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VII.

Wir sind alle zum Abend eingeladen zu einem befreundeten Ehepaar. »Es gibt Hühnerbraten und nachher Bowle im Garten!« flüstern die Vettern.

Fröhlich ziehen wir alle zum Fest.

Onkel geht nicht mit: »So schön wie mein Garten ist doch keiner,« sagt er, »ich bleibe zu Hause! Aber ihr müßt immer fortrennen!«

Er haßt es, wenn wir ausgehen, und ist dann immer ein wenig verdrießlich.

Unser Kreis hat sich um einen vergrößert, Vetter Samuel ist angekommen. Er ist ein breitschultriger, fröhlicher Student, mit dunklem, gewelltem Haar und prachtvollen, funkelnden Augen.

Er ist voll nie versiegender, guter Laune, übersprudelnd von Witz und Humor, größter Schlagfertigkeit, und er hat ein heißes Herz.

Alles erträgt er, nur keine Leere des Herzens, und seine Herzensköniginnen wechseln.

Man raunt sich zu, er habe sich bei seinem Besuch hier zu den Osterferien in Elli verliebt, das ist die jüngste unserer Nachbarstöchter, ja, man munkelt davon, daß er heimlich mit ihr verlobt sei.

Elli ist noch sehr jung, eben konfirmiert, mit einem lieblichen, zarten Gesicht und schönen, rätselhaften Augen. Sie ist sehr still und zurückhaltend, wir wissen nicht viel mit ihr anzufangen, und keiner weiß, ob seine Liebe zu ihr erwidert wird oder nicht.

Wir beschäftigen uns viel mit ihm, denn jeder Tag bringt neue, aufregende Rätsel. »Sind sie verlobt oder nicht?« Diese Frage hält uns alle in Atem.

Vetter Samuel ist wohl der Bedeutendste aus unserem Kreise. Neben seinen glänzenden Gaben ist er voller Tatkraft und Tüchtigkeit, voller Fleiß und Energie. So recht fürs Leben geschaffen, hat er den weitaus glänzendsten Weg von allen unseren Jugendgefährten gemacht. Sein Name ist als Prediger, Redner und Schriftsteller in Deutschland überall gekannt.

Er reizt mich, obschon ich ihn heimlich sehr bewundere, einen uneingestandenen Respekt vor ihm habe und ein immer dankbares Lachpublikum für seine Witze bilde. Trotz alledem reizt er mich! Wir sind nicht immer friedlich miteinander, es ist etwas in mir, was sich ihm entgegenstellt. Ich habe den Verdacht, als hielte er nicht viel vom weiblichen Geschlecht, als dächte er, wir Mädchen müßten ihm alle zufliegen, wenn er nur wollte. Er ist verwöhnt und siegessicher, das hält mich immer in einer inneren Entfernung von ihm. Meine Stellung zu ihm wechselt zwischen großem, warmem Zutrauen und tiefem Mißtrauen.

Ich bin noch ein unbewußtes Kind, aber manchmal steigt das Gefühl in mir auf, als spielte er mit uns allen.

Wir haben unser Abendessen beendet, alles zieht in den Garten.

Der Garten ist altmodisch, verwildert, voll schattig dunkler Gänge und tiefer Lauben. Wir haben ein Brautpaar unter uns, Vetter Hermann und Nachbars Jenny sind verlobt. Es liegt eine Atmosphäre von festlicher Freude, einer großen, schönen Liebe um die beiden, die sie verklärt und umhüllt; wie in einer Wolke gehen sie umher.

Die größte Laube des Gartens ist mit bunten Lampen geschmückt, auf dem Tisch steht die Bowle.

Wir bilden einen schönen, vierstimmigen Chor, singend wandeln wir durch die Gänge des Gartens.

Die Bowle vereinigt uns in der großen Laube; welch eine Fröhlichkeit, welch ein Lachen, wie frohe Lieder klingen durch die stille dunkle Sommernacht!

Nun soll ich singen, wir haben die Lampen gelöscht, der Mond steht am Himmel und verbreitet sein stilles Licht über uns.

Ich stelle mich unter einen Baum, gegenüber der Laube. Der Mond scheint auf mein weißes Kleid, meine langen blonden Zöpfe fallen mir über die Brust herab, ich habe die Hände gefaltet. Welch ein unbeschriebenes Blatt ist meine Seele. Ich singe:

»Eine blaue Schürze
Hast du mir gegeben!
Mutter, schad' ums Färben,
Mutter, schad' ums Weben.
Morgen in der Frühe
Wird sie bleich erscheinen,
Will zur Nacht so lange
Tränen auf sie weinen.«

Mein Singen ist noch ohne Kunst, aber ln meiner Stimme soll etwas klingen, das an die Herzen der Menschen rührt, ich singe aus meiner tiefsten Seele heraus.

Es ist still geworden in unserm übermütig frohen Kreise. Samuel hebt sein Glas: »Du sollst leben!« ruft er stark. Alles stimmt freudig ein. Dann verlassen sie die Laube, zerstreuen sich im Garten, man sieht die hellen und dunkeln Gestalten in den mondbeschienenen Gängen auf und ab wandeln, in der Tiefe des Gartens verschwinden sie, ich bin allein.

Da kommt es über mein junges Herz plötzlich wie Trauer. Eine Sehnsucht erfaßt es und erfüllt es bis in alle Tiefen, eine Sehnsucht ohne Namen, ohne Ziel. Ich hebe meine Arme hoch empor, ich strecke sie in die weißen Mondstrahlen; so ist mir's immer, wenn ich gesungen habe! Als wüchsen mir Flügel und trügen mich doch nicht fort! Ich lasse meine Arme sinken und wandre gedankenverloren durch die Gänge, ich möchte keinem begegnen. So biege ich in eine Nußallee, in deren Mitte sehe ich Samuel stehen. Samuel und Elli. Sie stehen im Mondlicht, das durch die Bäume strahlt. Sie hat ihre Arme um seinen Nacken gelegt, ihr Gesicht leuchtet schneeweiß im Mondschein, es ist zu ihm emporgewandt, schimmernd liegt das Licht auf ihrem hellen Haar, auf ihrem weißen Kleide. Sein Gesicht sehe ich nicht, es liegt im Schatten, da beugt er sich tief zu ihr herab und küßt sie, immer wieder, immer wieder auf ihr weißes Gesicht. Erschrocken bleibe ich stehen, ich wage nicht, mich zu rühren. Dann gehe ich leise fort, erbebend, als hätte ich etwas geraubt, tief im Herzen erschauernd.

Da kommt Georg in eiligem Lauf auf mich zu, er hält mich fest: »Ich will dir was sagen,« flüstert er, »sie sind verlobt.« »Ich weiß es,« sagte ich leise.


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