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21. Kapitel.
Das Sanatorium des Doktor Forte.

Orangenblütenduft wehte ihnen entgegen, als sich das Boot dem Hafen von Vera Cruz näherte. Im violetten Schimmer streckte sich das Vorgebirge der Insel, an dessen steilfallenden Hängen die weißen Häuser der Stadt mit grünen Fensterläden und flachen Dächern in geradlinigen Straßenläufen hinaufstiegen, überragt von einigen Kirchen und umrahmt von hochstämmigen kanarischen Palmen und Orangenbäumen. Im Hafen lagen Dampfer mit spanischen und französischen Flaggen, einen größeren sah Walter in der Ferne entschwinden und erkannte noch die Farben des Vaterlandes. Er schwenkte dem Davonfahrenden unwillkürlich die Mütze nach, wie gerne hätte er einen Brief an den Kapitän Arndt in die Heimat mitgegeben, aber dazu war es heute schon zu spät.

Seine Begleiterin verabschiedete den Bootsmann, dem sie einen Teil ihrer Last in Verwahrung gab und schritt nur mit einem Bündel beladen voraus eine der Gassen hinan, die aus der Stadt auf die Berge führten. Sie durchquerten blühende Felder, die durch tief in den Boden gemauerte Wasserbehälter das befruchtende Naß erhielten, oft unterbrochen durch kahle Lavamassen, die schwärzlich zu Tage traten, vielfach graugrün gesprenkelt mit den Stauden der kanarischen Wolfsmilch.

» Casa de sanitad!« rief die blonde Frau, auf ein weitläufiges Gebäude deutend, welches den Vorsprung eines Lavakegels krönte. Ein Diener öffnete ihnen die Pforte zum Garten der Anstalt, wo sie einen behäbigen Herrn im weißen Waschanzug beschäftigt sahen, zwei Arbeiter zu beaufsichtigen. Er lüftete den breitrandigen, das kahle Haupt beschattenden Sombrero, als Maria ihren Schützling vorstellte – un Alemán! – und sagte mit Würde: » Doctor Forte.«

Das schnellste Verständigungsmittel war wiederum eine englische Fünfpfundnote, die Walter seiner Kapsel entnahm. Er wollte auch seine blonde Helferin für ihre Begleitung entlohnen, sie wies aber jede weitere Bezahlung mit gütigem Lächeln und leichtem Kopfschütteln ab, überreichte dem Doktor noch ein irdenes Gefäß, das sie ihrem Bündel entnahm, mit Garapo, dem landesüblichen Honig, der aus der Blätterkrone der kanarischen Palme gewonnen wird – und machte zum Abschied wiederum das Zeichen des Kreuzes über ihren Schützling. Walter war noch immer in einer seltsamen Müdigkeit befangen, er blickte ihr dankbar nach und ließ widerstandslos alles mit sich geschehen.

Der Doktor ersuchte Walter ihm zu folgen und bediente sich aus Höflichkeit einiger französischer Worte, von denen er annahm, daß sie der Fremde ohne weiteres verstand.

Er geleitete Walter zuvorkommend über eine Holztreppe in ein kleines Gemach im zweiten Stock. Hier öffnete der Arzt eine Glastüre, die ins Freie auf eine Azolea – ein flaches Vordach – führte, es war mit einer niederen Mauerzinne umgeben und mit Liegestühlen versehen. Nur ein Stuhl war von einem Gast besetzt – ein kleiner Buckliger erhob sich mühsam von seinem Sitz, um die Ankommenden zu begrüßen. Der Doktor winkte ihm, liegen zu bleiben und stellte den Ankömmling vor:

Un Alemán – ein Deutscher.

Der Kleine entgegnete, während ein freundliches Lächeln das bleiche Gesicht erhellte:

»Sergej Michael Ivanowitsch.«

»Ein russischer Fürst,« ergänzte der Doktor mit einer gewissen Genugtuung und empfahl sich, nachdem er dem Russen noch heimlich ein Zeichen gegeben hatte, daß der neue Gast nicht sprechen könne oder wolle. Der kleine Bucklige nickte verständnisvoll und ließ sich durch diese Andeutung nicht im geringsten aus der guten Laune bringen. Er schien froh, einen, wenn auch stummen Gesellschafter gefunden zu haben und plauderte lebhaft in französischer Sprache, die er, wie die meisten gebildeten Russen, sicher beherrschte. Walter erfuhr, daß der Fürst sein Zimmernachbar sei. Der Vielgereiste erzählte, daß er sich endlich hierher gerettet habe, da es ihm in Europa nirgend gefiel. Sein körperliches Gebrechen – die russische Wärterin hatte ihn als Kind fallen lassen – sei ihm überall peinlich fühlbar geworden. Hier unter diesen guten Islenos – auf den glücklichen Inseln, wo ihn keine Neugier anstarrte, hier fühle er sich zu Hause.

Eine Schwester in Ordenstracht kam auf die Terrasse und brachte den Abendimbiß, Tee, gebackene Fische, Garapo (Palmenhonig) und einheimische Früchte. Orangen von solchem Saftreichtum und einem so herzhaften Aroma hatte Walter nie zuvor gekostet. Fürst Sergej bat den neuen Bekannten, ihm doch auf seinem Zimmer noch etwas Gesellschaft zu leisten und zeigte ihm eine kleine Bibliothek: eine erlesene Sammlung, in der Walter die Literatur über die Kanarischen Inseln in mehrsprachigen Werken vertreten fand.

» Tout à vous – alles für Sie,« sagte der Russe mit einem gewinnenden Lächeln. Walter nahm dankend an und suchte unter Alexander von Humboldts Werken den Band, in welchem der große Geograph über diese Inselwelt berichtet. Er las, nachdem er sich von dem Fürsten Sergej getrennt hatte, die berühmt gewordene Schilderung von Teneriffa.

Kein Ort auf der Welt – schrieb der weitgereiste Forscher – ist geeigneter, die Schwermut zu bannen und einem schmerzlich ergriffenen Gemüt den Frieden wiederzugeben, als Teneriffa.

Nachdenklich verweilte Walter bei diesem Satz.

Am folgenden Tage wollte der Fürst in seinem Krankenwagen nach der Stadt, Walter, der seinen Brief an den Onkel Kapitän zu befördern hatte, begleitete ihn. Er bemerkte, wie die Straßenkinder den Buckligen vertraulich anlachten und um ein » cuartito« – einen Kupferpfennig – baten. Schwester Clara, die den Wagen führte, mußte alle Augenblicke anhalten, weil der Fürst in seine Tasche griff, um kleine Münzen und dolces – einheimische Süßigkeiten zu spenden. Zum Mittagessen war man wieder auf der Azolea. Schwester Clara wurde von ihrem Doktor heruntergerufen, er wünschte einen Bericht über die beiden Patienten, besonders wollte er ihre Beobachtungen über den Deutschen wissen.

Als sich der Fürst nach Walters Zustand gelegentlich erkundigte, meinte der Doktor Forte beruhigend, daß die Sprachstörung des Senor Aleman nicht bedenklich sei, lediglich eine mechanische – worauf auch die schlechtgeheilte Narbe an der rechten Seite des Kopfes hinweise, dort wo man das Sprachzentrum annehme. Er werde nach dem Patienten sehen, – mañana – morgen – das beliebte Trostwort dieses allzu geduldigen Inselvolkes. Man läßt sich Zeit auf den glücklichen Inseln.


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