aber sind des Leides
Dampfbedienter, Dampfgemahlin.»

Wundernd schaute die Gebilde
An der Held, Don Tulifäntchen.
Menschen schienen sie vollständig
Von gewohntem Fleisch und Beine.
Nur am Hinterkopf bemerkt' er
Eine Röhre, klein, von Eisen;
Aus der Röhre stieg ein Rauch auf,
Zeichen ihrer innern Gluten,
Angefacht von Kohlenfeuer.

Schalkhaft drehte Fee Libelle
Einen Hahn, den beide trugen
An dem linken kleinen Finger.
Zischend, gischend schoß ein Dunst vor,
Wurde schwächer, beide schnappten
Plötzlich ab in einem «Ach!»
Nicht vollendend ihre Klage;
Blieben stehen, fühllos, starr,
Wurden kalt wie Eis. So schloß sich
Dieser Dampfmaschinen Gram.

Weiter schritten Held und Fee
Über Trümmer durch das Schlachtfeld.

Ach, da lag am stillen Platze
Unter Tränenweiden, falben,
Ach, da lag ein teurer Toter,
Ach, da lag mit blut'gem Haupte
Zucklador', der treue Schimmel.
Jammernd sah ihn Tulifäntchen,
Warf sich auf des Gaules Leichnam,
Und so tönt' er aus sein Wehe:

«Ach, mein Roß, mein liebes Rößlein!
Ach, mein vielgetreuer Schimmel!
Ach, du Herz von meinem Herzen!
Ach, du Seele meines Lebens!
Oh, wie ist mein Sieg verarmet!
Ach, nun hab' ich keinen Freund mehr
Auf der Erde! Ach, mein Rößlein,
Ach, mein Schimmel, lieb und brav!»

Und gerührt sprach Fee Libelle:
«Hätt' ich doch auch diesen schirmen
Können mit den Götterflügeln!
Doch wer denkt, wer denkt an alles?»

Tulifäntchen lag und klagte;
Fee Libelle sagte tröstend:
«Nun erheb dich, Held! Das Schicksal
Fordert Zoll selbst von den Göttern.
Aphroditen ward Adonis
Von des Ebers Zahn zerfleischet.
Große Taten kauft nur Blut
Und der Liebsten blasse Leiche.
Mauerstürzer, Riesensieger,
Auf, erheb dich! Pflanz dein Schwertlein
In den Schloßhof deines Erbes!
Denn die Burg war deiner Väter.
Führ zur Mutter die Prinzessin,
Welche liegt, vom Knall betäubet,
In den Schlingen tiefer Ohnmacht.»

Ernst erhob vom toten Rosse
Sich der Paladin und sagte:
«Folgen wir denn unserm Stern!
Die Ruinen, jener Tote
Sagen uns: wie auch der Lorbeer
Festlich unsre junge Schläfe
Heut umgrünet gleich dem Pfande
Eines ewiglichen Glückes,
Daß wir gleichfalls können werden
Die Ruine von uns selber,
Und daß wir durch keinen Sieg
Sieger werden des gemeinen
Loses aller Staubgebornen.»

Sprach's. Durch Trümmer in den Schloßhof
Ging die goldbeschwingte Fee,
Ging der Held, Don Tulifäntchen.


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