Karl Immermann
Tulifäntchen
Karl Immermann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

1. Tulifäntchen Fliegentöter

Der letzte Tulifant

            O Vergänglichkeit, du Sieg'rin
Aller Sieger, alte Göttin!
Angetan mit grauem Leibrock,
Eppich um die Brust geknotet,
Eine Krone, falb vom Moose
Auf dem weißen Haupt, so sitzst du
Unter Trümmern regenmürbe,
Auf zerbrochner Säule Sturze,
Bei verblichnen Liebespfänden,
Bei dem Putz verwelkter Schönen,
Unter ausgetrunknen Flaschen,
Ach, und unter armen Beuteln,
Die von Golde strotzten, jetzo
Leer in deinem Dienste ruhn!

Einst im Fantenreiche blühte
Das Geschlecht der Tulifanten.
Reiches Kornland, zwanzig Schlösser,
Schöne Wiesen, manch ein Geldsack
Waren sein; jedoch wo blieb es?
Mäus' verwüsteten das Kornland,
Und der Strom verschlang die Wiesen,
Raben trugen aus den Säcken
All das blanke Geld zu Neste,
Doch die Gläub'ger kauften spöttlich,
Was gelassen Mäus' und Raben.

Seht ihr dort am stillen Hügel
Erlengrün und bachbenetzet
Jenes Mäuerlein, zwei Schuh hoch,
Drin die feuchtverstockte Holztür?
Seht ihr jenen langen, hagern
Mann im Mantel, braun wie Zimmet,
Wie er feierlich durchs Feld schleicht?
Nun, die Mau'r verschließt, die Türe
Öffnet den Kartoffelkeller.
Dieser Keller der Kartoffeln
Ist das Letzte von dem Erbe
Der berühmten Tulifanten,
Blieb allein von zwanzig Schlössern,
Weil kein Gläubiger ihn brauchen
Konnte, denen sonst doch brauchbar
Alles zwischen Erd' und Himmel.
Und der Wandrer ist der letzte
Sprosse jenes Glanzgeschlechtes,
Ist der letzte Tulifant!

Jetzo kam der braune Wandrer
Zu der Mauer; drauf sich setzend,
Schaut er ernst ins Gold der Sonne.
Nahm darauf aus seinem Mantel
Den Quartanten, sah die Farben
Der Geschlechter an des Landes.
Aber als der Abend dunkelt',
Schlug er zu das Buch und rufte:
«O wie hat mich Gott gesegnet,
Mich und meine edle Tulpe!
Wie mir im Gefühle wohl ist
Richt'ger Ahnen, im Besitze
Meines teuren Eigentumes!
Ach, nur einen Wunsch, nur einen
Ließ der Himmel unerfüllet,
Diesen klag' ich hier den Lüften:
Daß mir würd' ein Sohn, ein edler,
Names Erbe, Erbes Erbe!
Alt bin ich! Bald kommt die Stunde,
Wo der ferne Lehngevetter
Pflanzen wird auf diese Mauer,
Ach, sein Wappenschild, das fremde!
Denk' ich daran, dann erscheinst du,
O Vergänglichkeit, du Sieg'rin
Aller Sieger, greise Göttin,
Riesig mir, gespensterhaft!»

Tulifant stieg, solches sagend,
Wehmutsvoll von seinem Erbe,
Und er kehrte langsam, seufzend
Heim zur vielgeliebten Tulpe.


 << zurück weiter >>