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X.

Ich trete in den Saal und sehe Tante Adele an ihrem Nähtisch sitzen, ihr Gesicht so sorgenvoll. »Was hast du?« frage ich, bestürzt zu ihr tretend. »Ach!« sagt sie, »du mußt mir helfen!« »Mein aller Herr« – wenn sie ärgerlich auf ihren lieben Mann war, nannte sie ihn immer so, »mein alter Herr macht wieder mal einen dummen Streich, der ihm große Unannehmlichkeiten bereiten kann.« Und sie erzählt von einem offiziellen Schreiben, das er von seiner Obrigkeit erhalten hat. Er ist »Kronsarzt« und erhält dazwischen Befehle von seiner Obrigkeit aus Petersburg. Sehr oft fügt er sich ihnen nicht, wenn ihm diese Verordnungen nicht passen, wirft sie in den Papierkorb und überläßt die Sache Gott.

Manchmal schon stand es direkt schlimm um ihn, er sollte sein Amt verlieren, hätte er in Petersburg nicht hochstehende Freunde gehabt, die seine Angelegenheiten immer wieder in Ordnung brachten, wäre er längst von seinem Posten entfernt worden.

»Heute kam wieder solch eln offizielles Schreiben,« fährt Tante Adele fort. »Mein alter Herr war sehr verdrießlich, wetterte den ganzen Morgen über Unvernunft, die Unsinn mache, darauf verschwand er in sein Zimmer, erschien dann in strahlender Laune und ging in seinen Garten. Als ich eine kleine Nachforschung in seinem Zimmer machte, fand ich das offizielle Schreiben im Papierkorb; es enthielt eine direkte Warnung für ihn. Das geht doch nicht, er verliert noch Amt und Brot. Kannst du nicht etwas bei ihm ausrichten?«

Stolz über meinen Auftrag laufe ich in den Garten. Onkel steht in seinen Erbsenbeeten mit der Mütze lief im Nacken, er ist strahlend fröhlich. Ich lobe seine Erbsen und fange an, mich eifrig beim Pflücken zu beteiligen, in meinem Kopf nach einer Einleitung für meine Mission suchend. Doch hilft ja bei Onkel keine Diplomatie, er hat dann solch eigene Art, einen mit listigem Augenzwinkern überlegen anzulächeln. »Sag' ordentlich und klar gerade heraus, was willst du?« sagt er dann, und man ist von vornherein im Nachteil.

Also, es ist am besten, ich springe mit beiden Füßen hinein in die Gefahr! Aber ich kenne Onkels Heftigkeit, wenn man ihm entgegentritt! Er ist absoluter Selbstherrscher, der keinen Widerspruch verträgt. Ich hole tief Atem.

»Onkelchen!«, er sieht überrascht auf, ein leises Mißbehagen fliegt über sein Gesicht, er wittert etwas, denn sein Gewissen ist nicht ganz rein.

»Na also! Was gibt es?«

Ich nehme mich zusammen. »Du hast heute eln Schreiben von deiner Obrigkeit erhalten, und hast es nicht beachtet,« sage ich mutig. »Tante Adele macht sich große Sorgen darum. Der Medizinalrat hat schon neulich gesagt, er könne nichts für dich mehr tun, wenn du immer deiner Obrigkeit entgegentrittst. Bitte gehorche ihr doch dies eine Mal!« Sein Gesicht wird rot vor Zorn, er schluckt einige Mal, er will seine Heftigkeit durchaus niederhalten. Dann setzt er zum Sprechen an, aber schweigt noch. Ich werde kühn: »Onkelchen! Die Obrigkeit ist doch von Gott, und wir sollen ihr gehorchen, auch »der wunderlichen«, sagt die Bibel.

Ich sehe ihn ganz stolz an, er läßt mich wirklich ausreden. Dann spricht er, mit einer völlig unnatürlich sanften Stimme.

»Mein liebes Kind, wer gab mir meinen Verstand?«

»Gott!« sage ich betreten.

»Wozu gab er ihn mir? Um ihn zu gebrauchen oder um ihn in die Tasche zu stecken?«

Ich sehe, meine Sache wird hoffnungslos.

»Um ihn zu gebrauchen,« sage ich kleinlaut.

»Also!« sagt er triumphierend, »das siehst du selbst ein! Wenn Gott mir nun mehr Verstand gegeben hat, wie meinen Vorgesetzten, die Esel sind,« das schrie er plötzlich ausbrechend heftig heraus, »dann wäre ich ja dümmer als sie, wollte ich nicht meinen Verstand gegen ihren Unsinn behaupten!«

Seine Heftigkeit war mit diesen Worten verraucht.

»So, mein lieber Singvogel, die Sache wäre erledigt,« sagt er dann freundlich wie eine Sonne, »sie bedarf keiner Worte mehr.«

»Das Papier bleibt im Papierkorb, wo es hingehört, und die Herren in Petersburg mögen sehen, daß ich für keine Dummheiten zu haben bin. Ich bin und bleibe der alte Bauerndoktor Hermann Hesse in Weißenstein!'

Dabei nahm er seine Mütze ab, schwenkte sie durch die Luft, setzte sie sich dann noch tiefer in den Nacken und blinzelte mich so übermütig lustig an, daß ich, in jubelndes Lachen ausbrechend, über die Beete in seine Arme sprang. Ganz einig gingen wir ins Haus zur Tante Adele.

»Da sie ein vernünftiges Mädchen ist,« sagte Onkel mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Schelmerei im Gesicht, »so ist sie natürlich ganz meiner Meinung.«

»Tante Adele!« rief ich, »sei ruhig, sie tun ihm nichts, das sollst du sehen! Ach! wer könnte wohl dir was antun, du goldener, lieber alter Onkel du! Alle müssen doch einsehen, daß du recht hast!«

Tante Adele sieht sich völlig verlassen von ihrer Helferin, die mit fliegenden Fahnen ins feindliche Lager übergegangen ist. Sie muß trotzdem lachen.

»Ist sie nicht ein kluges Mädchen?« sagt Onkel wohlgefällig. Dann geht er in sein Zimmer.

Es riecht bald nach verbranntem Papier, er hat die Bannbulle endgültig vernichtet.


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