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22. Kapitel.
Das erste Wort.

Aus Walters Tagebuch.

Der Bann des Schweigens, der meine Lippen schloß, ist endlich gelöst – gelöst in Worten des Dankes für die Fülle von Gaben, mit denen ein gnädiges Geschick mich beschenkte.

Ich war, um mich umzuschauen auf dem herrlichen Eilande und Abschied zu nehmen, hinaufgewandert dem schneeigen Gipfel des Teyde entgegen, angetan noch mit der Landestracht, die mir Maria gelassen. Mit dem tamarquo, dem Kittel aus Ziegenfell, der weißen manta und den Bundschuhen, bewehrt mit der lanza war ich hinaufgestiegen in die Einsamkeit der Anagaberge, die dem Pic von Teneriffa vorgelagert sind. Den größten Teil meiner Barschaft hatte ich dem Fürsten Sergej zur Aufbewahrung gegeben, einen Teil, in spanischen Pesetas und kleinen Kupfermünzen umgewechselt, führte ich bei mir. Hier ist kein Überfall zu befürchten; nur in der Hafengegend, wie in allen Welthäfen, treibt sich Gesindel herum. Sonst begegnet man ehrlichen Menschen, die, je mehr man sich von den Städten entfernt, unverkennbar die treuherzigen Züge der Ureinwohner tragen, der alten Guanchen.

Besteht doch noch in einigen Gegenden die Sitte, unterwegs gefundene Gegenstände liegen zu lassen und ihre Lage mit einem Stein zu bezeichnen. Jeder folgende Wanderer fügt einen Stein hinzu: der Eigentümer kann, wenn er den Weg, den er genommen, zurückschreitet, an dem so entstandenen Steinhaufen mühelos die Stelle finden, wo der vermißte Gegenstand unangetastet für ihn liegt.

Die Wildnis der Anagaberge umfing mich – eine Heimat der Jäger und Hirten. Ich wanderte mit ihnen, die Ziegenhirten waren begleitet von ihren zierlichen Tieren mit gazellenartigen kleinen Köpfen und seidigem weißem Behang, dessen zottige Ränder gelblich und bräunlich gefärbt erschienen. Ich kehrte in Höhlen ein, wo diese genügsamen Menschen nach der Lebensweise der Steinzeit hausen, auf welche schon die steinernen Handmühlen und ihr übriger geringer Hausrat hinweisen.

In einem einsamen Gehöft mietete ich mir für den beschwerlichen Aufstieg zwei Maultiere mit ihrem Arriero – dem Treiber. Wir rasteten in dem paradiesischen, mit Palmen und Fruchtbäumen reich gesegneten Tal von Orotowa, dessen Zauber durch eine klassische Schilderung Alexander von Humboldts verewigt ist. Ich besuchte die alte Bischofsstadt Laguna, wo leere Paläste spanischer Konquistadoren an vergangene Zeiten erinnern. Und ich stand in Icod vor dem berühmten uralten Drachenbaum, in dessen Schutz einst, auf ihrem Steinsitz thronend, die Könige der Guanchen ihren Tagoror – ihre Ratsversammlung – mit den Vornehmsten des Landes hielten.

Am Kap Teno hörte ich die Brandung dröhnen und sah wie die in unterirdischen Höhlen der Uferfelsen gestaute Meeresflut in gewaltigen Wassersäulen emporstieg. Die blaugrauen Teyde-Finken schmetterten ihr Lied, als ich in Begleitung des Führers auf den Maultieren den Weg zum ersehnten Gipfel des Pic antrat.

Ich stand in der Caldera, dem riesigen Kessel, der den Gipfel des Vulkans umgibt, auf gelblichgrauem Gestein. Durch einige Spalten strömte schwefeliger Dampf aus der unterirdischen Werkstatt. Der Boden war an manchen Stellen so heiß, dass ich den Standort wechselte, um mir nicht die Sohlen zu verbrennen. In dieser Höhe gedeihen noch die süßduftenden Teydeveilchen, die freilich um diese Zeit nicht mehr blühten. Zur Bereitung unseres Tees schöpfte mein Arriero Schnee aus der Cueva del hielo – der Eishöhle. In dieser Höhle bleibt der Schnee auch im Sommer liegen; er wird von der ärmeren Bevölkerung zusammengeballt und in Farnkraut verpackt nach den Städten hinuntergetragen, wo er zur Bereitung der helados – des Gefrorenen dient. Auf wechselnden Pfaden grüßte uns immer wieder die unvergessliche Zuckerhutform des Teyde, oder eigentlich Escheyde, wie er in der alten Guanchensprache hieß. Es bedeutet: Eingang zur Unterwelt. Die Guanchen hielten diesen Berg für heilig und pflegten in seinem Namen zu schwören.

Kalte Winde umsausten uns, als wir höher stiegen, wir waren in die Schneeregionen gelangt und übernachteten in einer Schutzhütte, die ein Engländer errichtet hatte. Nivaria-Schneeinsel nannte schon König Juba von Mauretanien die Insel Teneriffa. Italienische Seefahrer, die sie erblickten als der Vulkan noch in voller Tätigkeit war, hießen sie die Hölleninsel.

Beim Sonnenaufgang stieg ich herab und hatte einen wunderbaren Blick auf den Atlantischen Ozean, er lag wie ein ungeheurer stahlblauer Trichter mit etwas erhöhten Rändern vor dem erstaunten Auge und die sieben Inseln waren ringsum wie auf einer geographischen Karte ausgebreitet. Als ich herabstieg, begann der weiße Gipfel über mir rosig im Scheine der aufgehenden Sonne zu glühen und warf seinen riesenhaften Schatten auf das Meer in der Tiefe, in welchem sich der Morgenhimmel mit einem märchenhaften Rot wiederspiegelte. Bei diesem unbeschreiblichen Anblicke geschah es, daß sich ein Wort mit leisem inbrünstigem Laut von meinen Lippen löste, das eine Wort: Dank!

Ist denn nicht unser ganzes Leben ein Geschenk, für das wir Dank schulden?

Und ich gedachte der herrlichen Strophen, mit denen Torquato Tasso in seinem »Befreiten Jerusalem« die wunderbare kanarische Inselwelt preist.

Erst vor zwei Jahren hatte ich bei einer Schulfeier den fünfzehnten Gesang von Tassos Dichtung, der diese Schilderung enthält, in der formvollendeten Übersetzung von Gries zum Vortrag gewählt.

Das sind die Inseln, die vor grauen Zeiten
Die alte Welt glückselig schon genannt!
Hier glaubte man, daß ohne Zubereiten
Und nur befruchtet durch des Himmels Hand
Das Land gebäre, daß die wilden Reben
Auch ungepflegt die süßern Früchte geben.

Hier, sprach man, täuscht kein Ölbaum das Vertrauen,
Und Honig beut die hohle Buche dar;
Und von den Höh'n, sanft murmelnd durch die Auen,
Ergießen sich die Bäche, süß und klar.
Die Weste weh'n, die Morgenwinde thronen
Und Sonnenhitze wird man nicht gewahr, –
Hier wähnte man Elysiums Gefilde,
Der Sel'gen Aufenthalt in ewiger Milde. –

Aus Walters Tagebuch. An Bord des Miramare.

Dank, ja, der gütigen Fügung, die mich in den Schutz der glücklichen Inseln geführt hat! Dankerfüllten Herzens nehme ich Abschied von euch, gesegnete Eilande und von den guten Menschen, die ich hier fand.

Der deutsche Konsul verschaffte mir freie Heimfahrt. Fürst Sergej war mir behilflich, als ich mich in einem Kaufhause am Hafen mit der nötigsten Kleidung, Wäsche und Zubehör versah. So lange hatte ich zur Verwunderung der Umgebung die Tracht der Landesbevölkerung beibehalten, in der ich mich wohlfühlte. Fürst Sergej wird nun die manta waschen lassen, damit die Fischersleute in Gomera den Mantel so blütenweiß, wie ich ihn empfing, zurückerhalten. Fürst Sergej sendet ihn dann mit den anderen entliehenen Sachen und meinen Dankeszeilen an Maria, meine Helferin. Ihr Beichtvater wird ihr mein französisch geschriebenes Briefchen in die Landessprache übersetzen.

Illustration: Willy Planck

Als der Miramare des abends abfuhr, war die ganze Bucht von unzähligen Fackeln erhellt, bei deren Licht nach altem Brauch gefischt wurde. Ich sehe noch den Fürsten Sergej in ihrem flackernden Schein Abschied winken, wir kennen uns nur wenige Wochen und mir ist als kennten wir uns lange – so nahe sind wir uns gerückt.

Es war ein schmerzlicher Zug in seinem bleichen Gesichte, als der Dampfer sich in Bewegung setzte und er mir nachrief:

» Au revoir!« – aber ich werde ihn wohl nie wiedersehen.

Ich stehe am Backbord des französischen Dampfers, der mich nach Marseille trägt und sehe Teneriffa in der Ferne versinken. Noch grüßt das Wahrzeichen der Kanaren, der schimmernde Pic – bald ist auch er entschwunden. Ein milder Duft weht noch lange von den Gestaden, jener würzige Hauch, der schon den alten Seefahrern meilenweit die Islos Asfortunatos kündete – die glücklichen Inseln.


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