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6. Kapitel.
Die Konferenz.

Der kleine Saal im »Pfauen« strahlte in ungewohntem Glanz. Nicht allein von dem großen Kronleuchter breitete er sich aus. Der Wirt hatte auch für eine Reihe elektrischer Arbeitslampen gesorgt, die ihren Lichtkreis auf den langen Tisch in der Mitte warfen, an welchem die Mitglieder der geographischen und naturwissenschaftlichen Gesellschaft saßen.

Ein Stimmengewirr erfüllte den Raum, dämpfte sich und ließ nach, als der Rektor der Universität, Peter von Brügge, sich erhob, um als Vorsitzender die Versammlung zu begrüßen.

»Wir haben« – fuhr der Rektor nach einigen einleitenden Worten mit erhobener Stimme fort – »vor allem die Freude, seine Herrlichkeit Lord Harry Bentham in unserer Mitte zu sehen« – er neigte sich leicht zu dem neben ihm in bequemer Haltung zuhörenden Engländer – »dessen großzügiger Sinn es uns überhaupt erst ermöglicht, eine Tiefsee-Expedition in diesem Stile ins Werk zu setzen. (Beifall.) Lord Bentham, meine Herren, hat uns außerdem einen wertvollen Helfer mitgebracht: Den in Tiefsee-Arbeiten erfahrenen und erfolgreichen Ingenieur Mr. Charles Wyndham, dem die technische Leitung unserer Meeresforschung obliegt.« (Beifall.)

Nach den Schlußworten des Rektors, welche die Hoffnung auf ein gutes Gelingen dieser Expedition zum Ausdruck brachten und mit lebhafter Zustimmung aufgenommen wurden, erhob sich Lord Bentham zu einer kurzen Ansprache, die – obschon in gebrochenem Deutsch – ein klares Programm der Expedition gab. Er freue sich – fügte der Lord hinzu – der Wissenschaft einen Dienst zu erweisen!

»Und ich uill« – fuhr er fort – »noch erinnern, daß uir sind gekommen zu einem neuen point of view – einen – einen – uie sagt man?«

»Gesichtspunkt« ergänzte der Rektor von Brügge neben ihm. »Well – einen neuen Gesichtspunkt. Uir uollen take up – aufnehmen – die studies von Augustus Le Plougeon über die Kultur der Maya. Uir uollen suchen nach Resten dieser Kultur – on the bottom of the sea – auf dem Grund des Meeres – es ist eine – eine – Versuch and ich bitte, daß Sie darüber hören uollen den sehr ehrenuerten Professor Ueckerle.«

Es erhob sich ein zustimmendes Gemurmel, der Rektor von Brügge wendete sich an Weckerle. »Bitte Herr Professor, Sie haben das Wort.«

Weckerle erhob sich, räusperte sich nervös und sprach:

»Meine Herren – wie Lord Bentham eben sagte – handelt es sich um einen Versuch. Ich mochte das stark betonen! – In seinen Studien über die uralte mittelamerikanische Kultur der Maya erkennt Augustus Le Plongeon den Weg dieser Kultur – die wie alle Kulturen von Osten nach Westen ging – in einer Landbrücke, in einem ehemaligen Festland, das einst Mittelamerika mit dem Nordwesten von Afrika und dem Westen Europas verbunden habe und durch vulkanische Gewalten in der Flut versunken sei.

»Ich weiß wohl, daß diese These heftig angegriffen wurde und will mich hier nicht über das Für und Wider ausbreiten – das würde viel zu weit führen –. Ich will nur sagen, daß ich die Möglichkeit nicht bestreite.

»Ein Fund, der 1852 von einem Segelschiff in der Nähe des Sargasso-Meeres im Netz aufgefangen wurde, scheint aufs neue diese These zu bestätigen und ist vielleicht ein Überbleibsel dieser alten Kultur: Ein Götzenbild nämlich, welches Tlaloc darstellt, den Gott des Wassers und der Fruchtbarkeit – mein Schüler Walter Arndt hat es unlängst auf Rügen in einer Dorfwirtschaft gesehen und abgezeichnet, ich habe inzwischen das Original dort in Augenschein genommen und photographieren lassen – hier ist die Photographie. Sie stimmt überein mit einer Abbildung nach einem Original im Museum von Mexiko mit dem Unterschied, daß die Flossen fehlen und die rohere Ausführung auf ein viel höheres Alter zu deuten scheint.

»Ich bitte nun auch die Photographie der Rückseite in Augenschein zu nehmen. Auf Veranlassung des Herrn Geheimrat Vanderbergen hat sein Assistent Herr Dr. Weber mich begleitet und die Rückseite der Plastik aufgenommen. Ich bitte Herrn Dr. Weber hierzu das Wort zu erteilen.«

Auf die zustimmende Kopfneigung des Rektors erhob sich Dr. Weber.

»Meine Herren« – begann er – »ich habe die Freude über einen seltenen geologischen Fund zu berichten. Wie mein verehrter Lehrer Herr Geheimrat Vanderbergen sogleich erkannt hat, handelt es sich um einen Abdruck aus der ältesten Tertiärzeit, dem Eozän. Die photographische Aufnahme bestätigt die Korrektheit der uns vorgelegten Zeichnung: bitte überzeugen Sie sich! Es ist die Vogelgestalt des Odontoperix; sie zeigt schön und ebenso deutlich wie das im britischen Museum befindliche Exemplar den mit Zähnen besetzten Schnabel.«

Weckerle reichte beide Blätter dem Rektor, der sie weitergab. Es trat eine kleine Pause ein, während die Blätter von Hand zu Hand gingen.

»Meine Herren –« fuhr Weckerle fort, das halblaute Gespräch unterbrechend, »die Anregung, die von Studiosus Arndt ausgeht, besteht darin, auf dem Meeresgrund des Atlantischen Ozeans nach weiteren Überresten zu suchen (diskretes Gelächter), die bestätigen könnten, was ein Zufall ans Licht brachte! (Sehr richtig.)

»Ja, es mag Ihnen lächerlich, es mag phantastisch erscheinen! Und darum frage ich zunächst: Ist es auch technisch möglich? Darüber wäre es nützlich die Ansicht eines Fachmannes zu hören! Ich meine Mr. Charles Wyndham.«

Wyndham antwortete englisch, der Rektor übersetzte Satz für Satz seine Ausführungen. Es könne sich bei diesen Forschungen nur um gewisse Tiefen handeln, die für Taucher erträglich seien. Fauna könne durch Netze aus den größten Tiefen gehoben – geologische Beschaffenheit der Tiefsee durch herabgesenkte Instrumente geprüft und gemessen werden – aber hier sei es offenbar nötig, vulkanisches Gestein aufzubrechen oder zu sprengen und zu untersuchen. Er selbst habe einen neuen Apparat konstruiert, der den größten Druck aushielte und den er gern zur Verfügung stelle. (Beifall.)

»Wir wollen nun,« bemerkte der Rektor, »nach diesen dankenswerten Informationen den eigentlichen Leiter dieser Expedition hören, Herr Geheimrat Vanderbergen hat das Wort.« Vanderbergen erhob sich und sagte:

»Das Programm der Tiefseeforschung, meine Herren, ist Ihnen allen bekannt und bedarf keiner Erläuterung. Wie Herr Kollege Weckerle treffend betonte, handelt es sich nun um noch einen ›Versuch‹ auf dem Gebiete der Kulturgeschichte – eine gründliche Forschung würde eine besondere Expedition erfordern. Ein Versuch könnte vielleicht gerade reizen, daß die Ausrüstung einer solchen Expedition lohnend sei. Ich bin der Meinung, man muß ebenso vorsichtig im Nicht-Glauben wie im Glauben sein: das scheint mir die rechte abwartende Haltung des Mannes der Wissenschaft, wenn Neues an ihn herantritt! – Die Voraussetzung wäre, daß wir eine Autorität auf dem Gebiete der alten Kulturgeschichte für die geplante Forschung gewinnen. Der gegebene wäre Professor Weckerle, dem ich dann zugleich die Redaktion unseres Reisewerkes übertragen möchte.« (Beifall.)

Weckerle stand auf und sagte merklich erregt: »Ich danke Ihnen für dieses Vertrauen. Da man Wert auf meine Mitwirkung legt, so will ich mich dieser Aufgabe nicht entziehen. (Lebhafter Beifall.) Ich bitte, Herr Rektor, dem Herrn Kollegen Privatdozenten Dr. Müller inzwischen meine Vorlesungen an der hiesigen Universität zu übertragen.«

»Das wird sich wohl machen lassen, Herr Professor« erwiderte von Brügge mit verbindlichem Lächeln.

»Auch bitte ich meinen Schüler, Studiosus Walter Arndt, als Sekretär mitnehmen zu dürfen.«

»Ich denke –« fragte der Rektor zögernd, »der junge Mann ist für Ihr Kolleg eingetragen?« »Gewiß, Herr Rektor.«

»Well,« sagte Lord Bentham halblaut zu dem neben ihm sitzenden Rektor gewendet – »man muß ihm anrechnen ein Semester. Als Kompensation. Uie uir es machen in England.«

Peter von Brügge erwiderte: »Darüber hat das Unterrichtsministerium die letzte Entscheidung, ich will es jedenfalls vorschlagen. Hat einer der Herren noch etwas zur Sache zu bemerken? – Bitte, Herr Geheimrat.«

»Ich möchte vorschlagen« bemerkte Vanderbergen, »daß für die kulturhistorische Abteilung ein besonderer Ausschuß ernannt wird, der unter Vorsitz des Kollegen Weckerle die nötigen Vorbereitungen anordnet. Professor Weckerle möge sich insbesondere mit Mr. Charles Wyndham über alle technischen Möglichkeiten beraten.«

»Einverstanden –« erwiderte der Vorsitzende.

»Hat jemand eine Einwendung? Da niemand sich zum Wort meldet, ist die Bildung einer kulturhistorischen Abteilung unter Leitung des Herrn Professor Weckerle angenommen. – Ich schließe nun den offiziellen Teil der Versammlung und danke Ihnen, meine Herren.«

Ein lebhaftes Geplauder zeugte von dem ungewöhnlichen Eindruck der letzten Mitteilungen. Mau labte sich dann in den Nebenräumen an eisgekühltem alten Rheinwein, zu dem der Wirt einige erlesene Platten gestiftet hatte.


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