Horaz
Horazens Briefe
Horaz

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Indessen du zu Rom dich in der Kunst
der Ciceronen übestEigentlich, im Deklamieren übest. Denn die Rede scheint hier nicht sowohl von wirklich vor Gerichte gehaltenen Reden zu sein, als von den rednerischen Übungen, welche seit der Zeit, da Cicero (während die Republik in Jul. Cäsars Händen war) eine Art von Redner-Akademie in seinem Hause errichtet hatteS. in Cicerons Briefen an seine Freunde, den 33sten des VII. Buchs, und besonders den 18ten im IX., wo er gar artig über seine neue Schulmeisterschaft scherzt. Er nennt deswegen den Hirtius und Dolabella seine Schüler, wiewohl sie damals als Günstlinge Cäsars vielbedeutende Männer waren., seine sehr gewöhnliche Beschäftigung junger Leute von Stand und Erziehung waren. Man hielt diese Deklamationen entweder öffentlich, – wie Nero, da er schon Imperator war, öfters tatSueton. in Ner. X. 9.; oder doch vor einer ausdrücklich dazu eingeladnen Zuhörerschaft – auf eben die Art, wie es um diese Zeit Mode wurde, seine Werke vorzulesen. Horaz hielt sich, da er an Lollius schrieb, zu Präneste auf, einer von den kleinen Städten in der Nähe von Rom, wohin sich vornehme und müßige Römer im Sommer gern zurückzuziehen pflegten, und die beim Florus (I. 11.) deswegen aestivae deliciae heißt., edler Lollius,
hab' ich in meinem stillen Winkel zu Präneste
den Dichter des Trojan'schen Krieges wieder
gelesen, der, was schön ist oder schlecht,
was nützlich oder nicht, uns faßlicherPlanius, nach Bentleys wohlgegründeter Lesart.
und besser lehrt, als Krantor und ChrysippKrantor, ein Schüler des berühmten Xenokrates, behauptete (nach Cicerons Zeugnis Tuscul. Quaest. III. 6.) eine vorzügliche Stelle unter den vornehmsten Lehrern der alten Akademie. Chrysippus stand in dem Ruf, eine der größten Stützen der Stoa gewesen zu sein. Plutarch spricht von seinem Buche, Trostgründe im Leiden, als von einem zwar kleinen, aber ganz goldnen Büchlein, welches auswendig gelernt zu werden verdiene. Da Horaz diese beiden Philosophen statt aller andern nennen wollte, so war es natürlich, zwei der berühmtesten aus den beiden angesehensten Schulen zu nennen..

Warum ich dieser Meinung sei, vernimm,
wofern du Muße hast. Betörter Fürsten
und blöder Völker tolle Hitze schildert
die Fabel unsDas Wort Fabel oder Märchen (μυ̃θος, fabula) hatte bei den Alten eine sehr weite Bedeutung, und bezeichnete eben sowohl eine Iliade oder einen Ödipus, als eine Fabel vom Äsop. Die Fabel, d. i. die künstliche Zusammensetzung erdichteter Umstände, zu lebhafter Darstellung einer Handlung, welche eben durch diese künstliche Zusammensetzung und lebhafte Darstellung das Täuschende oder Wahrscheinliche (denn dem Dichter sind dies gleichbedeutende Worte) erhält, macht das Wesen der epischen und dramatischen Dichterwerke aus – und weder die Größe und Hoheit des Sujets, noch die historische Wahrheit der Personen und Begebenheiten, noch die Wahrscheinlichkeit derselben in der gemeinen Bedeutung dieses Wortes, sind notwendige Erfordernisse dieser Dichtarten; am wenigsten die letztere. Denn das Unglaubliche glaublich zu machen, wie Pindar sagt, ist gerade das, was des Dichters höchster Triumph ist. Die ganze Odyssee ist ein Gewebe von Märchen, wenn je eines gewesen ist; aber weil alles so erzählt ist, daß wir immer sehen, hören, fühlen, was der Dichter will, so müssen wir ja wohl – unsern eignen Sinnen glauben., worin wir Griechenland
und Barbarei zwei schöner Augen wegen
in zehenjähr'gem Krieg zusammenstoßen sehn.
Antenor rät das Übel an der Wurzel
zu schneiden, und das Weib zurückzugeben.
Was tut nun Paris? – O, der schwört, es soll
ihn niemand zwingen – glücklich und in Ruhe
auf seinem Thron zu sitzen. Nestor eilt
    Troiani belli scriptorem, Maxime Lolli,
dum tu declamas Romae, Praeneste relegi.
Qui quid sit pulchrum, quid turpe, quid utile, quid non,
planius ac melius Chrysippo et Crantore dicit.
<5> Cur ita crediderim, nisi quid te detinet, audi.
Fabula, qua Paridis propter narratur amorem
Graecia Barbariae lento collisa duello
stultorum regum et populorum continet aestus.
Antenor censet belli praecidere causam.
<10> Quid Paris? ut salvus regnet vivatque beatus
die Händel zwischen dem Peliden und
dem Sohn des Atreus gütlich beizulegen.
Vergebens! Diesen brennt die Liebe zu
des Priesters Tochter, beide Zorn und Stolz;
und was die Fürsten rasen, immer büßen es
die Griechen aus. Inn- und außerhalb
der Mauern Ilions ist Zwietracht, Trug,
Begier und Zorn die Quelle alles Übels.

Im Gegenteil, was Tugend und was Weisheit
vermögend sei, davon stellt uns Homer
ein nützlich Beispiel im Ulysses auf,
dem Sieger Trojas, der, durch alle Meere
umher getrieben, vieler Völker Städte
und Sitten prüfte, und, indem er unverwandt
sein großes Ziel, sich und den Seinigen
die Wiederkehr ins Vaterland zu schaffen,
verfolgt, viel schweres Ungemach erdulden muß;
doch unbezwingbar stets die feste Stirn
den Stürmen des Geschicks entgegenstemmt.
Du kennest der Sirenen lockenden
Gesang und Circens Zauberbecher.
cogi posse negat. Nestor componere lites
inter Pelidem festinat et inter Atridem:
hunc amor, ira quidem communiter urit utrumque;
quicquid delirant reges, plectuntur Achivi.
<15> Seditione, dolis, scelere atque libidine et ira
Iliacos intra muros peccatur et extra.
Rursus quid virtus et quid sapientia possit
utile proposuit nobis exemplar Ulyssem,
qui domitor Troiae multorum providus urbes
<20> et mores hominum inspexit, latumque per aequor
dum sibi, dum sociis reditum parat, aspera multa
pertulit, adversis rerum immersabilis undis.
Hätt' er, wie seine unverständigen
Gefährten, blindlings auch daraus getrunken,
was war die Folge? Nun sein Leben lang
verdammt zu sein, in einer Buhlerin
ehrlosem Dienst zu kriechen, ohne Herz,
ein geiler Hund, ein unflatliebend Schwein!

Welch einen Spiegel hält dies Buch uns vor!
Was sind wir, als ein Haufen ohne NamenNos numerus sumus, eigentlich, wir machen bloß die Zahl voll; wir sind, nach moralischer Schätzung, was die capite censi in Rom nach der politischen waren, sine nomine vulgus, Leute, deren man immer so und so viel Tausend zusammennehmen, und, ohne Gefahr zu irren, voraussetzen kann, daß, im Durchschnitt genommen, einer ungefähr so viel wert ist, als der andre. Das ist nun freilich nicht viel, sagt Lambinus; aber nullo numero esse, wie es die Alten nannten, gar nicht mit in Rechnung kommen, ist doch noch schlimmer. In diesem Falle waren, unter den Griechen, die Bürger der kleinen Republik MegaräS. Blanchard, Recherches sur la Ville de Megare, im XXVsten Teil der Mémoir. de Littérature., denen der Gott zu Delphi einsmals, da er über den respektiven Wert der verschiednen griechischen Völkerschaften befragt wurde, das schlimme Kompliment machte:
»Ihr, Megarer, seid weder die dritten, noch vierten, noch zwölften,
weder an Zahl noch Witz.«
,
bloß zum Verzehren gut, Penelopeens
Sponsierer, Taugenichtse, Hofgesindel des
Alcinous, die nichts zu sorgen haben,
als sich ein glattes Fell zu ziehen, nicht erröten,
bis in den hellen Tag hinein zu schlafen,
und, wie ein ernsterer Gedank' sich blicken läßt,
ihn flugs beim Klang der Zithern wegzutanzenAd strepitum citharae cessatum ducere curam. Es ist erbärmlich zu lesen, wie einige Viri doctissimi sich zerarbeitet haben, den natürlichen schönen Sinn dieses Verses in Plattheit zu verkehren. Einige meinten, man müsse cessantem lesen. Joseph Scaliger, der Großfürst der Philologen seiner Zeit (wie sie ihn hießen), schlug cessatam vor. Beide Verbesserungen machen den Ausdruck schülerhaft und abgeschmackt. Bentley, dem in der gewöhnlichen Lesart weder der Gedanke noch der Ausdruck gefällt, wiewohl nichts Schalers sein kann, als die Gründe warum? – meint, man könne den Vers füglich so verbessern: ad strepitum citharae certatim ducere noctem. – Doch entscheidet er sich zuletzt für cessantem ducere somnum, und verschwendet viel Belesenheit, seine Verbesserung durch ähnliche Verse aus andern Dichtern, und aus Horazen selbst, zu rechtfertigen. – Wir haben uns, wie fast immer, an die gemeine Lesart gehalten, und stellen die Scaligers und Bentleys hier nur zum Beispiel auf, wie übel einem Dichter oft mitgespielt wird, wenn seine Ausleger an Wortwitz und Verbesserungssucht zu viel haben, was ihnen an Geschmack und gesundem Verstand abgeht. – J. M. Geßner führt aus dem Ruthgers die niederdeutsche Redensart, Syn sorge spelen leiden, seine Sorge spielen führen, an, als eine, die mit Horazens Ausdruck sehr gut zusammentrifft..

Auf andrer Leben laurend wacht der Räuber
die Nächte durch, und du, dich zu erhalten,
erwachst nicht? Willst nicht lieber, um
gesund zu bleiben, dir Bewegung machen,
als wassersüchtig, auf Befehl des Arztes,
mit doppelter Beschwerde laufen müssenLambinus versteht unter curres hydropicus, du wirst zum Arzt laufen müssen. Gegen seine Gewohnheit muß er hier vergessen haben, daß vieles Gehen und Gehen bis zum Laufen zu der Lebensordnung gehörte, welche die Ärzte damals den Wassersüchtigen vorschrieben. Si nondum nimis occupavit (morbus) – multum ambulandum, currendum aliquando. Celsus de Re Medica L. III. 24. Der Sinn ist also: Wenn du aus Trägheit dir keine Bewegung machen willst, so wirst du, mit der Wassersucht am Halse, gezwungen (aus Vorschrift des Arztes) sogar laufen müssen: und was wird dann deine Trägheit dabei gewonnen haben? – Übrigens braucht der verständige Leser nicht erinnert zu werden, daß hier alles Allegorie und Bild ist; oder man müßte dies beim Horaz alle Augenblicke erinnern.?
Sirenum voces et Circae pocula nosti;
quae si cum sociis stultus cupidusque bibisset,
<25> sub domina meretrice fuisset turpis et excors,
vixisset canis immundus, vel amica luto sus.
Nos numerus sumus et fruges consumere nati,
sponsi Penelopae, nebulones, Alcinoique
in cute curanda plus aequo operata iuventus;
<30> cui pulchrum fuit in medios dormire dies et
ad strepitum citharae cessatum ducere curam.
Ut iugulent homines surgunt de nocte latrones;
ut te ipsum serves non expergisceris? Atqui
si noles sanus, curres hydropicus; et nicht
Wenn du vor Tag nicht Licht und Buch verlangstNach alter römischer Sitte stand jedermann mit Anbruch des Tages auf, um sich an seine Geschäfte zu machen. In den Tag hinein zu schlafen, wie die Hofleute des Alcinous, würde einem Ehrenmann eben so schimpflich gewesen sein, als betrunken auf der Straße gefunden zu werden, oder das Haus eines Mädchenmäklers zu stürmen. Noch vor Tage aufzuwachen, um seinem Geist durch Lesen und Betrachtung auf den ganzen Tag Schwung und Richtung zu geben, war also nicht zu viel von einem Jüngling gefordert, der, wie Lollius, eine edlere Rolle zu spielen bestimmt, durch Angewöhnung an eine Lebensart, die das Gegenteil von dem üppigen Müßiggang des besagten Hofgesindels war, sich zu derselbigen vorbereiten sollte.,
um deinen Geist auf edle Gegenstände
zu heften, was gewinnest du damit?
Daß Liebe oder Neid um deinen Schlaf
dich bringen und noch quälen obendrein.
Wie eilest du, wenn etwa dir ein Splitter
ins Auge fiel, ihn flugs heraus zu kriegen!
Warum denn, wenn ein Krebs an deiner Seele nagt,
die Heilung stets aufs nächste Jahr verschieben?
Frisch angefangen ist schon halb getan.
Was säumst du? Wag' es auf der Stelle weise
zu sein
! Wer recht zu leben eine Stunde nur
versäumt, gleicht jenem Bäu'rlein, das am Flusse
geduldig stehen blieb, zu warten, bis
das Wasser abgeflossen wäre! Tor,
die Zeit, die du verlierst, wie dort der Strom,
fließt fort, und fließt, und ewig wird sie fließen,
nur nie zurück! – Allein, zum Unglück hat
man so viel Nötigers zu tun! Fürs erste
wird Geld gesucht, dann eine Frau, die uns
dazu die Erben schaffe, und wenn nichts
mehr übrig ist, so pflügt man Wälder um.
Wer, was Genug ist, hat, der wünsche sich
<35> posces ante diem librum cum lumine, si non
intendes animum studiis et rebus honestis,
invidia vel amore vigil torquebere. Nam cur
quae laedunt oculum, festinas demere; si quid
est animum, differs curandi tempus in annum?
<40> Dimidium facti qui coepit habet. Sapere aude,
incipe! Qui recte vivendi prorogat horam
rusticus expectat dum defluat amnis; at ille
labitur, et labetur in omne volubilis aevum.
Quaeritur argentum, puerisque beata creandis
<45> uxor, et incultae pacantur vomere silvae.
nicht Mehr. Haus, Güter, Haufen Goldes
und Silbers können des Besitzers Blut
vom Fieber nicht befreien, noch von Sorgen
sein Herz: gesund muß der zuvörderst sein,
der des gehäuften Guts sich freuen will.
Plagt ihn Begierde oder Furcht, so hilft
ihm Haus und Hof so viel, als Malereien
dem Triefaug', Bähungen dem Zipperlein,
und Zithern dem, der an den Ohren leidet.
Ist dein Gefäß nicht rein, so würde Nektar
zu Essig drin. Verschmäh die Jugendlüste!
Mit Schmerz erkauft ist Wollust viel zu teuer.
Zieh einen engen Kreis um deine Wünsche!
Der Geiz'ge darbet ewig, und der Neid
wird magrer, wie sein Nachbar fetter wird.
Die grausamste der Martern, die ein Phalaris
erfand, reicht an die Pein des Neides nicht.
Wer seinen Zorn nicht bändigt, wird zu spät
bereuen, was die rasche Rachbegier
Quod satis est cui contigit, hic nil amplius optet.
Non domus et fundus, non aeris acervus et auri
aegroto domini deduxit corpore febres,
non animo curas. Valeat possessor oportet
<50> si comportatis rebus bene cogitat uti.
Qui cupit aut metuit, iuvat illum sic domus et res
ut lippum pictae tabulae, fomenta podagram;
auriculas citharae collecta sorde dolentes.
Sincerum est nisi vas, quodcumque infundis acescit.
<55> Sperne voluptates, nocet empta dolore voluptas.
Semper avarus eget; certum voto pete finem.
Invidus alterius macrescit rebus opimis:
invidia Siculi non invenere tyranni
maius tormentum. Qui non moderabitur irae,
<60> infectum volet esse dolor quod suaserit et mens,
ihm eingab. Zorn ist kurze Raserei.
Regiere deine Leidenschaften, zähme sie
mit Ketten und Gebiß! Denn sind sie dir
nicht untertan, so sind sie deine Herren.
Jung lernt das Roß den noch gelehrigen
biegsamen Nacken unter seinen Meister
zu schmiegen, und den Weg zu gehn, den ihm
der Reiter weist. Das junge Windspiel jagt
die Wälder rastlos durch, seit es im Hofe
die ausgestopfte Hirschhaut anzubellen
gelernt hat. Jetzt, o Jüngling, suche die,
durch die du besser werden kannst, jetzt sauge
mit reiner Brust der Weisheit Lehren ein!
Ein Topf verliert den Wohlgeruch nicht leicht,
womit er neu durchbalsamt worden ist.

Nun, wie du willst! Geh fürder, oder bleibe
zurück: Ich werde meines Weges gehen;
und weder auf dich warten, wenn du säumst,
noch, wenn du mir zuvoreilst, schneller laufen.
dum poenas odio per vim festinat inulto.
Ira furor brevis est; animum rege! qui, nisi paret,
imperat; hunc frenis, hunc tu compesce catena!
Fingit equum tenera docilem cervice magister,
<65> ire viam qua monstret eques. Venaticus, ex quo
tempore cervinam pellem latravit in aula,
militat in silvis catulus. Nunc adbibe puro
pectore verba puer, nunc te melioribus offer!
Quo semel est imbuta recens servabit odorem
<70> testa diu. Quod si cessas, aut strenuus anteis,
nec tardum opperior, nec praecedentibus insto.

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