Horaz
Horazens Briefe
Horaz

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Zwanzigster Brief
An sein Buch

Einleitung

Es ist ein zweideutiger Vorzug der Leute von Verstand, daß sie in allen menschlichen Dingen klärer sehen als andere, und demungeachtet im Leben selbst selten klüger handeln, als die andern denken. Es ist wahr, wenn diese und jene einerlei tun, so ists drum nicht einerlei: aber wenn der Mann von Verstand und der Sot einerlei Sottise begehen, so ist der Nachteil augenscheinlich auf des erstern Seite. Denn was hilfts ihm am Ende, daß er nur eben so viel Weisheit hat, um sich bei den Sottisen, die er macht, gerade das Beste, nämlich die Selbsttäuschung, wegzuräsonieren? – diesen süßen und tröstlichen Wahn, lauter löbliche, gute und verdienstliche Taten getan zu haben, – der das Völklein, das im Nebel wandelt, (gleich dem Wahnsinnigen, der sein zerlumptes Hemde für einen königlichen Mantel ansieht) mit der wonniglichsten Selbstzufriedenheit erfüllt!

Von dieser Seite (wir können's nicht leugnen) sind die Vorteile der Toren vor den Weisen unermeßlich. Um die Anwendung hier bloß auf die Schriftsteller zu machen: wie viel hat nicht, in dieser Rücksicht, der mittelmäßige und elende Skribent vor dem guten voraus? Jener weidet sich nicht nur an dem betrügerischen Bewußtsein seines Eigendünkels; er genießt auch in vollem Maße des eingebildeten Danks und Beifalls der Welt, um die er sich mächtig verdient gemacht zu haben glaubt. Jedes erschlichene, erkaufte oder erbettelte öffentliche Lob, jedes Kompliment, das ihm von gefälligen Freunden oder demütigen Klienten, oder von noch elendern Skribenten, als er ist, gemacht wird, ist ihm ein vollgültiges Zeugnis seines wohlerworbenen Ruhms, und ein sicheres Pfand der literarischen Unsterblichkeit. – Der gute Schriftsteller, wenn er auch alles getan hat, was er schuldig war, hält sich noch immer für einen unnützen Knecht, sieht sich immer unter der Vollkommenheit, der er nachgestellt hat, und gelangt also nie zu der Befriedigung, etwas hervorgebracht zu haben, das ihm selbst Genüge täte. Dies allein wäre hinlänglich, ihm den wenigen flüchtigen Genuß zu verbittern, den der Beifall, der ihm etwa hier und da zugeklatscht, zugelächelt, zugenickt und zugegähnt, – zuweilen auch von den Bileamen, die lieber fluchen möchten, zugegrinst wird, – seiner Eitelkeit hätte gewähren können. Zu allem Überfluß kommt noch die leidige Durchsichtigkeit hinzu, in welcher die menschlichen Dinge, gleich dünnen wesenlosen Schatten, vor seinen Augen herumflattern, und das fatale Wissen, was jenes Klatschen, Lächeln, Nicken und Grinsen eigentlich bedeute! Nichts von dem allem macht ihm Illusion. Er kennt die Welt zu gut, um sich einzubilden, daß, was ihm wichtig genug war, um eine Zeitlang seine Existenz zu verschlingen, nun auch ihr wichtig sein werde; und er ist zu billig, um den Menschen Beständigkeit in ihren Urteilen und Neigungen, oder Dankbarkeit für ungebetene Dienste, zuzumuten. Er weiß zu wohl, wie alles ist und warum es so ist, um sich das mindeste auf einen Beifall einzubilden, den er mit so vielen Unwürdigen teilt – von dem er weiß, wie leer, eingeschränkt und unbeständig er ist, wie wenig davon wahres Gefühl oder Einsicht ist, wie viel bloß dem Augenblick der Neuheit, zufälligen Nebenumständen, dem Einfluß derer, die hier und da den Ton angeben, der Eitelkeit der Leser, und hundert andern Ursachen dieses Schlags beizumessen ist; und wie bald ihm eben dieser jetzt vielleicht noch so schwärmerische Beifall, von dem ersten besten, der aus einem andern Tone spielt, oder ein paar Daumen höher springt und mehr entrechats in einer Sekunde macht, wieder entzogen werden kann. Kurz, er hat den unglücklichen Vorteil, seinem Werke – das ihm denn doch, mit allen seinen Mängeln, als sein eigen Fleisch und Blut, lieb ist – sein ganzes Schicksal so genau vorhersagen zu können, daß seiner Eigenliebe von allem, was sie dabei hätte gewinnen sollen, kaum so viel übrig bleibt, als die Kosten und Schaden eines einzigen hämischen Urteils übertragen mag: und bei allem dem begeht er wissentlich die Torheit, und publiziert sein Werk doch!

Unser Dichter scheint, da er im Begriff war, das erste Buch seiner Episteln in die Welt zu schicken, alles dies sehr lebhaft voraus gefühlt zu haben: aber die Art, wie er sich durch diesen launevollen Epilogus an sein Buch aus der Sacht zieht, ist eine neue Probe, daß er eine Sottise, die er nicht lassen konnte, wenigstens mit der besten Art, die sich nur denken läßt, zu machen wußte. Es ist in einem solchen Falle, wo man sich selbst mit so vollkommner Gewißheit eine so leidige Nativität stellen kann, eine Art von Genugtuung, die man sich gegen das Publikum gibt, wenn man ihm zeigt, daß man wenigstens nicht der Betrogene im Spiele sei, sondern, weils nun doch einmal verloren sein müsse, mit fröhlichem Mute verlieren wolle.

Die Wendung, welche Horaz in diesem Epilogus genommen hat, um seiner kleinen Eitelkeit diese Befriedigung zu verschaffen, mit der Laune, die in der ganzen Ausführung herrscht, macht es in meinen Augen zu einem der feinsten und witzigsten kleinen Stücke des ganzen Altertums. Das bekannte Bild, um das Verhältnis eines Autors zu seinem Werke zu bezeichnen, das Bild von Vater und Kind, ist darin mit einem andern, welches die Schicksale eines Buchs andeutet, insofern es durch die Publikation der beliebigen Behandlung, den Launen, Lüsten und Mißhandlungen des Publikums Preis gegeben wird, gar fein verschlungen, und in die passendste Allegorie ausgewebt. Alle Ausdrücke sind von einem armen, aber ehrlichen Vater entlehnt, der seinem leichtsinnigen Mädchen, – das der Einsperrung und Eingezogenheit in dem väterlichen Hause überdrüssig ist und sein Glück in der Welt versuchen möchte, – als ein Mann, der den Lauf derselben besser kennt, als das unerfahrne Ding, von Stück zu Stück vorhersagt, wie es ihr ergehen werde.

Baxter hat diese Dilogie, wie ers nennt, (die auch zuvor schon dem Torrentius nicht unbemerkt geblieben) von Schritt zu Schritt verfolgt; ein Vergnügen, welches wir diesmal lieber dem Leser sich selbst zu geben überlassen wollen. Geßner – dessen Kopf zu dieser Art von Pläsanterien nicht gestimmt war, und dem sie vielleicht nicht so unschuldig vorkam, als sie wirklich ist – wird über die Freude, welche Baxter daran hat, beinahe ungehalten. Tota haec dilogia mihi non placet, sagt der gute Mann. Indessen ist sie nun einmal im Original, und die Delikatesse, womit die ganze Allegorie nüanciert ist, gleicht dem schönsten Gewande, womit jemals die Grazien einen Lysippus gelehrt haben, die keusche Schönheit der Natur, wie mit einem zarten Nebel, zu bekleiden. Desto schlimmer für den, welchen bei einem solchen Anblick sein Auge ärgert! Er mag es ausreißen, wenn er will: aber das schöne Werk der Natur und Kunst soll er uns unverhudelt lassen!


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