Horaz
Horazens Briefe
Horaz

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<185> Ein Dichterwerk sei schön, sei fehlerfrei,
dies ist sehr viel, allein noch nicht genug;
um zu gefallen, sei es lieblich auchNon satis est pulchra esse poemata, dulcia sunto. Unter pulchra versteht Horaz hier ohne Zweifel fehlerlos, regelmäßig, gut zusammengesetzt, kurz alles, wodurch ein Gedicht dem Verstande gefällt: unter dulcia alles, wodurch es den Sinnen schmeichelt, und das Herz rührt.,
und stehle sich ins Herz des Hörers ein,
um, was der Dichter will, aus ihm zu machen.
<190> Ein lachend oder weinend Angesicht
bringt, wie wirs ansehn, augenblicklich auch
ein Lächeln oder einen traur'gen Zug
in unsers. Willst du, daß dein Unglück mich
zu Tränen rühren soll, mein guter Peleus
<195> und Telephus, so mußt du selber weinenWie Horaz sich hier ausdrückt, könnte es allerdings problematisch scheinen, ob seine Vorschriften dem Schauspieler oder dem Dichter gelten. Da er es aber im Ganzen dieser Epistel mit den Dichtern zu tun hat, so scheint mir (auch nach abermaliger Erwägung der Sache) die in derDie Rede ist in dieser ganzen Stelle (vom V. 190 der Übers. bis 215) mit keinem Gedanken von den Pflichten des Schauspielers, sondern bloß von dem, was der Poet zu tun hat, um den Schauspieler, der seine Pflichten aufs beste erfüllt, nicht zu Schanden zu machen. Der Schauspieler kann mit der größten Wahrheit in die Lage der Person, die er vorstellt, hineingehen; sein Ton, seine Gebärde, können im höchsten Grade rührend, und dem, was er der Natur der Sache nach zu fühlen scheinen soll, angemessen sein; kurz, er könnte sich ganz in seinen Peleus oder Telephus verwandelt haben – aber wenn sein Schmerz oder seine Traurigkeit nun in Worte ausbrechen soll, und der Dichter läßt ihn Dinge sagen, die keinem Menschen in dieser Lage einfallen können, läßt ihn eine Sprache reden, die kein Mensch jemals in solchen Umständen gesprochen hat: so entsteht ein Widerspruch zwischen dem, was der Zuschauer hört, und dem, was er sieht, der notwendig alle Wirkung des letztern unterbrechen und vernichten muß. Vermöge des allgemeinen Gangs der Natur, den Horaz beschreibt, erwarten wir von einem Menschen in dieser Lage, mit dieser Miene, dieser Gebärdung, kurz, mit allen diesen äußerlichen unfreiwilligen Zeichen des innern Gefühls, die vor dem Ausbruch der Leidenschaft in Worte vorhergehen – wahre Töne und Stimmen der Natur, die bis ins Innerste eindringen, alle Schleusen des sympathetischen Gefühls öffnen, und unser Herz von Mitleid überwallen, unsre Augen von Tränen glänzen machen. – Hören wir aber statt des wahren Telephus, den die Natur ganz gewiß zu unseren Herzen sprechen lehren würde, den Dichter, der nur auf unsre Imagination losstürmt, Bilder auf Bilder, Hyperbeln auf Hyperbeln häuft, oder gar mit der Wut eines Besessenen Bombast und Unsinn ausschäumt: so muß jeder Zuhörer, der nicht ganz an Menschensinn verkürzt ist, sogleich fühlen, daß kein Wort von dem allen, was der angebliche Telephus sagt, wahr ist; die Illusion hört auf; wir fühlen, statt sympathetischer Empfindungen, den Verdruß getäuschter Erwartung; und so wird der verunglückte Theaterheld seine Zuhörer unfehlbar, je nachdem der Dichter sich mehr oder weniger von der Natur entfernt hat, nur desto mehr gähnen, lachen, oder zürnen machen, je mehr sich der Schauspieler angreift, eine unnatürliche Rolle wahr zu spielen. – Sollte sich irgendwo in der Welt ein Parterre finden, das diese Behauptung durch sein Gefühl und Betragen – Lügen strafte: so wäre dies, sobald es mit dem Faktum seine erwiesene Richtigkeit hätte, ein psychologisches Problem, das zu einer akademischen Preisfrage gemacht zu werden verdiente. Weil indessen die Regel, welche Horaz an diesem Orte gibt, für sich allein noch sehr unzulänglich ist: so fügt er sogleich noch eine andre hinzu, ohne deren genaueste Beobachtung ein Telephus z. B., wenn er eben das sagte, was im Mund einer andern Person sehr rührend war, einen ganz widrigen Eindruck machen könnte – nämlich das Gesetz: daß der Dichter alle die Umstände und Bestimmungen, die zusammengenommen den Charakter einer Person ausmachen, immer vor Augen haben müsse. Was sich für jede besondere Person in jeder besondern Lage schickt, zu wissen, ist also die große Wissenschaft des Dichters. Aber wie viele Kenntnisse schließt diese Wissenschaft in sich! und welche Schärfe der Beurteilung, welch ein zartes, schnelles und sichres Gefühl setzt sie bei der Anwendung voraus! gegebene Auslegung dieser ganzen Stelle die richtigste zu sein.!
Sind deine Reden deiner Lage nicht
gemäß, so werd' ich – gähnen oder lachenDie Rede ist in dieser ganzen Stelle (vom V. 190 der Übers. bis 215) mit keinem Gedanken von den Pflichten des Schauspielers, sondern bloß von dem, was der Poet zu tun hat, um den Schauspieler, der seine Pflichten aufs beste erfüllt, nicht zu Schanden zu machen. Der Schauspieler kann mit der größten Wahrheit in die Lage der Person, die er vorstellt, hineingehen; sein Ton, seine Gebärde, können im höchsten Grade rührend, und dem, was er der Natur der Sache nach zu fühlen scheinen soll, angemessen sein; kurz, er könnte sich ganz in seinen Peleus oder Telephus verwandelt haben – aber wenn sein Schmerz oder seine Traurigkeit nun in Worte ausbrechen soll, und der Dichter läßt ihn Dinge sagen, die keinem Menschen in dieser Lage einfallen können, läßt ihn eine Sprache reden, die kein Mensch jemals in solchen Umständen gesprochen hat: so entsteht ein Widerspruch zwischen dem, was der Zuschauer hört, und dem, was er sieht, der notwendig alle Wirkung des letztern unterbrechen und vernichten muß. Vermöge des allgemeinen Gangs der Natur, den Horaz beschreibt, erwarten wir von einem Menschen in dieser Lage, mit dieser Miene, dieser Gebärdung, kurz, mit allen diesen äußerlichen unfreiwilligen Zeichen des innern Gefühls, die vor dem Ausbruch der Leidenschaft in Worte vorhergehen – wahre Töne und Stimmen der Natur, die bis ins Innerste eindringen, alle Schleusen des sympathetischen Gefühls öffnen, und unser Herz von Mitleid überwallen, unsre Augen von Tränen glänzen machen. – Hören wir aber statt des wahren Telephus, den die Natur ganz gewiß zu unseren Herzen sprechen lehren würde, den Dichter, der nur auf unsre Imagination losstürmt, Bilder auf Bilder, Hyperbeln auf Hyperbeln häuft, oder gar mit der Wut eines Besessenen Bombast und Unsinn ausschäumt: so muß jeder Zuhörer, der nicht ganz an Menschensinn verkürzt ist, sogleich fühlen, daß kein Wort von dem allen, was der angebliche Telephus sagt, wahr ist; die Illusion hört auf; wir fühlen, statt sympathetischer Empfindungen, den Verdruß getäuschter Erwartung; und so wird der verunglückte Theaterheld seine Zuhörer unfehlbar, je nachdem der Dichter sich mehr oder weniger von der Natur entfernt hat, nur desto mehr gähnen, lachen, oder zürnen machen, je mehr sich der Schauspieler angreift, eine unnatürliche Rolle wahr zu spielen. – Sollte sich irgendwo in der Welt ein Parterre finden, das diese Behauptung durch sein Gefühl und Betragen – Lügen strafte: so wäre dies, sobald es mit dem Faktum seine erwiesene Richtigkeit hätte, ein psychologisches Problem, das zu einer akademischen Preisfrage gemacht zu werden verdiente. Weil indessen die Regel, welche Horaz an diesem Orte gibt, für sich allein noch sehr unzulänglich ist: so fügt er sogleich noch eine andre hinzu, ohne deren genaueste Beobachtung ein Telephus z. B., wenn er eben das sagte, was im Mund einer andern Person sehr rührend war, einen ganz widrigen Eindruck machen könnte – nämlich das Gesetz: daß der Dichter alle die Umstände und Bestimmungen, die zusammengenommen den Charakter einer Person ausmachen, immer vor Augen haben müsse. Was sich für jede besondere Person in jeder besondern Lage schickt, zu wissen, ist also die große Wissenschaft des Dichters. Aber wie viele Kenntnisse schließt diese Wissenschaft in sich! und welche Schärfe der Beurteilung, welch ein zartes, schnelles und sichres Gefühl setzt sie bei der Anwendung voraus!.
    Non satis est pulchra esse poemata, dulcia sunto,
<100> et quocumque volent animum auditoris agunto!
Ut ridentibus arrident, ita flentibus adsunt
humani vultus: si vis me flere, dolendum est
primum ipsi tibi, tunc tua me infortunia laedent,
Telephe vel Peleu! male si mandata loqueris,
Zu einem traurenden Gesichte ziemen sich
auch traur'ge Worte. Ruhig oder zürnend,
<200> mutwillig oder ernsthaft, immer sei die Sprache
der Leidenschaft, der Stimmung angemessen,
die erst aus Miene und Gebärde spricht.
Denn jeder Wechsel unsers Glücks erregt
zuerst im Innern eine Leidenschaft;
<205> Zorn, der zum Widerstand das Blut erhitzt,
die Arme ausstreckt – oder Traurigkeit,
die hoffnungslos zur Erde, wie zum Grab,
uns niederzieht: und dies, bevor die Zunge
der Seele Dolmetsch wird, und ihre Regung
<210> in Worte ausbricht. Dies ist allezeit
Gang der Natur. Verfehlt der Dichter ihn,
legt seinem Helden in den Mund, was nicht
zu seiner Lage paßt: so darfs ihn nicht befremden,
wenn Ritterschaft und FußvolkEin komischer Ausdruck für die zwei Haupteinteilungen des römischen Volkes, welche (wie anderswo schon bemerkt worden) unter Augusts Regierung Platz griff. überlaut
<215> ihm, statt zu weinen, an die Nase lachen.

Nicht minder kommt sehr vieles darauf an,
<105> aut dormitabo aut ridebo. Tristia maestum
vultum verba decent, iratum plena minarum,
ludentem lasciva, severum seria dictu.
Format enim natura prius nos intus ad omnem
fortunarum habitum, iuvat aut impellit ad iram,
<110> aut ad humum maerore gravi deducit et angit:
post effert animi motus interprete lingua.
Si dicentis erunt fortunis absona dicta,
Romani tollent equites peditesque cachinnum.
Intererit multum Davusne loquatur an herus,
ob die Person, die spricht, der Diener oder
der Herr im Haus, ein reifer Alter, oder
ein junger schwärmerischer Tollkopf ist?
<220> Ob eine Fürstin oder ihre treuergebne
Vertraute? ob ein Handelsmann, der überall
zu Haus ist, oder ob ein Landwirt, der
im Anbau seines Gütchens lebt und webt?
Ob ein Assyrer oder Kolcher? ob zu Theben oder
<225> zu Argis auferzogend. i. der Dichter muß auch auf Klima, Landesart und Sitte, Staatsverfassung, kurz auf alles, was den Charakter des Volkes, dem seine Personen zugehören, bildet, Rücksicht nehmen. So muß z. B. ein Dichter den Assyrer weichlich und sklavisch, den Kolcher roh und grausam, den Thebaner tapfer und ungeschliffen, den Argiver tapfer und poliert, schildern.? Übrigens
soll der Poet entweder an die Sage
sich halten, oder, wenn er dichten will,
das Wahre der Natur zum Muster nehmen.

Bringst du Achillen wieder auf die Bühne,
<230> so sei er hitzig, tätig, schnell zum Zorn
und unerbittlich, wolle nichts von Pflichten hören,
und mache alles mit dem Degen ausd. i. so sei er, wie ihn jedermann aus der Iliade kennt. Das dem Achilles im Grundtext gegebene Beiwort honoratus scheint (wie Baxter bemerkt hat) nichts als das Äquivalent für das Homerische τιμήεντα zu sein. Die Hypothese des Abbé Galiani (von dessen noch ungedrucktem scharfsinnigen Kommentar über Horazens Werke Süard uns in seinen Mélanges de Littérature einen Auszug gegeben hat, der nach dem Ganzen begierig macht), daß Horaz hier auf eine wirkliche, aber verunglückte Tragödie, Achilles honoratus betitelt, angespielt habe, scheint mir eben so unnötig, als ohne allen historischen Grund aus der Luft gegriffen zu sein.!
<115> maturusne senex, an adhuc florente iuventa
fervidus, et matrona potens, an sedula nutrix,
mercatorne vagus, cultorne virentis agelli,
Colchus an Assyrius, Thebis nutritus an Argis.
Aut famam sequere, aut sibi convenientia finge.
<120> Scriptor honoratum si forte reponis Achillem,
impiger, iracundus, inexorabilis, acer
Medee sei trotzig und durch nichts zu schrecken,
die sanfte Ino weich und tränenreich,
<235> Ixion treulos, schwermutsvoll OrestLauter damals bekannte tragische Süjets, die von den größten griechischen Dichtern waren bearbeitet worden, und durch sie also schon bestimmte Charaktere erhalten hatten, die ein Dichter, der sie wieder auf die Bühne bringen wollte, beibehalten mußte. – Die Io vaga des Originals wollte sich nicht in den deutschen Vers einsperren lassen..

Bringst du hingegen etwas auf die Bühne,
das nie versucht ward, wagest eine neue
Person zu schaffen – gut! so gib ihr Selbstbestand,
und wie sie sich im ersten Auftritt zeigt,
<240> so führe sie, sich selber ähnlich, bis
zum letzten fort! – Es ist vielleicht nichts Schwerers,
als aus der Luft gegriffnen Menschenbildern
das eigne Individuelle geben;
Du wirst daher mit minderer Gefahr
iura neget sibi nata, nihil non arroget armis!
Sit Medea ferox invictaque, flebilis Ino,
perfidus Ixion, Io vaga, tristis Orestes.
<125> Si quid inexpertum scaenae committis, et audes
personam formare novam, servetur ad imum
qualis ab incepto processerit, et sibi constet.
Difficile est proprie communia dicere, tuque
rectius Iliacum carmen deducis in actus,
<245> ein Schauspiel aus der Iliade ziehen,
als dich an was ganz Neuerfundnes wagen.

Ein Stoff, auf welchen jeder gleiches Recht hat,
wird wieder Eigentum, wenn du dich weder
auf einem Plan, der zum Gemeinplatz schon
<250> geworden, tummelst, noch, als ein getreuer
demüt'ger Übersetzer, Wort für Wort
dem GriechenOder, dem ersten Autor, der das nämliche Süjet vor dir bearbeitet hat. nachtrittst; noch, als bloßer
Nachahmer, dich so sehr zusammendrückest,
daß, etwas wegzulassen, dir die Scham,
<255> hinzuzutun, die Regel dir verbietetd. i. daß die Furcht vor Tadel dir nicht erlaubt etwas wegzulassen, noch die Regeln (z. B. der Einheit des Orts und der Zeit, oder der fünf Akte) etwas hinzuzutun gestatten..
Auch fange dein Gedicht so laut nicht an,
wie jener alte ZyklischeWas Horaz unter dem Zyklischen Poeten verstehe, darüber sind die Ausleger nicht eins. Das Wahrscheinlichste ist, daß der Poetische Zyklus die ganze Götter- und Heldenzeit in sich begriffen, und daß gewisse Dichter, die alle diese Fabeln in ein Werk zusammengewebt, Zyklische Poeten geheißen, Die alten Scholiasten sagten: Antimachus sei ein solcher Zyklischer Poet gewesen; und sein Werk habe schon aus 24 Büchern bestanden, eh' ers noch bis auf die berühmten Sieben Helden vor Thebä gebracht habe. Cicero erzählt von diesem Antimachus im 51. Kap. de Clar. Orator. ein Geschichtchen, das sehr viel für ihn zu beweisen scheint. Er las sein Werk zu Athen in einer großen Versammlung vor. Die Athener waren kein Volk, das sich belangweilen ließ. Das Gedicht währte ihnen zu lang, und nach und nach ging jedermann davon, so daß zuletzt nur noch Plato übrig blieb. Auch gut, sagte Antimachus; ich lese fort; der einzige Plato ist mir statt aller dieser Myriaden. Poet:
<130> quam si proferres ignota indictaque primus.
Publica materies privati iuris erit, si
nec circa vilem patulumque moraberis orbem,
nec verbum verbo curabis reddere fidus
interpres, nec desilies imitator in artum,
<135> unde pedem proferre pudor vetet, aut operis lex.
Nec sic incipies ut scriptor cyclicus olim:
»Von Priams Schicksal und dem weitberühmten Krieg
begeb' ich mich zu singen.« – Großgesprochen!
<260> Was kann der Mann uns sagen, das, den Mund
dazu so weit zu öffnen, würdig wäre?
Es kreißte, wie die Fabel sagt, ein Berg,
und er gebar, zu großer Lustbarkeit
der Nachbarschaft, ein winzigkleines Mäuschen.
<265> Um wieviel besser erHomer., der niemals was
Unschicklichs vorgebracht: »Erzähle mir,
o Muse, von dem Mann, der nach Eroberung
von Troja vieler Menschen Städt' und Sitten sah.«
Er gibt kein Feu'rwerk, das in Rauch sich endet,
<270> erst macht er Rauch, dann folgt ein rein und gleich
fortbrennend Feuer, um die schönen Wunder,
den Lästrygonen-König, und mit Scylla
den Polyphem und die Charybdis uns
»Fortunam Priami cantabo et nobile bellum«:
Quid dignum tanto feret hic promissor hiatu?
Parturiunt montes, nascetur ridiculus mus.
<140> Quanto rectius hic, qui nil molitur inepte:
»Dic mihi, Musa, virum, captae post tempora Troiae
qui mores hominum multorum vidit et urbes.«
Non fumum ex fulgore, sed ex fumo dare lucem
cogitat, ut speciosa dehinc miracula promat,
darin zu zeigen. Er beginnt die Wiederkehr
<275> des Diomedes nicht von Meleagers Tod,
noch den Trojanschen Krieg von Ledas EiernAus deren einem die schöne Helena ausgekrochen sein soll. Wieder eine Anspielung auf verunglückte alte Poeten, von denen wir nichts mehr wissen. Meleager, einer der Argonauten und der griechischen Fürsten, welche die berühmte Calydonische Bestie (wie sie Hr. Hederich nennt) erlegten, war ein Oheim des aus Homer und Virgil bekannten Diomedes. Seine Helden- und Wundergeschichte ist zu weitläufig, um hier erzählt zu werden..
Stets eilt er, ohne Hast, zum Ende fort,
stürzt seinen Hörer mitten in die Sachen,
als wären sie ihm schon bekannt, hinein,
<280> läßt liegen, was nicht glänzend sich behandeln läßt,
und lügt, mit einem Wort, so schön, mengt Wahr und Falsch
so künstlich in einander, daß das Ganze
aus einem Stücke scheint, und, bis zum Schlusse
sich selber ähnlich, täuscht, gefällt, entzückt.

<285> Nun hör' auch du, der auf dem Schauplatz uns
zu unterhalten wünscht, was ich und was
das Publikum mit mir von dir verlangt.
<145> Antiphatim Scyllamque et cum Cyclope Charybdim
nec reditum Diomedis ab interitu Meleagri,
nec gemino bellum Troianum orditur ab ovo;
semper ad eventum festinat et in medias res,
non secus ac notas, auditorem rapit, et quae
<150> desperat tractata nitescere posse, relinquit,
atque ita mentitur, sic veris falsa remiscet,
primo ne medium, medio ne discrepet imum.
Tu, quid ego et populus mecum desideret, audi.
Wofern's um Hörer dir zu tun ist, die
des Vorhangs Fall erwarten, und so lange bleiben,
<290> bis uns der Sänger zuruft: PLAUDITE!
so mußt du jedes Alter richtig zeichnen,
und jedem den Charakter und die Farbe,
die ihm gebührt, genau zu geben wissen.

Kaum kann der Knabe reden, kaum bezeichnet
<295> sein kleiner Fuß mit sicherm Tritt den Boden,
so spielt er gern mit Kindern seines Alters!
erbost sich leicht um nichts, läßt durch ein Nichts
sich wieder auch besänft'gen, und verändert,
wie ein Apriltag, sich von Stund zu Stunde.

<300> Der Jüngling ohne Bart, von seinem Hüter endlich
befreit, hat Lust zu Pferden und zu Hunden,
er liebt im sonnenreichen Campus sich herum-
zutummeln, nimmt wie Wachs des Bösen Eindruck an,
weist guten Rat und Warnung trotzig ab;
<305> denkt immer an das Nützliche zuletztUtilium tardus provisor heißt dem Sanadon und Batteux: ne prévoit point ses besoins. In dieser nachlässigen Manier war es freilich eine leichte Arbeit, den Horaz zu übersetzen. Was Horaz sagt und sagen will, ist von weit größerm Umfang.;
Si plausoris eges aulaea manentis et usque
<155> sessuri donec cantor »vos, plaudite!« dicat:
aetatis cuiusque notandi sunt tibi mores
mobilibusque decor naturis dandus et annis.
Reddere qui voces iam scit puer et pede certo
signat humum: gestit paribus colludere, et iram
<160> colligit ac ponit temere, et mutatur in horas.
Imberbis iuvenis, tandem custode remoto,
gaudet equis canibusque et aprici gramine campi;
cereus in vitium flecti, monitoribus asper,
verstreut sein Geld wie Sand, ist stolz und rasch
in seinen Leidenschaften, aber läßt,
was er mit Hitze kaum geliebt, gleich schnell
für etwas Neues, das ihn anlockt, fahren.

<310> Bald ändert sich das alles, und an Jahren
und Denkart nun ein Mann, bewirbt er sich
um Freunde, Rang, Vermögen, Ehrenstellen,
er lebt nach einem Plan, und hütet sich
nichts zu beginnen, das ihn reuen müßte.

<315> Dem Alten kommt viel Not und Ungemachs
unmerklich übern Hals, entweder, weil er immer
zusammenscharrt, und doch, aus Furcht zu darben,
sich den Gebrauch verweigert – oder, weil
er alles kalt und furchtsam treibt, und überall
<320> Bedenklichkeiten sieht. Er zaudert immer,
setzt immer weiter sich sein Ziel hinaus,
verliert den gegenwärt'gen Augenblick
und lebt im künft'gen; voller Schwierigkeiten,
verdrießlich, übeltrauend, hat er immer was
<325> zu klagen, ist der ew'ge Leichenredner
der weiland guten Zeiten, da er noch
ein Knabe war, der ew'ge Zensor und
utilium tardus provisor, prodigus aeris,
<165> sublimis, cupidusque et amata relinquere pernix.
Conversis studiis aetas animusque virilis
quaerit opes et amicitias, inservit honori,
commisisse cavet, quod mox mutare laboret.
Multa senem circumveniunt incommoda, vel quod
<170> quaerit et inventis miser abstinet ac timet uti;
vel quod res omnes timide gelideque ministrat,
dilator, spe longus, iners, avidusque futuri,
difficilis, querulus, laudator temporis acti
Zuchtmeister aller Jüngern, die jetzt sind,
was er, zu seiner Zeit, gewesen war.

<330> Viel Gutes bringen uns die JahreMan pflegt zu sagen, die Jahre kommen zu uns bis zum 46., und von da an entfernen sie sich wieder von uns, sagt ein alter Scholiast. Das Bild ist vom jährlichen Sonnenlauf und dem daher entstehenden Zu- und Abnehmen der Tage hergenommen., wenn
sie kommen, mit, viel nehmen sie uns wieder,
so wie sie allgemach zurückegehn.

Der Dichter nehme also wohl in Acht,
was jedem Alter zukommt, daß er nicht
<335> dem Greisen eine Jünglings-Rolle, noch
dem Knaben gebe, was des Mannes ist!

Die Handlung wird entweder vor den Augen
der Gegenwärt'gen abgehandelt, oder bloß
erzählt. Hier sehe sich der Dichter vor!
<340> Was durch die Ohren in die Seele geht,
rührt immer schwächer, langsamer, als was
die Augen sehen, deren Zeugnis uns
ganz anders überzeugt, als fremder Mund.

Doch darf darum nicht alles auf die Szene
se puero, censor castigatorque minorum.
<175> Multa ferunt anni venientes commoda secum,
multa recedentes adimunt. Ne forte seniles
mandentur iuveni partes, pueroque viriles,
semper in adiunctis aevoque morabimur aptis.
Aut agitur res in scaenis, aut acta refertur.
<180> Segnius irritant animos demissa per aurem,
quam quae sunt oculis subiecta fidelibus, et quae
ipse sibi tradit spectator. Non tamen intus
<345> gebracht sein, sondern manches muß den Augen
entzogen werden, was, viel schicklicher
von einem andern, der als Augenzeuge spricht,
mit Feuer und Begeistrung des Moments
erzählt, auch uns vergegenwärtigt wird.
<350> Medea soll nicht vor dem Chor und uns
die Kinder würgen, noch der Unmensch Atreus
der Neffen Fleisch vor unsern Augen kochen;
noch wandle Progne auf der Bühne sich
in eine Schwalb', und Kadmus in den Drachen.
digna geri, promes in scaenam, multaque tolles
ex oculis, quae mox narret facundia praesens:
<185> nec pueros coram populo Medea trucidet
aut humana palam coquat exta nefarius Atreus,
aut in avem Progne vertatur, Cadmus in anguem;
quodcumque ostendis mihi sic, incredulus odi.

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