Horaz
Horazens Briefe
Horaz

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Horaz fährt (v. 26. der D. Übers.) fort, die Fehler, die am gewöhnlichsten gegen die Regel der Einheit begangen werden, in einem sanften komischen Lichte sichtbar zu machen. Junge Leute tun sich gemeiniglich viel auf schöne Beschreibungen, Landschaftsgemälde u. dergl. zugut; sie malen immer, wo nur die kleinste Gelegenheit dazu aufstößt. Ob das Gemälde sich an diesen Ort schickt? ob es nicht zweckwidrig ist, den Leser dabei aufzuhalten? ob es nicht einem andern Gegenstande, der gerade hier stehen mußte, im Lichte steht? u.s.w., bekümmert sie nicht; und so kommt dann zuletzt ein Werk heraus, wo, wie in einem Fiebertraume, nichts zusammengehört: ein schöner Mädchenkopf steht auf einem Pferdehals; die schöne Zypresse ist die Hauptfigur auf dem Gemälde, wo der arme Schiffbrüchige unser Mitleid erregen soll; und der Meister, der eine große Vase zu drehen anfing, bringt am Ende einen Küchentopf hervor.

Ein andres Übel, welchem junge Dichter, wenn ihnen der warnende Genius fehltDer berühmte Genius des Sokrates sagte ihm immer nur, was er nicht tun sollte., der immer das wahre Talent leitet, selten entgehen, ist dieses: daß sie, um einen Fehler zu vermeiden, in den entgegengesetzten zu fallen pflegen (v. 45. f.) Um nicht hart zu sein, werden sie weichlich; um nicht zu kriechen, fahren sie in Wolken herum, wenn sie mit einem edeln gleichen Schritt auf ebnem Boden fortgehen sollten; sie rasen, um erhaben zu sein, und sagen Unsinn, weil sie was Neues sagen möchten. Dieser hat wahrgenommen, daß gewisse Vorstellungen, gewisse Züge eine große Wirkung tun, und nun glaubt er, um eine immer größere Wirkung zu tun, brauche er nichts, als die Dosis zu duplieren, triplieren u.s.w. Ein andrer hat gemerkt, daß ein paar kleine Umstände einem Gemälde Wahrheit und Leben geben, und glaubt nun, nie zu viel Detail in seine Schilderungen bringen zu können, u. s. w. Die große Quelle aller dieser Fehler ist der Mangel an einer richtigen Vorstellungsart, und an einer Urteilskraft, die beim Dichter (wie bei jedem andern Virtuosen) so schnell und sicher als der schärfste Sinn wirken muß. Man kann einem Menschen wohl sagen, daß es ihm an diesem Sinn fehle: aber wer kann ihm einen Sinn geben, den ihm die Natur versagt hat?

Wie Kinder aus Unwissenheit verwegen sind, so traut sich mancher aus Kindheit des Geistes mehr zu, als er ausführen kann. Daher vermahnt Horaz (v. 72.) diejenigen, welche etwas schreiben wollen, vor allen Dingen ihre Kräfte wohl zu prüfen; und will, daß man sich an keinen Gegenstand wage, den man nicht genau kennt, von allen Seiten betrachtet, und so durchgedacht hat, daß man sich selbst auf alle nur mögliche Fragen antworten kann. Wie kann ein junger Mensch, der weder, was ihn umgibt, noch sich selbst kennt, und dem nur aus Unverstand alles in der Welt so klar und leicht vorkommt, wie kann er jemals gewiß sein, daß er seinen Kräften nicht zu viel zutraue, und in der Wahl des Gegenstandes, den er bearbeiten will, sich nicht vergriffen habe?

Aber wenn er dessen auch gewiß wäre, so ists damit noch lange nicht getan. Eben der richtige Verstand, eben die scharfe Beurteilung, die ihn in der Wahl und Anordnung seines Stoffs leiten muß, damit das Werk erst in seiner eigne Seele ganz und lebendig dastehe, welches er dann mit Hülfe der Sprache auch in die Seele seines Lesers oder Zuhörers drücken will – eben dieser Verstand muß ihn auch im Gebrauch der Sprache, in der Wahl, Stellung und Verbindung der Wörter leiten (v. 87. u. f). Horaz überläßt sich hier der ersten Gelegenheit zu einer kleinen Abschweifung, wobei er mehr sein römisches Publikum als die Pisonen im Auge gehabt zu haben scheint. Er rechtfertigt den klugen und bescheidnen Gebrauch veralteter, die Veredlung niedriger, und die Erschaffung neuer Wörter u.s.w. und schließt mit einer Betrachtung, die einen Schriftsteller, der bei der Nachwelt fortzuleben wünscht, nicht aufmerksam genug auf seine Sprache machen kann, und, wenn er darin auch den höchsten Grad der Korrektheit erreicht hätte, ihm doch den Wunsch abnötigen muß, daß die Sprache, worin er geschrieben, ihn nicht lange überleben möge. Wäre die lateinische Sprache bis auf diesen Tag die Sprache Italiens geblieben: so würden Virgil und Horaz den Italienern vermutlich jetzt nicht verständlicher sein, als uns die Dichter aus Kaiser Heinrichs VI. Zeiten sind.

Nächst der Sprache pflegen junge und alte Dichterlinge in nichts nachlässiger zu sein, als in der Versifikation. Gerade was das Schwerste in der poetischen Kunst ist, scheint ihnen das Leichteste und Unerheblichste zu sein. Sie haben entweder gar kein Ohr für die mannigfaltigen Schönheiten, die durch die Bildung der Perioden, den Rhythmus, und die Wahl der Wörter mit Rücksicht auf Wohlklang und Harmonie der Töne mit dem, was sie ausdrücken sollen, entspringen: oder wenn sie recht viel zu tun glauben, so bemühen sie sich, ihre Verse fließend und wohlklingend zu machen, und lassen sich nichts davon träumen, daß auch die Versifikation ihre verschiedenen Tonarten hat, die den verschiedenen Stimmungen und Bewegungen der Seele entsprechen; – daß ein ernstvoller und schauerlicher Inhalt in leichten sanftfließenden Versen, oder eine traurige Wehklage in hüpfenden Daktylen den widrigsten Effekt macht – daß in allem diesem unzählige Fehler begangen und unzählige Schönheiten gewonnen werden können, und also unzählige Regeln zu beobachten sind, – und daß es oft nur ein Wort, ja nur ein einzelner Klang, ein A oder I ist, was die Musik einer ganzen Stelle verderbt. Die Unwissenheit geht bei vielen so weit, daß sie nicht einmal eine Vermutung davon haben, es könnte wohl in den verschiedenen Versarten eine besondere Beziehung auf den verschiedenen Inhalt und Ton eines Gedichts liegen; und es ist noch nicht lange, daß mir ein Lehrgedicht von 7 bis 8 Büchern, in der Versart der Hallerischen Ode: Freund, die Tugend ist kein leerer Name, zu Gesicht gekommen ist. Horaz berührt diese Materie, von V. 134–158, nur obenhin; und da es ihm mehr darum zu tun ist, ungeschickte und abgeschmackte Poeten lächerlich zu machen, als gute zu bilden: so beschließt er die wenigen allgemeinen Regeln, die er über so wichtige Punkte, als Ausdruck, Stil und Versifikation sind, gegeben hat, mit der positiven Erklärung: daß niemand an den Namen eines Dichters Anspruch machen könne, der in der Kunst, womit diese drei Stücke behandelt sein wollen, nicht Meister sei: und – indem er also die meisten Poeten seiner und der vorhergehenden Zeit (deren Nachlässigkeit in diesen Teilen der Kunst er so oft in seinen Werken rügt) geradezu für Pfuscher erklärt, bringt er den jungen Piso – den vielleicht die wenige Schwierigkeit, solche Verse zu machen, wie jedermann machte, verführt hatte, sich auch etwas zuzutrauen – auf die Reflexion: daß es doch wohl eine schwerere Sache um die Dichterkunst sein müsse, als er sich eingebildet.

In allem diesem war bisher noch mit keinem Worte die Rede von der dramatischen Dichtkunst. Aber, da die Schaubühne doch der vornehmste Tummelplatz derjenigen römischen Poeten war, gegen welche die Sarkasmen unsers Autors hauptsächlich gerichtet sind; und da (in unsrer Hypothese) auch der junge Piso vermutlich Anstalten machte, oder wenigstens große Lust zeigte, auf diesem Kampfplatze Siegeskränze zu erobern: so lenkt Horaz allmählich auf diese Seite, und spricht (v. 165–241) von einigen der wesentlichsten Regeln der dramatischen Dichtart, und von einigen der gröbsten und gewöhnlichsten Fehler, deren sich die Dichter, die damals im Besitze derselben waren, schuldig machten. Denn, wiewohl die Zeit alle ihre Werke längst verschlungen hat, und wir also die Anspielungen auf damals bekannte Werke, wovon man häufige Spuren in diesem Gedichte wahrzunehmen glauben kann, für uns verloren gehen: so ist doch aus der Art, wie er im Vortrag seiner Erinnerungen zu Werke geht, sicher zu schließen: daß es ihm in allem, was er von der Schaubühne sagt, weniger darum zu tun war, dem jungen Piso zu zeigen, wie er selbst gute Stücke machen könnte, als ihn von den Werken dieser Art, deren (wie jetzt unter uns) beinahe jeder Tag neue hervorbrachte, richtiger urteilen zu lehren.

Der Gang unsers Autors in diesem Diskurse hat (wie wir schon angemerkt haben) das Ansehen eines Spaziergangs, wobei man nichts anders beabsichtigt, als zu gehen; wo ein kleiner Abweg nichts zu bedeuten hat, und man bald bei einer schönen Aussicht stille steht, bald seitwärts ablenkt, um eine Blume zu pflücken oder der Kühlung eines schattenreichen Baumes zu genießen; wo immer der nächste Gegenstand, der in die Augen fällt, das Gespräch fortführt, und man doch am Ende, ohne zu wissen wie, sich auf einmal da befindet, wohin man wollte. Er verweilt bei keiner Materie lange genug, um die Wißbegierde zu befriedigen; bestimmt selten eine Regel genau genug, um ihre Anwendung für einen Schüler der Kunst leicht und sicher zu machen; kommt alle Augenblicke vom Besondern wieder aufs Allgemeine, und von der Schaubühne auf die Poesie überhaupt; übersieht aber, bei dem allem, keine Gelegenheit, den elenden Skribenten im Vorbeigehen etwas abzugeben. Auf diese Weise verfährt er von V. 165 bis zum 285sten, wo es endlich scheint, als ob es ihm Ernst werden wolle, seinen Schüler in die Geheimnisse der dramatischen Kunst einzuführen. Er berührt auch wirklich, besonders vom 337.–354. V., einige wichtige Punkte; aber, außer der schönen Skizze der vier Alter des Menschen (v. 294 bis 329), springt er bald wieder über alles weg, was einen Platz in einer Anweisung zur dramatischen Kunst (wenn es ihm darum zu tun gewesen wäre) verdient hatte, um sich bei den Pflichten des Chors zu verweilen, die den Römern aus den Tragödien der Griechen bekannt genug sein konnten; und nun verirrt er sich, aus Veranlassung des Chors, in eine Art von historisch-philosophierender Deduktion der Ursachen, wie und warum der Chor nach und nach das geworden sei, wozu ihn Äschylus gemacht; und wie aus dem Chor der ältesten Tragödien oder Bockgesänge das Satyrenspiel entstanden sei. Es würde, wenn Horaz eine Dichtkunst hätte schreiben wollen, unbegreiflich sein, daß er sich bei einer so unbedeutenden Art von kleinen Stücken länger verweilt, als bei der Tragödie und Komödie: aber ein Autor, der sich zu nichts anheischig gemacht hat, kann zu keiner Rechenschaft gezogen werden; und da er ein gewisses Ideal, wie dergleichen Satyri geschrieben sein sollten, im Kopfe hatte, so überläßt er sich eine Weile dem Gedanken, wie er selbst dabei zu Werke gehen würde, mit einem gewissen Wohlgefallen, worüber er zu vergessen scheint, daß er – nicht allein ist. Was er bei dieser Gelegenheit von der eignen Sprache, die er sich zu dieser Art von Kompositionen bilden wollte, sagt, ist vortrefflich, und kann einem Dichter, qui nasum habet, für gewisse komische Dichtarten brauchbare Winke geben; auch ist sehr zu bedauern, daß Horaz es bei der bloßen Vorstellung, was er in dieser Art hätte leisten können, bewenden lassen. – Aber was konnte es am Ende dem jungen Piso helfen, ihm von einer Dichtart zu sprechen, worin Horaz sich etwas zu leisten getraute, das alle Nachahmer zur Verzweiflung bringen sollte?

Unser Autor spielt so lange mit dieser Idee, daß er darüber wärmer wird, als wir ihn bisher gesehen haben; seine Laune nimmt zu, und es geht nun, fast ununterbrochen, mit einer sehr unterhaltenden Lebhaftigkeit über die schlechten Dichter her. Die freundschaftliche Warnung, die er ihnen (v. 466–481) in Betreff des Tons ihrer Satyrenspiele gibt, ist einer der schärfsten Hiebe, den die Satyrische Geißel je geführt hat; ich zweifle, ob es möglich wäre, den armen Teufeln in einem bittrer lachenden und verächtlichern Ton ihren Jammer vorzurücken, als in den sieben letzten Versen dieser Stelle geschieht. In dieser Laune kommt er unversehens auf die Versifikation zurück, wo er die Bosheit so weit treibt, den Herren Confratribus zu erklären, was ein Jambus sei (denn den jungen Pisonen hatte es doch wohl ihr Präzeptor gesagt), und, mit einem gewissen Unwillen über die Parteilichkeit der Römer gegen ihre ältern Dichter, ihnen überhaupt den Mangel eines für schöne Verse empfindlichen Ohres vorwirft, und ihre Nachsicht gegen den Abscheu ihrer Dichter vor der Feile und dem Ausstreichen für die vornehmste Ursache erklärt, warum sie – wiewohl ewige Nachahmer der Griechen – doch beinahe in allen Fächern der poetischen Kunst, besonders im dramatischen, so weit hinter ihren Vorbildern zurückblieben. Korrektheit ist, seiner Meinung nach, das wahre Sublime und die Vollkommenheit der Kunst, und er beschwört gleichsam die jungen Pisonen bei dem Glanz ihres Hauses (Vos, o Pompilius sanguis), kein poetisches Werk gelten zu lassen, das nicht durch unermüdeten Fleiß zur höchsten Politur, und zu einer ganz tadellosen Schönheit gebracht worden sei. Die Römer, meint er, legten zu viel Wert auf die bloßen Naturfähigkeiten, und zu wenig auf die Kunst; ein Gedicht könne ohne die letztere so wenig bestehen, als ohne die erstern; und was die Griechen so vortrefflich mache, sei: daß Genie, und Feuer in der Komposition, und Fleiß in der Ausarbeitung, bei ihnen immer vereinigt gefunden werde.

Diese ganze Stelle, vom 587. Verse bis zum 685., enthält die vortrefflichsten Vorschriften und Reflexionen über die Bildung des Dichters, über die ernsthaften Studien, die er zu machen habe, und wie viel dazu gehöre, ein Werk zu erschaffen, das seinen Urheber überlebe: aber alles ist so unordentlich durcheinander geworfen, daß die Freiheit und angenehme Nachlässigkeit des Briefstils nicht mehr zureichen will, den Dichter zu entschuldigen; und daß man beinahe auf den Gedanken kommen muß: er habe diese Unordnung mit Fleiß affektiert, um den jungen Piso durch die Menge und das Unzusammenhängende seiner Vorschriften zu verwirren, und das Gefühl der Schwierigkeit der poetischen Kunst selbst durch die Art seines Vortrags zu verdoppeln. Man könnte diese Vermutung, so seltsam sie klingt, um so glaublicher finden, weil bei aller dieser nicht bloß anscheinenden, sondern sehr reellen, und in einem eigentlichen didaktischen Gedichte unausstehlichen Unordnung, gleichwohl hier und da sehr deutliche Spuren eines gewissen feinen manège, und eines immer auf seinen Hauptzweck gerichteten Blicks, wahrzunehmen sind. Hätte er diesen Zweck gleich von Anfang, und überhaupt auf eine zu stark in die Augen fallende Art, merken lassen: so konnte er gewiß sein, daß er ihn verfehlen würde. Aber Horaz griff die Sache feiner an. Er bietet sich dem jungen Menschen, der vor Begierde den Musenberg zu ersteigen brannte, mit der gutherzigsten Miene zum Ratgeber und Wegweiser an. Er führt ihn einen Weg, dessen Länge und Beschwerlichkeit den Kühnsten stutzig machen könnte. Der junge Dichterling erschrickt; er hatte sich den Weg so kurz, so angenehm vorgestellt, sich von allen diesen Schwierigkeiten nichts träumen lassen. Er wird auf halbem Wege müde. Sein Wegweiser spricht ihm Mut ein, läßt ihn ein wenig ausruhen, bringt ihn unvermerkt an eine Stelle, wo sich das Ziel seiner Wünsche in der schönsten Beleuchtung darstellt, und ganz nahe zu sein scheint. Sie nehmen einen neuen Anlauf; aber der Weg wird immer länger, immer mühsamer; der schöne Tempel, der ihnen von Zeit zu Zeit in die Augen schimmerte, entfernt sich immer weiter: und der Führer, indem er den unmutigen Jüngling immer bei der Hand fortzieht, hat noch die Bosheit, ihn von den Gefahren zu unterhalten, denen sie ohne ein besonderes Glück vielleicht nicht entgehen werden; spricht ihm von den Sümpfen, in denen man sich leicht verlieren könnte, von den steilen Höhen, die noch zu ersteigen sind, von der Schande und dem Schaden, den sich dieser und jener, dem die nämliche Unternehmung mißlungen, zugezogen – und verläßt ihn endlich mitten in einem Walde, mit der Versicherung; daß es nun bei ihm stehe, ob er die Reise allein fortsetzen, oder (was am Ende doch wohl das Sicherste wäre) von seinem Vorhaben lieber gar abstehen wolle. – Dies ist ungefähr die Art, wie Horaz in diesem Briefe mit dem jungen Piso, dem er den Weg zum Pindus zeigen soll, verfährt. Von Zeit zu Zeit, wenn er ihn durch die Größe und Schwierigkeit seiner Forderungen niedergeschlagen sieht, scheint er ihm wieder Mut zu machen; spricht von der Regel der fünf Akten, die der elendeste Stümper so gut beobachten kann als ein Äschylus, als von einer Sache von der ersten Wichtigkeit – lehrt ihn trimetrische Jamben machen – spricht von Fehlern, die einem Dichter zu verzeihen sind, und daß man von der armen menschlichen Natur am Ende doch keine Vollkommenheit fodern könne, u. dergl. – und endigt endlich damit, ihn mit vieler Zeremonie auf die Seite zu nehmen, und unter der Versicherung, daß er ihm jetzt was sehr Wichtiges sagen wolle, überlaut ins Ohr zu sagen: es sei nichts Detestablers, als – ein mittelmäßiger Poet zu sein.

Von dieser Stelle (v. 685) fängt sich Horazens wahre Absicht bei seinem ganzen Diskurs über Dichtkunst und Dichter so hell aufzuklären an, daß man nur fortzulesen braucht, um sich selber ganz davon gewiß zu machen. Nach allem, was er bisher getan hatte, um seinen jungen Freund von den Schwierigkeiten der Musenkunst zu überzeugen, blieb diesem noch ein Weg übrig, sich selbst darüber Illusion zu machen. »Gut, konnt' er denken; dem mag freilich so sein; aber hab' ich denn auch nötig, gerade ein großer Meister in der Kunst zu sein? Ich mache Verse für mein Vergnügen. Zwanzig andre meines gleichen haben Tragödien und Komödien, Elegien und Jamben gemacht, ohne daß sie darum Anspruch an die Obermeisterschaft auf dem Parnaß machen wollten. Wenn nun auch meine Verse nicht die ausgefeiltesten sind! Genie ist doch immer mehr als Kunst. – Und dann nimmts auch nicht jedermann so scharf wie Horaz. Die Freunde, denen ich meine Versuche vorgelesen habe, sind doch sehr damit zufrieden gewesen. Ich habe die Wirkung mit Augen gesehen, die diese oder jene Stelle auf sie machte – u.s.w.« – Alle diese Polster, worauf der gute Piso sein beunruhigtes poetisches Gewissen ganz sanft wieder hätte einschläfern können, zieht ihm nun Horaz eines nach dem andern sachte unter dem Kopfe weg. Gegen die Urbanität, womit er dabei zu Werke geht, ist nicht ein Wort einzuwenden. Er beweist ihm sogar in einer schönen Deduktion (v. 731–72), daß er über seine Liebe zu den Musen auf keine Weise zu erröten brauche: aber genug, daß er ihm auch nicht die mindeste Möglichkeit übrig läßt, durch irgend ein Schlupfloch zu entrinnen. Nicht das kleinste Gelegenheitsgedichtchen wird ihm gestattet. Man hat eine zu große Meinung von seinem Verstande, als daß er jemals die Schwachheit sollte begehen können, die verächtliche Schar der mittelmäßigen Poeten vermehren zu wollen. Wenn er aber jemals etwas schreiben sollte: so wird ihm geraten, sich ja vor den treulosen Freunden zu hüten, woran es den Dichtern, die an Renten reich sind, nicht fehlen könne! Er soll die strengsten Richter zu Rate ziehen, und seine Arbeit neun Jahre in seinen Pult verschließen, um das unschätzbare Recht, wieder auszulöschen, ja nicht zu früh aus den Händen zu lassen. Mich deucht, wenn man nur einen Augenblick überlegt, wie angelegen sichs Horaz sein läßt, seinen jungen Freund vor den gefälligen Herren zu warnen, die mit ihrem pulchre! bene! recte! so freigebig sind; wie sehr er ihm die unbarmherzigste Kritik empfiehlt; wie oft er immer mit neuen Wendungen, mit neuen Beweggründen auf den Punkt des Ausstreichens zurückkommt: so muß man mit Händen greifen, daß er Ursache zu haben glaubte, ein großes Mißtrauen in seine Fähigkeiten zu setzen. So ängstlich warnt man niemand, von dessen Talente man sich jemals etwas Gutes verspricht. Auch gibt Horaz, im Lauf des ganzen Stücks, nicht ein einzigmal nur mit einem Worte zu verstehen, daß er sich etwas von dem jungen Piso verspreche. Er sieht nichts für ihn als die Gefahr zu Schanden zu werden; und, um ihm von dieser Schande einen tiefen Eindruck zu lassen, geht er noch, zum Schlusse, so lieblos mit den elenden Poeten um, daß der junge Piso schlechterdings zu den unheilbaren gehört haben müßte, wenn er, nach Lesung einer solchen Manuduktion zur poetischen Kunst, noch die mindeste Lust behalten hätte, an eine Stelle auf dem Helikon Anspruch zu machen.

Möchte doch auch diese Übersetzung, oder, um ihr ihren rechten Namen zu geben, diese Paraphrase so glücklich sein, die nämliche Wirkung bei allen seines gleichen unter uns hervorzubringen! Immer wäre dies der größte Nutzen, den der Brief an die Pisonen schaffen könnte. Horaz zielte schwerlich einen andern ab. Seine Art, mit dem jungen Piso zu verfahren, ist die einzige, wie mit jedem angehenden Dichter verfahren werden sollte. Läßt er sich dadurch niederschlagen, desto besser! Fährt er demungeachtet fort, so ist es ein unfehlbares Zeichen, daß er – entweder zum Dichter – oder zum Narren geboren ist.


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