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19. Kapitel.
Die Insel Gomera.

Walter schlug die Augen auf. Ein wolkenloser Himmel blaute durch das vergitterte Fensterchen in das niedrige Gemach. Vor ihm stand die blonde Frau, deren er sich aus seinen wirren Träumen erinnerte. Sie neigte sich mit mütterlicher Besorglichkeit zu ihm. Er verlor aufs neue die Besinnung. Ein wenig später kam er wieder zu sich und fühlte, daß sein Kopf sacht gehoben wurde. An seine Lippen wurde ein hölzernes Gefäß gesetzt, er trank in kleinen Zügen warme Milch. Die blonde Frau lächelte ihm gütig zu, er besann sich vergeblich, wie er hergekommen war, er wollte fragen, aber aus seiner Kehle kam kein Laut.

Die Frau winkte ihm, sich ruhig zu verhalten und reichte ihm noch einmal den hölzernen Napf mit warmer Ziegenmilch. Er trank dieses Mal in langen Zügen. Ein wohliges Gefühl der Mattigkeit überkam ihn, er sank zurück und schloß die Augen. Nach einer Weile fühlte er sich soweit erholt, daß er sich aufrichten konnte, er stützte sich auf den Ellbogen und sah um sich. Durch die offene Türe bemerkte er die Frau. Sie stand am Herde und kehrte ihm den Rücken zu. Er blickte umher in dem kleinen Raum, der dürftig mit Holzgerät, geflochtenen Matten und Ziegenfellen ausgestattet war. Er sah seinen Körper entlang und gewahrte, daß er in Unterkleidern war, dabei berührte seine tastende Hand die Kapsel, die er am Halse trug. Plötzlich kam ihm mit der Erinnerung an das Geschenk seines Onkels auch das Gedächtnis zurück an seine abenteuerliche Seefahrt. Seine Gedanken wanderten bis zu dem Augenblick, in welchem er in die Tiefen des Ozeans gestiegen war – dann verwirrten sie sich in seltsamen Bildern, die er nachträglich als Erzeugnisse eines Traumes zu erkennen begann.

Er wußte, daß er auf wunderbare Weise gerettet war.

Die blonde Frau wendete den Kopf nach ihm, er winkte ihr, sie kam behende zu ihm und sagte einige spanische Worte, die er nur teilweise verstand, soweit sie ihn an sein Schullatein erinnerten.

Er zog die Kapsel mit der Schnur über den Kopf und versuchte ihr eine Erklärung über den Inhalt zu geben. – – Aber seltsam! Wieder versagte ihm die Stimme! Stumm reichte er seiner Helferin die Kapsel. Sie sah ihn fragend an, er nickte. Sie löste behutsam die Wachsleinwand, schraubte den Deckel der Kapsel ab und zog die darin enthaltenen englischen Pfundnoten hervor. Ihr Gesicht zeigte den Ausdruck eines kindlichen Erstaunens. Englisches Geld hat überall Wert, hatte ja sein Onkel geschrieben, und schien auch auf dieser entlegenen Insel bekannt zu sein.

Er machte eine Bewegung: sie möchte das Geld doch an sich nehmen. Sie aber schüttelte den Kopf. Er wiederholte dringender seine bittende Bewegung. Die Frau bedachte sich, nahm eine Fünfpfundnote und machte dann eine zierliche Handbewegung, die deutlich besagte, das übrige behalte für dich. Sie drückte die anderen Geldscheine in die Kapsel zurück, schraubte sie zu und reichte sie Walter. Dabei sprach sie einige spanische Worte, die er nicht verstand und die ihm erst durch ihre Gesten klar wurden. Zum Zeichen des Schweigens legte sie den Zeigefinger auf den Mund, wies dann auf ihn und auf sich, als wollte sie damit sagen, dieses Geheimnis bleibt unter uns. Walter wollte ihr danken – seltsam! wieder kam kein Laut aus seinem Munde. Er wurde abwechselnd rot und blaß, die Frau sah es mit Besorgnis. Da versuchte er ihr seinen Zustand wiederum durch die stumme Sprache des Körpers zu erklären – jene Ursprache der Menschheit, die auf dem ganzen Erdball zu Hause ist und überall verstanden wird. Die Frau sah ihn fragend an, – da wiederholte er sorgsam die Gebärden. Nun verstand sie, daß er die Sprache verloren habe. Sie wiegte bedauernd den Kopf und sagte einige Worte in mitleidigem Ton.

Pedro trat schwerfällig ein mit einem mißtrauischen Blick auf den Fremden, die Frau ging ihm lebhaft entgegen und reichte ihm die englische Banknote. Er blickte überrascht, betrachtete dann prüfend die Note, befühlte sie zwischen den Fingern, hielt sie an das Licht – und schmunzelte. Er kannte englisches Geld. Es änderte seinen Sinn. Walter hörte einen kurzen Wortwechsel, worauf Pedro ein Fischnetz vom Haken langte, ihm gnädig zunickte und die Hütte verließ.

Die Frau sagte etwas, woraus Walter nach dem Tonfall ihrer Stimme schloß, es sei nun alles in Ordnung. Er deutete dann nach dem Fenster ins Freie, was ist das alles? und sie erwiderte ihn verstehend:

La Gomera!

La Gomera? – Go–mera? Richtig, so heißt ja eine von den kanarischen Inseln, welche die Spanier, die »Glückseligen« nennen. Gomera! Ja – nun entsann er sich aus dem Geschichtsunterricht, in Gomera war Kolumbus der Entdecker Amerikas auf seinen abenteuerlichen Fahrten zuerst angelaufen. Dort also bin ich!

Die Frau zeigte wiederholt nach der Tür, er möchte doch versuchen ins Freie zu gehen. Sie nahm von Kleidungsstücken, die über ein quergespanntes Seil hingen, eine Jacke aus Ziegenfell und eine Fischerhose und reichte ihm beides, schob noch ein Paar bastgeflochtene Schuhe an sein Lager, ließ ihn dann allein und schloß die Türe.

Er versuchte aufzustehen, fühlte sich aber noch zu schwach, die Frau fand ihn, als sie nach einer kleinen Weile wiederkam, noch immer auf seinem Lager. Sie brachte ihm eine Brühe, er aß einige Löffel und verfiel in einen dämmernden Halbschlaf. – Erst am dritten Tage konnte sich Walter, auf einen Stock gestützt ins Freie wagen, er blieb matt am Strande in der Sonne sitzen und blickte auf die weite Fläche des Atlantischen Ozeans, die von einem leichten Wellenschlage wenig gekräuselt erschien. Dicht vor ihm aber, um die Felsenriffe der vulkanischen Insel, brandete und schäumte der Wogenprall hoch auf.

Illustration: Willy Planck

Bewundernd schaute er auf den schneegekrönten, aus einem Wolkenkranze hervorschimmernden Pic der Nachbarinsel Teneriffa. Wunderbar hell hob sich und strahlend aus dem dunklen Untergrunde von grauem und schwärzlichem Basalt das Wahrzeichen der Insel, der berühmte Vulkan. Walter blieb, die müden Glieder sonnend, in stummer Andacht versunken vor diesem einzigen Bilde.


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