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9. Kapitel.
Die »Viktoria« fährt.

Als Walter am Wochenende gegen Abend in seine frühere Wohnung kam, um nach der Post zu fragen, gab ihm der Schneider Langwieweit einen Stadtbrief. Walter fand darin eine Visitenkarte mit einer siebenzackigen Krone – und darauf enge zierliche Schriftzüge. Er las:

Sehr geehrter Herr!

Hierdurch möchte ich bei Ihnen anfragen, ob Sie sich an einem kleinen Tanzzirkel, nur gute Gesellschaft, bei mir beteiligen wollen. Erhielt erst gestern Ihre Adresse. Bitte gefl. Bescheid und wenn es beliebt gleich um Ihr persönliches Erscheinen zu morgen Sonnabend, 8 Uhr abends.

Ergebenst
Baron Henri de Flers.
Schubertstraße 3.

Schubertstraße? – das ist ja nicht weit, da muß ich wohl gleich hin um abzusagen – dachte Walter. Ein Dienstmädchen in zierlichem Häubchen öffnete zu ebener Erde und führte Walter in einen Saal: »Der Herr Baron wird gleich kommen!«

In der Ecke stand ein Geiger am Klavier, vor welchem ein anderer Musiker bei den Noten saß.

Ein verblichener schwerer Vorhang, der den Saal auf der Schmalseite abtrennte, wurde zurückgeschoben und ein zierliches altes Männchen trippelte mit schnellen Schritten auf Walter zu.

Illustration: Willy Planck

»Das freut mick, daß Sie nock gekommen sind,« sagte er mit fremden Akzent.

»Wer gab Ihnen meine Adresse?«

»O, davon schweig ick, bitte.«

»Leider muß ich Ihnen absagen, ich verreise bald auf längere Zeit.«

»O, das ist schad, sehr schad, dann tun Sie mir den Gefall und elfen Sie mir eut – wollen Sie? Es fehlt nock ein Partner für Fräulein Isold.«

»Ach so – die Tochter des Geheimrat Vanderbergen?«

»O, kenne Sie sie? Da kommt sie eben!«

Isold trat ein, von einem Hausmädchen begleitet, die ihr Schleier und Mantel abnahm, sie lächelte dem alten Tanzmeister zu und erwiderte Walters Gruß mit einem Kopfneigen.

Der Tanzlehrer stellte vor.

»Ich habe nicht geglaubt, daß Sie noch kommen würden, Herr Arndt,« sagte Isold mit unbefangener Freundlichkeit.

»Ja, leider ist die Zeit meiner Anwesenheit nur kurz bemessen, da ich mich der Expedition Ihres Herrn Vaters anschließe.«

»Ich hörte schon davon, einstweilen aber ersetzen Sie uns einen fehlenden Partner, nicht wahr?« – ergänzte Isold mit verbindlichem Lächeln. Er verneigte sich stumm.

Mehrere Paare hatten sich inzwischen eingefunden. Der Geiger stimmte. Baron de Flers klatschte in die Hände. Man begann mit einem »Hopser«, wie Isold geringschätzig sagte. Es war ein amerikanischer Schimmy. Sie lehnte die Aufforderung eines lebhaften kleinen Japaners höflich ab und blieb mit Walter im Gespräch.

Dann kam ein Wiener Walzer, zu welchem Walter Isold aufforderte. Er war noch befangen und mußte alle Künste der kleinstädtischen Tanzstunde zusammennehmen. Aber Isold führte ihn sicher.

Der Tanzmeister nickte beifällig und gab dem Klavierspieler heimliche Anweisungen zu einem zweiten Walzer.

» Valse lente« kommandierte er dann.

Es war selbstverständlich, daß Walter mit Isold die Tour eröffnete – und dieses Mal gelang sie.

» Voilà une valse, enfin,« murmelte der Baron, »sehen Sie, das ist eine Linie! Ruhick, und sicker! und armonisch! C'est ça.«

Der Tanzmeister applaudierte.

Weiter wollte Isold nicht tanzen, sie blieb mit Walter plaudernd in der Ecke, wo Korbsessel beide aufnahmen. Die Zeit verging ihnen unmerklich. Um elf Uhr stellte sich pünktlich das Hausmädchen ein, um Isold abzuholen. Walter mußte dem Tanzmeister versprechen wiederzukommen.

»So lange ich hier bin, gewiß.«

»Auf Wiedersehen,« sagte Isold sich verabschiedend.

Walter verbeugte sich tief. Sie ging mit einer leichten Neigung des Hauptes – wie eine Prinzessin, dachte Walter bei sich.

Er kam am Dienstag wieder, es war der Tag vor seiner Abreise. Aber Isold hatte in letzter Stunde abgesagt, wie der Baron bedauernd mitteilte. Walter blieb aus Höflichkeit, umschwärmt von zwei zierlichen Backfischen, die enttäuscht blickten, als er schon nach einer halben Stunde den Saal verließ.

Auf dem Schiff gab es eine Überraschung. Der Steward reichte ihm ein Briefchen von Isold. Sie schrieb – und er bewunderte ihre steile und doch zierliche Schrift:

Sehr geehrter Herr Arndt!

Zu meinem Bedauern war ich durch eine Unpäßlichkeit meines Vaters verhindert. Aber vor der Abfahrt werde ich an Bord nicht fehlen.

Isold Vanderbergen.

Die Viktoria prangte zur Abfahrt bereit im Schmucke aller ihrer Wimpel. Man hatte zum Schluß gefegt, gescheuert, gebohnt, geflaggt. Auf Deck saßen die Matrosen beim Festmahl. Im Speisesaal war die Abendtafel für die Teilnehmer der Expedition und ihre Gäste aufgestellt – kalte Platten, Wein und Sekt vereinten die kleine Gesellschaft zu froher Runde. Kurz vor Mitternacht trennte man sich, um zwölf sollte die Viktoria abfahren.

Isold gab Walter die Hand. Er hielt sie eine kleine Weile. Sie sah ihn mit ihren großen grauen Augen an.

»Sorgen Sie etwas für meinen Vater – er kennt keine Rücksicht für sich, was bei seinem Alter unangenehme Folgen bringen kann.«

»Ich verspreche es Ihnen, Fräulein Isold.«

»Und seien Sie nicht zu waghalsig!« fügte sie lächelnd hinzu.

Die Schiffsbrücke wurde bald darauf hochgezogen. Der Maschinist gab Dampf, die Kapelle spielte, »muß i denn, muß i denn zum Städtle hinaus« – die Viktoria wendete langsam, Winken, Rufen hinüber, herüber.

Walter sah noch eine Weile Isold's lachsfarbenes Tüchlein schweben und im Widerschein der Hafenlichter schimmern.

Dann war alles in Nacht versunken.


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