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3. Kapitel.
Tlaloc.

Lieber Onkel!

Gestern nachmittag auf Rügen gelandet. Der alte Skagen holte mich selbst vom Bahnhof ab in einem Jagdwagen, den er dem Förster entliehen. Es ging im Hundetrab zwischen Dünen und Haidekraut die herrliche Prorawaldung entlang. Ein Rudel Damwild lief über'n Weg. Durch das dunkle duftende Grün der Kiefern und Fichten sah ich fortwährend das Meer leuchten.

Skagen, Dein alter Steuermann, der eine unermeßliche Ehrfurcht vor Dir hat, behandelt mich wie den Abkömmling eines hohen Hauses und Mutter Skagen empfing mich in ihrem schmucken Häuschen mit frischgebratenen Flundern nebst Salat und ›Roter Grütze‹. Es sind prächtige Leute.

Heute in aller Frühe bei Sonnenaufgang war ich mit ihren Ziegen am Strand, da habe ich gleich gebadet. Ganz allein.

Nur im »Krug« ist noch ein Fremder, ein Engländer, der von Binz herüberkam, um wilde Enten zu schießen, die in der Nähe auf einem kleinen schilfbedeckten See hausen.

Ich bin hier gut aufgehoben und wollte diesen ersten Tag nicht vorübergehen lassen ohne einen Gruß an Dich.

Dein Walter.

 

Lieber Onkel!

Heute habe ich einen merkwürdigen Fund gemacht. Ich war im ›Krug‹. Der Wirt, der alte Stör, der mit Skagens befreundet ist, rief mich nämlich herein, weil es Sonntag war und seine Frau frischen Streuselkuchen zum Kaffee gebacken hatte.

Indem wir am Tisch plaudern – die Wirtsleute können sich gut auf Dich besinnen, Onkel! – da fällt mein Blick auf eine seltsame Steinplastik gegenüber an der Wand und ich erkenne ohne Mühe Tlaloc, den aus meinen Studien mir vertrauten, altmexikanischen Gott des Wassers und der Fruchtbarkeit! – Wie kommt der Azteke hierher? – Auf meine Frage erfahre ich: Störs Großvater wurde, als er einst mit einem Dreimaster durch den Atlantischen Ozean segelte, auf stürmischer Fahrt nach dem Sargassomeer verschlagen. Dort fischten sie und da fand sich im Netz neben merkwürdigen Tiefseepolypen jenes Götzenbild. Ich zeichne Dir es her.

Es ist ganz von einem feinen grünen Teppich von Algen überzogen und mit kleinen Muscheln besetzt. Dennoch treten die grobgemeißelten Züge unverkennbar hervor. Das Merkwürdigste aber an dieser Plastik ist die Rückseite. Als ich mit Erlaubnis des alten Stör das Götzenbild aus den Klammern löste, die es an der Wand hielten und es umwendete, erblickte ich auf der Rückseite eine Bruchfläche mit dem Abdruck eines Urtieres. Wie Du aus meiner zweiten Zeichnung siehst, ist eine Vogelgestalt deutlich erkennbar – der Schnabel zeigt gezähnte Ränder. Meine geologischen Kenntnisse reichen nicht aus, um festzustellen, welcher Erdperiode diese Versteinerung angehört.

Deutet nicht dieser Fund in der Tiefe auf weitere Reste alter Kultur? Und hat Augustus Le Plongeon nicht doch Recht, wenn er das versunkene Atlantis in einem ehemaligen Landrücken vermutet, der in unvordenklicher Zeit Westeuropa und Zentralamerika verband?

Vorhin kam ich mit dem Engländer ins Gespräch, der mich vor dem Götzenbilde in Betrachtung sah. Er hatte es gleich bei seiner Ankunft bemerkt und kaufen wollen. Stör gibt es nicht her. Da ich Mr. Armstrong von meiner Vermutung erzählte, meinte er, ich könnte wohl Recht haben. Er für sein Teil wäre darauf nicht gekommen, er halte das Götzenbild für ein Beutestück irgend eines untergegangenen spanischen Schiffes – eine naheliegende Erklärung müsse allerdings nicht immer die rechte sein. Ich beschreibe den Fund in einer kleinen Abhandlung.

Diese Zeilen gehen wieder an Deine Stettiner Adresse.

Von Herzen
Dein Walter.


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