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II.

Ich bin sechzehn Jahre alt, mein Geburtstag wird gefeiert. Ich habe ein weißes Kleid bekommen, mein Geburtstagstisch ist auf der Veranda gedeckt, Zentifolienrosen decken den Tisch, so daß man das weiße Damasttuch nicht sieht.

Ich bin selig! Sechzehn Jahr'! Mein Gott! Was wird das Leben bringen?

Freude, Freude und Lachen, wie könnte es denn anders sein! Alles jubelt, die Sonne strahlt, die Blumen blühen, alles umgibt mich mit Liebe.

Ich gehe durch den Garten, ich falte die Hände, ich bete. Immer dasselbe: »Mein Gott! ich danke dir, das Leben ist zu schön!«

Am Nachmittag winkt Georg mir: »Ich habe ein Geschenk für dich. Komm, daß niemand uns sieht. Mein Geschenk ist in den Steinbrüchen versteckt, keiner soll es wissen.«

Ich fasse seine Hand, wir laufen eilig durch den Garten, durchs kleine Hinterpförtchen, über die Wiesen dem Walde zu. Da sind die Steinbrüche, wir gehen langsam die schmalen Waldwege bergauf, bergab.

Der Wald ist geheimnisvoll, voller Höhlen und Schluchten. Golden zittert das Licht auf dem Moos und fällt auf unsern Weg. Wir verstehen uns, sehen alles Schöne, die einsamen großen Glockenblumen, auf schwankenden Stengeln, wir fühlen die Stille.

Und nun kam mein Geschenk, über eine Höhle wölbte eine Linde ihre grünen Gezweige. Seltsam verflochten ruhten ihre Wurzeln wie eine Wiege über dem Eingang zur Höhle.

Dieses Plätzchen hatte Georg für mich entdeckt. Das Wurzelgeflecht war dicht mit Moos gefüttert. Georg strahlte. »Hier sollst du liegen,« sagte er.

Er half mir hinein. Wie in einem Nestchen lag sich's da, als schützendes Dach die Zweige der Linde über mir, rings um mich das Schweigen des Waldes. Ich liege ganz still. Georg hat mir eine große blaue Glockenblume in die Hand gelegt.

»Das ist dein Szepter,« sagt er. »Nun bist du die Waldeskönigin und ich bin dein Knappe, der dich bewacht. Kein Unglück kann dich treffen, ich liege mit meiner Lanze vor deiner Schwelle und kämpfe gegen Drachen.« Es ist ganz still, kein Windhauch rührt die Blätter über uns.

Ich denke goldene Träume, leise fange ich an zu singen:

»O du lichtgrüne Welt,
Ach! wie strahlst du vor Lust!«

Dann schwelgen wir. Georg schwärmt eben für Storm, er sagt ein Lied von ihm:

»Hier an der Bergeshalde
Verstummet ganz der Wind,
Die Zweige hängen nieder,
Darunter sitzt das Kind.«

Das gefällt mir nicht, ich bin doch eben sechzehn Jahre alt geworden.

»Das stimmt nicht,« sagte ich etwas gereizt, »nun bin ich ein junges Mädchen, sechzehn Jahre alt!«

Er fährt unbeirrt fort:

»Sie sieht mich an verständig,
Es geht mir durch den Sinn:
Sie hat die goldenen Augen
Der Waldeskönigin.«

»Heute hast du auch goldne Augen,« sagte er. Ich bin herbe und scheu, die Sprache ärgert mich.

Ich fahre von meinem Traumlager empor. »Schafskopf!« sagte ich und sonst nichts.

Georg lacht.


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