Karl Immermann
Tulifäntchen
Karl Immermann

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Prinzessin und der Rinderbraten

                  Süße Minne! Rätselnacht!
Labyrinth der Liebeswege!

In dem roten Atlasdiwan
Saß Prinzessin Balsamine
An dem wohlbesetzten Teetisch,
Trank den Tee als wie zu Hause,
Trank ihn aus gemalter Tasse;
Sie trank ihren Tee mit Sahne.

Ihr zu Füßen saß der Riese,
Trank desgleichen Tee; doch trank er
Seinen Tee mit Branntwein, schaudernd
Trank er diesen Trank hinabwärts,
Denn er schmeckt' ihm stets wie Spülicht.
Und ein herber Kummer zehrte
An der edlen schönen Seele,
Seine Nerven litten sichtlich.

Feurig sagte Balsamine,
Die lavendelduft'ge Fürstin:
«Teure Mutter, daß du wüßtest,
Wie es deinem Kind so wohl geht!
Hätt' ich damals ahnen können,
Als du mich entführtest, guter,
Von der Welt verkannter Riese,
Daß ich solchen geist'gen Umgang,
Solche Sympathie der Seelen,
Alle die Berührungspunkte
Finden würd auf Schloß Brambambra?»
Sprach's und rief mit genialem
Augenzwinkern, zärtlich blitzend:
«Süße Minne! Rätselnacht!
Labyrinth der Liebeswege!»

Ärgerlich rief Schlagadodro,
Ungeschlachtens Sohn und Erbe:
«Hört, Prinzesszin, menagiert Euch!
Dieses Blicken, Blinzen, Blitzen
Zeigt mir, was die Glocke schlug hier.
Ihr habt, Hoheit, leider Gottes
Sündlich Euch in mich verguckt.
Lasset solche Narrenspossen!
Nehmt Vernunft an, bitt' ich herzlich.»

Drauf versetzte Balsamine,
Die lavendelduft'ge Fürstin:
«Das Genie hat kein Geschlecht!
Ich bin genial! Was kümmert
Mich der niedern Schwestern Zierspuk?
Titan du, ich Titanide!
Und ich suchte mir den andern,
Und du liebtest eine andre?
Kühn und frei, wie mir's geziemet,
Sprech' ich: In der Zeit der Kleinen
Hat mich, Riese, deine Größe,
Deine echte Unnatur,
Hat mich, Demant, deine Roheit,
Deine ungeschliffne Einfalt
Höchst energisch angesprochen!»

Ärgerlich rief Schlagadodro,
Ungeschlachtens Sohn und Erbe:
«Ein gesittet Frauenzimmer
Muß von Energie nichts wissen!
Sind mir das nicht Modefloskeln!
Liebet mich in Gottes Namen,
Nur macht keine Prätensionen,
Ich versag' euch jede Hoffnung.
Den Romanenkram, den hass' ich;
Meine Ruh' ist, was ich liebe,
Und ich halt' auf gute Sitten
In dem Schlosse von Brambambra.
Ihr seid Maître, damit basta!
Dieses ist das Wort, das rohe,
Eures ungeschliffnen Demants.»

Drauf erhob sich Balsamine,
Die lavendelduft'ge Fürstin,
Und sprach hochbegeistert also:
«Saft und Kraft in jedem Zuge!
Schlafe wohl, du herz'ger Räuber!
Gott beschirme deine Unschuld!
Wie er mich so kindlich anblickt!
Gute Nacht, rechtschaffne Seele!»
Hüllte sich in ihre Schleier,
Ging zu der gewölbten Kammer,
Lehnt' ihr hohes Haupt ans Fenster,
Blickt' emporwärts zu den Sternen,
Schwatzte mit dem großen Bären,
Bis sie endlich einschlief drüber,
Von Genie, Gefühl ermüdet.

Ärgerlich rief Schlagadodro,
Ungeschlachtens Sohn und Erbe:
«Müssen mir noch solche Sachen
Gar begegnen in dem Kursus?
Hol' der Henker mein verdammtes
Schwaches, zartes Herz von Butter!
Die Vernunft sagt: Schlag die Närrin
Tot, wie du bis jetzo totschlugst
Jeden, der dir schuf Beschwernis!
Alles Ding auf Erden schwindet
Nach vollendeter Bestimmung,
So ist's recht, das will die Ordnung.
Der Prinzessin Erdenzweck war,
Mich zu bilden. Aber jetzo
Hat sie diesen Zweck erfüllet,
Denn ich weiß die schwere Menge.
Deklinieren kann ich, lernte
Griechisch, kam bereits bis Tüpto.
Asien, Afrika, Europa
Und Amerika und unten
Da im Stillen Meer das viele
Gänseklein von Inselsuiten
Sind die fünf Weltteil'; es lebet
Ein allmächt'ger Gott im Himmel;
Sterben wir, ist die Geschichte
Nicht so mir nichts, dir nichts aus;
Nein, dann kommt das ew'ge Leben,
Und der Mensch hat freien Willen.
Wenn ich frage: Wem? dann setz' ich
Mir, und frag' ich: Wen? dann ziemt es
Mich zu sagen; und die Erde
Gleicht 'ner alten Pomeranze. –

Wozu noch mit mehrerm Wissen
Meinen Leib aufblasen? frag' ich.
Wozu lebt noch die Prinzessin,
Da, lass' ich die Törin leben,
Sie nicht fahren läßt die Liebe,
Allerhand mir in den Kopf setzt,
Was mir raubet meinen Frieden,
Inkommodität verursacht,
Trouble bringt in meine Hausruh',
Träume bringt in meinen Schlummer,
Und mir störet die Verdauung,
Welch' im Leben ist der Hauptpunkt?

Doch das Herz spricht: Schlag sie nicht tot!
Töten, was uns liebt, ist schwerlich
Zu entschuldigen; man prügelt
Schon nicht gern, die uns verzehren.
Auch das Herz hat seine Rechte,
Und ein ewiges Gesetz ruft:
Schone Menschenblut! – Wie harmlos
Lebt' ich, als ich noch nichts wußte
Von dem ewigen Gesetze!
Damals, kann ich sagen, schlug ich
Tot im reinsten Seelenfrieden.
Du hast aus dem Paradiese
Mich getrieben, o Kulturstand!
Fluch dem Baume der Erkenntnis!»

Sprach's und setzte sich zum Essen.
Einen fetten Ochsen trugen
Vierzehn Mohren auf, am Spieße
War er delikat gebraten.
Schlagadodro kaute, wurde
Nur der einen Keule mächtig.
Melancholisch rief er: «Schlinget,
Mohren, ihr des Ochsen Reste!
Mir im Munde quillt der Bissen.»

Stöhnend ging der biedre Riese
Mit den angegriffnen Nerven
Drauf spazieren in dem Mondschein.
Pflückt' am Bach ein blaues Blümchen,
Führt' es zu den Lippen zärtlich,
Sprach: «Vergiß mein nicht, du Holde!
Ja, ich muß dich schlagen tot.
Einen tiefen Blick heut abend
Hab' ich in mein Herz geworfen.
Nie hat ein gebratner Ochse
Mir bis heute widerstanden,
Nicht, als starb mein teurer Vater,
Nicht, als starb die würd'ge Mutter,
Die verklärte Tramplagonde.
Heute widerstand der Ochs mir!
Suchst du noch nach andern Zeichen,
Unglücksel'ger Schlagadodro?
Ja, du liebst, und sie muß sterben,
Denn die Tugend ist mein Stolz,
Keuschheit meine Passion,
Jeder hat ja Steckenpferde.
Ich will nicht zu den verdorbnen
Liederlichen Hünen zählen,
Die in allen Sagen spuken.
Nein, ich will auf meinem Sarg
Einst die Inschrift: 'Hier, o Wandrer,
Ruht der jungfräuliche Riese!'
Arme Balsamine! Wärst du
Nie was andres mir gewesen
Als ein frommer, stiller Maître!
Wunderbar, daß ich doch alle
Meine Lehrer muß ermorden!
Oh, das Schicksal ist wahrhaftig
Eine Nuß, die aufzuknacken
Kein Verstand besitzt die Zähne.
Still! Vom Grübeln wird man mager,
Sei ein Mann und schone deiner,
Alle Menschen sind ja sterblich.
's ist ein Übergang! Das bißchen
Tod ist kaum der Rede würdig.
Sie hat's gut, sie geht zur Ruhe;
Ich bleib' hier im Tal der Schmerzen.
Ihr wird wohl! – Na, mir wird besser.
Noch drei Tage soll sie leben,
Sterben an dem vierten Tage!

Süße Minne! Rätselnacht!
Labyrinth der Liebeswege!


 << zurück weiter >>