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11. Kapitel.
Haifische.

Aus Walters Tagebuch. An Bord der Viktoria.

Heute früh kurz vor Sonnenaufgang, als wir in den Golf von Biskaya einfuhren, wurde ich durch Geschrei geweckt. Es herrschte eine ungewöhnliche Aufregung: Der Schiffsjunge Tom, der das Vorderdeck scheuerte, hatte Haifische gemeldet. Gleich war die ganze Mannschaft munter und auf Deck, mit allerhand Waffen versehen. Auch Söderblom, der Koch, kam mit seinem Bratspieß bewehrt und brachte Speck für die Harpune mit.

In der Entfernung konnten wir auf dem sonnbeglänzten Meer die schieferblauen Rückenflossen von mehreren Haien beobachten, ich zählte fünf, die im Bogen das Schiff umschwammen, ein jeder von ihnen wie immer begleitet von den Lotsenfischen, dem getreuen Gefolge, das die Beute zeigt und sich von den Abfällen nähren darf. Ich konnte die silbergrauen und braun gestreiften Rücken dieser großen Makrelen bemerken, wie sie sich dem Schiff näherten, um behende wieder zu den Haien zurückzukehren.

Mit leidenschaftlicher Anteilnahme folgten unsere Leute den Vorbereitungen zum Fange, die sie mit grimmigen Flüchen und Schimpfworten begleiteten. Der Haß gegen den Hai, diesen heißhungrigen und mordgierigen Räuber, ist groß und allgemein unter den Seeleuten. Nur einer stand, die unvermeidliche Shagpfeife zwischen den Zähnen, inmitten der Bewegung regungslos und beobachtete ruhig den Vorgang, das war Wyndham der Ingenieur, der gleich mit uns heraufgekommen war, während die übrigen Häupter der Expedition noch schliefen.

Man ließ das Tau mit dem Haken, an welchem der Speck befestigt war, rasch hinab. Wir wurden gewahr, wie gleich darauf ein Hai nach dem Köder schnappte, aber wieder abließ. Die Lotsenfische gerieten in lebhaftere Bewegung. Sie schwammen zum Schiff und zu den Haien wieder zurück. Das Merkwürdige ist, daß der Lotsenfisch ( naucrates ductor) von den gefräßigen Haien niemals angegriffen wird, sie lassen ihn als verbündeten Helfer offenbar gelten.

Ein zweiter Hai kam näher und ich konnte beobachten, wie er, um den Köder zu schnappen, sich etwas auf die Seite legte, wobei sein weißer Bauch sichtbar wurde. Diesmal hatte der Hai den Speck gefaßt – aber der Haken auch ihn: er zappelte und wollte mit Gewalt in die Tiefe. Es bedurfte der vereinten Kraft von vier Männern, um ihn hochzuwinden. Er schlug, während er hochgezogen wurde, mit dem Schwanz fortwährend an die Schiffswand, die unter den wuchtigen Schlägen dröhnte und zitterte. »Achtung!« wurde kommandiert. Ein Ruck, von kräftigen Seemannsflüchen geleitet – und das Tier wälzte sich auf Deck und peitschte in einer immer größer werdenden Lache sein eigenes überströmendes Blut zu Schaum. Der Schiffszimmermann hatte seine Axt erhoben, in der Absicht, den gefährlichen Schwanz des Hais abzuhacken, dessen Schläge Lähmungen und Knochenbrüche bedeuten. Dabei glitt der Eifrige auf den nassen Planken aus und entging der Gefahr nur dadurch, daß der Hai sich gerade nach der entgegengesetzten Seite wand. Hier aber wäre beinahe Söderblom, der bratspießbewehrte Koch, ein Opfer der furchtbaren Schwanzschläge geworden, wenn ihn nicht Wyndham, der Ingenieur, mit einem kräftigen Griff am Rockkragen aus dem Bereich des wütenden Tieres geschleudert hätte.

» Thank you, Sir,« stotterte der erschreckte Koch.

» Fool, take care!« gab Wyndham ruhig zur Antwort, große Rauchwolken aus der Shagpfeife stoßend, deren Feuer er sorglich erhalten hatte.

Endlich war der verhaßte Räuber gerichtet, es war ein Blauhai, etwa vier Meter lang. Die größten Exemplare dieser gefürchteten Gattung der Menschenhaie sollen eine Länge von zehn bis elf Metern erreichen. Der Blauhai ( carcharias glaucus) ist ein Wanderfisch, der den Atlantischen und Indischen Ozean und das Mittelländische Meer durchstreift, aber auch die Flußmündungen des Tigris und des Ganges unsicher macht. Die Flossen säbelte der Koch eifrig mit seinem Messer ab.

Illustration: Willy Planck

»Das ist ein Leckerbissen für des Kapitäns Mittagstisch!« rief er triumphierend. Der Kapitän, der gerade mit dem Zoologen heraufkam, sagte: »Schön, Söderblom. Jetzt ist aber Frühstückszeit, vor allem wollen wir unser Frühstück.«

Der Koch verschwand eilig mit seiner Beute.

Der Zoologe öffnete zuerst den Magen des Hais und fand darin: Ein halbes Schwein, die Vorderbeine und den Kopf eines Bulldoggen, ein Stück Sackleinwand, einen eisernen Bootshaken und noch vieles andere mehr. Auch die Leber interessierte ihn, er nahm sie mit. Die Seeleute schnitten sich die Haizähne aus, die scharf wie Dolchmesser sind, sie gelten bei ihnen als Amulett und wurden schon in den ältesten Zeiten von phönizischen Seefahrern zum Schutz gegen bösen Zauber und Krankheiten getragen. Der Rest wurde über Bord geworfen und diente den Gefährten des Hais, die unablässig dem Schiff folgten, als Nahrung. Wyndham, der ein ausgezeichneter Schütze ist, zog seinen Revolver und traf einen Hai in den Kopf, der aus dem Wasser lugte. Das mächtige Tier schnellte sich mit einem gewaltigen Schlage des Schwanzes in die Luft und sank in die Tiefe. Einem dritten Hai erging es wie dem ersten. Er ward an Bord gezogen und zerstückelt. Ich hatte noch Zeit, ihm die Flossen abzuschneiden und erfreute damit Söderblom in seiner Küche. Er hatte gerade frischgepökeltes Schweinefleisch aufgesetzt und wollte, wie er mir erklärte, in der Pökelbrühe die Haifischflossen gar dünsten.

»Das ist für uns in Europa die schmackhafteste Zubereitung« sagte er mit leisem Schmatzen, »Sie werden Ihr Wunder erleben!«

Da ich mich bei der Schlachtung beteiligt hatte, bekam ich einen Teller des Gerichts: Pökelfleisch, Brühe und ein Drittel Haifischflosse darin. Ich fand sie zart und durchaus nicht tranig im Geschmack, ich kann begreifen, daß Haifischflosse ein begehrter Leckerbissen der chinesischen Tafel ist. Professor Weckerle wies das Gericht mit Abscheu zurück. Er ist seit der Fahrt durch den Kanal seekrank und genießt nur Tee und Zwieback. Er kommt garnicht mehr auf Deck, obwohl der Doktor dringend dazu rät. Die Ordnung der Bibliothek, die er mir einstweilen übertragen hat, nimmt täglich einige Stunden in Anspruch, die übrige Zeit bin ich auf Deck.

Wyndham half mir diesen Abend bei der Einordnung der technischen Werke. Er war schweigsam wie immer. Als ich ihn fragte, wie ihm die Haifischflosse geschmeckt hätte, sagte er, er verzichte auf dieses Gericht. Es sei für ihn eine peinliche Erinnerung damit verbunden.

Er habe auf einer Studienfahrt vor drei Jahren im Ganges gebadet in Begleitung eines sechzehnjährigen braunen Boy, der ihm als Träger diente. Der Knabe habe plötzlich um Hilfe geschrien und sei in der Tiefe verschwunden. Er wäre ihm nachgetaucht, habe aber nur die obere Hälfte des Körpers aus der Flut gezogen – die untere sei einem Hai zur Beute gefallen. –

Nach dieser Mitteilung klopfte Wyndham seine Shagpfeife aus und bestellte sich beim Steward ein drittes Glas Whisky und Soda. –

»Zum Abgewöhnen«, wie er sagte.


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