Horaz
Horazens Briefe
Horaz

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Das erste, Freund, wo nicht das einzige,
das glücklich machen und erhalten kann,
ist nichts bewundernDie gelehrte Schatzkammer des Lambinus könnte mich zur Erläuterung dieses Briefs mit einem schönen Vorrat versehen. Seine Belesenheit oder seine Collectaneen lassen ihn nicht leicht im Stich, wenn dem Horaz ein Wort oder Spruch entfährt, wobei ihm eine ähnliche oder unähnliche Stelle aus irgend einem griechischen Philosophen oder Dichter einfällt. Sein sei also alle Ehre, die mir aus folgender Zitation des Pythagoras und Plato hätte erwachsen können und die Anwendung davon das einzige, was ich mir vorbehalte. Pythagoras nämlich soll (wie Plutarch in seinem Traktat περὶ ακούειν etc. versichert) gesagt haben, er hätte dies der Philosophie zu danken, daß er nichts bewundre. Plato hingegen, der Gott der Philosophen, wie ihn Cicero nennt, sagt in seinem Theätetus mit klaren Worten: Es sei keine philosophischere Leidenschaft als Bewundern; denn vom Bewundern fange alle Philosophie an. Wie reimt sich nun dies zusammen? – Sehr gut, deucht mich. Es ist klar, daß sich die beiden Philosophen nicht widersprechen. Der eine fängt mit Bewundern an, der andre hört mit Nichtbewundern auf. Jenen reizt die Bewunderung, den Gegenstand zu betrachten, zu untersuchen, zu ergründen; und sobald er ihn genau kennt und begreift, wie und warum das Ding so ist, wie es ist, so begreift er, daß es, wenn es sein sollte, gerade so sein mußte. Während dieser Operation stirbt die Bewunderung ab – gerade wie die Leidenschaft eines Liebhabers ersterben würde, wenn man ihm seine Schöne vorzergliederte – und da ist nun der ehemalige Bewunderer auf dem nämlichen Punkte, wo Pythagoras am Ende seines Philosophierens war. Das einzige, was man diesem letztern (weil doch das Αυτὸς έφα bei uns nicht mehr gilt) zum Vorwurf machen könnte, ist: daß er die Grenzen seiner Kenntnisse zu den Grenzen der Natur und Kunst zu machen scheint: denn diese hatten doch wohl keine Schuld daran, wenn ihm am Ende seines Lebens nichts mehr zu bewundern übrig blieb.

Doch, es wäre nicht artig, wenn wir länger mit einem Worte spielen wollten, um Zitationen und Gelehrsamkeit auszukramen. Wenn Plato das Bewundern (τὸ θαυμάζειν) einen philosophischen Affekt nennt, so denkt er was ganz anders dabei, als Horaz, wenn er das Nichtbewundern zur Bedingung der Glückseligkeit macht. Die Platonische Bewunderung ist, wie die Platonische Liebe, eine Leidenschaft, die sich weder lehren noch auf andre Weise mitteilen läßt. Man muß von der Natur ausdrücklich dazu organisiert und gestimmt sein: und nur sehr wenige Sterbliche sind so glücklich organisiert und so rein gestimmt. Die Bewunderung hingegen, die uns Horaz verbietet und wovon uns die Weisheit heilt, ist die Leidenschaft, womit Kinder, und alle Menschen ohne Ausnahme, die am Verstande Kinder geblieben sind, ihrer Unwissenheit und Sinnlichkeit wegen, alles anstaunen, was glänzt, und was bunt, ungewöhnlich, oder sonst in ihren Augen herrlich und begehrenswert ist; und da diese Leidenschaft bei ihnen nicht etwa den edeln Trieb, die Sache philosophisch zu untersuchen, sondern bloß eine heftige Begierde sie zu besitzen erzeugt: so ist klar, daß nichts bewundern für die Gemütsruhe und Zufriedenheit eines Menschen eine sehr ersprießliche Sache, und, vorausgesetzt, daß es die reife Frucht der Weisheit, und nicht bloße mechanische Wirkung von Dumpfheit oder Gefühllosigkeit sei, wenigstens in den Jahren des Schreibers dieser Epistel und seines Übersetzers, ein sehr wünschenswürdiger Zustand ist.

. Wenn es Leute gibt,
die diese Sonne selbst und diese Sterne,
dies große Uhrwerk der Natur, wodurch
die Zeiten sich in ew'gem Kreise drehen,
gesetzt und ohne Schauder ansehn könnenDie abergläubische Furcht vor den Gestirnen, vor Sonnen- und Mondsfinsternissen, und vor jedem nicht ganz gewöhnlichen Meteor, war eine Krankheit der Einbildung, womit alle alten Völker, und die Römer so sehr als die rohesten Barbaren, behaftet waren, und worin sie durch die Religion des Staats selbst, aus politischen Ursachen, unterhalten wurden. Denn bei den Griechen und Römern war es gar keine Frage: »ob es erlaubt sei, das Volk zu seinem eignen Besten zu hintergehen?« und sie würden sich begnügt haben, dem, der diese Frage aufgeworfen hätte, mit der Gegenfrage zu antworten: ob es erlaubt sei, den Rand eines Arzneibechers für Kinder mit Honig zu bestreichen? – Die römischen Geschichtschreiber sind, bekanntermaßen, voll von Beispielen dieser abergläubischen Denkart ihrer Nation. Noch in Augusts Zeiten, wo die Irreligion unter einer gewissen Klasse vielleicht so gemein war, als in der unsrigen, herrschte gleichwohl der Aberglaube unter dem großen Haufen mehr als jemals, und August selbst war nicht frei von den lächerlichsten Symptomen dieser SchwachheitWenn ihm sein Kammerdiener des Morgens den rechten Fuß von ungefähr in den linken Schuh setzte, hielt ers für ein sehr böses Anzeichen (ut dirum). Sueton. in Aug. c. 92.. Ein Komet, eine Sonnenfinsternis, ein Ring um die Sonne, eine leuchtende Kugel, die durch die Luft fuhr, war genug, das ganze Volk in zitternde Erwartung irgend eines großen Unglücks zu setzen. Die Philosophen, welche durch physische und astronomische Kenntnisse von diesen eingebildeten Übeln frei waren, wurden (wie noch immer geschieht) von den guten Seelen, die im Glauben lieber zu viel als zu wenig tun wollen, für Leute, die keine Religion hätten, angesehen. Aber Horaz dachte wohl wenig daran, ihnen deswegen, wie Torrentius meint, hier einen Stich geben zu wollen. Er schließt bloß ad hominem, vom Großen aufs Kleine: einem Manne, der die Sonne selbst, eine so mächtige und furchtbare Gottheit in den Augen der meisten Erdbewohner! mit kaltblütiger Ruhe beobachten kann – wie klein und kindisch müssen dem die Gegenstände der heftigsten menschlichen Leidenschaften vorkommen? Mit welcher Gleichgültigkeit wird er einen Klumpen Goldes, eine in schimmernde Steinchen gefaßte und mit großen Perlen behangene Metella, oder den Beifall des Volks, der einem Gladiator, einem Gaukler, eben so laut als dem verdienstvollesten Manne zugeklatscht wird, ansehen?:
Wie meinst du wird ein solcher Mann die Schätze
der Erde und des Meers, ein Klümpchen Gold,
ein Häufchen runder Perlen, oder, wie
den lauten Beifall, Gauklern, Fechtern, Sängern
im Zirkus oder Schauspiel zugeklatscht,
und was der Ehrgeiz von der Volksgunst betteltUngeachtet bekannt genug ist, daß August bei der großen Veränderung, die er in der Verfassung des römischen Staats machte, die ganze Fassade des alten republikanischen Gebäudes stehen ließ: so muß es doch als etwas Sonderbares auffallen, daß Horaz in diesem Briefe überall, wo er die politische Verfassung Roms berührt, gerade so davon spricht, als ob er ein halbes Jahrhundert früher gelebt hätte. Die höchsten Ehrenstellen im Staat heißen ihm amici dona Quiritis; alles kommt auf die Volksgunst an, und der gemeinste Bürger ist noch von solcher Wichtigkeit, daß dieser oder jener, den man nicht dafür ansehen sollte, die Mehrheit der Stimmen in den Zunft-Komitien, auf welche Seite er will, lenken kann – Cuilibet is fasces dabit. Von Kaiser August und seinem alles überwiegenden Ansehen und Einfluß ist so wenig die Rede, als ob damals gar kein solcher Mann existiert hätte. Mich wundert, daß diese anscheinende Unfüglichkeit keinem Ausleger bemerkenswert geschienen hat. Mir ist sie stark genug aufgefallen, um der wahrscheinlichen Ursache nachzuforschen; und ich glaube, der Knoten löse sich, durch folgende Darstellung der öffentlichen Angelegenheiten in den Zeiten, da dieser Brief geschrieben wurde, auf eine sehr befriedigende Weise auf.

Octavianus hatte, nachdem er durch den Tod des Antonius zum ruhigen Besitz der vollen Autokratie im römischen Reiche gelangt war, einem Plan zufolge, den der Abbé de la Bléterie in seinen bekannten Dissertationen sehr gut entwickelt hatV. Mémoir. de Littérat. T. XXXI. p. 234. seq. und die ganze Folge von Abhandlungen über die Gewalt der Kaiser in verschiednen folgenden Teilen dieser Sammlung., dem Senat und dem Volke alle von ihm empfangene triumviralische Gewalt zurückgegeben, und die Römer dadurch, dem Scheine nach, oder auf einen Augenblick wenigstens, in den vollständigen Besitz ihrer alten Freiheit zurückgesetzt. Nun machte zwar der Senat (dessen größter Teil aus Geschöpfen seiner eignen Hand bestand) und das Volk, welches von einer ganz schwärmerischen Leidenschaft für ihn besessen war, keinen andern Gebrauch von dieser Freiheit, als daß sie ihm alles, was er ihnen so großmütig geschenkt hätte, auf einmal wiedergeben wollten. Octavianus aber, oder, wie er nun hieß, Augustus, zu vorsichtig, die monarchische Gewalt, den eifrigsten Wunsch seines Herzens, auf einen so sandigen Grund zu bauen, hielt es für sichrer, sich alle Zweige derselben nach und nach wiedergeben zu lassen; und nahm damals, nach langem Widerstande, außer der tribunizischen Gewalt, die er schon hatte, nur die konsularische (wie gewöhnlich) auf ein Jahr, und die Oberfeldherrnstelle auf zehn Jahre an: mit dem ausdrücklichen Vorbehalt, solche noch eher niederzulegen, wenn die ihm zugeteilten Provinzen in kürzerer Zeit vollkommen beruhigt werden könnten.

Seit dieser Zeit schien nun alles wieder in Rom seinen gesetzmäßigen Gang zu gehen: der Senat in sein altes Ansehen, das Volk in alle seine hohen Vorrechte wieder eingesetzt. Das letztere hielt seine Comitia, wie in den Zeiten der Scipionen und Paul-Ämile, wählte Zunftmeister, Ädilen, Prätoren und Konsuln; kurz, die Römer wähnten noch immer Römer zu sein, und sahen in August, der hinter der Szene alle Faden des ganzen Puppenspiels in der Hand hatte, nur den Schutzgott ihrer Freiheit, den Wiederhersteller des Friedens und der allgemeinen Glückseligkeit.

Aber konnte der furchtsame August – bei allen seinen Kunstgriffen die Augen der Römer so zu bezaubern, daß sie nicht sehen wollten, was sie sogar mit Händen greifen konnten – konnte er hoffen, daß eine so grobe Täuschung von langer Dauer sein werde? Daß seine Mitbürger nicht über Nacht nüchtern genug werden könnten, um zu merken, daß ein Mann, der die Würden eines Fürsten des Senats, eines Oberzunftmeisters, eines Konsuls, und eines Oberfeldherrn mit unbeschränkter Gewalt, in seiner Person vereinigte, alles im Staat könne, was er wolle; daß die Republik ein bloßer Name, und der Sohn des Ratsherrn C. Octavius und der Dame Atia, ohne den Namen eines Königs, im Grunde so gut König über Rom, Italien und das ganze Reich sei, als der König von Kappadozien über seine Sklaven?

Eine solche Bemerkung, wenn sie bei abgekühltem Blute von dem größern Teile der Römer gemacht worden wäre, konnte gefährlich werden. August mußte also einen neuen Schritt tun, neue Blendwerke machen, um die Täuschung zu verstärken; und wenn ers gar so weit bringen könnte, daß die Römer durch neue Erfahrungen fühlbar überzeugt würden, die alte Freiheit ihrer Vorfahren sei kein Gut mehr für sie, und es sei also immer noch am besten getan, die gemeine Wohlfahrt einem so milden und weisen Regenten, wie August sich seit dem Ende des Triumvirats bewiesen hatte, gänzlich anzuvertrauen: so glaubte er (und betrog sich nicht in seiner Meinung), daß sogar eine noch ausgedehntere und unumschränktere Gewalt, als diejenige, in deren Besitz er schon war, nichts Verhaßtes mehr haben würde.

Zu diesem Ende dankte August, im Jahre 731, das Konsulat, welches er nun neun Jahre hinter einander geführt hatte, feierlichst ab; und so groß war noch immer der Begriff, den die Römer mit dem Namen eines Konsuls verbanden, daß August durch die Ablegung dieser Würde, ungeachtet er noch unter vielen andern Titeln Meister von der Republik blieb, in ihren Augen in den Privatstand zurückgetreten war. Zwar überfiel bald darauf, bei der großen Not, in welche die Stadt durch epidemische Seuchen, Ergießung der Tiber und Mangel an Lebensmitteln gesetzt wurde, die Römer eine große Reue, daß sie diese Abdankung angenommen hatten; und zu Vergütung der Sünde, die sie dadurch an dem göttlichen August begangen zu haben glaubten, wollten sie ihm die höchste Würde eines immerwährenden Diktators mit Gewalt aufdringen. Aber August erinnerte sich an das Schicksal seines Groß-Oheims, und lehnte diese Wirkungen einer unmäßigen Aufwallung auf eine solche Art von sich ab, die ihn noch mehr zum Abgott des Volks machen mußte. Nun konnte er zwar (und wollte auch gewißlich nicht!) die Entschädigung nicht gleichfalls von sich weisen, die ihm das Volk dafür aufzwang: aber um zu zeigen, wie sehr es sein Ernst sei, die Freiheit der Republik durch alle die Vorrechte, womit man ihn überhäuft hatte, nicht zu beschränken, entfernte er sich im Jahre 732, unter einem scheinbaren Vorwand, aus Italien, und brachte beinahe drei Jahre in Sizilien, Griechenland und Asien damit zu, die Majestät des römischen Namens in den Provinzen dieses weitläufigen Reichs und unter den auswärtigen Nationen auf eine Art zu behaupten, die zu gleicher Zeit seinen Ruhm befestigte, und der Welt darüber, wer eigentlich ihr Beherrscher sei, keinen Zweifel übrig ließ.

Diese drei Jahre, da die Stadt Rom seiner Gegenwart beraubt und gleichsam sich selbst überlassen war, können in gewissem Sinne als die letzten angesehen werden, worin die Römer der Illusion, noch frei zu sein, wirklich genossen; und wo ein Ausländer, der, ohne von der wahren Lage der Sache unterrichtet zu sein, in diese Hauptstadt der Welt gekommen wäre, wenig oder nichts von der Veränderung, die seit 25 Jahren mit ihr vorgegangen war, hätte gewahr werden können. August selbst hatte seine geheime Absicht, warum er sie in diesem berauschenden Freiheitswahne nicht stören wollte; und sein ganzes Betragen in Rücksicht auf die innern Angelegenheiten Roms während dieser langen AbwesenheitLa Bléterie, III. Mémoire sur la Nature du Gouvernement Romain etc. au Tom. XL. des Mémoir. de Littér. p. 233. seq. würde unerklärbar sein, wenn man nicht annähme, daß er die Römer bloß deswegen sich selbst überließ, um ihnen zu zeigen, wie wenig sie seiner entbehren könnten. Der Erfolg rechtfertigte die Politik seines Betragens; und er erreichte seine Absicht, ohne daß er sich die mindeste Bewegung dabei zu geben schien, aufs vollständigste.

Die Römer, die schon zu lange verlernt hatten durch den bloßen Respekt der Gesetze in Schranken gehalten zu werden, bedienten sich der Freiheit der Komitialversammlungen und des Wahlrechts ihrer höchsten Obrigkeiten auf eine so übermütige und tumultuarische Art, daß die Stadt in Faktionen geteilt und mehr als einmal durch gewaltsame Ausbrüche in Gefahr gesetzt wurde. Aber so groß war in diesen Augenblicken die Täuschung des Freiheitswahns: daß ein gewisser Egnatius Flaccus, durch die bloße Gunst, in die er sich als Ädilis beim Volke gesetzt hatte, gegen alle Ordnung die Prätur erhielt und unmittelbar nach Verfluß derselben durch eben dieses Mittel das Konsulat an sich zu reißen suchte, ohne sich um die Folgen der aufrührischen Szenen, die er dadurch veranlaßte, zu bekümmern – daß der damalige Konsul Sentius Saturninus, der sich diesen widergesetzlichen Anmaßungen mit einer Standhaftigkeit und einem Ernst, die der alten Zeiten würdig warenVellei. L. II. c. 92., entgegensetzte, kein Bedenken trug öffentlich zu erklären: wenn Egnatius auch vom Volk erwählt würde, so werde er doch nie dahin gebracht werden, die Wahl für gültig zu erkennen und auszurufen – daß eben dieser Saturninus die Kandidaten zur Quästur, die er als unwürdig ausgeschlossen hatte, und die, ohne sich daran zu kehren, in ihren Bewerbungen beim Volke eifrig fortfuhren, ganz im Ton eines altrömischen Oberhaupts der Republik, mit den Strafen, wozu ihm das Konsulat die Macht gebe (consulari vindicta), bedrohte – und daß der Senat, als es mit den Egnatianischen Unruhen ernsthafter zu werden anfing, dem Saturninus den altrepublikanischen Auftrag, videret consul ne quid res publica detrimenti capiat, machte, wodurch ihm eine außerordentliche Gewalt übertragen wurde, die keine andre Grenzen hatte, als sein eignes Urteil über das, was zum Heil des Staats notwendig sei.

Diese Tatsachen beweisen, deucht mich, sehr einleuchtend, daß weder das Volk, noch Egnatius, noch Saturninus, noch der Senat, in den Augenblicken, da sie so handelten, sich erinnerten, daß sie einen Oberherrn hätten. – Die Täuschung konnte zwar nach so heftigen Zuckungen nicht lange mehr dauern: aber genug, sie hatte doch etliche Jahre gedauert; und, da der gegenwärtige Brief (nach Bentleys wahrscheinlicher Berechnung) nicht vor dem Jahre 73 5 geschrieben ist; so erläutert sich durch das bisher Gesagte, warum Horaz von den allvermögenden Wirkungen der Volksgunst, und von der Art, sich um die höchsten Ehrenstellen zu bewerben, in einem Tone spricht, der nur wenige Jahre später nicht mehr schicklich gewesen sein würde. Damals, da er so sprach, paßten seine Ausdrücke sehr gut zu dem, was vor seinen Augen geschah: und es sei nun, daß er selbst durch das Blendwerk von Freiheit, womit August die Römer zur Vollendung seines ehrgeizigen Plans anköderte, hintergangen wurde: oder (welches eher zu glauben ist) daß er scharfsinnig genug war, den leisen und geheimen Gang dieses Meisters in den schlauesten Wendungen der Staatskunst von ferne zu wittern: in beiden Fällen war die Art, wie er sich ausdrückte, für den Augenblick schicklich welches alles ist, was ich mit dieser historischen Erläuterung beweisen wollte.

,
mit welchem Sinne, welchen Augen wird
er solche Dinge ansehn? – Wer das Gegenteil
von ihnen fürchtet, und wer vor Begier
sie zu besitzen brennt, sind beide am
Bewundrungsfieber krank, und werden beide
von einerlei Gespenst geschreckt. Ob einer
an Freude oder Traurigkeit, an Furcht
sein alles zu verlieren, oder an Verlangen
    Nil admirari prope res est una, Numici,
solaque quae possit facere et servare beatum.
Hunc solem et stellas et decedentia certis
tempora momentis, sunt qui formidine nulla
<5> imbuti spectent: quid censes munera terrae,
quid maris, extremos Arabas ditantis et Indos?
Ludicra quid, plausus, et amici dona Quiritis?
Quo spectanda modo, quo sensu credis et ore?
Qui timet his adversa, fere miratur eodem
<10> quo cupiens pacto: pavor est utrobique molestus,
improvisa simul species exterret utrumque.
nach allem, was ihm mangelt, krank ist – was verschlägts,
wenn, was er über oder unter seiner Hoffnung
erblickt, sein starrend Auge fesselt
und, wie durch Zauber, ihn an Seel und Leib betäubt?

Der Weise zieht den Namen eines Toren
sich zu, und Aristid wird ungerecht,
sobald sie selbst die Tugend weiter treiben,
als eben recht ist. Geh nun, staune Silber
und Marmorbilder an von alter Kunst,
bewundre mir Korinthische Gefäße,
und Edelsteine und Sidonsche Zeuge
von hohen FarbenHoraz faßt hier alles zusammen, worauf die Reichen damals erpicht waren. Ihre Pracht und Verschwendung in kostbarem Silbergeschirr übersteigt beinahe die Einbildungskraft. Ein paar Jahrhunderte zuvor war noch so wenig Silber in Rom, daß die vornehmen Leute einander ihr Silbergeschirr liehen, wenn ein großes Gastmahl auszurichten war. Die Römer leben doch recht vertraulich unter einander, sagten einsmal die Gesandten von Karthago: wir haben nach und nach in ganz Rom herum gespeist, und überall auf dem nämlichen SilberPlin. Hist. Nat. L. XXXIII. c. 11.. Aber seitdem Scipio Africanus die Beute von Karthago und Numantia, und Lucius Scipio die Schätze Antiochus des Großen nach Rom gebracht, hatten sich die Sachen sehr geändert: und man sah jetzt mehr Silber und Gold auf der Tafel und den Schenktischen eines einzigen vornehmen Römers, als ehemals in der ganzen Republik aufzutreiben gewesen wäre. Man wetteiferte nun, es einander an Schönheit der Stücke zuvorzutun, und man ging endlich so weit, daß an Werken eines Akragas oder Mys, auch nachdem die Zeit beinahe alle Spur des Meißels daran ausgelöscht hatte, der bloße Name des Künstlers mit schwerem Gelde bezahlt wurde. Schon L. Crassus, der berühmte Redner, hatte silberne Gefäße, wovon ihm das Pfund hundert und sechs und sechszig Taler kostete, und ein Paar von dem Künstler Mentor gearbeitete Becher, die er mit mehr als viertausend Talern bezahlt hatte. Etwas später wurden zwei Becher mit erhabnen Figuren, von der Arbeit des Zopirus, um fünftausend Taler verkauft. Auch in der Größe der Gefäße stieg die Pracht immer weiter, bis Drusillanus Rotundus, ein Leibeigner des Claudius, den Übermut so weit trieb, eine Schüssel von 500 Pfund, und noch acht kleine, jede von funfzig Pfund, gießen zu lassen, zu deren Verfertigung eine eigne Werkstatt erbaut werden mußte. Noch höher als Gold selbst wurden die Trinkgeschirre und andre Gefäße geschätzt, die aus dem sogenannten Korinthischen Erz von berühmten alten Meistern verfertigt waren: und die eleganten Herren dieser Zeit wußten sich sehr viel auf die Feinheit ihres Geschmacks in Unterscheidung des Alters und der Echtheit solcher Stücke, und der Hand des Meisters, dem sie zugeschrieben wurden; wiewohl ihre Einbildung das meiste dabei tatMihi maior pars eorum simulare eam scientiam videtur ad segregandos se a ceteris magis, quam intelligere aliquid ibi subtilius, Plin. L. XXXIV. c. 2. Wie es noch immer zu gehen pflegt!.

Die Leidenschaft der Römer für Edelsteine, Trinkgeschirre aus Onyx mit erhabnen Bildern, Juwelen und Perlen u. s. w. schrieb sich von den Zeiten her, da Pompejus seinen Triumph über den Mithridates hielt, und stieg in kurzem auf eben den Grad von Ausschweifung, wie alle übrige Zweige ihres ungeheuern Luxus. Man mußte goldne Betten und einen edelsteinernen Hausrat (wie Seneca sich ausdrücktEp. 110.) haben, um sich über das Gewöhnliche zu erheben. Unter den kostbarsten Trinkgeschirren, die in diesen Zeiten Mode waren, findet man auch häufig einer Gattung erwähnt, welche sie Murrhina nannten, und die man, bei dem wenig befriedigenden Bericht, den Plinius davon gibt, nicht ohne Wahrscheinlichkeit mit dem gelehrten SaumaiseExercit. Plinian. p. 144. conf. Mariette, Recueil des Pierres grav. du Cab. du Roi p. 218. seq. für eine Art von Porzellan halten könnte. Denn daß die Römer sie aus den entferntesten Morgenländern zogen, sagt Plinius selbst, und dies ist das einzige Begreifliche, was er davon sagt. Daß aber diese Murrhina dem Golde an Wert vorgingen, ist außer Zweifel. Petronius Arbiter, als er vom Nero genötiget wurde aus der Welt zu gehen, zerbrach vorher, um den Tyrannen des schönsten Stücks seiner Verlassenschaft zu berauben, eine große Vase von dieser Art (trullam murrhinam), welche über 12 000 Taler gekostet hatte. – Alles dies machte nun freilich einen ungeheuern Kontrast mit jenen Zeiten, wo die ersten Männer im Staat noch aus Schüsseln von Campanischer Töpferarbeit aßen; wo der Konsul Älius Catus das Silbergeschirr, das ihm die Gesandten der Ätolier (die ihn bei irdnen Schüsseln angetroffen) zum Geschenke machen wollten, wieder zurückschickte; und wo ein Scipio Africanus selbst, der bei seinem Triumph über Karthago 470 000 Pfund Silbers ins Capitolium eingeführt hatte, nicht mehr als 32 Pfund an Silbergeschirr hinterließPlin. XXXIII. 11., – und doch, nach damaligem Maßstab, als ein reicher Mann starb.

! Tu' dir was darauf
zu gut, daß tausend Augen, wenn du sprichst,
auf dich geheftet sind! Sei stets der erste
im Forum, und der letzte, der des Abends
nach Hause geht, damit du ja das Unglück nicht
erleben müssest, daß ein Erdensohn wie Mutus
dir hinterm Rücken eine reiche Erbin
wegschnappe, deren Geld ihn auf der Stelle
zu deinem Bessern macht! Denn freilich wärs
nicht auszustehen, wenn ein solcher Mensch,
von solcher Herkunft, einem Mann wie du
Gaudeat an doleat, cupiat metuatne, quid ad rem
si, quicquid vidit melius peiusve sua spe
defixis oculis animoque et corpore torpet?
<15> Insani sapiens nomen ferat, aequus iniqui,
ultra quam satis est virtutem si petat ipsam.
I nunc, argentum et marmor vetus, aeraque et artes
suspice, cum gemmis Tyrios mirare colores!
gaude quod spectant oculi te mille loquentem!
<20> Gnavus mane forum et vespertinus pete tectum,
ne plus frumenti dotalibus emetat agris
Mutus, et (indignum, quod sit peioribus ortus!)
den Vorsprung abgewänne, und du ihn
bewundern
müßtest, nicht er dich! – Wie schwach!
Kannst du der Zeit verwehren, daß sie nicht
ans Licht hervorzieh', was jetzt noch mit Erde
bedeckt ist, und was jetzt im Sonnenschein
uns anglänzt, einst in tiefem Schutt begrabe?
Und wenn der Säulengang Agrippas und die Straße
des Appius
dich noch so gut gekanntM. Vipsanius Agrippa, der Mann, dem August seine Größe zu danken hatte, und der, durch seine Vermählung mit dessen Tochter Julia, der Zweite in Rom wurde ein Mann von niedriger Herkunft, aber von desto größrer Seele, und, nach Senecas UrteilEp. 94., unter allen, die durch die bürgerlichen Kriege mächtig geworden, der einzige, der es zum Glück des Staats war. Dieser Agrippa verherrlichte die Stadt Rom durch eine Menge großer Denkmäler, mehr als jemand vor oder nach ihm tat, wie der angeführte Schriftsteller sagtDe Benefic. 32.. Wenn August sich rühmen konnte, daß er aus dem hölzernen Rom ein marmornes gemacht habe, so hatte Agrippa wohl das meiste dazu beigetragen. Der Porticus, dessen Horaz hier erwähnt, ist vermutlich die prächtige Halle, womit Agrippa das von ihm im Jahr 727 erbaute Pantheon, eines der herrlichsten Werke des alten Roms, auszierte. Diese Halle und die dazu gehörige Area war damals der öffentliche Ort, wo die große Welt in Rom am gewöhnlichsten beisammen gesehen wurde: so wie die Via Appia die Straße war, wo man sie am häufigsten fahren sah, weil sie die schönste und breiteste aller römischen Straßen war, und die meisten Großen ihre Landgüter in Campanien hatten, wohin sie führte.,
am Ende mußt du doch dahin, wo Numa
und Ancus. Wenn ein körperlicher Schmerz
dich peinigt, rufst du nicht den Arzt herbei,
und suchst des Übels los zu werden? Gut!
Wer etwas will, muß auch die Mittel wollen.
Du möchtest glücklich sein? Wer will das nicht?
Und wenn die Tugend nun, und sie allein,
dich glücklich machen kann: wohlan, so laß
es Ernst dir sein, entschließe dich, der Tugend
dich ganz zu weihn, und weg mit allen Üppigkeiten!
Hältst du sie aber bloß für einen Namen
Wie einen heil'gen Hain für bloßes HolzVirtutem verba putas ut lucum ligna? Mich dünkt, es ist sehr klar, daß Horaz hier auf die Vorstellungsart der damaligen Freigeister ziele, denen ein alter den Göttern geweihter Hain (Lucus) weiter nichts als Bäume, d. i. ein Wald wie ein andrer Wald, war; wiewohl religiöse Personen den Begriff von etwas Göttlichem damit verbanden, und daher nicht anders als mit Schaudern in das heilige Dunkel eines solchen Hains traten, der seiner Unverletzlichkeit wegen, natürlicherweise, verwachsner, kühler, finstrer, als ein gemeiner Wald, und also sehr geschickt war, das schauderliche Gefühl zu erregen, welches der geheimen Gegenwart einer Gottheit beigemessen wurde. – Horaz setzt (glaube ich) diese beiden Prädikate, die Tugend für einen bloßen Namen und einen Hain für bloßes Holz halten, gerade deswegen zusammen, weil gemeiniglich derjenige, der nicht an die Tugend, auch nicht an die Religion glaubt. Wer aber an beides nicht glaubt, muß entweder ein sehr übel zusammenhängender Mensch sein, oder er kann kein höheres Gut kennen, als den Reichtum, der ihm alles übrige gibt, was einen Wert in seinen Augen hat. Dies ists, was Horaz sagen will, und womit er, glaube ich, in wenig Worten sehr viel gesagt hat.:
dann alle Segel aufgespannt, der erste
zu sein, damit kein andrer früher komme,
die Cibyratschen und Bithynischen GeschäfteWas Horaz unter diesen cibyratischen und bithynischen Geschäften (Negotia) eigentlich verstanden, darüber lassen uns seine Ausleger ziemlich im Dunkeln. Von der Stadt Cibyra hat zwar der Abt Belley eine eigne Abhandlung geschriebenS. Mémoir. de Littérature Tome XXXIX. p. 378. seq.; es ist ihm aber darin bloß um die Erklärung einiger cibyratischen Münzen zu tun; und er hat sich dieser Stelle unsers Dichters gar nicht dabei erinnert. Diese Stadt, welche schon lange zuvor, ehe sie unter die römische Oberherrschaft kam, sehr ansehnlich gewesen war, wurde es noch mehr, weil sie zum gewöhnlichsten Sitz eines Diözesan- oder Landgerichts über 25 Städte, unter denen Laodicea die vornehmste war, gemacht wurde. Der Abt Belley läßt den StraboAm Ende des 13ten Buchs seiner Erdbeschreibung. sagen, daß sie große Einkünfte aus ihren Eisenbergwerken gezogen habe; Strabo sagt aber kein Wort mehr, als: die Stadt Cibyra habe den Vorzug, daß die feinsten ausgestochnen ArbeitenΤὸ τὸν σίδηρον τορεύεσθαι ραδίως, ferrum caelari facile, nicht tornari, wie der lat. Übersetzer sagt. in Eisen sehr gut daselbst gemacht würden. Einer von den Gästen in des Athenäus Sophistengastmahl erwähnt auch der cibyratischen Schinken, die, wie er sagt, den gallischen nichts nachgeben – und auch dies ist für den Abt Belley hinlänglich, uns zu versichern, daß die Stadt Cibyra ein commerce considérable mit Schinken getrieben habe. Wenn es aber auch nicht so considerabel gewesen wäre, so bleibt immer wahrscheinlich, daß Cibyra eine der ansehnlichsten Handelsstädte in demjenigen Teile von Kleinasien war, der damals vorzugsweise die Provinz Asien hieß, und nebst Bithynien zu den Provinzen gehörte, deren Verwaltung Augustus dem Senat überlassen hatte, und die daher die senatorischen hießen. Diese beiden Provinzen machten einen beträchtlichen Teil des kleinen Asiens aus, und die zum bithynischen Gouvernement gehörigen Städte, Chalcedon, Apamea, Astakus, Prusa, Nikomedia, Olbia, Heraklea, Amastris, Cimolis, Sinope, welche alle teils an dem thrazischen Bosporus, teils an dem Schwarzen Meere lagen, waren eben so viele Handelsplätze, durch deren Hände die großen Geschäfte gingen, die in diesen Zeiten auf diesem Meere gemacht wurden. Hier war also ein weites Feld für die Spekulationen der römischen Ritter und übrigen Unternehmer, welche sich dadurch bereicherten, daß sie die Staatseinkünfte in den Provinzen pachteten, die öffentlichen Werke in Akkord nahmen, und die Gegenstände der unermeßlichen Bedürfnisse der Stadt Rom aus allen Gegenden der Welt zusammenschleppten.
hic tibi sit potius, quam tu mirabilis illi.
Quicquid sub terra est, in apricum proferet aetas,
<25> defodiet condetque nitentia. Cum bene notum
porticus Agrippae et via te conspexerit Appi,
ire tamen restat Numa quo devenit et Ancus.
Si latus aut renes morbo temptantur acuto,
quaere fugam morbi. Vis recte vivere? Quis non?
<30> Si virtus hoc una potest dare, fortis omissis
hoc age deliciis! Virtutem verba putas ut
lucum ligna? Cave, ne portus occupet alter,
ne Cibyratica, ne Bithyna negotia perdas!
dir vor dem Munde wegzufischen. Ruhe nicht,
bis du dir eine Million zusammen-
geründet hast, dann wieder eine, und
dann noch die dritte; kannst du sie quadrieren,
um so viel besser! Geld ist Königin
der Welt, schafft alles dir, ein reiches Weib,
Kredit und Freunde, Schönheit, Adel, alles!
Die Überredung wohnt auf deinen Lippen,
und Venus schmückt mit ihrem Gürtel dich.
Der Kappadozier König ist an Sklaven reichWeil alle seine Untertanen Leibeigne waren. Er hätte sie also zu Gelde machen können: aber die Kappadozier waren in so schlechtem Ruf, daß nichts dabei zu gewinnen war.
und arm an Geld; du willst auf diesen Fuß
kein König sein! Man sagt, Lucullus sei
einmal gebeten worden, ob er nicht
zu einem Schauspiel hundert Purpurröcke
dem Prätor leihen könnte. Hundert? habe
Lucull versetzt, wie käm' ich zu so vielen?
Indessen will ich nachsehn lassen; was
sich findet, steht zu Dienst. Nach einem Weilchen
schreibt er zurück: es hätten sich indessen
fünftausend Purpurröck' in seinem Hause
Mille talenta rotundentur, totidem altera porro,
<35> tertia succedant et quae pars quadret acervum.
Scilicet uxorem cum dote, fidemque et amicos
et genus et formam regina pecunia donat,
ac bene nummatum decorat Suadela Venusque.
Mancipiis locuples eget aeris Cappadocum rex;
<40> ne fueris hic tu! Chlamydes Lucullus, ut aiunt,
si posset centum scaenae praebere rogatus,
qui possum tot? ait: tamen et quaeram et quot habebo
mittam. Post paulo scribit, sibi milia quinque
gefunden, und sie könnten immer, was
sie brauchten, oder alle holen lassen.
Das muß ein armes Haus sein, wo nicht viel
Unnützes ist, wovon der Herr nichts weiß,
und das den Dieben nur zustatten kommt.

Wenn also, wie gesagt, bloß Geld und Gut
uns glücklich machen und erhalten kann:
so laß dies deine erste Sorge beim Erwachen,
und wenn du schlafen gehst, die letzte sein!
Ists Gunst des Volks, Befördrung, Ansehn, Rang,
so kaufen wir uns einen Sklaven, der
ganz Rom auswendig weißEin Sklave, der das wundervolle Talent hatte, in einer Stadt wie Rom alle Leute mit Namen nennen zu können, hieß ein Nomenclator, und war ein sehr unentbehrliches Hausratstück im Hause eines vornehmen Römers, dem an Volksgunst etwas gelegen war. Denn weil die Kandidaten um die hohen Würden der Republik sich auch den gemeinsten Bürgern persönlich empfehlen, sie freundlich bei der Hand nehmen und mit ihrem Namen anreden mußten: so war es bei den Spaziergängen, die ein Kandidat zu solchem Ende zu machen hatte, unumgänglich notwendig, einen Nomenclator an der Seite zu haben, der ihm in die Ohren raunte, wie der Zimmermeister oder Steinmetz, oder was er sonst war, hieß, den er um seine Stimme begrüßen wollte, und der sich dann natürlicherweise sehr dadurch beehrt fand, einem so vornehmen Herrn so wohl bekannt zu sein. Aber dies war nicht das einzige Amt der Nomenclatoren: denn ich sehe aus dem SenecaEpist. 19. it. de Benef. L. VI. c. 33., daß die damaligen Großen in Rom ihre Dienste auch vonnöten hatten, wenn ihnen etwa einfiel wissen zu wollen, wie dieser oder jener unter der Menge, die in ihrem Vorzimmer aufwarteten, hieße; daß sie ordentliche Register über die Freunde und Klienten ihres Herrn halten mußten, und daß es zuweilen dem Nomenclator überlassen wurde, wer zu Tische gebeten werden sollte. In diesen Zeiten war der Luxus so hoch gestiegen, daß eine gewisse Art von übermütigen Schlemmern sogar bei Gastmählern eigne Nomenclatoren hatten, welche den Gästen die Schüsseln nennen, und, was dabei merkwürdig war, vordozieren mußtenPlinius erwähnt einer großen Art Austern, die der Nomenclator eines gewissen Bon-Vivant mit Tridacna ausgerufen hätte, weil sie so groß wären, daß man drei Bissen aus einer machen könnte. L. XXXII. c. 6.. Die allerseltsamste Art von Nomenclatoren aber waren unstreitig diejenigen, die sich zu Senecas Zeiten ein gewisser Calvisius Sabinus hielt. Der Mann war (wie damals und noch jetzt so viele seiner Art) per fas et nefas mächtig reich geworden; und da er nun, kraft seiner Opulenz, zu den Leuten gehörte, bei denen man eine gewisse Erziehung voraussetzt, und die bei Gelegenheit zeigen müssen, daß sie gelesen haben: so kaufte er sich, um kurz aus der Sache zu kommen, eine Anzahl griechischer Sklaven, wovon der eine seinen Homer, ein andrer seinen Hesiodus, neun andre die neun lyrischen Dichter, kurz jeder seinen eignen Autor auswendig gelernt haben mußte. Von dem Tage an, da Calvisius diese lebendige Bibliothek beisammen hatte, war es (sagt Seneca) vor lauter Literatur gar nicht mehr an seiner Tafel auszuhalten. Indessen bewunderte man doch seine Sklaven. Das denke ich wohl, sagte Calvisius: das Stück kostet mich aber auch viertausend Taler schwer Geld! Kurz, der Mann hatte in seinem Kopfe, weil die Sklaven sein wären, so sei auch alles, was sie wüßten, sein, und war sehr glücklich durch die Meinung, daß er sich nun, was die literarischen Kenntnisse betreffe, vor keinem reichen Manne in ganz Rom fürchten dürfeSeneca. Ep. 27.., und wenn wir durch
die Straßen gehn, uns in die Seite bohrt,
um über einen Karrn voll Steine, oder zwischen
emporgezognen Balken, diesem bald,
bald jenem Ehrenmann die Hand zu reichen:
»Der« (raunt der Nomenclator dir ins Ohr)
»vermag ein Großes in der Fabischen Zunft,
der alles in der Claudischen: er gibt
die Fasces, wem er will und mag,
und wem er übel will, der mache sich
nur keine Hoffnung zum kurulschen Throne!«
esse domi chlamydum; partem, vel tolleret omnes.
<45> Exilis domus est ubi non et multa supersunt
et dominum fallunt et prosunt furibus. Ergo,
si res sola potest facere et servare beatum,
hoc primus repetas opus, hoc postremus omittas.
Si fortunatum species et gratia praestat,
<50> mercemur servum qui dictet nomina, laevum
qui fodicet latus, et cogat trans pondera dextram
porrigere: »Hic multum in Fabia valet, ille Velina,
cui libet is fasces dabit, eripietque curule
cui volet importunus ebur«; frater, pater adde,
Hübsch allen Leuten freundlich zugenickt,
und jeden gleich, wie es sein Alter gibt,
zum Vater oder Bruder adoptiert!

Lebt aber der nur wohl, der trefflich ißt,
wohlan! es tagt, auf! wo der Gaum uns hinführt!
zum Fischen und zum Jagen! Machen wir
ganz Rom zum Zeugen unsrer Schlemmerei!
Wie einst Gargil, der einen langen Zug
von Jägersburschen, Eseln, Tüchern, Netzen
und Knebelspießen morgens übern Markt,
wo sichs am dichteten drängte, ziehen ließ,
damit der Pöbel gaffend früge, wem
der Jagdzeug zugehör' und sähe – wie
ein Maultier, unter vielen, im Triumph
die bar gekaufte Sau nach Hause trugDiese kleine Abschweifung scheint auf eine komische Szene anzuspielen, die der Prahler Gargil damals eben dem Publiko zum besten gegeben haben mochte, und die unserm Dichter noch so frisch im Gedächtnis war, daß sie ihm gleichsam aus der Feder fiel..
Von einer Nacht zur andern fortgeschmaust,
und sollten wir bei immer vollem Magen
nie wieder aus dem warmen Bade kommen!
Was kümmert uns die Sittlichkeit, der Wohlstand?
Wir habens mit den Zensorn einmal schon
verdorben, sind Ulyssens Schiffsvolk, das
uneingedenk des Vaterlands aus Circens Becher
zum Vieh sich trinkt, sich an den Sonnenrindern
zu Tode frißt, und aller Warnung lacht.
<55> ut cuique est aetas, ita quemque facetus adopta.
Si bene qui cenat bene vivit, lucet, eamus
quo ducit gula, piscemur, venemur! Ut olim
Gargilius, qui mane plagas, venabula, servos,
differtum transire forum populumque iubebat,
<60> unus ut e multis populo spectante referret
emptum mulus aprum. Crudi tumidique lavemur,
quid deceat quid non obliti, Caerite cera
digni, remigium vitiosum Ithacensis Ulyssei,
cui potior patria fuit interdicta voluptas.
Ist endlich, wie Mimnerm, der Dichter, meint,
kein glücklich Leben ohne Scherz und LiebeMimnermus, ein erotischer Dichter, von Kolophon gebürtig und ein Zeitgenosse und Freund des weisen Solon, erhielt wegen der ungemeinen Lieblichkeit seiner Verse den Namen Λιγυστάδης. Hermesianax, sein Landsmann und ein Priester der Erato wie er, machte ihn zum Erfinder der Elegie, weil er dieser Versart alle die Anmut und Musik gab, deren sie fähig ist, und weil er der erste war, der sie anwandte, die Freuden und Schmerzen der Liebe zu singen. Seine Gedichte atmeten nichts anders, und sein ganzes Leben war, wie es scheint, zwischen diese beiden Beschäftigungen geteilt, der Liebe zu pflegen, und die Liebe zu singen. Sein Wunsch war immer:
Laß mich, bei frischem Blut und sorgenfrei, sechzig erreichen.
    Aber, o Parze, dann flugs! schneide den Faden mir ab.

Solon, der noch in einem weit höhern Alter seine Scheitel, wie Anakreon, mit Rosen kränzte, schrieb ihm:

Ändre mir das und singe dafür: mit achtzig, o Parze,
    (immer noch frühe genug) schneide den Faden mir abDiogen. Laert. in vita Solon..

Aber die Parze strafte den Dichter, der, nicht so weise wie Solon, versäumt hatte, in der schönen Zeit des Lebens für den Winter zu sorgen. Er wurde älter als sechzig, und kränkelte noch in diesem Alter an Liebe für eine schöne junge Flötenspielerin, die ihm wenig Ursache gab, sich für ihre Gütigkeiten zu bedanken. Indessen waren doch die Elegien, womit er sie in ein liebliches Vergessen seiner grauen Haare einzusingen suchte, so schön, daß man noch zu Athenäus Zeiten nicht müde werden konnte sie nachzusingen. Es sind nur wenige Fragmente von seinen Gesängen bis auf uns gekommen, die man in den Brunkischen Analekten beisammen findet: aber so wenig ihrer sind, so ists doch genug, das Vergnügen begreiflich zu machen, das die Alten aus seinen Elegien schöpften. Zufälligerweise ist auch der Vers darunter, auf welchen Horaz besonders zu deuten scheint:

Τίς δὲ βίος, τί δὲ τέρπνον άτερ χρυση̃ς Αφροδίτης;
    τεθναίην, ότε μοι μηκέτι ταυ̃τα μέλοι!
,
so leb' in Scherz und Liebe! – Und hiemit
gehab dich wohl! – Weißt du was Besseres,
so teile mir es unverhohlen mit;
wo nicht, so reicht dies für uns beide zu.
<65> Si, Mimnermus uti censet, sine amore iocisque
nil est iucundum, vivas in amore iocisque!
Vive, vale! Si quid novisti rectius istis,
candidus imperti; si non, his utere mecum!

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