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IX.

»Kinder! Kinder!« Es ist Onkels Stimme, die durch den Garten ruft.

In Hast stürzen wir zur Veranda, von deren Stufen der Ruf erschallt, über Beete und Beerensträucher in eiligem Lauf setzend. »Was gibt's? Was gibt's?«

Onkel steht auf der Veranda mit einem großen Korbe, wir blicken hastig hinein.

»Eier! Ein ganzer Korb voll Eier!«

»Ja,« sagt Onkel, »den brachte mir eben eine Bäuerin, ich opfere ihn euch! Was soll damit geschehen?«

»Wir wollen Goggelmoggel.« (Geklopftes Ei mit Zucker.) »Nein, Eierkuchen.« »Nein, Ochsenaugen.« (Spiegeleier); so ruft es durcheinander. Wir einigen uns auf Ochsenaugen.

»Gut,« entscheidet Onkel, »zu Mittag sollt ihr Ochsenaugen haben, und jeder soll davon essen, so viel er irgend kann!« Nun ging es eilig mit dem Korbe zu Jenny in die Küche.

»Jenny, Jenny! Heute soll es hundert Ochsenaugen geben, jeder soll davon essen, so viel er irgend kann!«

Jenny schlägt die Hände zusammen:

»Na, das wird eine Arbeit geben, die alle zu braten!«

»Wir helfen!« rufen wir im Chor.

»Das kenne ich!« ruft Jenny lachend, »macht nur, daß ihr aus meiner Küche kommt. Denkt euch lieber was aus, um das Ochsenaugenfest zu verherrlichen.«

Wir sind nun alle voll eifriger Vorbereitungen. Karl verschließt sich in seinem Zimmer – er dichtet.

Wir schmücken den Mittagstisch im langen Speisezimmer, an dessen dunklen Wänden als einziger Schmuck Leonardo da Vinci's Abendmahl, und Kaiser Nicolai und seine Gemahlin in blauer Rahmung hängen. Einer von uns hat die Idee, die Speisekammer Jenny zu Ehren zu schmücken.

Es ist die Zeit der Jasminblüte, in Massen werden die weißen, duftenden Zweige im Speisezimmer verteilt, die Speisekammer mit ihren Töpfen und Gläsern ist voller Jasminblüten, sogar am geräucherten Schinken hängt ein Jasminstrauß.

Eilig wird ein Quartett probiert.

Die Mittagsstunde ist da! In Festkleidern mit Jasminblüten geschmückt sind wir alle erschienen, sogar Onkel hat eine Jasminblüte in seinem grauen Rock.

Wie freudig hält er das Tischgebet. Aller Hände falten sich.

»Du gibst ihnen Speise zu seiner Zeit und erfüllst alles, was lebet, mit Wohlgefallen,« betet Onkel.

Alles sitzt auf feinen Plätzen, erwartungsvoll den Blick auf die Küchentür gerichtet.

Jenny erscheint, hinter ihr die Magd mit einer Riesenschüssel, auf der die Ochsenaugen liegen.

Ein markerschütternder Jubel bricht los.

»Nun aber schweigt und eßt,« ruft Onkel.

Als der erste Sturm vorüber ist, erhebt sich Karl. Er hat für jeden ein Gedicht gemacht, das er verliest. Es sind Neckereien in Knittelversen, die manche kleine Schwäche geißeln, aber es geschieht mit so viel Witz und Humor, daß keiner so viel lacht, wie der Getroffene selbst.

Wie viele Ochsenaugen an dem Tage verzehrt wurden, wer weiß es, wer konnte das feststellen!

Als wir uns müde vom Lachen und gesättigt vom Tisch erhoben, sollte Jenny ihre Huldigung erhalten.

In feierlichem Zuge wurde sie in die Speisekammer geführt, Karl las ein Gedicht vor, das sie und den gesegneten Raum verherrlichte. Kopf an Kopf standen wir in der engen, kühlen Kammer. Jetzt noch zum Schluß ein Quartett, das mit seinem übermütigen Jubel die Gläser auf den Boden klirren ließ, dann war das Fest zu Ende.

Alles schläft im Hause, ich sitze allein im Garten, der voller Zentifolien- und Jasminduft ist. Alles ist still. Schwalben schießen jauchzend durch die Luft! Ach, wenn dies Leben doch nie ein Ende hätte.


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