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V.

Wir sitzen auf dem grünen Rasen der kleinen Wiese, hinten im Park. Wir haben die ganze Zeit Beeren gegessen, haben gelacht und uns geneckt, und wie Funken fliegen die Neckereien und Scherze herüber und hinüber. Auch etwas boshaft sind wir manchmal, denn keine Schwäche wird geschont. Aber keiner ärgert sich, alles löst sich in fröhliches Lachen auf.

Da – wer war es, der es tat? Ein kleiner, grüner Apfel fliegt mit wohlgezieltem Wurf durch die Luft, gerade an Georgs Blondkopf.

»Oho!« Ein zweites Wurfgeschoß folgt.

Wie es geschah, weiß keiner. Ein wilder Kampf ist plötzlich entbrannt, kleine, grüne Apfel, Kastanien fliegen hin und her, die Wiese ist in einen wilden Kampfplatz verwandelt. Zwei Parteien haben sich gebildet, wildes Kriegsgeschrei erfüllt die Luft. Der Kampf zieh, sich durch den Garten, zur Veranda.

Auf unsre Schlachtrufe stürzt alles aus den Zimmern: »Hierher!« »Nein, hierher!« Jede Partei wirbt wild um Kampfgenossen. Von der Straße kommen vorübergehende Freunde dazu. Onkel erscheint auf der Veranda, er ist ein heißbegehrter Freund, ein gefürchteter Feind, denn er ist wie ein Sturmwind und kennt kein Erbarmen.

Man greift zu allem, was einem in die Hände fällt, um es als Waffe, als Wurfgeschoß zu benützen. Einer stürzt ins Haus, kommt mit sämtlichen Sofakissen heraus, diese fliegen als Geschosse durch die Luft.

Auf der Veranda hat sich ein Teil der Kämpfenden verschanzt, vom Garten aus fangen die Feinde an, die Veranda zu stürmen.

Ich habe eine Idee, ich laufe durchs Haus, durch den Garten, mit wildem Kampfgeschrei falle ich dem Feind in den Rücken. Ich habe keine Geschosse, da packe ich meine langen Zöpfe mit der Hand, große Schleifen flattern an den Enden, sausend fliegen sie wie Peitschen durch die Luft, schlagen in der Wut des Kampfes den Feinden auf die Köpfe.

»Verrat! ein tückischer Angriff im Rücken, fangt sie!«

Ich laufe atemlos fliehend in den Garten, alle Vettern hinter mir drein. Ich werde gefangen, und plötzlich, wer erwartete so etwas? heben sie mich auf ihre Schultern. Mit wildem Siegesgeschrei werde ich durch den Garten getragen, hoch auf den Schultern der Feinde thronend.

Tante Adele steht mitten unter den Kämpfenden. Sie macht nie mit, wenn wir tollen, lacht aber von Herzen zu unseren Streichen.

»Nun genug!« ruft sie fröhlich, »Ihr zerbrecht mir ja alle Fensterscheiben und zerstört meine schönen Sofakissen!«

Ich liege noch immer hilflos auf den Armen und Schultern der Sieger.

»Laßt sie herunter«, kommandierte Onkel.

»Nein, sie hat Verrat geübt, sie muß gestraft werden, wir sperren sie ein!«

»Ich gebe heute abend Pfannkuchen mit Zuckersaft,« ruft Tante Adele, »wenn ihr sie loslaßt.«

»Hurra!«

Ich gleite auf die Erde herab, erhitzt, atemlos lachend ruht alles vom Kampfe aus. »Morgen machen wir ein Friedensfest!« erklärt Onkel. »Was für ein Fest machen wir? Weihnacht oder einen Geburtstag?«

»Einen Geburtstag!« ruft alles.

Es wird beschlossen, Jennys Geburtstag zu feiern. Jenny, die allezeit Hilfreiche, der gute Engel des Hauses, soll einen herrlichen Geburtstag haben.

Mit Ungeduld wird die Kaffeestunde erwartet, denn jeder will nachher »Besorgungen« machen. Meine Mutter und mein Bruder, die Familiendichter, verschwinden in ihren Zimmern, Verse werden geschmiedet.

Onkel geht in sein Zimmer, die Tür ist geschlossen, er kramt still darin umher. Ich öffne die Türe vorsichtig, Onkel steht an seinem großen Schrank mit seinen vielen Schubfächern, aus dessen geheimnisvollen Tiefen wunderbare Dinge ans Tageslicht kommen. Er hört die Tür gehen, wendet sich um und sieht meinen Kopf vorsichtig durch den Spalt lugen.

Sein liebes, altes Gesicht mit den klugen, lustigen Augen strahlt, er hebt drohend den Finger: »Wirst du wohl? mach, daß du fortkommst!«

Wir verteilen uns in den Läden des Städtchens, keiner darf wissen, was der andere plant.

Vetter Hermann und ich gehen in die Nachbarhäuser, ein Gesangsquartett wird zusammengestellt und ein Morgenständchen einstudiert.

Jenny geht ein wenig kummervoll umher. »Aber sagt mir doch, warum soll gerade ich es sein, die Geburtstag feiert? Kann es nicht lieber jemand anders sein?«

Sie liebt es nicht, der Mittelpunkt unseres Kreises zu sein, und ist es doch, für uns alle! »Nein, Jenny, gerade dein Geburtstag soll es sein!« Sie fügt sich seufzend und geht in die Speisekammer, um unter ihren Vorräten Umschau zu halten. Der ganze Abend vergeht mit geheimnisvollen Vorbereitungen, alles geht früh zu Bett.

Der Festtag bricht an, strahlend, voller Sonne. Die Freunde sind da, der Geburtstagstisch steht geschmückt auf der Veranda.

Was liegt alles drauf? Unmögliche, in der Eile zusammengeholte Sacken. Wer kein Geld hatte, etwas zu kaufen, gibt aus seinem Besitz was her. Alle Geschenke sind mit Versen versehen, viele darunter voller Witz und Geist, manche mit den wunderlichsten Rennen und den schwankendsten Versfüßen. Alles ist mit Blumen und Lichtern geschmückt, in der Mitte des Tisches prangt der riesige Geburtstagskringel, das Gelbbrot, das nie zu einem Feste fehlen darf.

Das glänzendste Geschenk stammt von Onkel, es ist ein riesengroßes Sofakissen, das in der Verborgenheit seines Schrankes geruht, keiner wußte, daß er es besaß.

Am Korridor vor Jennys Zimmer haben sich die Sänger postiert, wir sind alle in Festkleidern. Nun ertönt der Gesang:

»Wie schön leuchte« »er Morgenstern.«

Jenny steht in der Tür, etwas betreten, sehr gerührt, aber die Stimmung mit glänzendem Humor meisternd.

Alles gratuliert, Jenny wird im Triumph an ihren Tisch geführt, jeder zeigt sein Geschenk, liest sein Gedicht, das seine Gabe erklärt und herausstreicht.

Endlich sitzt alles am Kaffeetisch, unterm großen Ahorn im Garten. Der funkelt im herrlichsten Blütenschmuck im Morgentau. Wohin man blickt, strahlende, frohe Gesichter. Am frohesten ist Onkel.

Plötzlich erhebt er sich, er nimmt seine alte, graue Mütze von den weißen Locken, er hält sie in seinen gefalteten Händen, sein Blick ist emporgerichtet ins strahlende Blau des Himmels; er betet: »Mein Herr und Gott! ich danke dir, daß du uns diesen Tag erleben läßt, an dem du uns soviel Freude schenkst.

Nimm unsern armen Dank entgegen, wir geben unsere Herzen in deine Hand! Amen. Und nun, Kinder, singt!«

Jubelnd steigt der Choral ln die strahlende Morgenluft:

»Lobe den Herren, o meine Seele!
Ich will Ihn loben bis zum Tod!«

Sie sind fast alle tot, mit denen ich damals jung und froh war, fast alle! Und ich sehne mich nach ihnen und nach meiner Jugendzeit.


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