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24. Kapitel.
Die Toten kehren wieder.

Die »Viktoria« wurde bei ihrer Rückkunft von den Vertretern der Universität, der städtischen Verwaltung und der Presse feierlich begrüßt. Isold, die einen Brief des Geheimrats aus Havre erhalten hatte, der seine bevorstehende Ankunft meldete, war tief erschrocken, als sie am nämlichen Tage den Untergang Walter Arndts aus einer kurzen Zeitungsnachricht erfuhr. Sie saß lange grübelnd mit dem Zeitungsblatt in der Hand. Dieser begnadete Mensch, von dem so viel Licht und Wärme ausging, – so früh, so jung dahin!

Sie hätte gerne geweint, aber sie konnte nicht. Vanderbergens weinen nicht. Sie wagte es nicht, bei der Begrüßung ihres Vaters gleich nach Walter Arndt zu fragen und erkundigte sich erst nach des Geheimrats Befinden.

»Ich bin recht müde, mein Kind,« erwiderte Vanderbergen, »doch darf ich mir noch keine Ruhe gönnen. Morgen schon ist Vortrag im engeren Kreise der geographischen Gesellschaft.«

Der Geheimrat ließ alle guten Dinge, mit welchem der Tisch vorsorglich zu seinem Empfange versehen war, stehen.

»Der Arzt hat mir Schonung empfohlen, ich muß zu Bett!« sagte er zu Isold.

Er nahm nur ein Glas Tee und einige Zwiebacke und ging damit in sein Schlafzimmer.

Isold kam an seine Türe, um ihm gute Nacht zu wünschen, sie wollte ihn bei dieser Gelegenheit auch nach Walter Arndt fragen, aber da hörte sie an seinen ruhigen Atemzügen, daß er eingeschlafen war. Sie ging in ihr Zimmer zurück. Mit offenen Augen lag sie bis zum Morgengrauen und dachte an den kaum gewonnenen und so schnell verlorenen Freund.

Am nächsten Tag fand Isold ihren Vater einsilbig wie zuvor und mit Vorbereitungen für den Abend beschäftigt. Er hatte Notizen für seinen Bericht zu ordnen und empfing Besuche, darunter den Schiffsarzt Dr. Wintersheim, um mit ihm Auswahl und Anordnung des gesammelten Materials für den Vortrag zu besprechen. Dr. Wintersheim empfahl ihm, sich doch zu schonen.

Aber erst nachmittags am Teetisch gönnte sich der Geheimrat Ruhe. Er sagte beiläufig zu Isold:

»Du hörtest schon von dem Unglück – es ist schade, schade um den jungen Mann – du kanntest ihn ja.«

»Und ihr habt keine Spur von ihm?«

»Hm – seine Harke wurde gefunden – wahrscheinlich ist er durch eine submarine Strömung fortgerissen worden – und – eh –.«

Hier stockte der Geheimrat. Er dachte an den Angriff eines Raubfisches, wollte aber die Phantasie seiner Tochter nicht mit diesem Schreckensbilde beschweren – und schwieg.

Der Hausarzt kam und unterbrach das Gespräch. Er schien nicht sonderlich zufrieden mit Vanderbergens Befinden.

»Ich glaube, Sie haben sich zu viel zugemutet, Herr Geheimrat,« sagte er nachdem die Untersuchung beendet war, »ich möchte Ihnen raten, Ihren Vortrag zu verschieben.«

»Geht nicht, geht nicht, – aber ich will ihn nach Möglichkeit abkürzen.«

*

Als Walter am späten Nachmittage dieses Tages auf dem Bahnhof ankam, galt sein erster Weg dem Hafenamt, wo er sich nach der Rückkehr der »Viktoria« erkundigen wollte. Er sprang zu diesem Zweck auf eine gerade vorübergleitende Straßenbahn, die zum Hafen fuhr.

Der Geheimrat Vanderbergen kam eben um die Ecke, um frische Luft zu schöpfen und rief ein Auto an. Die Straßenbahn fuhr ihm entgegen, Walter Arndt stand auf dem Vorderteil und blickte ermüdet vor sich hin, ohne sonderlich auf seine Umgebung zu achten.

Der Geheimrat starrte fassungslos auf die unerwartete Erscheinung wie auf ein Gespenst, der Wagen war vorübergesaust, ehe er sich besinnen konnte, ob er auch recht gesehen. Er schwankte ein wenig, hielt sich an dem Fahrer, der ihm in das Auto half, und dabei fragte: »Wohin?«

»Wasser!« murmelte der Geheimrat mühsam.

Aus der kleinen Wirtschaft an der Ecke holte ihm der Fahrer das Gewünschte, Vanderbergen trank und sagte aufatmend: »Danke. – Nach dem Pfauen!«

Offenbar eine Täuschung, – dachte der Geheimrat, während das Auto sauste – Nervenüberreizung vielleicht. Der Arzt hat doch wohl recht, ich muß mich schonen. –

Der Vorstand der geographischen Gesellschaft war im Pfauen versammelt, man wartete nur noch auf den Geheimrat. Er entschuldigte seine Verspätung mit einem leichten Unwohlsein, die tiefe Blässe seines Gesichtes jedoch beunruhigte die Freunde.

Rektor von Brügge erhob sich und nachdem er die Versammlung begrüßt und ein Telegramm Lord Benthams verlesen hatte, der seine Abwesenheit entschuldigte, erteilte der Vanderbergen das Wort.

»Meine Herren!« begann der Geheimrat, »ehe wir die wissenschaftlichen Ergebnisse vorlegen, wollen wir allen Teilnehmern und nicht minder unseren geschätzten Helfern gebührenden Dank sagen. Es bleibt uns ferner noch die schmerzliche Pflicht, eines Opfers zu gedenken, welches die Expedition gefordert hat: der hoffnungsvolle Student Walter Arndt ist bei einem Tauchversuch im Atlantischen Ozean verunglückt, man hat keine Spur mehr von ihm gefunden.«

Hier machte Vanderbergen eine Pause und blickte starr vor sich hin. Erst auf ein bemerkliches Räuspern des Vorsitzenden fuhr er fort.

»Es ist nicht angemessen, bei einer so traurigen Veranlassung auch über das Für und Wider jenes seltsamen Projektes zu debattieren, zu welchem der junge Mann eigentlich den Anlaß gab. Jedenfalls darf ich dem Dahingeschiedenen das Zeugnis ausstellen, daß er die übernommenen Pflichten mit seltener Hingebung erfüllt hat. Ich bitte Sie, sich zu Ehren des Toten von ihren Sitzen zu erheben.«

Während man dieser Aufforderung Folge leistete, bemerkte Dr. Wintersheim, wie der Geheimrat die Augen weit aufriß und erbleichend sich auf das Pult stützte. Er ging besorgt auf ihn zu. »Was ist Ihnen, Herr Geheimrat?«

Vanderbergen gab keine Antwort, er schwankte und sank um. »Ich sah das kommen,« murmelte der Doktor, der ihn auffangend vor einem zu jähen Fall bewahrt hatte – »wir müssen ihn sofort nach Hause schaffen.«

Er geleitete den Erkrankten im Auto nach der Villa.

An seiner Stelle berichtete der Zoologe Dr. Müller über die Ergebnisse der ozeanischen Forschung. Er fand aber nur eine geteilte Aufmerksamkeit. Weckerle, der darauf zu Worte kam und sichtlich erregt war, beschränkte sich auf eine kurze Darlegung.

»Auf dem neuen Gebiete der – wenn ich so sagen darf – kulturhistorischen Meeresforschung, ist ein Anfang gemacht, die Deutung der seltsamen Inschrift, deren Fund wir Walter Arndt verdanken, wird vielleicht noch gelingen.«


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