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5. Kapitel.
Vanderbergen.

Um elf Uhr war Sprechstunde bei Geheimrat Vanderbergen, so stand auf dem kleinen Schild am Garten vor der Villa.

Als Walter klingelte, kam ein Diener in veilchenfarbenem Rock mit goldenen Tressen und fragte, was er wünsche – der Herr Geheimrat sei nur nach vorheriger Anmeldung zu sprechen. »Dann melden Sie mich doch an.«

Der ruhigsichere Ton machte den Veilchenblauen stutzig.

»Ihren Namen bitte!«

»Walter Arndt.«

Der Diener ging geräuschlos voraus und hieß Walter mit einer Handbewegung folgen. Sie überschritten einen kleinen gepflasterten Weg und traten durch die geöffnete Türe in den Hausflur.

Ein riesiger Bär stand aufrecht in der Mitte des Flurs und hielt eine Visitenkartenschale in seinen Pranken. Auf der rechten Seite sah man das Modell eines chinesischen Schiffes und daneben einen Glasbehälter mit seltsamen Exemplaren der Meeresfauna. Auf der linken Seite öffnete der Diener eine Türe: »Bitte warten Sie hier.«

Ein Fräulein blickte von ihrer Schreibmaschine flüchtig auf und vertiefte sich gleich wieder in ihre Arbeit.

»Einen Augenblick noch,« sagte Walter zu dem Diener, der sich entfernen wollte – »geben Sie bitte zugleich diese Karte ab.« Der Diener nahm die Empfehlungskarte des Professors Weckerle und ging in den anstoßenden Raum. Nach einer Weile kam er zurück und meldete:

»Herr Geheimrat lassen bitten.«

Am Schreibtisch saß ein hochgewachsener schlanker Mann. Das bleiche, durchfurchte Antlitz, das gelichtete weiße Haar kündeten hohes Alter – eine senkrechte Falte zwischen den Brauen, welche die steile Stirn kennzeichneten zeigte geistige Arbeit an.

Er neigte, Walters Gruß erwidernd, leicht den Kopf und wies stumm auf einen Stuhl.

»Professor Weckerle empfiehlt Sie. Was führt Sie zu mir?«

Walter berichtete und sagte, sein Manuskript hervorziehend:

»Ich habe versucht, das Wesentliche – in knapper Form –.«

Geheimrat Vanderbergen hatte eine abwehrende Bewegung gemacht.

Illustration: Willy Planck

»Unsere Tiefseeforschung –« erwiderte er kühl, »bezweckt: Messungen des Meeresbodens, geologische Feststellungen und dann – die Fauna. Das ist genug, kulturhistorische Grabungen würden die uns zugemessene Zeit überschreiten. Es wird Ihnen wohl bekannt sein, daß der Meeresgrund mehr oder minder hoch vom Schlamm bedeckt ist. Eben dieser Schlamm, der abgestorbene und lebende Formen der Tiefseefauna enthält, ist für uns ein Objekt der Beobachtung, für kulturhistorische Forschungen käme eigentlich nur der Meeresgrund in der Nähe der Küsten in Betracht, der nicht von hohen Ablagerungen bedeckt ist.«

Er schlug das Manuskript Walters auf, las einige Zeilen und lächelte kaum merklich.

»Sie scheinen Phantasie zu haben, junger Mann. Viel Phantasie. Hm – lassen Sie mir doch Ihr Opus hier.«

»Bitte sehr, Herr Geheimrat – ich will nun Ihre Zeit nicht länger in Anspruch nehmen.«

»Ihre Adresse?«

»Bitte einstweilen Nachricht an Herrn Professor Weckerle zu geben.«

»Gut.«

Durch eine verabschiedende Handbewegung war Walter entlassen.

Vanderbergen schüttelte leicht abwehrend den Kopf und wollte sich aufs neue in eine geologische Karte vertiefen, aber dann nahm er Walters Manuskript und schlug es auf. Er las nur einen Satz, in welchem die uralte Stufenpyramide von Sakkara in Ägypten mit der seltsam übereinstimmenden Pyramide von Majapan in Mexiko verglichen wird, stand lebhaft auf und sah einen Augenblick durch das Fenster in den Vorgarten, durch dessen Tor Walter eben nachdenklich hinausschritt. Darauf warf er einen prüfenden Blick auf die beigefügten Zeichnungen. Dann ging er in das Nebenzimmer und sagte: »Fräulein, bitte schreiben Sie.

›Sehr geehrter Herr Professor!

Sie schicken mir da einen offenbar begabten jungen Mann. Was Herr Arndt in seinen kulturgeschichtlichen Studien sagt, hat – so phantastisch es klingt – möglicherweise eine praktische Bedeutung für unsere Tiefseeforschung, die freilich zunächst andere Ziele verfolgt. Aber Geologie und Urgeschichte der Menschheit berühren sich.

Das Petrefakt scheint mir ein wertvoller Fund zu sein. Soweit die vorgelegte Zeichnung erkennen lässt, entstammt es der ersten Tertiärzeit und stimmt mit dem Odontoperix der Londoner Tonperiode überein. – Würden Sie gegebenenfalles bereit sein, in Ihrer Eigenschaft als Kulturhistoriker sich an unserer Expedition zu beteiligen?

Ich bitte jedenfalls um Ihren werten Besuch, wenn möglich schon morgen zwischen elf und zwölf Uhr vormittags.

Mit vorzüglicher Hochachtung
Ihr kollegial Ergebener –‹

– Haben Sie, Fräulein?«

»Jawohl Herr Geheimrat.«

»Adresse: Professor Timotheus Weckerle, Richard-Wagner-Ecke. –

»Bringen Sie mir den Brief gleich zur Unterschrift!«

Der Geheimrat begab sich in sein Zimmer zurück, schob die geologische Karte zur Seite und begann Walter Arndts Abhandlung aufmerksam zu lesen. Er überhörte dabei ein sachtes Klopfen an der Türe, die zum Flur führte, und blickte erst auf, als eine helle Stimme fragte:

»Stör' ich, Papa?«

Auf der Schwelle stand lächelnd eine schlanke Blondine in blaßgrünem Kleid, den großen Strohhut am Band übermütig schlenkernd.

»Nein, Kind, komm nur herein!«

»Sag mal, Papa, wer war denn der junge Mann, der eben das Haus verließ?«

»Hm?«

»Der mit dem blonden Kopf und dem gebräunten Gesicht.«

»Das war ein Studiosus Arndt. Warum fragst du?«

»Uns fehlt noch ein Partner für das Tanzkränzchen.«

»Ach so, du meinst, da wurde er passen?«

»Ja. Du nicht?«

»Ich hätte nichts dagegen, Manieren hat er. Gute Kinderstube offenbar.«

Die Blondine zog ein Notizbuch. »Seine Adresse?«

»Er studiert bei Weckerle, euer Tanzmeister mag sich dahin wenden.«

Weckerle saß beim Frühstück, als der Brief des Geheimrats ihn erreichte. Er hatte kaum gelesen, als er nervös aufsprang. »Das geht ja nicht, Lona! Solche Abenteuer – dafür eigne ich mich garnicht.«

»Was hast du nur?«

»Da, lies.«

»Tim! Das ist sehr ehrenvoll für dich, da kannst du nicht ohne weiteres nein sagen!«

»Ich muß jedenfalls zum Geheimrat und mich persönlich entschuldigen, es tut mir nur leid für Walter Arndt – vielleicht könnte ich dem dabei behilflich sein.«

»Aber Tim, der fängt doch eben sein erstes Semester an! Der kann doch noch warten!«

»Sage das nicht, Lona. Solche Gelegenheiten kommen nicht oft!«

»Jedenfalls mußt du hin!«

Um elf Uhr meldete sich Weckerle in der Villa des Geheimrats und wurde gleich vorgelassen.

»Es ist schön, daß Sie so schnell meiner Einladung folgen, lieber Professor,« empfing ihn der Geheimrat, »die Sache ist insofern eilig, als Ende nächster Woche unsere Gesellschaft ihre letzte Konferenz hat. Lord Bentham, der den größten Teil der Kosten für die geplante Expedition trägt, wird jeden Tag erwartet. Ich weiß nicht, wie er – wie die anderen Teilnehmer sich zu der neuen Anregung stellen werden, zweifle aber nicht daran, daß ein positiver Vorschlag von meiner Seite angenommen wird und möchte zuvor mich Ihrer versichern, Herr Kollege.«

»Ja, – sehr verehrter Herr Geheimrat – ich – ich weiß die Ehre gewiß zu schätzen – aber das wird wohl nicht gehen.«

»So. Und warum nicht, wenn ich fragen darf?«

»Erstens – mein Urlaub! Die Vorlesungen sollen ja in einigen Tagen beginnen.«

»Das ist doch kein Grund.«

»Ich könnte freilich mich mit dem einführenden Vortrage begnügen. Und Dr. Müller könnte mich danach hier vertreten. Dem jungen Privatdozenten geschähe sogar ein Gefallen damit, glaube ich. Immerhin –.«

»Nun – sehen Sie! – das nächste wäre allerdings, daß Sie zwei bis drei Tage Urlaub nehmen, um nach Rügen zu fahren und den merkwürdigen Fund zu besichtigen. Ich käme gerne mit, mich interessiert die Rückseite mehr noch als das Götzenbild. Bin aber jetzt nicht abkömmlich. Ich will Ihnen aber einen zuverlässigen jungen Geologen mitgeben – meinen Assistenten Dr. Weber, der zugleich ein geschickter Photograph ist.«

»Und dann – offen gesagt: Meine schwankende Gesundheit –«

»Aber lieber Professor, eine Seereise ist eine Erholung, fragen Sie nur Ihren Arzt. Sie haben Zeit und Ruhe in der Kajüte, wo auch die Bibliothek untergebracht wird, die Funde zu prüfen, welche Ihnen unsere Taucher etwa heraufbringen. Es werden nicht allzu viele sein. Ich habe es mir überlegt: ich dachte Ihnen auch vor allem die Redaktion des Reisewerkes zu übertragen, das wir herausgeben. Denn dieser Plan des Studiosus Arndt ist reichlich phantastisch – ein Versuch erscheint mir immerhin lohnend.«

»Ich würde gegebenenfalls gerade den jungen Arndt als Sekretär mitnehmen – das ließe sich doch machen?«

»Wenn Sie Wert darauf legen, natürlich. Schlagen Sie ihn doch in der Konferenz vor – die Hauptsache ist mir, daß ich auf Sie, Herr Kollege, rechnen darf. Das Honorar wird ein angemessenes sein. Sind wir einig?«

»Ich will mir die Sache bis morgen überlegen.«

»Bis morgen also!«


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