Karl Immermann
Tulifäntchen
Karl Immermann

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Ritter Fis von Quinten

                  Welche Triller, welche Läufe
Dringen aus dem Busch, dem grünen?
Klingt es doch wie Sterbeklaglaut!
Aber singt man, wenn man abfährt?

Tulifäntchen kam getrabet,
Sprang behend vom Ohr des Schimmels;
In das Dickicht, ohne Bangen,
Abenteuerdurstgequälet,
Schritt der Held, Don Tulifäntchen.

Blut'ge Steine! Roter Rasen!
Einen Jüngling, bleich zum Tode,
Trug das rote Bett von Rasen.
Tulifäntchen flog zum Wunden,
Sprang auf seine Brust mitleidig,
Neigte sich zum Ohr des Blut'gen,
Und er wisperte ins Ohr ihm:
«Sprich, wer bist du? Wer erschlug dich?
Kann ich helfen? Kann ich noch dir
Was erzeigen? Liebes, Gutes?»

Sprach's. Da griff der Todeswunde,
Welcher war ein Mann des Sanges,
Mollakkord auf der Gitarre,
Die er hielt in seinem Arme,
Präludierte, sang. Er sang es
Mit dem reinsten, schönsten Vortrag:

«Nicht kannst du mir helfen, Kleiner,
Liebes, Gutes nicht erzeigen.
Mich ereilt der Tod inmitten
Meiner harmonienschwangern,
Sang- und klangdurchrauschten Tage.
Sieh das Blut in meinem Schopfe,
Fühl im Schädel dieses Loch!»

Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
«Nenne deinen Mörder, Jüngling,
Denn ein Rächer jeder Unbill
Steht, ich bin's, auf deinem Busen.
Fielst du nicht in gleich gerechtem
Ritterkampf von Hieb und Stoße,
Schlug dich ein Verräter meuchlings,
Räch' ich dich. Bei meiner Ehre
Sei's geschworen, wisse solches!»

Sang der blutge Gitarriste:
«Solfeggierend zog durchs Land ich,
Da vernahm ich daß Prinzessin
Balsamine sei forcierter
Maître eines dummen Riesen.
Wisse nun, daß ich der Kön'gin
Mich zum Dank verpflichtet fühlte.
Als ich unversehns gekommen
Jüngst ins Land, ins Reich der Weiber,
Schenkte sie das Leben mir
In Betrachtung des Tenores,
Den mir die Natur verliehn.
Drum den notgedrungnen Unter-
richt (die Arie heischt die Unter-
brechung, wie gar oft, des Wortes),
Jene Zwangslehrstunden, sag' ich,
Aufzuheben, schwoll das Herz mir.
Nicht mit Schwert noch Spieß bewehrt' ich
Meine kunstgeweihten Hände;
Nein, der Macht der Töne traut' ich.
Ein Konzert wollt' ich im Schlosse
Jenes Riesen geben, hoffte,
Im Gewühl der Menschen leichtlich
Zu entführen die Prinzessin.
Als ich angelangt vorm Schloßtor,
Saß der Riese Schlagadodro
(Dieses ist des Untiers Name)
Auf der Zinne seiner Mauer,
Wie er pflegt zu tun nach Tische,
Gähnte, blinzte mit den Augen.
Ich sang ihn mit meiner größten
Arie an und bat um Einlaß,
Nannt' ihn alles Schönen Fördrer,
Nannt' ihn geistreich und gemütvoll.
Doch der Riese rief mit rohem
Spott: 'Ich hatte mytholog'sche
Stunde just bei der Prinzessin
Und vernahm von jenen Wundern,
Welch' in alten finstern Zeiten
Deiner holden Kunst gelungen.
Hat sie Steine aus dem Bett nicht
Nach der Töne Klang gezogen?
Dies Mirakel wiederhole
Heut sich in der jüngsten Sonne!'
Sprach's, und eh' ich konnte ducken,
Hat das Ungeheu'r den größten
Stein gerissen aus dem Turme,
Hat ihn mir aufs Haupt geschleudert,
Daß die Stirn zerbarste klaffend.
Hierher schleppt' ich mich im Blute.
So als Opfer halber Bildung,
Mißverstandener Antike,
Fiel der Ritter Fis von Quinten,
Fiel der Ritter vom Tenore.»

Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
«Warum singst du stets, mein Guter,
Singst noch in der Todesstunde?»

Sang der Ritter Fis von Quinten:
«Weil ich nichts versteh' als dieses.
Schon als Knab' im weißen Jäckchen
Merkt' ich, was der Welt behaget,
Danach hab' ich mich geschicket.»

Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
«Ist es wahr, was mir ein düstrer
Spötter zugeraunet jüngstens?
Unsre Welt verlangt mitnichten,
Sagt' er, mehr nach Geist und Größe,
Sinn und Tiefe, Tatenmarke;
Denn sie gähnt in der Tragödie,
Denn sie gähnt im kühnen Lustspiel,
Denn sie gähnt bei dem Gedichte,
Und bei dem Gespräche gähnt sie,
Gähnet über Männer, gähnet
Über Helden, Gott und Himmel.
Diese alte Gähnevettel,
Sprach der düstre Mann voll Ingrimm,
Hält nur noch die Augen auf,
Wenn die wollustmüden Nerven
Eine Opernarie kraut.
Wunder Ritter, ist dem also?»

Sang der Ritter vom Tenore:
«Diesem ist so, ja, gottlob!
Darum lernt' ich, was jetzt not tut,
Lernte singen, nichts als singen,
Sang mich in den Arm der Frauen,
Sang mich in der Großen Palast,
Sang mich in der Kön'ge Prachtsaal.
Wo ein wen'ges von gesundem
Menschenwitze wollte keimen,
Sang ich nieder diesen Erbfeind
Aller Sänger, nieder siegreich.
Sprechen hab' ich ganz vergessen
Und beinah das Denken gleichfalls.
So ward ich zum reinen Tone,
Ward zum wandelnden Akkorde.»

Schmetternd schlug ein runder Triller
Aus dem Mund des Gitarristen
Gleich dem Blitz in blaue Lüfte,
Wurde schwächer dann und bebte
Aus im Bock, dem sogenannten.
Dieser erste Fehler kündet
An des Sängers letzte Stunde,
Nieder sinkt das Haupt, gebrochen
Starr'n die Augen; fälschlich trillernd
Stirbt der Ritter Fis von Quinten,
Stirbt der Ritter vom Tenor.

Tulifäntchen saß beweget
Auf der Brust des Toten, weinte:
«Rächen will ich Fis von Quinten,
Retten will ich Balsaminen!»

Kam ein Bauer, seufzt' und klagte:
«Nieder tritt mein Korn der Riese,
Ach, wer hilft, wer hilft mir Armen?»

Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
«Ich will diesem Bauer helfen,
Ich will rächen Fis von Quinten
Ich will retten Balsaminen.»

Kam ein Schäfer, seufzt' und klagte:
«Ach, der Riese stahl das Schaf mir!
Ach, wer schützt, wer schützt mich Armen?»

Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
«Ich will diesen Schäfer schützen,
Ich will jenem Bauer helfen,
Ich will rächen Fis von Quinten,
Ich will retten Balsaminen.»

Kam der Apfelbaum gewackelt:
«Riese frißt all meine Äpfel,
Ach, wer schirmt die Zweig' am Stamme?»

Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
«Ich will deine Zweige schirmen,
Diesen Schäfer will ich schützen,
Jenem Bauer will ich helfen,
Ich will rächen Fis von Quinten,
Ich will retten Balsaminen.»

Kam die Luft heran und klagte:
«Mich zerreißt der Ries' mit Schnarchen.
Ach, wer heilet mich, die Arme?»

Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
«Heilen will ich Luft mit Blute,
Schirmen Apfelbaumes Zweige,
Diesen Schäfer will ich schützen,
Jenem Bauer will ich helfen,
Rächen will ich Fis von Quinten
Und erretten Balsaminen.»

Sank die Sonn' herab und klagte:
«Mir wird übel von dem Riesen.
Wer bringt ihn mir aus den Augen?»

Sprach der Held, Don Tulifäntchen:
«Süßer, goldner Quell des Tages,
Ich will bergen ihn im Grabe!»

Auf vom Leichnam sprang begeistert
Unser liebenswürdges Heldchen.
Bauer betet, Schäfer betet
Für den Paladin, den kleinen,
Apfelbaum wirft ihn mit Blüten,
Luft, gleich einer Siegesfahne,
Wehet vor ihm her gewaltig,
Sonne sieht ihm günstig lächelnd
Nach auf seinen großen Bahnen.

Schlaf in Frieden, Fis von Quinten!
Hoff Erlösung, Balsamine!
Zittre, zittre, Schlagadodro!


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