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XI.

»Kinder, ihr müßt Tante Cessi euren Besuch machen,« mahnt Tante Adele.

»Es ist eine Schmach für euch, daß ihr immer noch nicht bei der alten Dame wart.« Tante Cessi ist eine alte Baronin, die ein eigenes Haus mit einem köstlichen Garten in einer der Hinterstraßen Weißensteins besitzt. Sie ist Tante Adelens Kusine.

Ich gehe gern hin, es ist eine feine Atmosphäre aus alter Zeit da, mit Rosen- und Lavendelduft, und Tante Cessi ist zart und poetisch, wie eine welke Blüte.

Aber die Vettern sind anderer Ansicht.

»Man muß dort so scheußlich fein sein!« sagt Georg. »Man denkt immer, man tritt auf jemandes Fuß, oder zerbricht was. Angefangen mit Tante Cessis kleinen, zarten Händen!«

Nun sind wir auf dem Wege zu ihr, alle im Feiertagsgewand, so muß es schon sein.

Ich halte mich bei solchen Gelegenheiten lieber zu Hermann als zu den beiden andern Vettern, mit denen man auf dem Wege so viel lachen muß, daß man, wie Mutter sagt, »verwildert« ankommt, und dann immer zur Unzeit loslacht, was Tante Cessi nicht versteht und wozu sie ganz erstaunte Augen macht.

Nun stehen wir vor dem Hause, es ist das niedlichste in ganz Weitzenstein; einstöckig, blitzblank, mit hellen Fenstern, hinter denen man Blumen und weiße Mullgardinen erblickt. Die Messingtürklinke funkelt in der Sonne.

Wir ziehen die altmodische Klingelschnur mit Messinggriff. Auf ihren feinen Ton hört man leise Schritte, ein alter Diener mit weißem Haar und stillem, frommem Gesicht.

»Ja, die Baronin ist zu Hause, sie wird sich freuen.«

Wir treten ein. Eine ganz alte Zeit umgibt uns, mit ihrem wunderbaren Zauber verschollener, feiner Lebensart. Die Dielen sind schneeweiß, ungestrichen, getupfte Mullgardinen an den Fenstern, feine, alte Mahagonimöbel, alte Tassen in einem Glasschrank, kleine, feingearbeitete Tische, zierliche Stühle füllen das Zimmer, in das wir treten. An der Wand steht ein Tafelklavier auf dünnen Beinen, auf dem man nur kleine, zierliche Menuetts von Couperin oder Mozart spielen könnte, zu dessen Klängen man nur »Die letzte Rose« oder »An Alexis send' ich dich'« singen dürfte.

Nun steht Tante Cessi auf der Schwelle. Ihr kleiner Hund mit langem, weißem, gepflegtem Haar kläfft leise ein paarmal nach uns hin. Er geht auf eine Mahnung seiner Herrin in sein Körbchen, das neben ihrem Lehnstuhl steht, knurrt leise vor sich hin und legt sich dann zufrieden in seine Kissen. Tante Cessi ist klein und zierlich, mit weißem, gewelltem Haar, unter einem lichten Blondenhäubchen. Sie hat ein grauseidenes, altmodisches Kleid an, mit einer Mantille um die Schultern. In ihren kleinen Händen hält sie ein Taschentüchlein, ihr Gesicht mit den klaren Augen ist rund und kindlich, ihre Augen voll Güte; sie können so rührend hilflos blicken.

Die Vettern küssen ihr ritterlich die Hand, und bekommen einen Kuß auf die Schläfe, so forderte es die damalige Sitte in Estland. Als ich mich zum Handkuß beuge, umarmt sie mich und küßt mich. –

Wir sitzen bei ihr und plaudern, die Tür zum Garten ist offen, Düfte von Levkoyen, Reseda und Zentifolienrosen strömen herein. Es ist eine Atmosphäre von wunschloser Stille, die uns umfängt.

Sie erzählt von alten Zeiten, vom Verkehr der damaligen Zeit, von ihren Freunden, und wie sie nun einsam geworden sei, keiner von ihren Jugendgespielen lebe mehr.

»Ja, ja!« sagt sie, »ihr seid alle jung und haltet zusammen, aus eurem Kreise fehlt noch keiner; wenn man aber so alt ist wie ich, und niemand hat, zu dem man sagen kann: »Weißt du noch?« dann ist es manchmal recht wehmütig. Wenn es so weit in eurem Leben ist, dann denkt an mich.« Wir lächeln ein wenig, denn dieser kleine Schlußseufzer ist uns wohlbekannt, der kommt jedesmal, wenn wir bei ihr zu Besuch sind.

Warum nur bleibt er heute so seltsam bei mir haften, es klingt wie eine leise Traurigkeit in mir nach. –

Solch ein stilles, einsames Leben! Wohl ein Ruhehafen, aber ach, ein so gar stiller!

Nein, nein, danach sehne ich mich wohl nicht!

Wie muß es aber sein, wenn das Leben so wunschlos zwischen Blumen, alten Bildern und alten Erinnerungen hinfließt? Wenn man allein bleibt? –

Ach was! Das Leben liegt ja vor einem, reich, stark, schön, mit großen geheimnisvollen Verheißungen in der Zukunft, die man alle noch erleben wird.

Wir sind jung, gesund und froh, ein großer Kreis. Wer denkt da an Alter, an Einsamkeit? Darüber lacht man nur!

Ja, damals lachte man, aus der Fülle seines Reichtums heraus. Und heute?

Es sind nur noch ganz wenige da aus der Zeit, zu denen ich leise sagen kann: »Ach! weißt du noch?«

Und bald sind auch die fort und man bleibt ganz allein!

»Immer heißer der Tag,
Immer kühler die Nacht!
Immer stiller und ernster das Leben!«


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